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Leserforum 2 20190916Forum vom 19. April 2023

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Giffey sollte zurücktreten

Berlin: „Das würde Giffey Sichtbarkeit ermöglichen“, FR-Thema vom 4.4.

Giffey will mit der deutlich als rechte Partei ausgewiesene Vereinigung zur Förderung der Industrie und des Stehkragenproletariats koalieren. Oder zurücktreten als Parteivorsitzende. Ich würde das Angebot dankend annehmen. Die bisherige Koalition sollte weiter regieren und dringend als zu lösend anstehende Aufgaben erledigen. Damit würde das Wahlergebnis respektabel umgesetzt.
Die nächsten Rohrkrepierer sind die Minister der FDP, die wem dienen?  Wissing scheint völlig überfordert mit der Bedeutung seines Amtes und der Klimakatastrophe. Wie sonst käme er auf die Drohung mit den E-Fuels? Auf seine und Lindners Rechnung geht das peinliche Schauspiel des 49-Euro-Tickets, dessen Preis und Verzögerung. Was hinderte die schnelle Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets? Die Kosten. Eine lächerliche Begründung angesichts der 100 000 000 000 für das Militär und die verständnisvolle Aufnahme weiterer Forderungen.
Die Klimakatastrophe produziert hier und anderswo täglich neue, furchtbare Schlagzeilen. Uninteressant für die Lobbyisten einer vorgestrig handelnden, nur ihren Profitinteressen nach hechelnden und damit untergehenden Autoindustrie. Herr Wissing sollte ehrlich zu den Lobbyisten wechseln. Damit täte er der Partei und uns einen großen Gefallen.
Zu alledem erlaubt sich die rechte Zwergenopposition mit Friedrich Merz kritische Bemerkungen zur Politik der jetzigen Regierung. Mit Anstand begänne jede Rede mit der Bitte um Verzeihung für den riesigen Haufen Mülls, übrig gebliebener Aufgaben und verhinderten, notwendigen Fortschritts, um dann demutsvoll mit vorsichtigsten Anmerkungen leise zu beginnen.

Rolf Schuh, Gießen

fr-debatteAlles andere als einfach

Zu: „Wir bauen am Bedarf vorbei“, FR-Wirtschaft vom 5. April

Vielen Dank für dieses sehr interessante Interview mit Herrn Beck, das die Situation auf dem Wohnungsmarkt in ein ganz anderes Licht setzt. Es klingt alles sehr plausibel und nachvollziehbar; ich würde mir wünschen, dass das Bauministerium zu solchen Erkenntnissen gelangt und sie in dieser Weise kommuniziert. Einen Aspekt habe ich aber in Bezug auf notwendige Regeländerungen noch vermisst: Nämlich die berühmt-berüchtigten Stellplatzsatzungen der Städte und Gemeinden, die z. B. für die Zulassung von Mehrfamilienhäusern einen Stellplatznachweis verlangt, der oft nicht erbracht werden kann. Und das größte Hindernis dafür, die alte, inzwischen überdimensionierte Familienwohnung gegen eine kleinere zu tauschen dürfte sein, dass eine andere, kleinere Wohnung nicht billiger ist als die alte (, unrenovierte) Wohnung. Einen Anreiz für einen solchen Tausch zu schaffen, wäre eine gute Sache, aber einfach ist das sicher nicht.

Bernfried Kleinsorge, Egelsbach

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Leserforum 2 20190916Forum vom 20. April 2023

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Unsere historische Verantwortung

