Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bei einer Rede vor dem EU-Parlament eine EU-Armee befürwortet und sich damit hinter einen Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron gestellt. Es ist das erste Mal, dass Merkel einen substanziellen Vorschlag für eine echte Weiterentwicklung der Europäischen Union gemacht hat. Sie ist ansonsten nicht gerade als Visionärin bekannt. Eine solche EU-Armee ist vermutlich relativ leicht umsetzbar und bietet sich damit als Schritt für eine Vertiefung der europäischen Integration an, denn keiner der EU-Staaten, davon kann man wohl ausgehen, will gegen andere EU-Staaten Krieg führen. Zudem gibt es bereits militärische Strukturen, die als Keimzelle einer solchen Armee dienen können. Der Vorschlag ist also recht und billig.
Doch wozu brauchen wir eine solche Armee? Als Ergänzung zur Nato? Das ist Unsinn. Zur Bekräftigung, damit alle Welt sieht, dass die EU wehrhaft ist? Aber die EU ist in erster Linie ein Handels- und Wirtschaftsprojekt. Die lange Friedensphase, die sie Europa beschert hat, wurde ermöglicht, weil Handel und Wirtschaft die Nationen des Staatenbundes miteinander verbinden. Wer miteinander Handel treibt, führt keine Kriege gegeneinander. Eben dieser Gedanke macht einen großen Teil der Strahlkraft der EU aus. Was soll da eine Armee? Als Reaktion auf die verunsichernden Entwicklungen rings um uns herum? Auf den überall erstarkenden Nationalismus? In Russland betreibt Wladimir Putin sein Projekt des „Neuen Russland“ und stärkt damit Nationalismus. In den USA ruft Präsident Donald Trump mit dem Ruf „America first!“ die Nationalisten hinter ihren Öfen hervor. Die Türkei verfolgt unter ihrem Herrscher Recep Tayyip Erdoğan eine klar nationalistische Politik, die auch das nahe Ausland als legitime Einflusssphäre begreift.
Das sind beunruhigende Entwicklungen, die wohl als Reaktion auf eine zügellose Globalisierung zu deuten sind, aber ist eine EU-Armee die richtige Antwort? Zumal es solche Nationalisten auch innerhalb die EU gibt. In Polen, Ungarn und Italien sind sie bereits an der Regierung und verfolgen ihre spalterische Agenda. Auf diese Probleme und auf diese Entwicklungen sollten Angela Merkel und Emmanule Macron Antworten zu finden versuchen: Wohin will die EU? Die Debatte über eine europäische Armee ist dagegen wohlfeil. Sie tut niemandem weh, sie spricht keines der drängenden Probleme der Union an. Sie ist übeflüssig.
Leserbriefe
Bernhard Trautvetter aus Essen meint:
„Frau Merkel bricht mit ihrem Einsatz für eine EU-Armee den Vertrag zur Vereinigung Deutschlands, in dem unser Land sich darauf verpflichtet, auf eine europäische Friedensordnung hinzuwirken, die die Sicherheitsinteressen aller Staaten unter Einschluss der damaligen Sowjetunion, heute Russland, berücksichtigt und in Verhandlungen regelt.
Macron und unsere Kanzlerin gefährden das Leben in Europa, wenn – wie Macron es begründete – die Stoßrichtung gegen Russland zielt: Im Gebiet, in dem diese Armee kämpfen müsste, befinden sich teils sehr große Atomkraftwerke. Gegen das, was da passieren kann, war Tschernobyl ein Sturm im Wasserglas. Die EU sollte den Auftrag des Friedensnobelpreises ernst nehmen und Europas Einigkeit in einer gemeinsamen Sozialpolitik und in einer humanen Flüchtlingspolitik im Leben erfüllen.“
Otfried Schrot aus Ronnenberg:
„Gegen wen soll diese Armee Krieg führen? Und vor allen Dingen: Weshalb? Gegen China, gegen Russland, gegen die USA? Besser nicht, denn die haben alle Atombomben. Nur eine stümperhafte europäische Diplomatie würde Europa in einen solchen Krieg führen! Wenn wir mit einer europäischen Armee der Welt „nur etwas zeigen wollen“, dann ist das ein bisschen wenig. Wir sollten einen triftigeren Grund haben. Wollen wir nicht erst mal den „europäischen Überbau“ fertigstellen, bestehend aus der Klärung der Frage, ob das Vereinigte Europa ein Staatenbund oder ein Bundesstaat sein soll, der Schöpfung einer präzisen europäischen Verfassung, die über das Provisorium „Vertrag von Maastricht“ hinausgeht, der Wahl eines europäischen Regierungschefs durch das europäische Parlament, der Ernennung eine europäischen Kabinettes durch den gewählten Europäischen Regierungschef?
