Es gibt eine Debatte über das Vermächtnis des legendären Juristen Fritz Bauer, der wie kein anderer für die juristische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Deutschlands gearbeitet hat. „Mit seinem Namen und Wirken als Generalstaatsanwalt in Hessen verbinden sich die Entführung Adolf Eichmanns nach Israel, die positive Neubewertung der Widerstandskämpfer des 20. Juli und die Frankfurter Auschwitzprozesse„, steht bei Wikipedia. Verbinden sie sich? Der frühere Leiter des Archivs des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts schreibt in seinem Artikel „Fritz Bauers Verschwinden aus der Öffentlichkeit“ in der FR:
„Obgleich Bauers in vielen Nachrufen gedacht und sein bedeutendes Wirken gewürdigt wurde, blieb er nahezu ein Vierteljahrhundert lang (nach seinem Tod 1968, Anm. Bronski) vergessen. Außer wenigen Aufsätzen und Zeitungsartikeln von Freunden und Wegbegleitern gab es keine Erinnerung an den Juristen, der zu seinen Lebzeiten landauf, landab ein viel gefragter Redner und Diskutant und in seiner Partei, der SPD, ein wichtiger Rechtspolitiker gewesen war.“
Dann ist es ja gut, dass sich das geändert hat. Es gibt aktuell mehrere Filme über Bauer. Der mit Burghart Klaußner in der Titelrolle ist auch Ihnen vielleicht geläufig. Trotzdem steht der Vorwurf im Raum, dass die Bundesrepublik auf dem rechten Auge blind war und auch immer noch ist – siehe NSU-Prozess.
Die Debatte.
Keine Wende in der deutschen Rechtspraxis
„In seinem Beitrag lässt Werner Renz die Hoffnung aufkommen, dass „durch das Münchener Demjanjuk-Urteil eine Wende in der bundesdeutschen Rechtspraxis“ eingetreten sei und dadurch Bauers „Rechtsauffassung, dass jeder, der an der Vernichtungsmaschinerie hantiert habe, des Mordes oder der Mordbeihilfe schuldig sei“.
Schön wär’s. Deutschlands Justiz zeichnet sich seit jeher durch eine ausgeprägte Blindheit gegen Rechts aus. Wie Wolfgang Wettes hervorragendem Nachschlagwerk „Ernstfall Frieden“ zu entnehmen ist, bildeten das vom preußischen Militarismus dominierte Militär und die Justiz eine republikfeindliche Einheit. Nach der faschistischen Barberei gelang den meisten NS-Juristen ein fast nahtloser Übergang in die Dienste der neuen Republik, allerdings ohne die Überzeugungen aus der vormaligen Zeit wirklich abgelegt zu haben. In diesen Sumpf war Fritz Bauer eine herausragende Ausnahmeerscheinung!
Schauen wir auf die Neuzeit, den NSU-Prozess: Mit Vehemenz weigern sich Bundesanwaltschaft und Gericht, das zahlreiche Unterstützerumfeld, ohne das Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ihre Mordtaten nie und nimmer hätten so ausführen können, mit einzubeziehen. Ein wahrscheinlicher Grund dafür ist, dass damit auch die faschistischen V-Männer und die sie aushaltenden Verfassungs-„Schützer“ ins Rampenlicht gezogen würden. Hier unterbleibt also, dass jeder an der rassistischen Mordserie Beihilfe Leistende gerichtlich angeklagt wird. Wo ist in diesem Fall die „Wende in der Rechtsauffassung“?