Verbrechen im Ukraine-Krieg: „Gräuel mit Folgen“, FR-Meinung vom 14. April

Der Autor nimmt die Kriegsverbrechen russischer Soldaten, begangen an Ukrainern, vornehmlich an der ukrainischen Zivilbevölkerung, zum Anlass, die Frage zu stellen, welche Mitschuld die russische Bevölkerung an diesen Verbrechen hat, und verweist in diesem Zusammenhang auf die heutigen Informationsmöglichkeiten, die selbst Gräuelvideos in die Wohnstuben bringen. Der Hinweis, dass selbst Deutsche nach Krieg und Holocaust wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen wurden, hält er unter Bezug zur russischen Bevölkerung für verfrüht und verweist auf den langen Weg von der „militärischen Niederlage über die Verurteilung von Kriegsverbrechern und die Aufarbeitung der kollektiven Schuld bis zur Demokratisierung und Übernahme historischer Verantwortung“ durch Deutschland.
Abschließend merkt der Autor noch an, so wünschenswert auch eine diplomatische Lösung sei; eine Lösung des Konflikts „steht und fällt mit Putins Bereitschaft zum Rückzug.“
Der letzte Satz des Autors ist gleichbedeutend mit der Zielvorgabe der ukrainischen Regierung, dass nur ein Sieg auf dem Schlachtfeld das Ziel der Ukraine sein kann; ob man dies als Putins Rückzug bezeichnet oder als Vertreibung der russischen Angreifer, ist unerheblich und nur eine Frage der Semantik.
Die Frage, die der Autor hinsichtlich der Mitschuld der russischen Bevölkerung aufwirft, scheint mir besonders in Bezug zum deutschen Angriffskrieg in der damaligen Sowjetunion mit geschätzten ca. 30 Millionen Sowjetbürgern von Bedeutung. Es handelte sich damals (zur Erinnerung) um einen Vernichtungsfeldzug, der auch durch die deutsche Wehrmacht als ebensolcher durchgeführt wurde. Welche Bürger Russlands will der Autor in die Schuld einbeziehen, die der großen Städte mit Zugang zu vielerlei Informationsmöglichkeiten oder auch jene im Grenzgebiet der Mongolei, die in der sibirischen Bergregion etc. Sind sie alle nach Kriegsende in die Verantwortung zu nehmen und wie, mit Entzug westlicher Produkte, einer kulturellen Auszeit, einer Kriegssteuer zum Wiederaufbau der Ukraine, einem Reiseverbot und wer wird ausgenommen von den zu tragenden Lasten?
Die Ausführungen des Autors zu Deutschland und der Mitschuld ihrer Bürger an den Verbrechen im 2. Weltkrieg als Vergleichsmodell haben ein offensichtlich sehr kurzes Haltbarkeitsdatum. Der Autor spricht hier von einem „langen Weg“, der doch eigentlich ein sehr kurzer war, nämlich der vom Kriegsende zum Wiederaufbau und zum deutschen Wirtschaftswunder. Ein Weg der Verdrängung der eigenen Schuld, gestützt von einem umfangreichen Warenangebot und einer neu gewonnenen Reiselust in die westlichen Länder der ehemaligen Besatzungsgebiete.
Welche Kriegsverbrecher wurden denn verurteilt, sieht man von den Nürnberger Prozessen ab, die von den Alliierten abgehalten wurden. Alleine die nunmehr fast 100-Jährigen, die vor Gericht geladen werden, meist weisungsgebundene Sekretärinnen, Wachpersonal, ohne deren Mitschuld in Frage zu stellen, müßte dem Autor doch die Frage aufwerfen, was mit den tatsächlich Verantwortlichen geschah. Ist dem Autor bewusst, dass selbst ein hohes NSDAP Mitglied Kanzler werden konnte als auch Präsident eines nunmehr demokratischen Staates, dass kein Richter des Reichsgerichtshofes belangt wurde, in den Landtagen wie auch im Bundestag der ersten Perioden viele ehemalige NSDAP-Mitglieder die Demokratie gestalteten, ganz abgesehen von Bundes- und Landesämtern, Verbänden, Institutionen aller Art. Dies wurde damit begründet, dass man diese erfahrenen Leute zum Wiederaufbau brauche mit Wissen der Alliierten.
Die historische Verantwortung, die der Autor postuliert, hat es von Seiten Deutschlands, insbesondere in Bezug zur ehemaligen Sowjetunion, nie gegeben. Die Sowjetunion wurde sofort nach Kriegsende zum neuen Feindobjekt auf der Basis unterschiedlicher Gesellschaftsmodelle, was die Kriegsschuld in den Hintergrund rücken ließ, bis zur Nichtwahrnehmung.
Ich finde, gerade von deutscher Seite, angesichts der scheinbar immer mehr sich verdunkelnder und sogar verzerrend wahrgenommenen Vergangenheit, müsse alles getan werden, um auf einen Frieden in der Ukraine hinzuwirken. Jetzt auch noch der russischen Bevölkerung eine Mitschuld am Krieg und am Kriegsverlauf zu geben, ist besonders aus deutscher Sicht nur mit großem Unverständnis wahrzunehmen.

