Was ist los? Infratest ermittelt eine demoskopische Mehrheit, die der großen Koalition einen „guten Start“ bescheinigt und sich mit Angela Merkel zufrieden zeigt (in der FR am Freitag dokumentiert). Ich unterstelle mal, dass sich in diesen Einschätzungen auch ein Teil Wunschdenken abbildet und ein anderer Erleichterung. Wunschdenken, sehr verständliches übrigens, weil man einfach hofft, dass wenigstens die großen Parteien gemeinsam ein paar Kühe vom Eis holen. Auch wenn die bisherigen Beschlüsse und Pläne (Mehrwertsteuer, Eigenheimzulage und vieles andere) nicht gerade nach Befreiungsschlag aussehen. Erleichterung vielleicht darüber, dass wenigstens irgend etwas zu geschehen und in Angriff genommen zu werden scheint.
Und eines stimmt ja auch: Eine Lachnummer sieht anders aus. Auch und gerade diejenigen, die Angela Merkel nicht wollten, sollten sich eingestehen: Diese Frau hat das Zeug zur Kanzlerin! Souverän und geschickt hat sie dem Parlament und dem Volk erklärt, was sie vorhat. Mit den Klischees vom „Mädchen“, das sich mit heruntergezogenen Mundwinkeln durch die Arena haspelt, wird sie nicht zu fassen sein. Nur wer das begreift, wird den Blick frei haben für das Weltbild, aus dem die Kanzlerin Politik zu formen versucht. Und das bietet, anders als die „Performance“, einigen Anlass zur Sorge.
Nicht, dass Merkel nichts Richtiges gesagt hätte: Zur Entführung in Irak fand sie den richtigen Ton. Aus anderen Passagen zur Außenpolitik lässt sich bei gutem Willen eine Art freundschaftlicher Selbstbehauptung gegenüber den USA ablesen. Und ihre Bemerkungen zum Mittelstand sind nicht weit entfernt vom Appell des Grünen Fritz Kuhn, echten marktwirtschaftlichen Wettbewerb gerade auch gegen die Vorherrschaft von Großkonzernen zu verteidigen.
Aber wir sollten die Nerven haben, genauer hinzuschauen. Denn hinter dem Schlachtruf „Mehr Freiheit wagen“ verbergen sich Elemente einer Ideologie, die den erhaltenswerten Errungenschaften der Bundesrepublik gefährlich werden könnte. Die Berufung auf Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ könnte sich als Missbrauch des großen Sozialdemokraten erweisen.
Die Sache wird nicht ungefährlicher dadurch, dass sie sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Das ist offensichtlich beabsichtigt: Angela Merkel verkauft ihre „Politik der kleinen Schritte“ richtungsloser, als sie selbst sie versteht. Sie hängt, darin nicht viel anders als Schröder, jener Variante des Pragmatismus an, die gerade dadurch ideologisch ist, dass sie behauptet, mit Ideologie nichts, mit „praktischem menschlichem Sachverstand“ (Merkel) aber umso mehr zu tun zu haben. Politik verkauft sie also, wie der Vorgänger, als zwangsläufige Konsequenz aus der Realität und nicht als Ausfluss von Ideen, die einer Interpretation dieser Wirklichkeit entspringen.
Damit aber sagt die Kanzlerin nicht die Wahrheit. Verklausuliert entwarf diese Regierungserklärung Elemente einer Ideologie, die sich vor allem in der Sprache zeigt. Es ist zwar – einmal – von „Solidarität“ die Rede, aber die Übersetzung folgt auf dem Fuße: „Gemeinschaft“, „Nächstenliebe“, „Schicksalsgemeinschaft“. Da klingt viel moralisches Pathos durch, aber wenig von einer Solidarität, die gesellschaftliche Gegensätze auch mit den rationalen Mitteln der Politik auszutarieren sucht. „Ungerechtigkeit“ hingegen machte sie ausschließlich an zwei Phänomenen fest: dem Missbrauch von Sozialleistungen und der „Bevormundung“ durch sozialstaatliche Fürsorge – von Massenentlassungen zwecks Renditesteigerung kein Wort. Dass sie nicht etwa von Benachteiligten sprach, sondern von „den Schwachen“, passt ins Bild: Es klingt fast, als sei diese „Schwäche“ nicht gesellschaftlich, sondern rein genetisch bedingt. Da scheint ein Denken durch, das dazu neigt, die Verantwortung für soziale Probleme und deren Lösung zu privatisieren. Das ist etwas anderes als ein sozialer Liberalismus, der zwar den Staat in seine Schranken weist, ihn aber von der Verantwortung, die Bürger zum selbstbestimmten Leben ermächtigen zu helfen, keineswegs entbindet. Das scheint Merkels Idee eines moralisch aufgewärmten Wirtschaftsliberalismus’ zu sein.