Nötig wären auch heute viel mehr Staatsanwälte wie Fritz Bauer, Richter wie Heinz Düx, Anwälte wie Heinrich Hannover und Geheimdienstaufklärer wie Rolf Gössner – erst dann hätte eine wirkliche Wende eine reelle Chance!“
Bernd Bremen, Aachen
Profilierter und aufklärerischer Jurist
„Mit der jüngsten Würdigung des früheren Generalstaatsanwalts Fritz Bauer ist zur richtigen Zeit ein Mann wieder ins öffentliche Licht gerückt, dem die Auschwitz-Prozesse von 1964/65 zu verdanken sind. Ein drohendes Verschwinden dieses großen Demokraten aus der Öffentlichkeit ist damit verhindert worden. Als 2009/10 der Dokumentarfilm „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ in den Programmkinos von der Regisseurin Ilona Ziok vorgestellt wurde, war klar, was diesem profilierten und aufklärerischen Staatsanwalt in der aufarbeitungsunwilligen Nachkriegszeit zu verdanken ist. Ohne seine Arbeit hätte es weder eine Rehabilitierung der „Verschwörer des 20. Juli“ noch die Frankfurter Auschwitzprozesse gegeben. Auch die Ergreifung von Adolf Eichmann ist ihm zu verdanken. Bemerkenswert ist, dass sich Bauer nicht an die deutsche Regierung in Bonn wandte, sondern sein Wissen über den Aufenthalt Eichmanns in Argentinien zunächst nur dem befreundeten hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn mitteilte, mit dessen Einverständnis er die Israelis (Mossad) informierte. Bauer wusste, dass es in den deutschen Justizstellen undichte Stellen gab („alte Kameraden“) und dass das Kanzleramt unter Adenauer wenig Interesse an der Verfolgung Eichmanns hatte.
Zu Lebzeiten erfuhr er nicht die verdiente Anerkennung, sondern war von Feinden umgeben. Umso wichtiger ist, ihm einen festen Platz bei der Aufarbeitung der Nachkriegszeit zu geben. „Wenn die Prozesse einen Sinn haben, so ist es unumgängliche Erkenntnis, dass Anpassung an einen Unrechtsstaat Unrecht ist.“ (Fritz Bauer). Wir erkennen gerade (Asylstreit, Fremdenfeindlichkeit) auf leisen und lauten Sohlen die Anpassung – eine deutsche Tugend! Wehret den Anfängen!“
Jürgen Malyssek, Wiesbaden
Die deutsche Justiz war überlastet
„Werner Renz hat in seinem zutreffenden Artikel in der FR vom 26.06.2018 die Rechtsauffassung von Fritz Bauer zu den Problemen von Täterschaft und Beihilfe, wie sie sich aus dem Auschwitzprozess und dem Münchner Verfahren gegen Demjanjuk ergeben, richtig dargestellt. Bauers Vorstellung bestand darin, dass jeder Angehörige der Bewachungsmannschaft des Vernichtungslagers Auschwitz unabhängig von einer konkreten Tathandlung wegen Beihilfe zum Mord zu bestrafen sei. Eine Ansicht die weder vom Frankfurter Schwurgericht noch vom 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs geteilt wurde. Demgegenüber wurden Bauers Thesen erst kürzlich von den Landgerichten München, Lüneburg (Gröning-Prozess) und Detmold (Canning-Prozess) übernommen. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil im Fall Gröning bestätigt.
Als Folge hiervon wird der Justiz der 1960er Jahre vorgeworfen, „auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein“, weil sie nicht bereits damals diese Täter zur Verantwortung gezogen hätte. Dieser Vorwurf ist unberechtigt.
Abgesehen davon, dass Staatsanwälte und Richter seinerzeit an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebunden waren, lagen zu dieser Zeit der Staatsanwaltschaft in Frankfurt und der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg Listen mit den Namen und zum großen Teil den Anschriften von ca. 4.500 von noch lebenden Angehörigen der Bewachungsmannschaften von Auschwitz vor. Die Dezernenten der einzelnen Staatsanwaltschaften, die für die Bearbeitung dieser Verfahren zuständig gewesen wären, hätten Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten wegen Beihilfe zum Mord einleiten müssen. Wegen der dargestellten Vielzahl der Verfahren konnte diese Aufgabe von den vorhandenen Staatsanwälten nicht bewältigt werden. Eine Neueinstellung von zahlreichen Dezernenten war ausgeschlossen, da entsprechende Bewerber in der erforderlichen Zahl nicht vorhanden waren, von deren notwendiger Sachkunde ganz zu schweigen. Nach einer eventuellen Anklageerhebung gegen einzelne Beschuldigte, hätten dann nach der damals geltenden Gesetzeslage durch die Gerichte Voruntersuchungen durchgeführt werden müssen – wie sie etwa der hervorragende Frankfurter Untersuchungsrichter Heinz Düx im Auschwitzverfahren demonstriert hatte. Hierfür wären mehrere hundert Richter benötigt worden, die weder vorhanden waren, noch eingestellt werden konnten. Aber selbst wenn nur ein kleiner Bruchteil dieser 4.500 Verfahren hätte abgeschlossen werden können: Die damaligen Schwurgerichte waren mit neun Richtern – sechs Geschworenen und drei Berufsrichtern – besetzt. In Großverfahren kamen Ergänzungsrichter und Ersatzgeschworene hinzu. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass diese – im Übrigen außerordentlich zeitaufwendigen – Verfahren nicht zu bewältigen waren.