Edwin Witsch, Frankurt

fr-debatteHauptsache der Vorgarten ist sauber

Zum Thema: Menschenunwürdige Stimmungsmache gegen Migranten

Dass die AfD gegen Flüchtlinge und Migranten hetzt, ist leider nichts Neues. Sie schärft damit ihr nationalistisches und faschistoides Profil. Anschläge auf Asylunterkünfte steigen wieder, ein islamophobes Klima wird verbreitet. Leider ein in der deutschen Geschichte altbekanntes Muster. Flüchtlinge für die ganzen Krisen und Miseren (man denke nur an bezahlbaren Wohnraum, Inflation oder leere kommunale Kassen) verantwortlich zu machen, ist längst in Regierung und parlamentarischer Opposition angekommen.
In einer regelrechten Kampagne gegen Flüchtlinge soll das Asylrecht bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention sei „nicht länger praktikabel“ (Jens Spahn), Forderungen nach Schnellverfahren für Abschiebungen und Unterbringung in Ankerzentren machen die Runde. Frontex sichert die EU-Außengrenze mit Zurücktreiben von Booten im Mittelmeer, das sich zum Massengrab entwickelt hat, Flüchtlinge sollen in libyschen Foltergefängnissen abgeurteilt werden.
Flüchtlinge werden bekämpft, nicht Fluchtursachen, denn das setzt eine Sicht auf die Lage und Weltordnung voraus, die Zustände für die ganze Menschheit tatsächlich zum Besseren verändern will.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – Artikel 1), „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (ebd. – Artikel 16a).
Dass Deutschland in der Lage ist unbürokratisch zu helfen, hat die Behandlung der ukrainischen Flüchtlinge bewiesen. Warum aber werden selbst Flüchtlinge noch in Kategorien eingeteilt? Warum keine Gleichbehandlung, die staatlich gewährleistet werden muss? Demokratie und Werte nur für handverlesene Menschen, wo doch alle aus gutem Grund aus ihrer Heimat geflüchtet sind?
„Illegale Migration“ gibt es nicht, doch ist es das Unwort in dieser ganzen leidigen Debatte. Visa und Flugtickets haben Touristen, keine Flüchtlinge.
Ausgebildete Fachkräfte ja, Menschen, die vor Unterdrückung, Hunger, Krieg, Raubbau an Mensch, Natur und Umweltkatastrophen fliehen nein? Deutschland „first“, mit sauberem Vorgarten, drumrum aber wildes Stechen und Hauen?
Statt sich auf diese Schiene zu begeben, müssen letztlich die Verursacher von Fluchtgründen ins Visier genommen werden. Und dazu müsste man sicher auch vor der eigenen Tür kehren. Unter welchen Bedingungen werden denn beispielsweise seltene Erden gewonnen? Kein Problem mit seither als „Schurkenstaaten“ bezeichneten Regierungen Verträge zu schließen, Fracking-Gas einzukaufen und Müll in abhängige Länder zu exportieren?
Schutzbedürftige zu Verantwortlichen der ganzen Krisenhaftigkeit auf der Welt zu machen stellt die Wirklichkeit auf den Kopf, ist unwürdig und öffnet weiter die bereits vorhandene gefährliche Flanke nach rechts.