Klar doch, das war mir schon beim Lesen des Original-Artikels aufgegangen: Merkels politisches Wabbern erinnert mich stark an Ludwig Erhards „Formierte Gesellschaft“ – die schon damals nicht reüssiert hat.
Es kommt überhaupt nicht darauf an, wieviele Fehler Merkel nicht macht, Maßstab ist allein, ob es auch nur die kleinsten Ansätze für eine neue, für eine ganz andere Politik gibt. Und die gibt es nicht, kann es bei diesen beiden Partnern auch nicht geben, die neoliberal bis in die Stiefelspitzen sind.
Das eigene Volk wird als feindliche Truppe begriffen, die entschlossen bekämpft wird: als Kostenfaktoren, als Schmarotzer, als Leute, die einfach nicht arbeiten wollen – und die man, trotz nicht vorhandener Arbeitsplätze, sogar bis 67 unter die Rentenreduzierungsknute zwingen will.
Es gibt eine Lösung, die uns von allem Übel befreit: die Steuerquote muß wieder auf den Stand vom Jahr 2000 – 60 Md. Euro zusätzlich flössen in die öffentlichen Kassen.
Wie denn? Nicht durch die Erhöhung der Umsatzsteuer, sondern dadurch daß Wirtschaft, Millionäre und Milliardäre wieder ausreichend Steuern zahlen. Und: indem endlich der Betrug mit der Umsatzsteuer-Erstattung unterbunden wird.
Diese Diskussion geht seit Jahren – die FR hat immer wieder darüber berichtet: doch die Regierenden sind lieber neoliberal und pressen das Volk aus, insoweit das nicht schon „die“ Wirtschaft tut.
Mehr Staat bitte! schreien die Handwerker.
Während sich alle politischen Parteien zu Wortführern neoliberaler Wirtschaftspolitik gemacht haben, rebellieren die Arbeitgeber dagegen und fordern mehr Staat. So zum Beispiel der Präsident der Handwerker in Hessen auf einer Veranstaltung des Roten Clubs der SPD Hessen. Seine große Hoffnung ist, dass der Staat seinen Handwerkern bessere Rahmenbedingungen setzt, damit es den Zünften wieder besser gehe. Zu den Forderungen gehören: die Senkung der Lohnnebenkosten, bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Handwerkerrechnungen und die Bekämpfung der Schwarzarbeit. Und man erhofft sich die Verhinderung des Herkunftslandprinzips.
So staatsgläubig wie die Handwerker sind, das verunsichert sogar ausgleichende Geister. Wie wäre es denn, wenn die Handwerker nicht nur auf den Staat schauten, sondern sich ihrer eigenen Möglichkeiten bewusst würden. Wie wäre es, wenn die Handwerker ihre eigenen Potentiale entdecken und neue Produkte und Märkte entwickeln würden?
Da staunte der Präsident nicht schlecht, als er mit den grundlegenden Marketingtechniken konfrontier wurde. Zum Beispiel: wer nur auf alte Produkte setzt, wird im Preiskampf untergehen, wer aber neue Produkte entwickelt, der kann sich ein Monopol schaffen, dem gehört die Zukunft.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine fundierte Fortbildung des Managements in Marketingtechniken ist. Denn wer die fundamentalen Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht kennt, der kann auch die großen Potentiale seines Unternehmens oder Handwerksbetriebs nicht ausschöpfen.