Eine europäische Armee, die gleichzeitig Mitglied der Nato ist, ist blanker Unsinn! Dann würde ein „europäischer Heerführer“ von Brüssel aus an dieser Armee zerren und ein „amerikanischer Heerführer“ vom Pentagon aus! Zwei Pferde vor einer Kutsche, die in verschiedene Richtungen ziehen – unmöglich!
Frage des Leserbriefschreibers: Wollen wir für den Rest der Weltgeschichte Kriege vorbereiten und führen, nur weil die Aktionäre der Rüstungsindustrie das so wollen, oder wollen wir – endlich – das der Welt 1945 gegebene Versprechen einlösen und das Tor zu einem helleren Zeitalter der Weltgeschichte öffnen? Möge der Kanzlerin diese Frage bei der Auseinandersetzung mit ihren Träumen von einer europäischen Armee als Wegweiser dienen! Möge sie bedenken, dass der Einsatz eines halben Dutzends Atombomben durch einen Choleriker, der sein Temperament nicht zügeln kann, das Ende der Weltgeschichte bedeuten könnte – es sei denn, wir entfernen zuvor die „Methode Krieg“ aus den Umgangsformen der Menschheit!“
Rainer Dittrich aus Bergisch Gladbach:
„Gestern noch bürgerliches Trauer- und Gedenkspektakel zum Ersten Weltkrieg, heute schon – Achtung, „Vision“! – der Ruf nach einer europäischen Kriegs- und Interventions-, pardon: „Friedensarmee“ mit nuklearem Rückhalt. Passt doch! Übrigens: Helden- und Totenehrungen und der Trost für die Hinterbliebenen sind selbstverständlich auch dieses Mal bereits mitgebucht.“
Immerhin wurde im EU-Vertrag von Lissabon das Töten zur Niederschlagung von Aufständen innerhalb der EU gerechtfertigt. Möglicherweise zielt eine europäische Armee ja in diese Richtung.
In der heutigen Printausgabe erscheint auf der Leserbriefseite die passende Überschrift: „Gegen wen soll diese Armee uns verteidigen?“
Es ist doch wirklich ein totaler Widerspruch und, wäre es nicht so traurig, fast schon ein Witz, dass am gestrigen Volkstrauertag auf allen Ebenen vom Bundestag bis in die kleinsten Gemeinden der Kriegstoten gedacht wird, und gleichzeitig für eine europäische Armee geworben wird, und dass der Bundestag dem Wunsch eines Irren jenseits des Atlantik nach einer zweiprozentigen Aufrüstung nachkommt, ohne dass hierzu auch nur der geringste Anlass besteht.
Wollte Putin uns tatsächlich angreifen, hätte er längst entsprechende Möglichkeiten und vor allem auch Anlässe hierzu gehabt.
Wenn unsere Politiker ihr Gerede von Frieden ehrlich meinen würden, müssten sie
– die Nato auflösen,
– ihre Aufrüstungspläne endlich aufgeben,
– ernsthafte Verhandlungen über Atomwaffenabrüstungen führen,
– die Unterstützung autoritärer Regime (z.B. Türkei, Ukraine, Saudi Arabien etc.) einstellen,
– die Waffenexporte verbieten und Verbote auch strikt überwachen,
– unsinnige Projekte („Trendwende Personal“)in der Bundeswehr, die auch vom Bundesrechnungshof moniert wurden, sofort unterbinden. Es mutet sich schon wie ein Karnevalsscherz an, dass die Bundeswehr nicht einmal ihre Sprengmittelbestände kennt.
Hier müsste unverzüglich der Verteidigungsausschuss aktiv werden. Stattdessen werden über 19 Mio. Euro für ein widersinniges Panzermuseum bewilligt. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, dass Flintenuschi ungestraft und ohne jegliche Kritik aus der Koalition Skandale am laufenden Band (z.B. zuletzt Beraterverträge) produziert.
Es ist traurig und widerspricht allen programmatischen Aussagen der SPD, wenn bei der Abstimmung über die Aufrüstung um zuzügliche fünf Milliarden Euro (!) aus der SPD-Fraktion nur zwei Abgeordnete dagegen gestimmt und zwei sich enthalten haben und ausgerechnet deren Generalsekretär eine Erhöhung der Gelder für das Panzermuseum druchgesetzt hat.