Renate Radmacher, Aalen

fr-debatteDas vermeintliche „Massaker von Odessa“

Erwiderung auf: „Traumatische Erfahrungen“, FR-Forum vom 21. März

Vor über zwei Jahren, am 24.02.22 überfielen russisch Truppen die Ukraine und richten seither unbeschreibliche Gräuel unter der Zivilbevökerung an. Vielfältig dokumentiert sind Erschießungen wehrloser Zivillisten, Bombardements von Wohnsiedlungen, tausendfaches Kidnapping urkrainischer Kindern und Vergewaltigungen ukrainischer Frauen. Das alles scheint für Ihre Leserin Dorothea Plank keine Rolle zu spielen. Für sie ist allein wichtig, dass es unter den Vergewaltigern auch „ukrainische Täter“ geben müsse. Als Belege für ihre These haben die „Me-too“-Bewegung und die „hohe Dunkelziffer“ herzuhalten. Dass in der Sendung „Hart aber fair“ vom 27.02.23 nur von russischen, nicht aber auch von ukrainischen Vergewaltigern die Rede gewesen sei, wertet sie als „schwere journalistische Entgleisung“. Eine Ukrainerin könne es gar nicht wagen, „eine Vergewaltigung von einem vom rechten Sektor (?: Fragezeichen von mir) anzuzeigen“ solange das „Massaker vom 2.5.2014“ nicht juristisch aufgearbeitet“ sei. Dieses angebliche Massker ist ein beliebtes Narrativ, mit dem die russiche Seite neben vielen anderen den Überfall auf die Ukraine zu rechtfertigen sucht. Zur Klarstellung: Es gibt nur ein Massaker von Odessa, das den Namen verdient, und das fand vom 12. bis 24.10.1941 statt. An diesen Tagen ermordeten rumänische und deutsche Truppen zwischen 25 000 und 34 000 Ukrainer, darunter 8000 Juden. Am 2.5.14 hingegen überfielen zunächst prorussische Aktivisten einen friedlichen Protestmarsch ukrainischer Bürger, die gegen die sog. Referenden Russlands in Donezk und Luhansk protestierten. Die zahlenmäßig unterlegenen russischen Nationalisten verbarrikadierten sich schließlich im Gewerkschaftshaus; von beiden Seiten wurden Brandsätze geworfen, bis das Gebäude Flammen fing und ausbrannte. Dabei kamen 42 Menschen ums Leben; ihre Nationalität ist wie die genaue Ursache des Brandes bis heute nicht geklärt. Den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden wird seither mangelnde Aufklärungsbereitschaft vorgeworfen, was Frau Plank als Indiz dafür wertet, dass eine Ukrainerin bei Anzeige einer Vergewaltigung fürchten müsse, „gelyncht“ zu werden. Statt sich so durch „unprofessionelle Hetze zu profilieren“, hätte „Hart aber fair“ die „westliche Verantwortung für die Fortdauer des Krieges seit einem Jahr zur Sprache“ bringen müssen.
Ja – so kann man es auch sehen.

Peter Arnold, Bad Homburg

fr-debatteKlarheit für Reisende

Zu: „Deutschlandticket zu kaufen“, FR-Wirtschaft vom 4. April

49-Euro-Ticket nicht in allen Regionalexpressen gültig! Ausgerechnet die Deutsche Bahn, die viel bei ihren Kunden und Kundinnen gutzumachen hat! Ich hab zwei Verbindungen überprüft: Berlin/Elsterwerda und Bremen/Norddeich-Mole. Für beide Verbindungen gibt es welche mit IC/ICE und andere mit RE. Normalerweise müsste auf den RE-Verbindungen das Deutschland-Ticket gelten, auch wenn der DB-Fernverkehr sie betreibt. Das Ganze sieht nach Ausrede aus. Mit anderen Worten: Hier muss von oberster Stelle Klarheit im Sinne der Reisenden geschaffen werden.
Übrigens, für die Strecke Berlin/Elsterwerda wurde mir für den RE schon das Deutschland-Ticket von der DB angeboten, für die andere Strecke Niedersachsen Tickets. Verwirrung pur!

Gerd Hochscherf, Mönchengladbach

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Leserforum 2 20190916Forum vom 21. April 2023

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Unaufhebbare Widersprüche

Ukraine: „Vertrauen in die Denkungsart des Feindes“, FR-Feuilleton vom 15. April

Ich begrüße alle Überlegungen, die zu einem gerechten Frieden in der Ukraine führen könnten. Der Beitrag von Markus Tiedemann tut dies nicht. Nach Tiedemann hat die Ukraine das Recht, auf der vollständigen Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität zu bestehen. Gleichwohl sieht er eine denkbare Verständigungsbasis darin, dass „Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit erhalten sollten, über ihre staatliche Zugehörigkeit frei zu entscheiden“. Konkret gemeint sind ja wohl nur die ethnischen Russen. Weil aber auf der Krim und im Donbass die „Bevölkerungsgruppen“ vermischt sind (oder waren), fordert er gleichzeitig einen ausgeprägten Minderheitenschutz. Mit diesen Minderheiten sind vermutlich die dort lebenden Ukrainer und Krimtataren gemeint, die ihrerseits aber nicht die Möglichkeit erhalten sollen, über ihre staatliche Zugehörigkeit frei zu entscheiden. Ein unaufhebbarer Widerspruch. Dennoch sieht Tiedemann in seinem Vorschlag „zumindest eine theoretische Plausibilität“. Auf die Gefahr hin, dass der Vergleich überstrapaziert wird: Hätte er 1938/39 im soeben okkupierten Sudetenland in einer Volksabstimmung mit ausgeprägtem Minderheitenschutz für die dort noch wohnenden Tschechen ebenfalls eine „theoretische Plausibilität“ gesehen?

