Europa kommt unter anderem deswegen nicht richtig voran, weil die meisten Regierungen der Mitgliedsländer nicht wollen, dass es vorankommt. Eines der Mitgliedsländer steht dabei traditionell besonders kraftvoll auf der Bremse: Großbritannien. Seit 1973 ist das Vereinigte Königreich Mitglied der EU, zusammen mit Irland und Dänemark gehörte es der ersten Beitrittswelle an. Doch schon kurz darauf kühlte die Beziehung ab. 1984 handelte Premierministerin Margaret Thatcher den „Britenrabatt“ heraus. Bei vielen Briten dürfte sich damals die Einschätzung festgesetzt haben, dass sie ohne die EU besser fahren würden. Thatcher schaffte es jedenfalls, die EU wie eine Art Vampir dastehen zu lassen, der den redlichen Briten das letzte Pfund aus der Tasche ziehe. Damals begann, was bei der Europawahl im Mai einen vorläufigen Höhepunkt erreicht: Die britische Europa-Skepsis gipfelte im Wahlerfolg der „United Kingdom Independence Party“ (UKIP), die stärkste Partei auf der Insel wurde. Sie trägt den derzeitigen Premierminister David Cameron nun zum Jagen.
Cameron hat, um das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, schon vor längerem ein Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU angekündigt. 2017 soll es stattfinden. Er wollte sich damit an die Spitze der Bewegung setzen, aber warum sollten die Briten die Kopie wählen, wenn sie das Original, also UKIP, haben konnten? Ein gutes Viertel derer, die auf der Insel wählen gegangen sind, haben damit klar gesagt: Wir wollen raus aus der EU. Cameron ist also unter Druck, zumal es auch in seiner eigenen Partei, den Tories, viele Europa-Skeptiker gibt. Die Hälfte aller Briten ist, älteren Umfragen zufolge, für einen Austritt.
FR-Korrespondentin Barbara Klimke schrieb vor zwei Wochen in der FR: „Warum Cameron wichtig ist„. Ihrer Einschätzung nach ist das Referendum kaum mehr aufzuhalten. Und ohne Großbritannien stehe der ganzen EU ein Umbruch bevor. Das möchte ich allerdings hoffen. Die EU steht tatsächlich am Scheideweg. Sie hat sich selbst mit dem Vertrag von Lissabon die Richtung gewiesen und unter anderem die Macht des Europa-Parlaments gestärkt. Nun, im Gezerre um die Besetzung des Postens des EU-Kommissionspräsidenten, wird sich zeigen, wohin die Reise geht. Den Europäern wurde nämlich suggeriert, dass die Europawahl auch entscheidend dafür sei, wer der nächste Kommissionspräsident wird. Im Vertrag von Lissabon ist das zwar alles andere als eindeutig geregelt, aber bei den Wählerinnen und Wählern sind die Regierungen jetzt im Wort.
Es läuft alles auf Jean-Claude Juncker hinaus, den früheren Regierungschef Luxemburgs, Spitzenkandidat der EVP, der auch die britischen Tories angehören. Juncker ist ein überzeugter Europäer, er steht für alles, was die UKIP an Europa ablehnt. Als Kommissionspräsident wäre er in der machtvollen Position, der europäischen Integration entscheidende Impulse zu geben. Genau das kann Cameron nicht wollen, unter anderem weil dies Wasser auf UKIPs Mühlen wäre. Verkürzt gesagt: Sollte Juncker es werden, steigt die Wahrscheinlichkeit stark, dass die Briten austreten. Zweifellos wäre die EU dann eine andere – oder würde es werden. Der europäische Binnenmarkt wäre zwar nach dem Ausscheiden der drittgrößten Volkswirtschaft der EU um etwa 15 Prozent kleiner, aber es käme eine Dynamik in Gang, die Europa letztlich stärken dürfte. So etwa in der Außenpolitik, in der die Briten immer eine eigene Rolle gespielt und eigene Ziele verfolgt haben. Dass die EU in Sachen Sicherheits- und Außenpolitik so kläglich dasteht, ist maßgeblich das Verdienst der Briten.
