Im Leitentwurf der Linkspartei für ihren Parteitag zur Europawahl standen noch gewisse Reizworte, um die EU zu charakterisieren, Reizworte wie „militaristisch“, „neoliberal“ und „undemokratisches Konstrukt“. Im Wahlprogramm, wie es dann beschlossen wurde, fehlen solche plakativen Schlagworte. Die Linke gibt sich europakritisch, lehnt den Lissabon-Vertrag ab und will die EU nun von innen heraus verändern. Ihre EU-Kenner André Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann hat sie aber abgesägt. Kaufmann hatte ihren Parteifreunden vor dem Parteitag noch per FR-Interview eines mit auf den Weg gegeben: „Nein sagen reicht nicht“. Die Linke hat sich dies anscheinend zu Herzen genommen. Sie sagt nicht nein – sie sagt aber auch nicht ja (zu diesem Europa). So fordert sie unter anderem eine EU-Wirtschaftsregierung, um den unkontrollierten Markt abzuschaffen.
Thomas Gabler aus Berlin meint zu dem Text „Kein Platz für Europa-Freunde„:
„Eine unsinnige Darstellung, wer Freund und Feind Europas ist! Dass die EU-Ausgestaltung kein Europa der Bürger/-innen darstellt und der deutsche Staat dafür auch keine Sorge trägt, sehen wir nicht nur daran, wie die Rechte der Arbeitnehmer/-innen missachtet werden (Liquidierung deutscher Standards, aber keine Übernahme positiver Elemente der EU-Sozialcharta). So wird die Freizügigkeit der Bevölkerung selbst aus der alten EWG vielfältig hintertrieben: Im Frühjahr 2006 wurde die Berechtigung zum Arbeitslosengeld-II-Bezug für EU-Bürger/-innen eingeschränkt, darüber hinaus sind die Jobcenter-Angestellten völlig überfordert, das Freizügigkeitsgesetz der EU und die Richtlinie 2004/38/EG des Europa-Parlaments und des Rates anzuwenden und fabeln etwas von fünf Jahren Aufenthaltsdauer als allgemeiner Voraussetzung.“
Johannes Hauber aus Mannheim:
„Nach dem Interview mit Frau Kaufmann verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass die FR sich für sozialdemokratische Europapolitik stark macht. Gegenpositionen nicht zu beachten, ist journalistisch nicht besonders redlich. Unter der Flagge ‚Europafreund‘ segeln heute viele. Die entscheidende Frage ist: Wollen wir ein Europa der Unternehmer oder ein demokratisches friedliches Europa? Ich schreibe Ihnen dies nach über zehnjähriger Erfahrung als Vorsitzender des europäischen Betriebsrates eines großen Unternehmens, unser Eurobetriebsrat vertritt 30 000 Beschäftigte in 15 europäischen Ländern.
Frau Kaufmann gelingt es leider nicht, ihre politische Position auszudrücken, wenn sie sagt, ‚man macht es sich zu einfach, wenn man die supranationale EU als neoliberal ablehnt‘. Die europäische Verfassung, welche jetzt mit geringen Änderungen unter dem Namen ‚Lissaboner Abkommen‘ von den Regierungsvertretern abgesegnet wurde, hat in allen demokratischen Verfahren Niederlagen erlitten. Die herrschende neoliberale Politik soll Verfassungsrang erhalten. Sozial- und beschäftigungspolitische Ziele bleiben den wirtschaftspolitischen Zielen untergeordnet und unverbindlich geregelt. Die militärische Option, die „Sicherheit“ Europas weltweit, ‚auch am Hindukusch‘, zu erkämpfen erhält quasi Verfassungsrang. Grundsätzliche soziale und politische Rechte bleiben auf der Strecke, wenn es darum geht, die vier Freiheiten durchzusetzen: Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, freier Waren- und Personenverkehr.
Wen wundert es, wenn unter diesen Bedingungen der Europäische Gerichtshof nationale demokratische Rechte aushebelt? Diese vier Freiheiten sind nichts anderes als die Freiheit kapitalistischer Betätigung. Mit den Urteilen des EuGH zu Tariftreuegesetzen in Deutschland wird dem Lohndumping Tür und Tor geöffnet, zugunsten der Dienstleistungsfreiheit, und in Schweden wurde zugunsten des litauischen Bauunternehmens Laval ein Grundrecht ausgehebelt: das Streikrecht. Es wurde zugunsten der Dienstleistungsfreiheit geköpft. Ein Urteil ähnlicher Bedeutung erging auch zugunsten der finnischen Reederei Viking. Vertreter einer „Linken“, die diese Form der europäischen Einigung unterstützen, haben diesen Namen nicht verdient.