Michael Hamke, Bad Soden

Fakten schaffen mit Blut und Stahl

Prof. Tiedemanns stellt zu der hypothetischen Frage, ob Kant Waffenlieferungen an die Ukraine zustimmen würde, einige Überlegungen an. Der Autor bringt u.a. Wahlen, zu welchem Staat die Bewohner der Krim und des Donbass gehören wollen, ins Spiel, betont dass dieser „Vorschlag zumindest eine theoretische Plausibilität besitzt “. Gegenrede: Russland überfällt das Baltikum, die Nato gäbe es nicht oder griffe nicht ein, es werden Fakten geschaffen, Friedensverhandlungen, dann werden Wahlen abgehalten. Die durch die UdSSR angesiedelten Russen werden, falls überhaupt nötig, noch national durch den Kreml „beeinflusst“. Aufgrund der Wahlen werden Teile der drei baltischen Staaten Russland zugesprochen. Vertrauen in die Denkungsart des Feindes? Man könnte sich viele weitere schöne Beispiele ausdenken. Ein solcher Frieden ist sicherlich kein Gebot der reinen praktischen Vernunft, sondern absurdes, hochgradig naives philosophisches Theater und sicherlich keine Grundlage für realpolitisches Handeln. Eher eine Aufforderung mit Blut, Stahl und Ansiedlungspolitik Fakten zu schaffen.

Torsten Sommer, Köln

fr-debatteDie Ehe wird irrelevant

Zu: „Paare, die egalitär aufgestellt sein wollen, verlieren“, FR-Magazin vom 12. April

Die Idee einer ehelosen Gesellschaft ist nicht neu, oder um es genauer zu sagen: alter Wein in neuen Schläuchen. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurde mit dem Umbau der Gesellschaft experimentiert; zu nennen wären der Schriftsteller Erich Mühsam (1878-1934) und der Psychoanalytiker Otto Gross (1877-1920). Es ging um die Umwandlung der Vaterrechts- in eine Mutterrechtsgesellschaft.
Otto Gross verfolgte die Schaffung einer Gesellschaft zugunsten des Mutterrechts. Nach seiner Theorie bestand vor dem Sündenfall eine matriarchalische Gesellschaftsform, gekennzeichnet durch Freiheit, Harmonie und Solidarität. Mit dem Verlassen des Paradieses habe sich die Abhängigkeit der Frau vom Mann bis hin zur patriarchalen Vaterrechtsehe entwickelt. Danach lassen sich die Frauen aufgrund ihrer Sexualität und der Gebärfunktion in der Ehe vergewaltigen und geben ihre Individualität auf, um vom Mann versorgt zu werden. Auch die Männer werden in eine unerwünschte Position gedrängt. Um die Menschen von ihren tradierten Rollen zu befreien, entwarf Gross die neue Gesellschaft des Mutterrechts.
Der Schriftsteller Erich Mühsam fand in seiner programmatischen Schrift „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“ klare Worte gegen das Vaterrecht: „Erst die Übertragung vorbehaltloser Befehlsgewalt auf den Mann ergab die Möglichkeit, die Vaterschaftsfamilie dadurch zu befestigen, daß die Frau und die Kinder in sklavenhafter Abhängigkeit gehalten […] werden,“ schrieb er 1933.
Dem Psychoanalytiker Otto Gross ging es um die „wirtschaftliche Instandsetzung der Frau zur Übernahme der Mutterschaftsleistung.“ Demnach gebiert die Frau die in freier Sexualität empfangenen Kinder für die Gesellschaft, und diese ist für das Wohlergehen der Mütter und Kinder verantwortlich. Gross sagte: „Das Mutterrecht hat für sexuelles Geschehen keine Schranken und Normen, keine Moral und keine Kontrolle. […] Das Mutterrecht hält die Beziehung zwischen den Geschlechtern rein von der Pflicht und Moral und Verantwortlichkeit, von wirtschaftlichen, rechtlichen, moralischen Vderbindlichkeiten, von Macht und Unterwerfung, rein von Vertrag und Autorität, rein von Ehe und Prostitution.“ Die „Sozialisierung der Mutterschaftsfürsorge“ bedeutete die Befreiung des Vaters von seinen Pflichten. In der Gesellschaft der Zukunft sollten die Kinder von Mutter und Gesellschaft gemeinsam aufgezogen werden.
Das Ziel damals wie heute ist: Werte werden neu definiert, und in einer Gesellschaft mit gleichberechtigten Mitgliedern geht es um persönliches wie auch soziales Wohlergehen. Da werden individuelle Begabungen und Lebenskonzepte verwirklicht, und gemeinschaftlich wird die Fürsorge der schwächsten Glieder einer Gesellschaft übernommen. Die Ehe als Ur-Zelle der Gemeinschaft wird irrelevant.