„Die Weltoffenheit der Briten“, schreibt Barbara Klimke in ihrem Kommentar, „ihr Pragmatismus in außenpolitischen und militärischen Fragen, ihr Glaube an den freien Handel und nicht zuletzt ihre Lust daran, die Brüsseler Bürokratie zu hinterfragen, sind wesentlich für die Union.“
Ich formuliere das mal ein bisschen anders: Der Egoismus der Briten, ihre Eigenbrötlerei in außenpolitischen und militärischen Fragen, ihr Glaube an die Finanzwirtschaft und nicht zuletzt ihre Lust daran, alles zu torpedieren, wo „Mehr Europa“ draufsteht, sind wesentlich für die Union.
Das sind, finde ich, vier gute Gründe, den Briten zuzurufen: Und tschüss.
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg schreibt:
„Es ist natürlich völlig richtig, wenn Barbara Klimke schreibt, ‚dass man sich einen Austritt Großbritanniens aus der EU nicht leichtfertig herbeiwünschen sollte‘. Aber leider entwickelt sich das UK immer mehr zu einem höchst unangenehmen Störfaktor innerhalb der EU. Großbritannien will der EU unbedingt seine eigene Version einer reinen Freihandelszone – ohne das Endziel einer politischen Integration Europas – aufzwingen. Das kann die Mehrzahl der übrigen EU-Mitglieder nicht akzeptieren.
Der kürzliche SZ-Beitrag von David Cameron läuft im Kern auf eine Rückabwicklung der EU in Richtung auf eine massive Stärkung der nationalstaatlichen Kompetenzen hinaus. Cameron argumentiert, dass die meisten Europäer nicht zur Europawahl gegangen seien und die Wahlbeteiligung somit in der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten zurückgegangen sei. Richtig ist, dass rechtspopulistische Parteigruppierungen im Straßburger Parlament künftig europaskeptische Töne anschlagen werden. Cameron sagt nicht, was er denn ganz konkret an Reformen in der EU für erforderlich hält. Was meint er denn, wenn er fordert, die EU solle offener, mehr nach außen orientiert , flexibler und wettbewerbsfähiger werden?
Cameron maßt sich letztlich ein Vetorecht in der Frage des künftigen EU-Kommissionspräsidenten an. Das können die übrigen EU-Mitglieder unmöglich akzeptieren. Im übrigen sind Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in allererster Linie Aufgabe der nationalen Volkswirtschaften. Diese Ziele liegen eben nicht in der unmittelbaren Kompetenz von Brüssel. London hat keineswegs sein altes Ziel aufgegeben, die EU lediglich als Freihandelszone zu betrachten. Man möchte jenseits des Ärmelkanals eine politische Integration Europas unbedingt blockieren.
Barbara Klimke liegt sicher richtig in der Annahme, daß bei einem Austritt des UK aus der EU der ganzen EU ein Umbruch riesiger Art bevorstünde. Das UK könnte aber – anstelle auszutreten – auch eine lockerere Form der Assoziierung an die EU wählen. Vielleicht wäre dies die Lösung, die offenbar viele Briten anstreben. Wenn es zu einem Austritt Schottlands aus dem UK im September diesen Jahres kommen sollte, werden sowieso die Karten völlig neu gemischt.“
Rudolf Grillmaier aus Homburg:
„Sätze wie der von Frau Barbara Klimke: ‚Sie (die Briten) sind die immer neuen Gesetze. Verordnungen, Regeln und Vorschriften leid, die Brüssel den Mitgliedstaaten aufbürdet (!)‘ sind nicht dazu angetan, die offensichtlich in Teilen der europäischen Bevölkerung vorhandene Europamüdigkeit zu beseitigen. Wäre der Satz inhaltlich richtig, müsste man ihn hinnehmen. Gerade aber in letzter Zeit wurde anhand der „Gurkenverordnung“ gezeigt, dass Unsinn nicht unbedingt auf dem Mist von regulierungswüdigen Beamten in Brüssel gewachsen sein muss, sondern dass ein Interessenverband dahinter stecken kann. Ich vermute, dass dies nicht gar so selten der Fall ist.
