Eine Kettenreaktion von kaum vorstellbaren Ausmaßen

Eine Flatrate für den öffentlichen Nahverkehr im Rhein-Main-Gebiet oder gleich in ganz Hessen? Die Idee klingt zunächst ungewohnt, aber man bedenke: Für andere öffentliche Aufgaben gibt es solche Zwangsabgaben bereits, die jeder Bürger, jede Bürgerin zu entrichten hat, egal wie oft er/sie fernsieht. Mit dem Rundfreibeitrag soll gewährleistet werden, dass alle Menschen in diesem Land ausreichende politische Bildung erhalten, so dass sie als mündige Menschen an den Entscheidungsprozessen teilnehmen können. So jedenfalls die im Kern gute Grundidee. Warum sollte die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs nicht ähnlich funktionieren können? Diese Idee wird jedenfalls von Heiner Monheim vertreten, der Mitbegründer von ADFC und VCD ist. Doch statt neu zu denken und die Verkehrssituation in Städten wie Frankfurt in der Gesamtschau zu betrachten, hat der Rhein-Main-Verkehrsverbund RMV gerade wieder die Ticketpreise erhöht. — Zu einer möglichen neuen Politik im öffentlichen Nahverkehr und damit in unseren Städten veröffentliche ich einen Gastbeitrag des ehemaligen Stadtplaners Oskar Voigt aus Frankfurt.

Eine Kettenreaktion von kaum vorstellbaren Ausmaßen

von Oskar Voigt.

Die erneute Erhöhung der RMV-Ticketpreise führt keineswegs zur Entspannung in den Städten. Der Moloch Autoverkehr wird wachsen und weiter klimaschädliche Ausmaßen annehmen. Es tut mir leid, Autofahrern unter den Lesern auf die Nerven gehen zu müssen, aber (auf Facebook-Art) nach meinem letzten veröffentlichten Leserbrief „Ja zur Flatrate für Bus und Bahn“ ist viel passiert. Hier sind einige beachtenswerte Zeitungsnachrichten: Erstens „RMV erhöht Ticket-Preise“ vom10. Juli, zweitens „Linke will Nulltarif“ vom 23. Juni, drittens „Nahverkehrs-Abgabe geplant“ vom 24. Juni, weiter „Stadtluft muss besser werden“ vom 1. Juli usw.: Also langfristig Ja zu einer „Flatrate“ für Bus und Bahn, dadurch hin zu weniger Problemen mit dem Auto, hin zu einer erholsameren Stadt und Wohnsituation infolgedessen weniger Stress im Verkehr, nicht so oft urlaubsreif und daher weniger Fliegen in die Urlaubsländer, eine Kettenreaktion von noch kaum vorstellbaren Ausmaßen zu grüner Umweltgestaltung und nachhaltigem Leben hin, oder?

Wobei wichtig wäre (eventuell auch für eine Lieblingszeitung FR), den Part „die Kettenreaktion von noch kaum vorstellbaren Ausmaßen“ darzustellen. Dies sollte die FR-Leser und -Schreiber anregen, sofern sie sich engagieren möchten, die Auswirkungen einer kostenlosen Benutzung der gesamten öffentlichen Verkehrsmittel – also für alle und ohne jegliche Einschränkungen auf Stadt, Land und Wasser – aufzuzeigen. Der in der Zeitung schon geäußerte Gedanke des Wegfalls jeglicher Fahrscheinkontrolle und damit die Beseitigung des Schwarzfahrens wäre ein erster Schritt.

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass unsere dingliche Umwelt sich gewaltig ändern würde, wenn der Bundeshaushalt für Straßenverkehr sich immens verkleinern und die gesparten Finanzen in eine wirkliche nachhaltige Mobilität fließen würde:  weniger Blech in den Städten;  weniger Pendler zu den Städten;  weniger Staus auf den Straßen;  mehr Grün in Wohngebieten;  attraktivere Straßen und Plätze;  Arbeitsplätze im öffentlichen Verkehrssektor;  weniger Verkehrstote;  mehr Platz in den Krankenhäusern;  geringerer Ärztenotstand;  Einsparung bei der Verkehrspolizei;  weniger Parkplatznöte und so weiter.