Petra Brixel, Stuttgart

fr-debatteDer Umgang mit Daten hat viele Tücken

Zu: „Als der Staat seine Schäflein zählen wollte“, FR-Feuilleton vom 13. April

„Die Daten, die wir heute im Internet mit einem Klick freigeben, geben wir freiwillig und zur Erreichung eines konkreten – nicht eines abstrakten – planerischen Vorhabens des Staates – heraus. “ Das stimmt definitiv nicht. Im Verlauf der der Nutzung der unterschiedlichen Angebote des Internets werden ständig personenbezogene Daten gesammelt. Manchmal offen, meistens aber verborgen und nicht freiwillig nach einem offenen Entscheidungsverfahren. Nur zwei Beispiele: Das setzen von Coockies dient genau diesem Zweck, dem Einsammeln von personenbezogenen Nutzungsdaten. Der Einsatz von Trackern hat das Ziel, das gesamte Nutzungsverhalten aufzuzeichnen.
Dieses Ausforschen der Individuen geschieht meistens nicht freiwillig und bleibt den meisten Menschen verborgen. Und die Macht, diese Daten auszunutzen, hat sich verschoben: vom Staat zu den machtvollen Institutionen der Internetindustrie, zu GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft.) Diesen Konzernen geben die meisten Nutzerinnen ihre Daten unwissentlich und sicher nicht freiwillig.
Die von dieser Praxis ausgehenden Gefahren sind einerseits individuell: Beeinflussung durch personalisierte PR-Aktionen, die sich nicht nur auf Konsum, sondern immer häufiger auch auf politische Meinungen richten. (Microtargeting) Andererseits ergeben die Aggregierung und Auswertung dieser Datenmengen auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Analysen, die dann von Institutionen, die diese Analysen bezahlen können, zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflussnahme genutzt werden. (Lobbyismus)
Um informationelle Selbstbestimmung für Menschen zurückzugewinnen, bedarf es einerseits rechtlicher Regelungen wie die DSGVO oder der kommende Digital Service Act. Wer jetzt das allgemeine Geheul um die angebliche Komplexität der DSGVO anstimmt, der/die sollte daran denken, dass jeder Elektrobetrieb ein vielfaches an VDE-Vorschriften beachten muss, um die Elektroinstallationen sicher zu machen.
Andererseits braucht es individuelle Medienkompetenz, die das technische Grundwissen um Browser, Server, Tracker, Microtargeting beinhaltet. Hier haben die Kultusminister kläglich versagt. Und leider auch viele Journalisten oder Berufspolitiker, die nur die allgemeinen Buzzwords aus den PR-Abteilungen der IT-Konzerne halb verdaut wieder geben.

Axel Stolzenwaldt, Königstein

fr-debatteGöttinnen gleich

Orden der Bundesrepublik: „Merkel muss Lob ertragen“, FR-Politik vom 18.4.

