Am Fordern und Fördern der Sozialgesetzgebung des Gerhard Schröder (SPD) scheiden sich seit jeher die Geister. Das Fordern war wohl ziemlich ernst gemeint. Zahllose Hartz-IV-Empfänger haben das zu spüren bekommen. Das Fördern hingegen beschränkte sich auf Maßnahmen, wie man sich zum Beispiel optimal bewirbt. Berufliche Qualifikation war damit offenkundig von Anfang an nicht gemeint. Sagen wir es ehrlich: Es ging nur darum, möglichst viel Druck auf Arbeitssuchende auszuüben, die in Hartz IV rutschten. Mit dem Hintergedanken, dass diese Menschen dann größtmögliche Eigeninitiative entwickeln würden, um sich selbst aus dieser misslichen Lage zu befreien. Dahinter steckt der Grundgedanke, dass man Menschen unter Druck setzen muss, damit sie etwas für sich selbst tun.
Für einen Teil der Menschen stimmt das vermutlich. Für einen anderen, viel größeren Teil gilt das gewiss nicht. Es gibt Menschen, die das Hartz-IV-System ausnutzen, aber die können nicht der Maßstab sein. Die Frage muss immer sein: Wie und in welchem Ausmaß muss und kann der Staat den Schwächsten helfen? Das ist eine Frage der Würde, nicht des Drucks. Es ist eine Frage des Austarierens von Interessen vieler Seiten. Dazu gehören auch die der Steuerzahler, die letztlich die Hartz-IV-Bezüge finanzieren. Aber der Steuerzahler hat Vorteile von einem funktionierenden Gemeinwesen. Unter anderem diesen: sozialen Frieden. Das ist ein hoher Wert. Das sollte die SPD bedenken, wenn sie jetzt über das Hartz-IV-System nachdenkt. Das ist überfällig, denn das Hartz-System ist kein Beitrag zum sozialen Frieden, da es Abstiegsängste bestärkt und die Abneigung vieler Menschen gegen den Druck ausübenden Staat fördert.
Rasmus Buchsteiner hat den Nerv der FR-Leserinnen und -Leser in seinem Kommentar „Kein leichtes Erbe“ jedenfalls nicht getroffen.
Leserbriefe
Michael Bellwinkel aus Dortmund meint:
„Ein Festhalten am Fördern und Fordern, wie Rasmus Buchsteiner in seinem Kommentar fordert, ist das Letzte, was wir jetzt brauchen. Denn dieses Fördern und Fordern ist das Grundübel der gesamten Hartz-Gesetzgebung. Mit ihm ist die Überzeugung verbunden, die Deutschen seien ein Volk von Sozialschmarotzern, die lieber in der sozialen Hängematte auf Kosten des Staates leben, als selbst erwerbstätig zu sein. Also ist Arbeitslosigkeit auch kein gesellschaftliches sondern ein individuelles Problem: Wer keine Arbeit hat, ist selbst dran schuld, denn er will gar nicht arbeiten, obwohl er könnte. Es sind nicht die Verhältnisse, der Arbeitsmarkt, die Arbeitgeber, nein es ist jeder einzelne Arbeitslose, der ausschließlich selbst daran Schuld trägt, dass er keine Arbeit hat. Folglich muss er in Arbeit gezwungen werden! Und wenn er nicht tut, was ihm vorgegeben wird, dann wird er sanktioniert, basta! Die Behörde weiß schon, was gut und richtig ist, schließlich setzt sie geltendes, von Sozialdemokraten geschaffenes Recht um.
Diese nun schon 15 Jahre währende Praxis ist entmündigend, bevormundend und würdelos gegenüber den Betroffenen und erinnert an eine schwarze Pädagogik für Erwachsene, die noch nie Evidenz hat nachweisen können. Dass kaum einer, der arbeitslos ist, dies bleiben möchte, passt nicht ins neoliberale Weltbild. Ebenso wenig, dass Arbeit strukturbildend, sinnstiftend, den sozialen Status begründend und der finanzielle Absturz auf Grundsicherungsniveau hochgradig angstbesetzt ist und daher kaum einer selbst einen schlechten Arbeitsplatz freiwillig räumt und gegen den enorm stigmatisierten Hartz IV-Bezug tauscht. Statt Fördern und Fordern sollte der Grundsatz Hilfe statt Strafe lauten (s. auch „Hartz IV hinter uns lassen“, Paritätischer Wohlfahrtsverband, April 2018).
