Ein mehr als fader Beigeschmack

Der Weltfußballverband FIFA hat entschieden: 2018 wird die Fußball-WM nach Russland vergeben, 2022 nach Katar. Erstere Entscheidung ist vielleicht noch akzeptabel, auch wenn Russland ein „Fußball-Entwicklungsland“ ist, wie Leserbriefautor Markus Kahl (siehe unten) sagt. Schließlich war die WM für 1994 auch in die USA vergeben worden, für die man das damals ebenfalls sagen konnte. Aber Katar? Im Vorfeld der FIFA-Entscheidung hatten britische Medien massive Korruption in der FIFA aufgedeckt. England hatte die beste Bewerbung um die WM – aber der Fußball kommt nicht nach Hause. Weltweite einhellige Kritik: Die FIFA folge dem Ruf des Geldes. „Russlands milliardenschwere Oligarchen und die Öl-Milliardäre aus Katar haben gewonnen“, schreibt der Daily Mirror. El Mundo textete: „Russland und Katar, Erdgas und Öl: Die WM entfernt sich von den Traditionsländern des Fußballs.“ In Schweden lästerte Expressen: „Eine trostlose Entscheidung. Was haben Russland und Katar gemeinsam? Öleinnahmen und Korruption. Das scheint der FIFA zu gefallen.“

Man könnte über diesen Fußballwitz lachen – oder es wie Bundestrainer Jogi Löw angehen. Der sagte, die Entscheidung für Katar sei „eine im Moment unglaublich mutige Entscheidung“. Das nennt man eine diplomatische Ausdrucksweise. Der Kaiser macht jedenfalls schon mal konstruktive Vorschläge: Warum wird die WM nicht einfach in den katarischen Winter verlegt, wo statt der 50 Grad im Sommer angenehme 25 Grad herrschen? Da werden sich die europäischen Fans beim Public Viewing bedanken.

Es geht nur um Fußball, nicht wahr? Nein, außerdem geht es auch um viel, viel Geld. Es geht darum, wie die FIFA von ihrem Chef Sepp Blatter, dem autokratische Züge nachgesagt werden, geführt wird. Es geht um Korruption: Mindestens drei Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees haben Schmiergelder in Millionenhöhe von der ehemaligen Sportmarketingagentur ISL/ISMM erhalten. Es geht um insgesamt mehr als 140 Millionen Schweizer Franken. Im Gegenzug haben die Sportfunktionäre der ISL Milliardenaufträge verschafft: Sponsorenverträge, Marketingrechte, TV-Rechte. Die Zahlungen liefen meist über Tarnfirmen und Stiftungen. Darum wurden Funktionäre suspendiert. War das Exekutivkomittee überhaupt entscheidungsberechtigt?

Markus Kahl aus Wiesbaden meint:

„Um eines vorwegzunehmen: Ja, ich bin ein großer Fußball-Fan. Bei großen Turnieren hängt die Fahne draußen und zu einem Länderspiel wird immer das aktuelle Trikot übergestreift. Und nein, die folgenden Zeilen sollen in keiner Form Länder oder dort lebende Menschen diskreditieren. Aber was geschehen ist, darf nicht unkommentiert bleiben.
Die Entscheidung über die Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaften der Jahre 2018 und 2022 ist gefallen. Schon die Entscheidung über eine Veranstaltung, die in zwölf (!) Jahren stattfindet, hat für so manches Bauchgrimmen gesorgt, auch bei mir. Aber das soll hier und jetzt nicht das Thema sein. Auch will ich nicht darüber philosophieren, wie diese Entscheidungen zustande gekommen sein könnten. Viel ist von Korruption gesprochen und geschrieben worden, damit will ich mich heute nicht beschäftigen. Nur soviel: Ein mehr als fader Beigeschmack bleibt.
Vielmehr möchte ich den sportlichen Aspekt der Entscheidung genauer betrachten. Fangen wir mit Russland als WM Gastgeber 2018 an. Mich erinnert diese Vergabe stark an die die baldige EM 2012 in Polen und der Ukraine. Fußball-Entwicklungsländer (so hart formuliere ich das an dieser Stelle einmal), die weder über die nötige Infrastruktur noch die entsprechende Fußballtradition verfügen. Natürlich gibt es in Russland Fußball, sicher auch viele Fans. Trotzdem ist und bleibt der russische Fußball ein mehr oder weniger weißer Fleck auf der sportlichen Landkarte, der Vereinsfußball sicher noch viel mehr als die Nationalmannschaft. Ohne Frage wird man in Russland die Infrastruktur soweit herstellen, dass passabler Fußball angeboten werden kann. Am Geld wird das dort nicht scheitern. Aber ist das schon alles, was für eine Ausrichtung dort spricht? Was ist mit Fans, mit Fußballkultur, Atmosphäre und dem allem?
Und da wären wir auch schon beim Gastgeber 2022. Katar. Ehrliche Frage: Ist dieses Land fußballerisch schon mal in irgendeiner Form aufgefallen? Mir jedenfalls nicht. Dass die Scheichs es hinbekommen werden, eine perfekt organisierte WM mit entsprechenden Stadien hinzuzaubern – das dürfte wohl kein Problem sein. Aber auch hier gilt: Sportlich ist der weiße Fleck auf der Fußball Landkarte groß, noch viel größer als bei den Russen.
Unter sportlichen Aspekten hätten diese Weltmeisterschaften nie und nimmer in diesen Ländern landen dürfen. In Russland wird es – noch viel schlimmer als bei der EM in Polen und der Ukraine – riesige Entfernungen zwischen den Spielorten geben. Dass solche Reisestrapazen nicht unbedingt förderlich für die Spieler sind brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Und Fußball bei Temperaturen jenseits der 40 Grad – wie in Katar zu erwarten – sind unter sportlichen und medizinischen Aspekten jenseits aller Diskussion. Von Strapazen für die Besucher und Organisatoren will ich dabei gar nicht sprechen.
Was bleibt am Ende des Tages hängen? Die Vergabe einer Fußball WM gehorcht mittlerweile keinen normalen Gesetzmäßigkeiten mehr. Die letzte, unter sportlichen Gesichtspunkten gewählte WM, war die in Deutschland. Und auch da wirkte FIFA-Boss Sepp Blatter schon angesäuert, weil er die Spiele viel lieber in Südafrika gesehen hätte. Seitdem werden Entscheidungen unter – aus meiner Sicht – nur noch politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten vergeben. Das fing mit Südafrika 2010 an und setzt sich heute mit der Entscheidung für Russland und Katar entsprechend fort. Fußball ist für die FIFA nur noch eine Ware geworden, die zum Teil der politischen (siehe Südafrika), vor allem aber der wirtschaftlichen Entwicklung dienen soll.
Fußball verkommt somit nur noch zu einer Angelegenheit, bei der nur noch der Profit an erster Stelle steht. Der sportliche Aspekt spielt keine Rolle mehr. Denn welchen Funktionär interessiert es, ob von einem sportlichen Fest mehr als nur viel Geld übrig bleibt. Atmosphäre? Fanfreundschaft? Fankultur? Spiele, die immer in Erinnerung bleiben werden? Wen interessiert es.
Nein, ich bin kein ewiggestriger Fußballromantiker, für den ein Stadion nur aus Stehplätzen bestehen muss und wo es außer einer Bratwurst nichts zu Essen geben darf. Aber wenn der Fußball (und leider nicht mehr nur der) nur noch als Produkt und nicht mehr als sportlicher Wettkampf betrachtete wird, wenn nur noch wirtschaftliche Interessen und kein sportliches Fest mehr im Vordergrund steht, bei dem Völker sich begegnen und vereinigen, dann ist das Ende der Erträglichkeit erreicht.
Mit der heutigen Entscheidung der FIFA ist eine Grenze überschritten worden. Die Konsequenz kann nur lauten, diese Veranstaltung zu boykottieren um einige Herren in ihren Glaspalästen wachzurütteln. Wenn es dafür nicht schon zu spät ist.“

Joachim Niegel aus Hanau:

„Auch wenn das Geschrei jetzt groß ist, mal ehrlich: Was war denn zu erwarten von dieser kritikresistenten Truppe um ihren selbstherrlichen Chef Sepp Blatter, der seine Gefolgsleute regelmäßig am Nasenring zu den jeweiligen Wahlurnen führt? Man musste es doch eigentlich besser gewusst haben. Seit damals (1998), als es – allen warnenden Stimmen zum Trotz – dem schlitzohrigen Schweizer gelungen war, den integren UEFA-Boss Lennart Johansson als FIFA-Präsident zu verhindern und sich selbst vom Generalsekretär zum alleinherrschenden Chef zu implantieren. Der Welt größter Sportverband taumelt unter der Ägide von Blatter von einem Skandal zum nächsten. Wie Hohn klingt heute, was er im Januar 2007, nach der Wahl von Michel Platini zum UEFA-Präsidenten sagte: „Wir haben die gleichen Ideen, dass Fußball in erster Linie ein Sport ist und keine Geschäft.“ Quod erat demonstrandum – (bislang) letztmals am vorigen Donnerstag.“

Oliver Bärz aus Hattersheim:

„Fußball-WM 2022 in Katar? Ist der erste April jetzt im Dezember? Was kommt als nächstes? Tour de France Start in Dubai oder Olympische Winterspiele in Kuwait? Wie viel Geld muss für diese Entscheidung wohl an korrupte Funktionäre geflossen sein?“

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10 Kommentare zu “Ein mehr als fader Beigeschmack

  1. Geld regiert die Welt. Ich bin zwar nicht so gut in Geschichte aber ich glaube das war nie anders. Wenn man etwas gutes sehen will bei der Wahl dann würde ich sagen nach den problematischen Vorbereitungen zur WM 2010 und zur Euro 2012 hat man jetzt 2 Länder gewählt von denen man ausgehen kann das sie die Probleme meistern werden.