Außerdem: Wer ist denn Brüssel? Soviel ich weiß, sind das Beamte (welche die Arbeit machen, davon bin ich wirklich überzeugt) und Politiker (welche die Ideen geben oder geben sollten), die von den Regierungen der europäischen Mitgliedsstaaten nach Brüssel delegiert werden oder kraft Amtes Mitglieder der EU-Organe sind. Beamte sind weisungsgebunden. Warum machen die Regierungen, z.B. die von Herrn Cameron, nicht Gebrauch von ihrem Weisungsrecht und verhindern ,dass unsinnigen Gesetze, Verordnungen usw. usw. auf den Weg gebracht werden.
Ich will keinen Verdacht äußern, tu es aber dennoch: Vielleicht passt die sicherlich gewachsene Europamüdigkeit ganz gut ins politische Konzept der einen oder anderen Regierung. Sie lässt sich bestens als Erpressungsmittel bei denen, die Europa wollen, missbrauchen.
Ein weiterer von Frau Klimke angesprochener wichtiger Punkt. Sie führt aus, dass Herr Juncker so wie die Mitglieder der EVP eine immer engere Union befürworten. Die Briten wehren sich dagegen, sie wollen ein lockeres Bündnis souveräner Einzelstaaten. Für mich ist das die Entscheidung zwischen einem starken Europa und einem schwachen europäischen Kleingärtnerverein. Wenn das stärkere Europa nur mit dem Austritt der Briten aus der EU zu erreichen wäre, dann wäre für mich dieses das kleinere Übel. Ein Übel allerdings auf jeden Fall.“
Jean-Claude Juncker ist nicht zu beneiden. Dieser Mann, der sich nun wirklich schon um Europa verdient gemacht hat, ist allen möglichen Anfeindungen, nicht nur aus London, ausgesetzt. Besonders infam ist der Vorwurf, er gehöre den „alten Gesichtern„ Europas an und wirke inzwischen ermüdet. Angela Merkel, die deutsche Kanzlerin , ist am Verfall des Ansehens von Juncker nicht unbeteiligt. Man kann doch als CDU/CSU nicht Juncker zum Spitzenkandidaten der konservativen EVP küren und ihn dann im Europa-Wahlkampf überhaupt nicht auf den Plakaten in Deutschland erscheinen lassen. Angela Merkel hat nicht für das Straßburger Parlament kandidiert. Ihr Konterfei hatte auf den Plakaten nichts zu suchen!
Was mir vor allem höchst bedenklich erscheint: Da sind ein paar Wochen Fußball Grund für höchste Erregung, da wird von „Terror“ gesprochen, weil ein paar Magazine und Talkshows ausfallen – wenn es aber um Europa geht, herrscht auch im Bronski-Blog Dauer-Sende-Pause!
Mag sein, dass es gegenwärtig schwer ist, Konkretes zur EU-Entwicklung vorauszusehen: Ist das aber ein Grund für totale Abstinenz in Europa-Fragen? Wo bleiben die Ideen, Vorschläge, Forderungen, ja überhaupt nur das Interesse der Bronski-Blogger? Und wo man dies versucht, kommt man sich vor wie ein Pfarrer bei der Predigt vor gähnend leeren Kirchenbänken. Man vergleiche dazu auch die vergangenen Threads zu Europa.
Mag sein, dass die lähmende Europamüdigkeit einem Cameron „ins Konzept passt“. Vor allem aber gilt das für entschiedene EU-Feinde.
Dabei wäre die Situation für neue Ideen und deren Durchsetzung gar nicht so schlecht. Dazu darf man aber nicht auf die von diesen vorgegebene, auf bloße Denunziation angelegte „Brüssel“- und Gurkenkrümmungsdebatte hereinfallen. Und muss auch bereit sein, dicke Bretter zu bohren.
Die Entwicklung der Juncker-Debatte kann dies veranschaulichen: Denn in der Tat – da ist Bronski zuzustimmen – sind es „die meisten Regierungen der Mitgliedsländer“, allen voran die Großbritanniens, die eine Weiterentwicklung verhindern wollen. Und dennoch kann sich das EU-Parlament (allen voran Martin Schulz) es als Erfolg verbuchen, neue, demokratischere Regeln betr. die Wahl des Kommissionspräsidenten diesen gegenüber durchgesetzt zu haben.