Und dann gab es zudem noch die Bewachungsmannschaften der Vernichtungslager Majdanek, Sobib#r, Cheömno, Treblinka und Beöüec in denen zahllose Opfer ermordet wurden. Auch gegen die Angehörigen dieser Tätergruppen hätten Strafverfahren durchgeführt werden müssen, hätte der Bundesgerichtshof damals die These von Bauer übernommen. Außerdem kamen weitere Tätergruppen in Betracht, zum Beispiel die vielen Wehrmachtsangehörigen, die die Exekutionsstätten in der Sowjetunion abgesperrt hatten, in denen die Angehörigen der Einsatzgruppen Hunderttausende von Juden erschossen hatten.
Ob die Richter in Frankfurt und die Mitglieder des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs bei ihren damaligen Entscheidungen auch die vorstehenden Erwägungen berücksichtigt haben, ist nicht bekannt.“
Die These, man könne der Justiz nicht vorwerfen gegenüber den Nazi Verbrechern „blind“ gewesen zu sein, weil die Rechtsprechung des BGH eine Verfolgung nicht zugelassen habe, ist ein Zirkelschluss. Der BGH ist „Justiz“, verehrter Herr Wiesemann. Und er hat, indem er Tausende von Tätern zu bloßen „Gehilfen“ machte, unzähliger Verbrechen verjähren lassen. Und wenn Sie an einen bösen Zufall glauben, sollten Sie sich nur die damalige Zusammensetzung der Senate der Obergerichte ansehen, da wimmelte es nämlich von ehemaligen Nazis. Wie sehr diese Richter ihrer früheren Gesinnung noch verhaftet waren, erkennt man daran, dass sie nach dem KPD-Verbot 1956 wider fleißig Kommunisten aber nicht ihre „alten“ Kammeraden hinter Schloss und Riegel gebracht haben. Bei der Verfolgung von Mitgliedern der KPD oder ihr nahstehenden Organisationen herrscht keine „Personalknappheit“, zum Teil wurden Menschen von denselben Richtern abgeurteilt, die sie schon vor 1945 in die Lager geschickt hatten. Und dass die Justiz mangels „ausreichender Bewerber“ die Täter gar nicht hätte verfolgen können, ist einfach nicht wahr. Schon Anfang der 60er gab es mehr Bewerber als Stellen; übernommen wurde nur, wer mindestens zwei Prädikatsexamen vorweisen konnte. Als ich 1972 Referendar bei der Frankfurter StA war, stieß ich im Dezernat meines Ausbilders auf einen Aktenschrank, der zur Hälfte mit Büromaterialien und zu anderen Hälfte mit Akten gefüllt waren, auf denen der Namen „Mengele“ vermerkt war. Meine Frage, ob das „der“ Mengele sei, wurde bejaht. Als ich nach dem Ermittlungsstand fragte, erwiderte mein Ausbilder, das könne er nicht sagen, weil er noch nie in die Akte hineingesehen habe; schon seine beiden Vorgänger hätten das nicht getan. Bekanntlich lebte Mengel zu dieser Zeit in Brasilien und starb dort erst 1979 bei einem Badeunfall. Er wurde dort mehrfach von Familienangehörigen sowie einem Prokuristen eines seinem Bruder (und eigentlich auch ihm gehörenden) Unternehmens besucht und vermutlich auch alimentiert. Bei einer Überwachung dieser Personen hätte man unschwer seinen Aufenthaltsort ermitteln und die Auslieferung beantragen können. Es hätte sich nur ein Staatsanwalt finden müssen, der das angeordnet hätte. Aber damals hatte die StA ja alle Hände voll zu tun, den Staat vor linken Studenten zu schützen.