Solange die Sozialdemokratie das nicht sehen will, weiter an dem unsäglichen Fördern und Fordern festhält und lediglich an den Symptomen herum laboriert, muss sie sich nicht wundern, wenn sie immer weiter in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Denn das ist Politik gegen die eigenen Wähler (wie zahlreiche weitere soziale Kahlschläge der rot-grüne Koalition Anfang der 2000er Jahre). Nur mal ein Alternativvorschlag: Wie wäre es, wenn sich Sozialdemokraten für ein Grundrecht auf Arbeit einsetzen würden? Dann würden wir sehen, wer tatsächlich nicht arbeiten will, weil er auf dieses Grundrecht verzichtet.“
Matthias Wooge aus Neu-Isenburg:
„Bevor der „Neue“ Rasmus Buchsteiner über das „Fördern und Fordern als Grundprinzip der Agenda 2010“ in der FR vom Samstag schwadroniert hat, hätte er die Buchbesprechung des „Alten“ Stephan Hebel in der FR vom 14./15. März 2015 mit dem Titel „Die große soziale Entsicherung“ lesen sollen. Hier rezensiert Hebel das Buch „Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik“ des Politologen Christoph Butterwegge und zitiert ihn folgendermaßen: Schröders Agenda stellte „ein umfassendes Regierungsprogramm zur Pauperisierung, Prekarisierung und sozialer Polarisierung“ dar. Hebel schreibt dann weiter: „Gerade wer meint, diese Wertung als Schlagwort-Rhetorik abtun zu können, sollte Butterwegges Buch unbedingt lesen. Je länger man das tut, desto gespenstischer muss einem die vorherrschende politisch-mediale Stimmung im Lande erscheinen, in der die systematische Deklassierung von Erwerbslosen weitgehend ignoriert und das von Butterwegge überzeugend widerlegte Märchen vom „Jobwunder“ durch Hartz IV unbeirrt weiter verbreitet wird.“ Butterwegge selbst schreibt in der Einleitung zu seinem Buch: „Dieses berühmt-berüchtigte Gesetzespaket hat das Armutsrisiko von (Langzeit-) Erwerbslosen und ihren Familien, aber auch von prekär Beschäftigten spürbar erhöht und einschüchternd auf weitere Bevölkerungskreise gewirkt. Ein ausufernder Niedriglohnsektor, der bald fast ein Viertel aller Beschäftigten umfasste, gehört ebenso zu den Folgen wie Entsolidarisierung und die Verbreitung sozialer Eiseskälte“.
Der französische Philosoph und Mathematiker Alain Badiou formuliert es in seinem Buch „Wider den globalen Kapitalismus“ drastischer: „Auf dieselbe Art und Weise werden unablässig – egal ob vonseiten der Rechten oder der Linken – ganze Grundpfeiler der Sozialgesetzgebung geschleift, man denke nur an das Arbeitsrecht, die Sozialversicherung, das Bildungswesen.[…] Seit mehr als dreißig Jahren sehen wir mit hängenden Schultern dieser Befreiung des Liberalismus zu“.
Darüber hätte Herr Buchsteiner schreiben sollen, statt sich einzureihen in das, was Hebel „die vorherrschende politisch-mediale Stimmung“ nennt.“
Jürgen Malyssek aus Wiesbaden:
„Ich werde mich hier nicht über die Ausrichtung der SPD auslassen. Ich greife die jüngsten Worte der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles auf: „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“ und nehme das als ein größeres Lippenbekenntnis auf, ohne größere Hoffnungen damit zu verbinden. Bei Rasmus Buchsteiners Kolumne „Kein leichtes Erbe“ allerdings stolpere ich über seine Aussage, „die SPD wäre aber schlecht beraten, das Grundprinzip der Agenda 2010 – das des Förderns und Forderns – aufzugeben. Alles andere wäre Augenwischerei …“. Heißt: Keine Leistung ohne Gegenleistung – bei Arbeitslosen.