Strategien eines „mehr Demokratie wagen“ auch auf europäischer Ebene setzen freilich auch die nüchterne Analyse deren Kritiker und Gegner voraus. Dazu mein folgender Beitrag.
Betr. Deine Anmoderation, lieber Bronski, zunächst eine Korrektur, die für Einschätzung der Situation durchaus von Bedeutung ist:
„Es läuft alles auf Jean-Claude Juncker hinaus, den früheren Regierungschef Luxemburgs, Spitzenkandidat der EVP, der auch die britischen Tories angehören.“
Das ist so nicht richtig. Die britischen Tories bilden seit 2009 eine eigene Fraktion, die EKR (Europäische Konservative und Reformisten). Diese, so der Politikwissenschaftler Dieter Plehwe, betreiben zwar keine „Fundamentalopposition gegen Europa“ wie die von UKIP und italienischer Lega Nord dominierte EFD (jetzt: EFFD: Europa der Freiheit und der direkten Demokratie), doch durchaus „partielle Desintegration“.
Der Kurs David Camerons, der ihn zu seiner Obstruktion gegen Juncker und in die Isolierung getrieben hat, ist offensichtlich dadurch bestimmt, dass er in doppelter Hinsicht ein Getriebener ist: Innenpolitisch durch die EU-feindliche UKIP, die ihn national bereits überrundet hat (24 Abgeordnete gegenüber nur 19 der Tories), darüber hinaus durch die noch radikaleren übrigen EU-Gegner, vor allem dem französischen Front National (von UKIP-Führer Nigel Farange als „rassistisch“ eingestuft). Allerdings sind Marine Le Pen und Geert Wilders gescheitert, u.a. durch Herausbrechen der italienischen Lega Nord oder der dänischen Volkspartei aus EFD bzw. EKR eine eigene Fraktion zu bilden.
Camerons Hoffnungen sind offenbar ganz darauf gerichtet, irgendwie doch wieder die Meinungsführerschaft der „EU-Kritiker“ zu erringen. Was das für Europa bedeutet, ist für ihn offenbar zweitrangig.
Solche Hoffnungen, so wieder aus der Isolation herauszufinden, könnten durchaus Nahrung finden:
Denn die EU-Gegner sind gegeneinander fast ebenso feindlich gesinnt wie gegen die EU, viele ihrer Positionen miteinander unvereinbar. So scheiterte Le Pens Absicht der Fraktionsbildung u.a. an der Forderung polnischer Nationalisten nach Einführung der Monarchie und Abschaffung des Frauenwahlrechts: Da wären selbst FN-Anhänger Kopf gestanden.
Wenn „Europamüdigkeit“ nicht nur Cameron sondern auch den noch radikaleren EU-Gegnern „ins Konzept passt“, dann gilt auch umgekehrt: Nichts könnte ihnen so das Konzept verhageln wie neues Interesse an Europa, durch das sie zur Konkretion gezwungen werden. Denn das Schüren von Vorurteilen begründet noch keine Politik. Die absurde Vorstellung im AfD-Programm eines Vetorechts für jedes Land und jeden EU-Bürger ist ein Beispiel dafür.
Für die Politik Camerons bedeutet das: Es ist deutlich zu machen, dass die britischen Tories dabei sind, den Karren total an die Wand zu fahren. In der EU z.B. dadurch, dass sie mit der Aufnahme der AfD in die EKR-Fraktion selbst eine Frau Merkel verprellt haben. Und bez. der britischen Austritts-Drohung hat er die Führerschaft längst verloren.
Was die (vermeintliche) „Weltoffenheit der Briten“ betrifft, neige ich eindeutig zu Bronskis Interpretation. Der von Barbara Klimke ins Feld geführte britische „Pragmatismus“ erscheint mir eher als ein Mythos. Die oben genannten Fakten (vor allem das Verhalten im Fall Juncker) sprechen eine andere Sprache. Aufschlussreich auch, dass
dieser „Pragmatismus“ vor allem von AfD-Anhängern immer wieder beschworen wird – allerdings ohne irgend einen konkreten Beleg dafür.