Das Nichtwissen bei den Managern ist so groß, dass eine großangelegte Fortbildungskampagne angebracht wäre, aber nicht nur für Unternehmenslenker, sondern auch für Politiker, die allzu schnell die Propaganda der Arbeitgeber nachplappern.
@ Horst Breit:
Marketing-Geschwafel schön und gut aber das Handwerk ist in weiten Teilen seinen miesen Ruf und sinkende Nachfrage selbst schuld. Da werden leicht defekte Haushaltsgeräte zu Totalschäden oder „schweren Reparaturen“ deklariert, eine Türöffnung von 5 Minuten kostet ungefähr das gleiche wie ein Minijobber im Monat verdient, das neue Schloß – weil man ja Hammermethoden verwendet, anstatt vorhandene moderne Methoden, die nichts zerstören – nochmal die Hälfte drauf und fertig ist das Bild vom deutschen Handwerk: ein gieriger, servicearmer Sauhaufen, der die Menschen veräppelt und abzockt, aber von „schwarzen Schafen“ redet, wenn z.B. in Test mit versteckten Kameras von 20 Handwerkern sich nur einer ordnungsgemäß verhält.
Sorry, aber das deutsche Handwerk hat IMHO wesentlich mehr als nur ein Marketing-Problem. Neben den vielen schwarzen Schafen zum Beispiel das Preismodell, die nicht vorhandene Service-Mentalität und natürlich die schleppende Binnenkonjunktur, die sie aber als Arbeitgeber teilweise auch selbst zu verantworten haben: die Chefs im M5 und Touareg, die Gesellen im Bus – irgendwas stimmt da nicht…
MfG
Daniel
was heisst das zur entführung fand frau merkel den richtigen ton? ist sie jetzt musikirin? mit dieser ausgelutschten standardformulierung des deutschen journalismus kann man sich gut um eindeutige standpunkte im politischen sinne drücken, so, dass im endeffekt, für die grobe politsche richjtung, die z.b. die FR einschglägt, mit allen individuellen ausprtägungen einezerlner redakteure, gesamt gesehen, der schuss nach hinten losgeht.
@ daniel
sehr gut, tuareg und bus! die verhältnisse stimmen so nicht mehr und vor allem: resourcen freundlich repaieren? nein danke, da wird lieber gleich was neues verkauft, eingebaut usw.usf.
finden sie mal jemanden überhaupt noch in unserer deimnsleistungsgesllschaft, der überhaupt noch etwas repariert, fast unmöglich, wird ja mitllerweile fast am anderen ende welt neu billiger produziert, als weg damit.
da könnten wir von den sog. mangelwirtschaften einigfes lernen, was sicherlich auch unsere nachfolgenden generationen danken würde.
Politisches Brachland
@Kröter Leitartikel
Schweigen wäre manchmal besser. Vor allem im Falle Merkel. Dass sie ganz ohne politische Ideen zur ersten Kanzlerin werden konnte, kann man angesichts der daniederliegenden politischen Kultur noch kaschieren. Doch kaum versucht sie, eine politische Vision zu formulieren, schon wird es peinlich. „Mehr Freiheit wagen“ postuliert sie. So weit klingt es auch gut. Doch Freiheit von was oder zu was? Mehr Freiheit von Bürokratie meint sie. Und schon erschaudert das Publikum. Sollte das wirklich die große politische Hoffnung der Menschheit sein? Niemand, weder rechts noch links, wollte sich von Merkels Vision begeistern lassen. Denn es war der stammelnde Versuch, das politische Nichts mit Sinn zu füllen. Es musste unbedingt etwas Sinnstiftendes her. Und Merkel hoffte, das Publikum werde nicht merken, dass sie ohne Kleider dasteht. Weit gefehlt. Schimpf und Schande brachen über die Regentin herein.
Noch einmal grundlegend zur politischen Ideen historischer Dimension: diese kommen nicht beim Träumen und nicht beim sehnlichen Hoffen herbeigeschwebt, sondern sie sind das Ergebnis harter und zielführender Arbeit.
Was lernen wir daraus? Statt wie ein blindes Huhn wild herumzuhacken, sollte man besser analysieren, systematischer arbeiten und kreativer entwickeln. Nur dann lässt sich die politische Idee der Epoche erschaffen.