Jetzt frage ich mich, wenn dieses Grundprinzip weiter unumstritten bleiben soll, das selbst zu einer endlosen Kette von Sanktionsmaßnahmen für Verfehlungen oder Versäumnisse der Leistungsbezieher geführt, das die Missbrauchsdebatte weiter befeuert und schließlich den Personenkreis der Bezieher von Hartz IV in immer tiefere Diskriminierung und soziale Ausgrenzung gedrängt („Sozialschmarotzer“) hat -, was soll dieses Warnsignal von Rasmus Buchsteiner? Von den gesellschaftlichen Folgen des Förderns und Forderns hat er jedenfalls nichts mitbekommen.
„Fördern und Fordern“ hatte durchaus einmal einen guten Ruf – etwa in der Sozialarbeit -, zur Stärkung der Eigenkräfte von Betroffenen („Ohne aufgedrängte Hilfe leben“). Die Agenda 2010 hat sozusagen eine „feindliche Übernahme“ von Konzepten und Begrifflichkeiten aus der Entwicklungsgeschichte der Sozialarbeit vollzogen und sie einfach mit ihrem neoliberalen Politikverständnis besetzt. Aus dem Fördern und Fordern ist eine langhaltende Periode des Forderns („Es gibt kein Recht auf Faulheit“, G. Schröder), mit dem Platzhalter „Fördern“ geworden.
Schröder hat damals bedenken- und skrupellos den Paradigmenwechsel vollzogen und die Sozialdemokratie in die Tiefe gestürzt. Wenn irgendetwas an den neuen Vorhersagen von Andrea Nahles und Lars Klingbeil von ernsthafter Natur sein sollte, dann passen auch keine Bedenken an Prinzipien, die allesamt mit dem eingeschweißten SGB II-Gesetz, die Menschen im Lande immer weiter in die Armutsfalle getrieben haben.
Seit Jahren sind die von Hartz IV abgehängten Menschen von den Ämtern drangsaliert worden (z.B. Zwang zum Wohnungswechsel, Leistungsstreichungen, sinnlose Bewerbungsschulungen). Von Sozialgesetzgebung zu sprechen ist Hohn. Es ist ein reines Arbeitsmarktreformgesetz. Jegliche Spiel- und Bemessungsspielräume sind unter die Räder gekommen. So etwas wie Achtung der Menschenwürde gab es im alten Sozialhilfegesetz noch.
Der Neoliberalismus ist tief ins Fleisch der Menschen eingedrungen. Inzwischen wird nach unten getreten, egal auf welcher Ebene der Frust oder der Neid sitzen. Die soziale Ungleichheit ist politisch gewollt. Mit der Entfesselung der Wirtschaft ist das traurige Ziel erreicht. Die Folgen für den sozialen Frieden sind blindäugig oder berechnend in Kauf genommen worden. Die Verliererbilder auf den Straßen sind immer brutaler. Von den permanent gemeldeten positiven Arbeitslosenzahlen darf man sich nicht beeindrucken lassen. Sie sind seit Jahren getrickst. Ganz abgesehen von den Beschäftigtenzahlen im Niedriglohnsektor.
Wir wundern uns heute über das Wachsen der autoritären Systeme oder über den Ruf nach der starken Hand? Oder über die Entwicklung nach rechts? Noch weitere Fragen?
Was wir im Sektor des Sozialen brauchen, ist eine wirkliche Trennung zwischen Sozialhilfe- und Arbeitsgesetzgebung. Das, was wir heute haben, ist nichts als ein der Logik des Marktes folgendes Zwangssystem: Friss Vogel oder stirb!