Was die britische Haltung zur EU betrifft, erscheinen mir zwei Umstände von Bedeutung:
Erstens sollte man nicht vergessen, dass nicht nur Deutsche sich mit Traumata ihrer Geschichte herumschlagen. Das spezifisch britische Trauma ist das des Verlusts eines Weltreichs. Ich könnte mir denken, dass, vor allem für Konservative, die EU als eine Art Ersatz für Commonwealth-Hegemonie erschien. Das würde z.B. Neigungen englischer (nicht irischer und schottischer!) Kollegen erklären, die ich in 9 Jahren Kooperation an der Europäischen Schule mehrfach beobachten konnte: Sonderrechte beanspruchen und Gremien dominieren (oder sich heraushalten bzw. boykottieren). Der ominöse „Pragmatismus“ erscheint mir eher als aus unverarbeiteten Weltmachtträumen erwachsendes bedingungsloses Durchsetzen von Interessen, eben auch mit Mitteln der Erpressung. Das musste auf Dauer schief gehen.
Der zweite wesentliche Unterschied zu anderen europäischen Ländern ist (überspitzt gesprochen) die Konzeption des „Casinokapitalismus“. Die radikalen Privatisierungsmaßnahmen der Thatcher-Ära, mit Vernachlässigung der Infrastruktur und Verfall der britischen Industrie, sowie die Verlagerung auf Spekulationsgeschäfte der „City of London“ lassen (aus britischer, vor allem ökonomisch bestimmter Sicht) vermutlich gar keine andere Möglichkeit mehr als hartnäckig um das britische „Veto“ zu kämpfen.
Diese Frage ist aber mit dem Lissabon-Vertrag entschieden. Und eine EU ohne nationales Vetorecht, die sich nicht ausschließlich zur Wahrung britischer ökonomischer Interessen gebrauchen lässt, ist somit aus britischer Sicht ohne Interesse.
Dies ist m.E. auch der Kern der Obstruktion gegen Juncker: Denn eine Rückabwicklung der EU ist mit diesem Kommissionspräsidenten nicht zu machen.
Bez. der Frage des möglichen britischen (eher: englischen) Ausscheidens aus der EU sollte wohl gelten: Reisende soll man nicht aufhalten. Eine „andere“ EU muss und wird es auf jeden Fall geben: ob mit oder ohne England. Und die Chancen für Reformen dürften ohne ständige Drohung der Erpressung eher besser stehen.
Ein Weg dürfte die weitere Stärkung der Kompetenzen des EU-Parlaments sein. Vielleicht stehen die Chancen dafür, wenn die Affäre Juncker erst mal ausgestanden ist, gar nicht so schlecht.
@Engelmann
Ich kann nur sagen, daß ich Ihre Beiträge gern und aufmerksam lese,
Mister Cameron, Sie sollten mal das Hirn einschalten, bevor Sie einen solchen Blödfug loslassen. Der Kandidat Juncker “zu europafreundlich”??? Das ist so, als werfe man einer Erzieherin vor, sie sei “zu kinderfreundlich”. Schade, dass es die EU-Verfassung nicht erlaubt, einen Mitgliedsstaat auszuschließen. Sollen die Briten doch selbst die Konsequenzen ziehen und vielleicht auch noch die Ungarn mit dem unsäglichen Rechtsaußen Orban. Allen anderen Ländern würden viele unnötige Querelen erspart bleiben.
Die Auseinandersetzungen über die Personalie Jean-Claude Juncker offenbaren, daß sich die EU generell in schwerem Wasser befindet. Es führt kein Weg daran vorbei, daß den Bevölkerungen der EU-Mitgliedsländer mehr unmittelbare Mitsprache eingeräumt wird. Dazu gehört der Mut, die Bevölkerungen zu befragen, ob sie einem Europa mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten den Vorzug gegenüber einem wirklich integrierten Europa geben. Ein „weiter so Wursteln“ wie bisher wird nur zu noch mehr Rechtspopulismus führen.
zu 1. Sigurd Schmidt
„Dieser Mann, der sich nun wirklich schon um Europa verdient gemacht hat,“
Worin bestehen seine Verdienste? Bitte erläutern Sie das. Zum besseren Vertständnis.