Die Bevölkerung Europas und ihre Regierungen und Parlamente haben es bisher nicht geschafft, ein soziales und nach außen und innen friedliches Europa zu schaffen und deshalb versuchen sie es jetzt wohl mit einer neuen Überlegung: Europäische Armee! Diese Armee soll weder der parlamentarischen Kontrolle unterliegen wie Herr Spahn erklärt hat und sie hat auch keinen Verteidigungsauftrag. Den hat ja bisher – wenigstens auf dem Papier – immer noch die Bundeswehr. Sicher, man kann durch juristische Tricks den Angriffs- und damit den sogenannten Verteidigungsfall entwickeln wie zum Beispiel in Afgahnistan. Was jetzt aber in der Diskussion steht, ist eine Interventionsarmee, die weltweite Einsätze – natürlich wie immer als Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten – führen soll. Friedenspolitik mit Waffen?
Neulich las ich den Satz des französischen Philosophen Gabriel Marcel: Weil die Toten schweigen, beginnt alles wieder von vorn. Wir alle wollen nicht einsehen, dass Militär nicht für Frieden sorgen kann.
Da sieht man mal was aus dem Gründungsgeist eines vereinten Europa geworden ist. Und Macron vorneweg. Und das nach der gemeinsamen Trauer-Feier zu 1918!
Die Bevölkerung Europas und ihre Regierungen und Parlamente haben es bisher nicht geschafft, ein soziales und nach außen und innen friedliches Europa zu schaffen, und deshalb versuchen sie es jetzt wohl mit einer neuen Überlegung: Europäische Armee!
Diese Armee soll weder der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, wie Herr Spahn erklärt hat, und sie hat auch keinen Verteidigungsauftrag. Den hat ja bisher – wenigstens auf dem Papier – immer noch die Bundeswehr. Sicher, man kann durch juristische Tricks den Angriffs- und damit den sogenannten Verteidigungsfall entwickeln wie zum Beispiel in Afghanistan. Was jetzt aber in der Diskussion steht, ist eine Interventionsarmee, die weltweite Einsätze – natürlich wie immer als Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten – führen soll. Friedenspolitik mit Waffen?
Neulich las ich den Satz des französischen Philosophen Gabriel Marcel: Weil die Toten schweigen, beginnt alles wieder von vorn.
Wir alle wollen nicht einsehen, dass Militär nicht für Frieden sorgen kann.
So wie ich Merkels und Macrons Vorstoß verstanden habe, ist er eine Antwort auf die Äußerung des amerikanischen Präsidenten, die Nato sei obsolet. Und nicht nur die USA sind kein verlässliches Mitglied in der Nato mehr, sondern auch Erdogans derzeitige militärische Aktionen lassen das Vertauen in die Bündnistreue der Türkei schwinden. Deshalb wäre eine engere militärische Zusammenarbeit der EU durchaus eine denkbare Alternative zur Nato.
Dass vonseiten eines Russland unter Putin Gefahr drohe, mag für manche Westdeutsche absurd erscheinen. Die Bewohner des ehemaligen Ostblocks werden das aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Sowjetunion etwas anders sehen. Vor allem die baltischen Staaten fürchten Putins Selbstverständnis als „Beschützer“ aller auch in den Nachbarstaaten angesiedelten Russen meiner Ansicht nach zu Recht. Welche Gefahren da drohen können, hat doch die Annexion der Krim und Putins Mitmischen in der Ostukraine deutlich genug gezeigt.
Ach ja, die Krim (die auch jetzt noch bei Russland bleiben will, weil die Ukraine sie vernachlässigt hat) muss schon wieder herhalten, alle anderen Invasionen der Amerikaner oder die Eingriffe der Briten scheinen nicht zu zählen.
Und was ist mit den Raketen stationierungen in Polen, den ständigen Manövern in den osteuropäischen Ländern? Ganz zu schweigen von der abredewidrigen Osterweiterung der Nato, da muss sich selbst ein Putin bedroht fühlen.
Abgesehen davon hat Russland inzwischen die Größe, die es Mitte des 19. Jahrhunderts hatte.
@ Peter Boettel
Ich erinnere mich nicht daran, dass ein Natopartner seit Bestehen dieses Bündnisses Russland angegriffen hätte. Und dass das auch nicht passieren wird, solange russische Truppen nicht auf Natoterritorium einmarschieren, weiß Putin so gut wie Sie.
Warum wollten sich denn so viele ehemalige Ostblockstaaten unter den Schutzschirm der Nato begeben? Haben Sie die Rolle, die die sowjetischen Panzer bei der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 und bei der Zerstörung der Reformbewegung des „Prager Frühlings“ 1968 gespielt haben, ganz vergessen?
(…)
(…): Passage gelöscht.
