Rhön-Konzern: Nicht nur den Griechen bringen „Reformen“ unfrohe Einsichten

Die bundesweit einzige privatisierte Universitätsklinik Gießen-Marburg, schreibt FR-Autorin Jutta Rippegather in ihrem Artikel „Kampfansage an Arztpraxen„, wirft zu wenig Profit ab. Deshalb will der Rhön-Konzern die Aufgaben der niedergelassenen Ärzte in der Region rund um Marburg übernehmen. Dies geht aus einem internen Protokoll des Aktienkonzerns vom 18. März hervor, das der Frankfurter Rundschau vorliegt. „Die weitere Existenz von Marburg wird nur in der Schaffung ambulanter Strukturen gesehen“, wird darin Josef A. Werner zitiert, Ärztlicher Direktor des Standorts. Ziel sei, „die ambulante Flächenversorgung weitgehend zu übernehmen oder mindestens zu steuern“.

Ferner kommentiert Jutta Rippegather:

Der langjährige Hausarzt um die Ecke ist abgeschafft: Was für ein beängstigendes Szenario! Alles Utopie, Quatsch, Panikmache? Von wegen. Erst im März hatte Rhön-Aufsichtsratschef Eugen Münch bei einem Kongress dafür plädiert, das System der wohnortnahen Versorgung grundsätzlich zu überdenken. Der Hausarzt vor Ort sei eine Verschwendung von Ressourcen, sagte der Manager. Sein Gegenmodell ist eine hochtechnisierte Behandlung. Die Diagnose liefert ein leistungsstarker Computertomograf, der mit einem Ganzkörperscan sämtliche Daten erfasst. Die sprechende Medizin, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient – das alles kommt in seinem Modell nicht vor. So eine Entmenschlichung wäre für jeden Kranken eine Katastrophe. Ärzteschaft und Politik müssen diesen Generalangriff auf unser Gesundheitswesen stoppen.

Dietmut Thilenius aus Bad Soden meint:

Mit dem Verkauf von Kliniken an den Rhönkonzern haben Städte und das Land die Kranken in den unersättlichen Rachen von Ausbeutern abgegeben, die sich im Prinzip wie die Schlepperbanden an der nordafrikanischen Küste verhalten. „Win-win“.Jetzt will dieser Konzern den Hausarzt abschaffen, um sich gewinnbringende Untersuchungstechnik anzueignen.Mit meiner verantwortlich geführten internistischen, hausärzlichen Praxis (von 1966-1996) war ich geschätzt bei meinen Patienten, kostengünstig für die Krankenkassen, aber ein „Verschwendung von Ressourcen“ für das Konto des Rhönkonzerns. Wie können Menschen nur so bekloppt sien, sich von diesem Konzern schnappen zu lassen?

Michael Lenz aus Gießen:

Von einer derartigen Entwicklung kann ich nur abraten. Haben die Landes- und Kommunal- Politiker und sonstige Entscheidungsgremien noch nicht genug aus den Jahren mit „Rhönklinikum“ gelernt?
Das Rhönklinikum hat die Behandlung der Patienten als „Fall“ perfektioniert. Menschen spielen dort, häufig genug keine Rolle mehr. Menschliche Zuwendung ist nicht existent. Es wird nach Untersuchungsergebnissen und Unterlagen geurteilt. Die Ergebnisse sind sowohl für die Patienten als Einzelnen, als auch die Allgemeinheit absehbar. Der Patient braucht viel Geduld, Zivilcourage und hoffentlich Jemanden an seiner Seite der ihn unterstützt. Die Allgemeinheit darf den höheren Ertrag der Anleger des „Rhönklinikums“ bezahlen. Sowohl direkt durch die Krankenkassen und Patienten, als auch mit den Folgekosten, weil es den Patienten zu einem zu großen Anteil nicht besser geht.
Wenn ich mich recht erinnere hat die FR vor kurzem einen Artikel veröffentlicht, dass das „Rhönklinikum“ im vergangenen Jahr einen recht positiven Gewinn erzielt hat. Aber wie es scheint ist das den Anteilseignern nicht genug. Das Rezept anstatt vernünftig zu wirtschaften, mehr aus den Patienten zu pressen ist doch einfacher.
Ich (57) wohne schon über 10 Jahre wieder in Gießen und meine Familie kommt von hier. Sowohl ich als auch meine Familie, haben in den letzten Jahren reichlich Erfahrungen mit dem Rhön- Klinikum in Form der Universitätskliniken Gießen und Marburg sammeln dürfen. Der größte Teil davon ist nicht positiv, nicht nur weil Krankheit an sich belastend ist. Ich selbst sollte letzten September, nach einer Tumor- OP am Kopf (in Erlangen), in Marburg einer Strahlentherapie unterzogen werden. Hierzu war ein Planungs- CT notwendig. Erst beim dritten Versuch ein solches zu erstellen, war ein Arzt im Raum der feststellte: Mit einer Hutgröße von 61 passe ich nicht in die Geräte! Den MTA’s die vorher mit mir beschäftigt waren, war dies nicht aufgefallen. Alle hatten ihre jeweilige Aufgabe erledigt, aber keiner hatte das Ganze gesehen.
Ich kann verstehen wenn niedergelassene Ärzte nachts oder an Wochenenden lieber frei haben. Aber für die Kranken ist dies keine Verbesserung.

