Putschartige Zumutungen wie Ceta oder TTIP

Der österreichische Autor Christian Felber ist Mit-Initiator des Projekts Gemeinwohl-Ökonomie, das er den FR-Leserinnen und -Lesern im FR-Gastbeitrag „Die Pflichten des Kapitals“ kurz vorstellt. Von der Demokratisierung der Wirtschaft ist ja schon lange die Rede, aber die Volksaktie ist gescheitert, das Konzept der Mitbestimmung steht in Zeiten der Tariferosion auch nicht gerade als der große Gewinner da, und so suchen wir weiter nach Möglichkeiten, die zerstörerische Seite des Kapitalismus‘ zu bändigen. Vielleicht mit einer Gemeinwohl-Bilanz? „Sie misst“, schreibt Felber in seinem Gastbeitrag, „in welchem Grad ein Unternehmen die Verfassungswerte Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung lebt. Je höher das Punkteergebnis (maximal 1000 Gemeinwohl-Punkte), desto niedriger, so die Idee, sollen Gewinnsteuern, Zölle und Kreditzinsen sein, und die vorbildlichen Unternehmen sollen Vorrang beim öffentlichen Einkauf oder bei Forschungsprojekten erhalten.“

Zu diesem Artikel erreichte mich ein längerer Leserbrief von Reinhardt Luthmann aus Ingoldingen, den ich leicht gekürzt (vor allem am Schluss) im Print-Leserforum veröffentlicht habe. Hier folgt die ungekürzte Gesamtversion.

Putschartige Zumutungen wie Ceta oder TTIP

von Reinhardt Luthmann

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In seinem Gastbeitrag macht der an der Initiative Gemeinwohl federführend beteiligte Christian Felber darauf aufmerksam, dass bereits Ende 2014 sowohl das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat eine Richtlinie zur „nichtfinanziellen Berichterstattung“ beschlossen habe, die nun bis Ende dieses Jahres bei uns in nationales Recht umgesetzt werden soll. Es könnte sich hierdurch ein Fenster ergeben, unser mich in all seinen Gliederungen geradezu totalitär anmutendes Wirtschaftssystem, das uns Bürger tagtäglich und unerlässlich auf sein kaltes Ziel einer wettbewerbslegitimierten Profitmaximierung trimmt, ethischen Vorgaben zu unterwerfen. Mit dem von Felber und Co ausgearbeiteten, aus meiner Sicht vollständig ausgereiften Konzept, das er in seinem Buch „Gemeinwohlökonomie“ darlegt, könnte das gelingen. Neben der Pflicht zur Offenlegung der Finanzbilanz stände nach diesem Konzept der ebenso verpflichtende Nachhaltigkeitsbericht, die sich an festgelegten und vorgegebenen ethischen Kriterien verbindlich prüfen lassen muss. Auf dem Wege ließe sich, bei Fortbestehen des Marktes, der Raubtierkapitalismus Stück für Stück in eine öffentlich kontrollierte Gemeinwohlökonomie überführen. „Der juristische Elfmeter für das Gemeinwohl ist aufgelegt“, schreibt Felber.

Erstaunlicherweise erlebe ich medial kein „Au ja“, das sich gegenwärtig inhaltlich mit den sich jetzt bietenden Möglichkeiten einer Demokratisierung unserer Gesellschaft beschäftigt. Zurückdrängung der Flüchtlinge, Einsatz der Bundeswehr im Inneren, Wege hin zu einem Sicherheit gewährenden Kontrollstaat sind die bestimmenden Themen. Und im Windschatten diese aufgeheizten Themen schreitet CETA still voran und vermag bald, dass alle Blütenträume einer demokratischen Erneuerung zu Grabe getragen werden können. Es droht vorläufig, vor der Zustimmung der nationalen Parlamente, in Kraft gesetzt zu werden. Die Einsetzung Regulatorischer Räte (RR) würde dann den Artikel 20 des Grundgesetztes (GG), „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, aushebeln. Durch ihren Einfluss auf die Legislative, auf die Gesetzgebung, hätten die Bürger ihr Zepter an die RR abzugeben, und diese wären fortan der Souverän. Dass unsere gewählten Volksvertreter dieser Eliminierung des Kerns unserer Verfassung wissentlich zustimmen, indem sie sich nicht erdreisten, sich trotz der Gefährdung der Demokratie öffentlich für CETA einzusetzen, entspricht einem willentlichen Verfassungsbruch und wiegt bei Ministern, die nach Artikel 56 des GG schwören, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, doppelt schwer. Mit dem Investorenschutz kommt zugleich auf, dass sich das staatliche Handeln nicht am Gemeinwohl, sondern an seinen Auswirkungen auf die privaten Gewinne von Investoren und privaten Unternehmen auszurichten hat. Dies alles und noch viel mehr ist wohl von unserer politischen Klasse mit dem immer wieder zu hörenden Begriff einer „marktkonformen Demokratie“ gemeint, die dann unter den genannten Bedingungen gar keine Demokratie mehr ist.

Artikel 20 GG räumt „alle(n) Deutschen“ ein Recht auf „Widerstand“ ein, „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen“. Wäre es nicht an der Zeit, sich auf diesen Widerstand zu berufen, um jetzt, im gegebenen Zeitfenster, mit allen rechtlich verfügbaren Mitteln zu versuchen, eine Gemeinwohlökonomie zu installieren, die vor dem Hintergrund ihrer demokratischen Kontrollmöglichkeiten solche putschartigen Zumutungen wie CETA oder TTIP als Schnee von gestern, als offensichtliche Ausgeburt düster mittelalterlichen Denkens, erscheinen lassen würden. Doch wo sind die verbliebenen, die demokratisch gesinnten Politiker, die diese Idee mittrügen, die Initiativen und Organisationen, die bei einer Implementierung einer Gemeinwohlbilanz orientierten Wirtschaftsweise Öffentlichkeitsarbeit und rechtliche Hilfestellung leisten?

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3 Kommentare zu “Putschartige Zumutungen wie Ceta oder TTIP

  1. @ Henning Flessner
    Oh weh, da watscht ein Michael Amon Felbers Ideen mit Schlagworten aus der Gruselkiste ab, ohne sich lange mit Inhalten aufzuhalten. Das ist mit denn doch zu pauschal. Und zu welchem Ergebnis kommt Amon dann? Dass sich Gegenmodelle sowieso erübrigen, weil die Weltwirtschaft bisher doch so toll funktionert hat? Na vielen Dank! Bevor ich mich auf so einen berufe, lese ich Felbers Buch doch lieber erst mal selber.

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