Gruß, Bronski
In seinem Leserbrief schreibt Alfred Kastner: „Außer wohlfeilen Äußerungen bekommen die Staats- und Regierungschefs kaum noch etwas von Reichweite zustande“. So treffend diese Feststellung im Kontext mit einer Weiterentwicklung der EU als Gegenmodell zu den leider bei einem Teil der Bevölkerung wieder favorisierten Nationalstaaten auch sein mag; im Hinblick auf die erneut in die Diskussion gebrachte europäische Armee wäre ich sehr froh, wenn es bei reinen Äußerungen bliebe und eine solche Armee nie zustande käme. Denn angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Probleme von Millionen Europäern ist eine eigene Armee so ziemlich das Letzte, was die EU braucht.
Ein paar Zahlen: 2017 betrugen die Weltrüstungsausgaben lt. SIPRI 1 739 000 000 000 US-Dollar; der Anteil der Nato-Staaten daran belief sich auf rund 52 Prozent, gegenüber China 13, Saudi-Arabien 4 oder Russland 3,8 Prozent. Deutschland steigerte seinen Rüstungsetat von 24 300 000 000 (1999) auf 38 500 000 000 Euro (2018). Für 2019 hat der Bundestag jüngst eine erneute Steigerung um über 12 Prozent auf 43 230 000 000 Euro beschlossen. Auf dem Weg zu der irrsinnigen, selbst auferlegten Zwei-Prozent-Vorgabe (Anteil am Bruttosozialprodukt) sollen bis 2024 in Deutschland etwa 60 Milliarden (= 1,5 Prozent) und danach bis zu 85 Milliarden Euro (= 2 Prozent) für Waffen, Rüstung und Militär aufgewendet werden. Was bei den Rüstungskonzernen die Sektkorken knallen lässt, hat allerdings die Kehrseite, dass diese wahnwitzige Ressourcenverschwendung für dringend benötigte Zukunftsinvestitionen wie z. B. die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, Pflege, mehr soziale Gerechtigkeit und Bildung, für Integration, eine Wende in der Energie- und Verkehrspolitik, für Armutsbekämpfung und andere globale Probleme nicht mehr zur Verfügung stehen. Dabei ist längst erwiesen, dass Militär und Krieg keine Probleme zu lösen imstande ist.
Wir brauchen daher nicht mehr Militär, mehr Waffen und Aufrüstung, sondern eine Auflösung militärischer Strukturen zugunsten von international anerkannten Institutionen einer zivil-präventiven Konfliktlösung! Dazu könnte die EU als „Friedensprojekt“ mal einen richtig positiven Beitrag leisten.
Der hier allseits vertretene Pazifismus in Ehren: Wenn die Westmächte vor 80 Jahren rechtzeitig eingeriffen hätten, statt ihre Appeasementpolitik zu betreiben, wären Europa Millionen von Toten erspart geblieben. Ganz ohne Militär geht es eben nicht.
Pazifismus nicht nur in Ehren, sondern in allen Ehren!
@ Brigitte Ernst und @ all
„Ganz ohne Militär geht es eben nicht.“ Doch, muss es geben, wenn wir als Menschheit überleben wollen. Der Globus hat so viele Probleme, die wir nur in Zusammenarbeit mit allen Staaten dieser Welt gemeinsam lösen können. Wenn wir unsere eigenen Lebensgrundlagen nicht zerstören wollen , dann müssen wir diese kleinlichen nationalen Denkmuster überwinden, Das schaffen wir nur, wenn endlich alle einsehen, dass wir nur diesen einen Planeten haben, auf dem wir leben können. Und dass wir alle, vor allem unsere Kinder und deren Kinder einer menschlichen Katastrophe ausgesetzt sind. Die Lösung liegt ganz sicher nicht im militärischem Bereich. Wir schwimmen alle im großen Schiff mit der Frage: Wie retten wir uns?
@ I.Werner
„Der Globus hat so viele Probleme, die wir nur in Zusammenarbeit mit allen Staaten dieser Welt gemeinsam lösen können.“ Darin stimme ich Ihnen zu. Wenn aber freiheitliche Demokratien einseitig auf das Militär verzichten, wird es kaum dazu führen, dass „kleinliche nationale Denkmuster“ überwinden werden.
Kriminalität vrschwindet auch nicht durch die Entwafnung der Polizei.
@ I.Werner
„Kleinliche nationale Denkmuster“
Über die geht eine europäische Armee doch gerade hinaus!
„Das schaffen wir nur, wenn endlich alle einsehen, dass wir nur den einen Planeten haben, auf dem wir leben können.“
Das Problem ist nur, dass wir wahrscheinlich bis zum Sankt Nimmerleinstag warten können, bis der letzte potenzielle Hitler/Bin Laden/IS-Kämpfer das eingesehen hat. Und die müssen, wo auch immer die auftreten, zu bremsen sein. Und wenn’s nicht anders geht, auch mit Waffen.