Was wir brauchen könnten, wäre eine Wiederbelebung im Geiste des alten Bundessozialhilfegesetzes, die Wiedereinführung der Paragraphen 18 bis 20 BSHG, nämlich Hilfen zur Arbeit, Schaffung von Arbeitsgelegenheiten, die der Würde des Menschen entsprechen und in der Folge öffentlich geförderte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für alle die Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt zum Zeitpunkt der Hilfegewährung scheitern würden. Es geht um Fairness, Menschlichkeit und Respekt vor dem Leben und der Leistung des Einzelnen.“
Update 22. November
SPD-Chefin Andrea Nahles plädiert für den Abschied von Hartz IV und den Umbau der Grundsicherung. Sie hat allerdings den falschen Koalitionspartner. Dazu neue Leserbriefe:
Friedrich Gehring aus Backnang meint:
„Spät, hoffentlich nicht zu spät, hat Andrea Nahles gelernt, wie Wahlkampf gegen Union und AfD geht. Erstaunlich ist nur, dass die Stimmenverluste in Bayern und Hessen noch nötig waren, um sich von den Schröderagenda zu lösen, die Stammtischparolen zur Maxime der SPD-Politik erhob. Bei fünf Millionen Arbeitslosen und 100.000 freien Arbeitsplätzen zu behaupten, wer wolle, bekomme Arbeit, war von Anfang an absurd. „Fordern und fördern“ bedeutete, von den Arbeitslosen alle Ersparnisse zu fordern und den Niedriglohnsektor zugunsten der Arbeitgeber zu fördern, was Schröder schamfrei zugab. Durch den rot-grünen Schwenk zur Hartz-IV-Kritik kann nun eine sinnvolle Debatte mit den weiterhin Befürwortenden aus Union und FDP beginnen und die AfD kann als ultraneoliberal entlarvt werden wie bei der Debatte um die Erbschaftssteuer.
Wirtschaftsminister Altmaier, der gefährlichen Schaden für „die Zukunft unseres Landes“ an die Wand malt, kann entgegnet werden, dass schon die neoliberalen Ängste bei Einführung des Mindestlohns unrealistisch waren. Mehr Geld in der Hand der Armen kurbelt die Binnenwirtschaft schneller an als mehr Geld in der Hand der Reichen, die damit die Finanzmärkte kaputt zocken. Fraktionsvize Theurer (FDP), der SPD und Grünen „Spendierhosenpolitik“ vorwirft, kann daran erinnert werden, wie die neoliberale FDP den Reichen spendet. Ähnliches wäre Jens Spahn vorzuhalten, der die „Malocher mit kleineren und mittleren Einkommen“ erinnern möchte, sie würden die Zeche zahlen, statt zu erwähnen, dass eben diese „Malocher“ von denselben ausgebeutet werden, die auch Niedriglohnbezieher ausbeuten, und jeder von ihnen schnell in Hartz IV landen kann. Der AfD kann ihr Parteiprogramm vorgehalten werden, in dem sie keineswegs die wirtschaftlich Abgehängten vertritt, sondern die Vermögenden. Das könnte ihrer Klientel zu denken geben.
Für den Abschied von Hartz IV würde sich eine Krise der großen Koalition weit mehr lohnen als für den unsäglichen Fall Maaßen und Neuwahlen darüber müssten SPD und Grüne am wenigsten fürchten. Schon Umfragewerte während der Debatte könnten helfen, dass die Kanzlerin wieder einmal Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung zeigt wie bei Wehrpflicht und Atomausstieg“
Gunter Wagner aus Kassel:
„Seltsam, seit Jahren fordern die Linken eine grundsätzliche Wende in Sachen Harz 4. Das wurde und wird von der Presse kaum oder gar nicht aufgegriffen. Jetzt plötzlich will die SPD diese Sozialleistung „umbauen“, denn ihr laufen die Wähler weg. Und schon sind viele Pressemeldungen da, die dieses Vorhaben – halbwegs – wohlwollend publizieren. Aber immerhin gibt es auch wieder einmal eine Nachricht zu den Linken: Heute in der Sueddeutschen Zeitung. Klaus Ernst (nein, diesmal kein „Luxusauto“ ) sieht irgendeine parteiinterne Sache anders als die bürgeliche Presse. Und bingo da können wir einmal wieder über die Linke herziehen….“
Malies Ortmeyer aus Frankfurt:
„Au weia, die Vorschläge der SPD zur vernünftigen Grundsicherung sind „hochgefährlich“, sagt der alte Bundeswirtschaftsminister. Wenn Menschen für ihren Lebensunterhalt genug Geld vom Staat erhalten und nicht bestraft werden, wenn sie mal unartig sind (vielleicht einen Termin versäumen, weil sie z.B. vor lauter Glück der Arbeitslosigkeit am Abend zuvor gefeiert haben), dann ist die Zukunft „unseres Landes“ gefährdet. Na, sowas. Meint er das wirklich oder ist das ein Aprilscherz, ach nein, zu früh. Aber vielleicht Satire? Oder soll ich das wirklich glauben?