  2. sie schreiben „Nach allgemeiner Auffassung folgt die Fifa nur dem Ruf des Geldes“. ja glauben sie denn dass fussball jemals irgendetwas anderes getan hat? in deutschland wird der fussball ja heilig gesprochen. wenn es gegen das G8 geht werden sportliche fussballaktivitäten vorgeschoben usw. es geht nur ums geld, billige massenshow mit hochgespritzten athleten. langweiliger scheiss ist das und mit ernsthafter sportkultur oder gar einfach nur kultur hat der fußball nix zu tun und noch nie zu tun gehabt, seit der kommerzialisiert ist!

  3. Katar rettet jetzt Hoch Tief. Ob das alles miteinander zu tun hat? Auf jeden Fall gibt es bei jedem Land nicht nur die Größe der Einwohnerzahl sondern auch eine finaz Größe. Da gehört Katar sicher zu den ganz Großen. Das muss nicht von Anfang an schlecht sein. Außerdem ist Zentaleuropa bei der Vergabe der letzten Weltmeisterschaften wohl nicht zu kurz gekommen. Man sollte erst einmal abwarten ob das Ganze sich nicht doch positiv entwickelt.

  4. Katar will den Großteil der Stadien nach der WM ab- und in Entwicklungsländern wieder aufbauen. D. h. 10 Länder kriegen ein WM-taugliches Stadion für lau, mehr als die FIFA in hundert Jahren dort jeweils investieren würde. DAS ist der Punkt, an dem ich die WM 2022 in Katar begrüße, und ob das jetzt im Sommer oder Winter stattfindet, ist mir wurscht.

  5. Nachdem nun die anerkannt große Fußballnation Katar eine WM ausrichtet, fragt man sich, wann endlich die olympischen Winterspiele nach Kuba vergeben werden. Entwicklungsländer benötigen Fußballstadien so nötig, wie der Papst ein Doppelbett.

  6. Zwei Fußball-Entwicklungsländer sollen hintereinander WM-Austragungsort sein? Das ist zu viel. Ob bereits die Entscheidung für Russland ganz ohne „inkorrekte Beeinflussung“ zustande kam, darf bezweifelt werden. Trotzdem kann man sie irgendwie akzeptieren. Die Menschen dort sind fußballbegeistert, freuen sich riesig über den Zuschlag. Außerdem kann der WM-Gast ein riesiges Land entdecken. Aber Katar? Wenn dort zwölf neue Stadien für die WM gebaut werden, können nach Ablauf gleich wieder elf demontiert werden. Hab mir sagen lassen, dass dies sogar geplant sei. Die Bauteile sollen in Entwicklungsländer verkauft werden, wo sie dann wieder zusammengestzt werden können. Ein katarischer Stadionexport. denke, solche Staaten haben andere Nöte und wichtigere Bedürfnisse. Wofür dieser Aufwand? Und wie groß wird jener Aufwand sein, für angenehme Temperaturen in den Spielstätten zu sorgen? Wofür diese sinnlosen Investitionen? WM im Winter (wie der „Kaiser“ es vorschlägt)- die Nordhalbkugel würde fluchen. Die Fifa vergrault ihre Fans. 2026 kann die WM-Endrunde dann ja zum Ausgleich in Grönland stattfinden. Technisch machbar, und nebenbei lernen die Grönländer Samba. Wäre doch eine nette Idee, passend zum Klimawandel. Die Marke Fußballweltmeisterschaft kriegt eine fette Beule, und das dürfte dann auch Blatter wieder interessieren. Die korrupten Führungsstrukturen der FIFA müssen endlich aufgebrochen werden- im Interesse des Sports.

  7. Nun gut. Man kan vielleicht auch anders darüber denken. Fußball verbindet Menschen unterschiedlicher Kulturen und leistet hier wertvollere Beiträge, als so manch anderen politischen Absichtserklärungen und Bemühungen. Gerade zwischen der arabisch-muslimischen Welt und dem Westen ist in den vergangenen zhn Jahren eine tiefe Kluft entstanden, die überwunden werden muss. Von daher ist es vielleicht gut, wenn eine FWM in einem arabischen Land stattfindet, um die Menschen näher zu bringen. Und welches arabische Land hätte sich dafür besser angeboten als eines der kleineren Golfländer? Irak, Iran kommen nicht in Frage, Saudi Arabien hat sich vom Westen wieder entfernt und unterstützt den Al Qaida-Terror. Ägypten, Algerien und Lybien sind auch keine Kandidaten. Marokko schon, hat aber wohl zu wenig Geld. Warum unter diesem Aspekt betrachtet nicht Katar? sie sind gewissermaßen interessiert an guten Kontakten zum Rest der Welt. Die Beziehungen zu den kleinen Golfstaaten sind entwicklungsfähig.

    Wenn dann dieses Klima nicht wäre. Und Fußballbegeisterung muss auch schon vorhanden sein!

  8. ich bin zwar echt kein fußballfan… mich würde aber trotzdem mal interessieren (Kurz ung knackig) was denn das Problem ist, wenn die WM in Quatar stattfindet…. gut das Klima (haben die nicht ein klimatisiertes station versprochen?) …

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