Leider gab es auch vom Europäischen Gewerkschaftsbund nur verhaltenen Protest, von politischen Aktivitäten gegen die höchstrichterlichen Entscheidungen gegen das Streikrecht ist mir nichts bekannt. Von der einmaligen Chance, nach dem offensichtlichen Desaster der neoliberalen Ideologie in der aktuellen Wirtschaftskrise das gesamte Lissaboner Abkommen in den Orkus zu befördern, sind die sozialdemokratisch gelähmten europäischen Gewerkschaften leider weit entfernt.
Wenn die europäische Linke die demokratische und soziale Einigung Europas zum Ziel hat, muss sie sich für ein Europa der Menschen einsetzen, gegen ein Europa, das von Kapitalinteressen dominiert wird. Dafür muss sich die „Linke“, wenn nötig, auch personell neu aufstellen.“
Olaf Götze aus Münster:
„Die Position der Linken zur Europapolitik ist vor allem ein Ergebnis der Politik der regierenden Parteien. Statt Europa sozial, demokratisch und friedlich zu gestalten und damit zu stärken, setzen sie konsequent auf militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen. Dabei verlassen sie den Weg eines geeinten Europas, das den meisten Menschen vorschwebt.“
Dietmar Reitz aus Bous:
„Ich kann mich an einen Artikel aus einer englischen Zeitung vom Frühjahr 1999 erinnern, der deutsche Titel: ‚Der gefährlichste Mann Europas‘. Dieser so genannte gefährliche Mann hat mit seinen damaligen Warnungen recht behalten, es kam wie es kommen musste, wenn man Anarchie hat, Anarchie der globalen (Finanz-) Märkte. Einige Wochen später trat dieser Mann zurück. Wie dieser Mann heißt? Oskar Lafontaine. Totgesagte leben eben doch meist am längsten.
Europa muss sein, aber ein Europa der Demokraten, nicht der Bürokraten. Und so manch einer macht es sich leider in Brüssel/Straßburg als Abgeordneter sehr gemütlich. Im Übrigen scheint die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Bundesverfassungsgericht Teile des Lissabon-Vertrags für grundgesetzwidrig hält. Was dies bedeutet, darüber kann die FR dann mal einen Leitartikel schreiben, sicher wird das Thema die Wahlen bestimmen.“
Wir haben doch schon das Problem, das in unserer Parteien-Demokratie eine Minderheit über eine Mehrheit bestimmt, und sich anmaßt, qua Amtes Entscheidungen zu treffen, für welche sie nicht gewählt wurden. Nur ein Beispiel: Die MWST.-Erhöhung nach der letzen Wahl. Die Möglichkeit von Volksabstimmungen, welche sehr wohl in den Länder-Verfassungen, auch in Hessen, vorgesehen sind, wird negiert. Auf alle Länder, welche diese – noch – vorsehen, wenn es um z.B. die Lissabon-Verträge geht, wird mit dümmsten Argumenten „europafeindlich“, „populistisch“ etc. eingeprügelt, ohne die Bedenken ernst zu nehmen. Jeder, der Bedenken äußert, so auch in der Linkspartei, gilt somit automatisch als Anti-Europäer. Zu befürchten ist jetzt, das bei einer Wahlbeteiligung um die 30% bei der nächsten Europa-Wahl die Eurokraten trotz allem über unsere Köpfe hinweg uns bestimmen, hin zu einem militarisierten, Industrie-freundlichen und Sozial-Standards abbauenden Europa-Monster. Daher ist es gut, wenn die Linkspartei keine Wischi-Waschi-Politiker in Brüssel haben will – ich auch nicht. Die Schweizer haben Recht mit ihrer Euro-Skepsis, die nicht nur aus der Hut der Steuerhinterzieher-Möglichkeiten besteht: sie haben die Möglichkeit von Volksentscheiden, die bei einer EU-Mitgliedschaft ins Abseits geriete.
War es nicht immer die Minderheit die die Richtung bestimmt hat.
Mal gewählt mal mit Gewalt.
Uneinigkeit und Angst sind für Minderheiten die sich einig sind sehr ver“führer“isch.
Wie gern würden die Großen Parteien das Programm der Linken übernehmen,aber wie, ohne Gesichtsverlust.
Für die Anregung der Volksabstimmung wirst Du lieber Wolfgang Fladung noch in diesem Blog Prügel bekommen,hab ich auch schon gehabt:-)
Im übrigen ist es auch kein Wunder wenn Europa vor die Hunde geht.