Gefällt es Altmaier, auf die Armen runterzuschauen und noch mit Füßen zu treten?
Ich hoffe, die SPD setzt sich endlich mal durch. Damit würde sie viele Sympathisanten zurückholen.“
Friedrich Grimm aus Weinsberg:
„Alleine der Irrsinn, für die Zukunft Angespartes aufbrauchen zu müssen, ist mehr als eine Zumutung. Es stecken in Hartz IV zahlreiche Foltermethoden, die eines Staates unwürdig sind. Und dann stellt sich Altmaier hin und begründet seine ablehnende Haltung, zu längst überfälligen Veränderungen, mit fehlendem Druck. Ein Christdemokrat aus dem Bilderbuch, dieser Mann. Ist Altmaier die Verschiebung und Anhäufung von Vermögen, seit der Einführung der Agenda 2010 noch nicht aufgefallen? Ist es wohl so, dass er ausschließlich von den Vermögenden Schaden abwenden will? Wer hier das erstarken der AfD im Hinterkopf hat, der weiß auf welch gefährlichen Weg uns die Gier der Reichen und die Unfähigkeit der Politik gebracht haben.“
Es ist erfreulich, dass sich der veröffentlichte Blick auf das, was man Hartz IV nennt, in der letzten Zeit zu verändern beginnt; in der FR vor allem in den Leserbriefen. Ich möchte diesen ausdrücklich zustimmen.
Hier fehlen allerdings noch Hinweise, die ich für außerordentlich wichtig halte und die mir die Redaktion der FR jüngst aus einem Leserbrief zum Thema weggekürzt hat. Deshalb nun an dieser Stelle:
Seit über drei Jahren liegt dem Bundesverfassungsgericht eine Klage vor, die Herzt IV Gesetzgebung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Diese Klage wurde bis heute nicht verhandelt, der Termin immer wieder verschoben. Es geht dabei um die Sanktionen, die das im Regelsatz angeblich abgebildete Existenzminimum stufenweise kürzen, bis hin zur Streichung aller Leistungen. Was das für die Betroffenen bedeutet – abgsehen von der häufigen Erfahrung demütigender Behandlung in den jobcentern – habe ich als Ehrenamtliche nur allzu oft erlebt.
Der zweite Punkt betrifft die jobcenter / pro arbeit selbst. Natürlich und glücklicher Weise gibt es auch Mitarbeiter, die willkürliche und manchmal nicht rechtmäßige Entscheidungen nicht mittragen wollen und können und die versuchen, im Sinne von „fördern“ den Betroffenen wirklich zu helfen, z.B. durch Vermittlung in sinnvolle Weiterbildungsmaßnahmen statt in „zumutbare Arbeit“ meist im Niedriglohnsektor. Diese Mitarbeiter sind leider in der Minderheit, unterliegen selbst großem Druck durch ihre Vorgesetzten, d.h. Sanktionen bis hin zur Kündigung. Nachzulersen ist dies alles in dem sehr empfehlenswerten Buch von Inge Hannemann aus Hamburg, die selbst davon betroffen war und aus ihrem Arbeitsplatz gedrängt wurde. Von den Medien wurde sie „Hartz IV – Rebellin“ genannt. Was für eine Wortbildung. Tatsächlich kämpft sie bis heute für die Durchsetzung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf Menschenwürde. Es ist zu hoffen, dass auch die Medienberichterstattung dazu beiträgt, dass dieses inzwischen schwer beschädigte Recht wieder ins öffentliche Bewusstsein rückt und dem ökonomischen Effizienzdenken, das seit zwanzig Jahren die gesamte Gesellschaft beherrscht, zurück gedrängt werden kann.
@ Britta Beuel
Nur kurzer Einschub: Das Beispiel Inge Hannemann ist ein wirklich treffendes Beispiel für diese abgrundtiefe Verachtung moralischer Werte bei Menschen, die sich einfach nicht mehr diesen Zwangsmechanismen der Hartz IV-Praxis unterwerfen wollen und können. Inge Hannemann hat eine humanistische Haltung, ihre Gegnerschaft hat Strafe und Zwang dauerhaft verinnerlicht (d.h. Macht über andere Menschen, über Abhängige ist ein Antriebsfeder). Sie, Frau Beuel, haben meine volle Zustimmung.