In der Euro-Zone befinden sich derzeit 18 Staaten. Jeder dieser Staaten besitzt – bildlich gesprochen – einen Motor (Wirtschaftskraft etc.), der ein Zahnrad antreibt, über das ein gemeinsamer Zahnriemen läuft.
So wird deutlich, dass es einer Synchronisation bedarf. Der gemeinsame Zahnriemen ist der Euro. Jetzt droht der Zahnriemen wegen fehlender Synchronisation zu reißen oder zumindest zu verschleißen. Die Euro-Krise ist noch nicht ausgestanden und kann jederzeit wieder aufleben.
Man hat zu Beginn der Euroeinführung bewusst und entgegen Expertenrat auf eine Synchronisation (vermutlich, weil viel zu mühsam) verzichtet. Euroeinführung um jeden Preis, der Rest ergibt sich von alleine. Das Pferd, das man satteln wollte, wurde von hinten aufgezäumt.
Wenn es schon in der Euro-Zone mit 18 Staaten knirscht, weshalb sollte es dann in der EU mit 28 Staaten besser laufen?
Ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten erscheint realistischer als ein utopischer Traum von den Vereinigten Staaten von Europa.
Cameron steht mit seiner Auffassung, eine immer engere Union müsse nicht auf alle Staaten zutreffen, nicht allein. Auch Schweden und Holland teilen u. a. diese Auffassung.
Bei der Europa-Wahl zählte die Stimme eines deutschen Wählers gerade einmal ein Sechstel der Stimme eines Zyprioten, oder anders formuliert: Sechs deutsche Stimmen entsprachen einer zypriotischen Stimme.
Offen gestanden erscheint das nicht gerade demokratisch und entspricht auch nicht einer Gleichbehandlung.
Dass sich in vielen Staaten Widerstand gegen die bisherige Politik formiert, sollte doch eher Anlass sein, über mögliche ernstzunehmende Gründe nachzudenken, als alle Europaseptiker bzw. Kritiker in einen Sack zu stecken und drauf zu hauen.
Cameron hat sicherlich nicht in allen Punkten recht, liegt aber auch nicht in allen Punkten falsch.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die auf die Eurozone ausgerichtete Politik von Anbeginn von nicht eingehaltenen Versprechungen und gebrochenen Vereinbarungen begleitet war.
Wie soll sich da Vertrauen einstellen?
Wenn Herr Juncker sinngemäß sagt: „Wenn es ernst wird, müssen wir lügen“ soll sich dann Vertrauen in einen Kommissionspräsidenten namens Juncker, der für eine immer engere Integration der Staaten und für eine Stärkung Brüsseler Kompetenzen steht, einstellen?
Ist zurzeit eine immer engere Integration der Staaten und eine Stärkung Brüsseler Kompetenzen wirklich der einzig richtige Weg?
Offensichtlich sehen das nicht wenige Wähler etwas anders.
Das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU würde – allen Querelen zum Trotz- kein Gewinn sein, sondern die Architektur der EU nachhaltig verändern. Die Südstaaten würden noch mehr Gewicht erhalten und Deutschland zu sich heranziehen. Mit der Folge abnehmender Wettbewerbsfähigkeit und nachlassender Wirtschaftsleistung in Deutschland.
Dann könnte man wieder mit dem Finger auf Deutschland zeigen und vom kranken Mann Europas sprechen.
Die Geschichte würde sich damit wiederholen. Deutschland wurde in den 90er Jahren als der kranke Mann Europas bezeichnet, diente als Sündenbock und wurde energisch aufgefordert zu gesunden.
Für die Südstaaten wäre das zurzeit ein gefundenes Fressen.
Ein Europa mit geringer Wettbewerbsfähigkeit wird es jedoch sehr schwer haben, im internationalen globalen Wirtschaftsgeschehen zu bestehen.
Ein Letztes: Cameron wusste sehr genau, dass er Juncker als Kommisionspräsidenten ohne Merkels Unterstützung nicht verhindern würde können, hat aber durch seinen offenen Widerstand in Brüssel in England gepunktet. Deshalb hat er eine offene Abstimmung auf dem Brüsseler Gipfel provoziert, um seine Prinzipientreue zu dokumentieren.