Ach, wie schade, dass wir keine Monarchie mehr sind. Statt Merkels Namen mit blaublütigem Adelstitel zu veredeln, muss ein Stück Blech und profanes farbiges Band herhalten. Alternativlos. Oder doch nicht?
Die Vergötterte sollte gottgleich geehrt werden. Wenn schon nicht mit Büste im Bayreuther Festspielhaus verewigt, wo wir alljährlich ihren guten modischen Geschmack im neuesten Textil bewundern durften, so doch vielleicht in der Apsis über dem Hauptportal der Semper-Oper. Denn dort harren bereits unsere geadelten Dichterfürsten Goethe und Schiller.
Im Glanze dieser Literaten von Weltgeltung wäre Merkel dank ebenfalls epochaler Leistungen für Deutschland und Europa gleich einer Lichtgestalt für alle Ewigkeit am wahrlich richtigen Platz.
Natürlich ließe sich auch ein Himmelskörper nach ihr benennen. Immerhin kreist Goethes Name, den ein zwischen Mars und Jupiter seine Bahnen ziehender Asteroid trägt, seit Jahrmillionen ohne Bedrohung für uns Erdenbewohner um die Sonne. Bei der Unberührbaren wäre ich mir allerdings nicht ganz so sicher.

Achim Wedler, Bad Harzburg

Eine Gefälligkeit des früheren Ministers

Die Verleihung des „Großkreuzes des Verdienstordens“ an die Ex-Kanzlerin durch den Bundespräsidenten war nicht gerechtfertigt. Sie wirkt wie eine Gefälligkeit des früheren Außenministers für seine damalige Kanzlerin. Ihr Einsatz für Geflüchtete war nicht von Dauer, die späteren restrikitiven und inhumanen Regeln hat sie mitgetragen.
Die Kritik des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Carsten Linnnemann geht aber an der Sache vorbei. Er kreidet ihr den zweiten – überstürzten – Atomausstieg an, der Schadens-ersatzansprüche der Betreiber zur Folge hatte. Hätte die Kanzlerin mit ihrer schwarzgelben Mehrheit den rotgrünen Austieg, der im Konserns mit der Industire erfolgte, nicht wenige Monate vorher gekippt, wäre es dazu nicht gekommen.
Linnemann meint, wir sollten uns „einigermaßen autark mit Energie versorgen“. Dass jedes Land ausschießlich seinen eigenen Strom verbraucht, ist eine Illusion. So wie wir während des Stillstands zahleicher AKW Frankreich mit günstigem Windstrom versorgt haben, so impoerteren wir zu anderen Zeiten (allerdings seltener) auch Strom aus Nachbarländern. Dafür gibt es ja ein europäisches Verbundnetz. Wie sich Linnemanns Autarkiestreben mit seiner strikten Gegnerschaft zur deutschen Windkraft verträgt, ist ein Rätsel.

Eduard Belotti, Augsburg

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Leserforum 2 20190916Forum vom 22. April 2023

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2 Kommentare zu “FR-Forum vom 19. bis 22. April

  1. Leserbrief zu „Vor uns liegt eine lange Durststrecke“ – Der Psychologe Dirk Ziems über die veränderte Wahrnehmung der Klimabewegung / Ein Interview von Sebastian Horsch

    Herr Ziems erkennt eine „Frontbildung“: „Vonseiten der Klimabewegung wird das Establishment zum Feinbild. Aus dieser Sicht gehen der politische Betrieb und der bürgerliche Mainstream nicht in gebotener Weise auf die Dramatik der Klimakrise ein“, „Daueralarmismus“ und „Situationen als weitgehend ausweglos darzustellen“ führten „automatisch zu einer Abwehrhaltung“, zu „direkter Antipathie gegenüber Figuren der Klimabewegung wie Carla Reetsma oder Louisa Neubauer“, „nervig, rechthaberisch, sektiererisch“. Was zunächst bei einem „jungen Mädchen mit Zöpfen“ „wie ein modernes Märchen“ war, habe sich verändert: „von der Weisheit der Naivität hin zur Weigerung, erwachsen zu werden.“

    Wesentliches Merkmal des Erwachenseins ist die Herrschaft des Realitätsprinzips. Das hat in Form der Realität der Klimakrise bei Herrn Ziems noch nicht Einzuig gehalten. Er präsentiert ein scheinbar wertfreies nebeneinander von Wahrnehmung der „Dramatik der Klimakrise“ und „Abwehrhaltung“, wie wir es von Klimaleugner:innen kennen. Ob es Zufall ist, dass diese Realitätsverweigerung durch den unmittelbar über dem Interview befindlichen Artikel „Alpen verlieren so viel Eis wie nie… alarmierende Veränderungen unseres Klimas“ kritisch kommentiert wird? Die Urteilkraft von Herrn Ziems über erwachsenen Umgang mit der Klimakatastrophe rückt dieser Umstand zwar in ein grelleres, aber kein besseres Licht.