Die Leute haben ja keine Zeit zu arbeiten,weil sie sieben Achtel ihres Lebens auf Meldeämter,Polizeistationen usw vergeuden.Der Fortschritt ist also unaufhaltsam,wenn er von der Bürokratie ausgeht.
Fazit: gegen Sturm und Wellen konnte er kämpfen,mit harten Fäusten und Fahnen,aber gegen Paragraphen ,Bleistifte und Papier war er machtlos.
Eventuelle Lösung:
den betriebsinternen Tabukatalogen den Respekt verweigern 😉
Demokratie, so wurde es mir einst in der Schule beigebracht, heißt Herrschaft des Volkes. Wenn aber die Linke Volksabstimmungen will, wird das stets mit dem abwertenden Wort Populismus bedacht. Auch Bronski reiht sich in diese Argumentation ein (s.o.). Wer hier antieuropäisch ist kann gut beobachtet werden an der Tatsache, dass nach drei Volksabstimmungen über die EU-Verfassung (Luxemburg hat mehrheitlich zugestimmt, die Niederlande stimmten dagegen, in Frankreich wurde auch nein gesagt) abgestimmt. Nachdem durch die Mehrheit in zwei Ländern bekundet wurde, dass die Menschen dort die EU-Verfassung nicht so haben wollten wie vorgeschlagen, wurde die einfach umbenannt in Lissabonner Vertrag. So beschlossen es die Regierungschefs und ihre nationalen Parlamente. Dann lehnten die Iren in einer Volksabstimmung den Lissabonner Vertrag ab. Alles schreit Zeter und Mordio. Nun soll wahrscheinlich in Irland so lange abgestimmt werden, bis die nötige Mehrheit vorhanden ist. Nennt sich so was denn Demokratie oder was? Welche Schlussfolgerungen zogen die Regierigen aus dieser Niederlage? Anstatt die Völker darüber in demokratischer Abstimmung über die EU entscheiden zu lassen, änderten sie den Titel. Also wollten die Regierigen das Volk nicht beteiligen. Die Regierungschefs der EU-Länder wollen nicht wie die Linke ein Europa der Völker, die sich zu EU bekennen, sondern ein Europa der Regierungen. Da fällt mir immer wieder der Spontispruch ein: Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten. Ein Beispiel wie agiert wird: Die Dienstleistungsrichtlinie war weder in der Bundesrepublik noch in Frankreich im Parlament durchsetzbar. Die wurde dann von der EU-Kommission beschlossen. Nur die starke Opposition aus Gewerkschaften und Linken verhinderte im EU-Parlament, dass die Dienstleistungsrichtlinie so beschlossen wurde, wie die EU-Kommission sie beschlossen hatte. Die meisten Beschlüsse aber werden ojne weiteres vom EU-Parlament durchgewunken. Wenn dabei dann aber herauskommt, dass das fehlerhaft war, wird argumentiert, das sei ja EU-Recht, da könne die Bundesregierung nichts dran ändern. Soviel zur Ehlichkeit der Regierigen und die Berichterstattung über die oppositionelle Haltung der Linken.
Herr Rous, bitte verwechseln Sie nicht Anarchie mit Faschismus. So wie Finanzmärkte heute funktionieren können sie ausschliesslich als Einfallstor im Sinne jener Ideologie verstanden werden.
@Werner Thiele-Schlesier:
Ob des Spontispruches, der im Übrigen von Tucholsky stammt, sei es möglicherweise Wiederholung zu bemerken, dass es dann vllt an der Zeit sei endlich Wahlen zu verbieten. Irgendwas änderte sich dann mit Sicherheit.
Zur EU-Wirtschaftsregierung. Was die Linke damit beabsichtigt ist mir augenblicklich nicht ersichtlich. Nötig ist ein EU-Wirtschaftspolizei, spezialisiert darauf den Gesetzen ihre Gültigkeit wiederzugeben. Andernfalls ist die Frage danach, ob der Lissabonvertrag grundgesetzwidrig ist obsolet.
Was hier noch nicht diskutiert wird, kann ich Ihnen ja vorhersagen: Entweder Kommunismus oder Barbarei. Die Vorstufe der Barbarei haten wir schon in den tausend Jahren. Wir sind wieder einen guten Schritt weitergekommen in diese Richtung. Die Schwächeren werden es wieder ausbaden müssen.
WTS, ich lese Ihre Kommentare fast alle und lese sie gerne.
Aber, wollen sie das wirklich so ausdrücken ?
Die V o r s t u f e hatten wir im „Tausendjährigen“ und j e t z t sind wir einen guten Schritt weitergekommen ?
Übertreibungen machen zwar anschaulich; aber es schlummert darin auch die Gefahr des Unglaubwürdigwerdens.