Die Autoindustrie würde allerdings mächtig in Panik geraten. Mit hoher Arbeitslosigkeit der Gesellschaft den Untergang des Abendlandes androhen und die Wohltat der Flatrate für die Allgemeinheit allerdings geflissentlich dabei ausblenden.

Also FR-Leser und -Schreiber macht mit und lasst eure Phantasie und Kreativität schweifen. Die FR-Zeitung könnte helfen und eine Serie -wie die vergangenen- herausbringen. Das Thema einer Flatrate für jeden und alle öffentlichen Verkehrsmittel könnte sich lohnen.

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2 Kommentare zu “Eine Kettenreaktion von kaum vorstellbaren Ausmaßen

  1. Herr Voigt hat eigentlich schon alles gesagt. Wirtschaftliche Auswirkungen hätte ein solches System allemal. Insbesondere einer vermutlich von der Autolobby angekündigten Arbeitslosigkeit kann man folgendes entgegenbringen:
    – Neue Arbeitsplätze bei ÖV-Betrieben (z.B. Fahrer, Servicepersonal), da mehr Menschen befördert werden müssten, als dies heut´ der Fall ist.
    – Die „Radindustrie“ würde ebenfalls profitieren, weil ein vom Auto wegtendierendes Mobilitätsverhalten anders abgedeckt werden müsste. Uns was eignet sich da mehr, als das heute in vielen Städten schon viel schnellere Fahrrad. In steigungsreichen Städten, wie Siegen o.ä. oder auf dem Land könnte man auch E-Bikes subventionieren und damit die Wirtschaft ankurbeln (Stichwort aus der Autowelt „Abwrackprämie“).
    Solange aber in vielen Städten noch überall kostenlos im Straßenraum geparkt werden darf – Menschen in Rollstühlen oder Eltern mit Kinderwägen kommen vielerorts nicht ohne Weiteres am Blech vorbei – und man in vielen Städten (insbesondere Klein- und Mittelstädte) in den meisten Fällen mehr als 400m zur nächsten Haltestelle laufen muss oder nicht mal einen Stadtbus vorfindet, wird es keine wirkungsvollen Anreize contra Pkw geben.
    Aus meiner Erfahrung kann ich auch nur bestätigen, dass der Aspekt der „Wirtschaftlichkeit“ des ÖV zu sehr auf die laufenden Kosten (und den Deckungsgrad) des Systems festgemauert werden, ohne die volkswirtschaftliche Wirkung in Betrachtungen einzubeziehen.
    Aber was sollen überschuldete Kommunen machen, wenn ÖPNV als solches (also Betrieb/Personal) von Land zu Land unterschiedlich und im Bund insgesamt unzureichend (wenn überhaupt) gefördert wird?
    Da müssen neue Finanzinstrumente her, die Mobiliät als wichtigen Grundpfeiler des gesellschaftlichen Lebens und der Wirtschaft darstellen und nicht als „Infrastruktur-Subventionsgeschäft für die paar Nichtautobesitzer“…

  2. Traurig, wenn mal wieder Normverschärfungen mit nicht quanitfizierten behauptungen „klimaschädlich“ forciert werden sollen.

    Warum nicht auch GEZ Zwangsbeglückung auf Atemluft, Zeitungen usw?

    Einfach noch eine Einnahmequelle erschließen?

    Ist ja fast so peinlich und naiv, wie der deutsceh Hang zu Verboten an sich!

    Da z.B. die meisten dargelegten behinderungen bereits verboten sind, mangelt es hier bei den Ortspolizeibehörden schlicht an der Rechtsdurchsetzung; das füllt auch das Magistratssäckel…

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