    Dann wird aber doch noch auf Realität bezug genommen. Nicht auf die Realität der Klimakrise, aber auf eine Realität, auf die diejenigen, die von der Klimakrise nichts wissen wollen, mit Vorliebe die Debatte verlagern: das angeblich widersprüchliche Verhalten von Klimaaktivist:innen, die durch ihren Konsum dem Klima schaden und damit das Recht auf Kritik verwirken würden.

    Wenn ein angeblicher Wissenschaftler die Geltung der Kritik an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ernsthaft am Konsumverhalten der Kritiker:innen glaubt messen zu können, dann sollte sich die FR fragen, wen sie da zum Interview geladen hat. Im Internet wirbt er für „psychologischer Marktforschung“: „Opportunities, Nachhaltigkeit für die Unternehmen und die Unternehmenskommunikation richtig zu spielen.“

    Da scheinen ihm die Klimaaktivistinnen offenbar nicht richtig mitzuspielen.

  2. Leserbrief zu FR v. 1./2.4.2023 „Da wird sich niemand wegducken können“ und FR v. 17.04.2023
    Leitartikel „Aufs Klima achten“ von Fabian Scheuermann,

    Fabian Scheuermann findet „am besten wohl noch eine Regierungsbeteiligung der Grünen, die dort
    immerhin in kleinen Schritten Klimaschutz betreiben können“. Damit teilt er wohl die
    Standardargumentation der Grünenspitze: Wir stehen für Klimaschutz. Je mehr Wählerstimmen,
    Parlamentssitze und Regierungsposten wir bekommen, desto besser für den Klimaschutz. Aus der
    gegebenen Situation holen wir optimalen Klimaschutz heraus. Mehr ist nicht drin, solange nicht
    mehr Leute die Grünen wählen. Klingt logisch, ist es aber nicht.

    Diese Ideologie wirkt wie ein Unfehlbarkeitsdogma. Sie immunisiert gegen jede noch so
    berechtigte Kritik. Selbst ein Rückfall hinter das unzureichende Klimaschutzgesetz der großen
    Koalition wird legitimiert. In dieser Logik ist keine Situation vorgesehen, in der Grüne „lieber
    nicht, als schlecht regieren“. Regieren um jeden Preis: dieses Motto ist sachlich nicht zu
    begründen, sondern Scheuklappen zu verdanken, dem Ausblenden von Realität.

    Jede Regierung, ob mit oder ohne Grüne, ist verfassungsrechtlich zur Einhaltung der Pariser
    Klimaziele verpflichtet. Eine Regierung ohne Grüne kann genauso schlechte oder sogar bessere
    Klimapolitik machen, wie die Ampel, nur wäre die ideologisch-thematische Arbeitsteilung eine
    andere: eine andere Partei würde Klimaschutz für sich reklamieren.

    Was aber würden die Grünen in der Opposition machen? Natürlich mit all ihren Ressourcen gegen
    die unzureichende Klimapolitik opponieren, im Schulterschluss mit Klimabewegung und
    Klimawissenschaft. Sie würden die Klimabewegung damit massiv stärken, auch inhaltlich die
    faulen Kompromisse, die sie heute verteidigen, argumentativ bekämpfen. Die Klimabewegung
    könnte mehr Druck auf die Regierung erzeugen und mehr Klimaschutz durchsetzen.

    Die Standardargumentation der Grünen zieht keine ehrliche Bilanz. Sie tut so, als hätten die Grünen
    Klimaschutz für sich gepachtet, reduziert Politik auf Parlamentarismus, zieht die entscheidenden
    außerparlamentarisch-zivilgesellschaftlichen Akteure höchstens noch als Wahlhelferverein ins
    Kalkül und ignoriert die überparteilich bindende völker- und verfassungsrechtliche normative
    Verpflichtung zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. Nur unter diesen falschen Prämissen
    wäre Klimapolitik mit Beteiligung der Grünen a priori das kleinere Übel. Derzeit ist das Gegenteil
    der Fall.

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