Georg Neemann aus Villeneuve s. Lot (F):

Jetzt kommt es ans Licht: der Rhön-Konzern beabsichtigt, „die ambulante Flächenversorgung weitgehend zu übernehmen oder mindestens zu steuern“. Und Frau Rippegather empört sich, daß auf diese Weise der Beruf des freien Arztes abgeschafft wird und die Profitgier der Anleger über das Schicksal der Patienten entscheidet. Genau aber das war die Absicht der SPD in Person der damaligen Ministerin U. Schmidt, als die Medizin den Regularien des Kapitalmarktes öffnete, während ihr Chef G. Schröder den Arbeitsmarkt „reformierte“ mit der Folge, daß derzeit ein Viertel der deutschen Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben muß. Als die Pläne U. Schmidts bekannt wurden, kam umgehend massive Kritik aus der Ärzteschaft, deren Argumente dann in bewährter Manier und unter beifälligem Grinsen der Politiker von der Journaille – auch der FR – niederkartätscht wurden.
Wenn dann die „Ewig-Gestrigen“ (d.h. die freien Ärzte) „unter Vermeidung von Konsensstrategien“ endlich eliminiert sind, kann man sich leicht diese schöne kapitalgesteuerte Medizin vorstellen: wenn beispielsweise ein kranker Mensch mit Beinschmerzen in ein Rhön-MVZ kommt, landet er dann je nach Betten- oder Ertragslage in einer Rhön-Klinik bei den Internisten (Abtlg. Rheumatologie) oder, wenn er Pech hat, in der Chirurgie zwecks Amputation.
Und damit das auch reibungslos läuft, hat Minister Gröhe (CDU) nachjustiert: so sollen rund 25000 „überflüssige“ Arztsitze von den KVen (also vom Geld der Ärzteschaft) aufgekauft werden, während gleichzeitig kapitalbetriebene MVZ jederzeit neu gegründet werden können. Bis dato stieg die Zahl der angestellten Ärzte im ambulanten Bereich von 5397 im Jahre 1993 auf 26307 im Jahre 2013 (Deutsches Ärzteblatt). Man erkennt die Tendenz.
Wir sehen: nicht nur den Griechen bringen „Reformen“ unfrohe Einsichten.

Werner Neuhauß aus Bad Homburg:

Ich finde, dass Sie die möglicherweise kommenden Ambulanzen in Krankenhäusern zu schlecht machen und die klassische Arztpraxis zu sehr idealisieren. Vor ca. 1 Jahr war ich in Berlin. Wegen eines plötzlich auftauchenden Gesundheitsproblems verwies mich mein Hotel an die Ambulanz der Charité. Dort wurde ich schnell und ohne große Bürokratie behandelt und bekam sogar einen kurzen schriftlichen Bericht mit, den ich meinem behandelnden Arzt am Wohnort übergeben sollte. Ich fand das geradezu vorbildlich. Vor diesem Hintergrund stehe ich solchen Ambulanzen sehr aufgeschlossen gegenüber.

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5 Kommentare zu “Rhön-Konzern: Nicht nur den Griechen bringen „Reformen“ unfrohe Einsichten

  1. Die Mängel des ambulanten Versorgungssystems, das sich in der Woche (mit Ausnahme der Nächte selbstredend) auf die niedergelassene Ärzteschaft, an den Wochenenden auf die Ärzte im Angestelltenverhältnis stützt (angestellt an Krankenhäusern wohlgemerkt), sind seid Jahrzehnten sattsam bekannt.

    Zarte Versuche, die strenge Aufteilung der Zuständigkeiten von niedergelassenem und Krankenhaussystem zu durchbrechen, gibt es. Sie reichen nur bei weitem nicht aus.

    Nun kommt ein Krankenhauskonzern und stößt hinein in eine schwer Reform-vernachlässigte Landschaft des medizinischen Systems. Er konterkariert mit eigenem Gewinnstreben das, was das Fundament dieses Systems immer gewesen ist. Nämlich das Gewinnstreben der niedergelassenen Ärzteschaft, gepaart mit der Duldsamkeit und Kritikunfähigkeit seitens der Patientenschaft.

    Vielleicht macht nun der Rhön-Konzern möglich, was bislang so gut wie undenkbar schien. Nämlich durch seinen Vorstoß eine Reform des ambulanten Systems einzuleiten, die dem öffentlichen Versorgungsauftrag durch eine Kooperation aller Teilnehmer an der medizinischen Versorgung Rechnung trägt und gleichzeitig einer Privatisierung des Systems einen wirksamen Riegel vorschiebt.

  2. Anscheinend ist die Gesundheitspolitik auch kein Thema, wo es sich lohnt, seine Empörung auf Transparenten zu entrollen. Obwohl es doch sowohl aus rechter wie aus linker Sicht reichlich an Empörungspotential besitzt.

    Interessant der Titel, der nahelegt, daß Reformen „unfroh“ machen können. Dabei ist die Reform, die Bedenklichkeit der Umstände im Visier, die das Wort Reform nahelegen, eigentlich ein Grund zur Hoffnung, wenn nicht gar zum Frohsinn.

    Was hat Griechenland mit unserer bundesdeutschen Gesundheitspolitik zu tun ? Es ist eine mich unfroh stimmende Parallele, die sich da aufdrängt. In Griechenland bestätigt sich mein hier früher geäußerter Pessimismus (und zwar noch düsterer, als eh schon gedacht). Das Land wird von Abenteurern regiert, für die die Staatspleite willkommener ist, als ein paar Reformen einzuleiten. In der deutschen Gesundheitspolitik werden die uralten Märchen von Effizienz und Leistungsgerechtigkeit erzählt, und das deutsche Publikum nutzt lieber die Möglichkeiten der medizinischen Internetinformation, daß der deutsche Patient mit den Ärzten auf Augenhöhe umgehen darf, und alles sei damit nun in Ordnung. Surrogatdenken hier, Surrogatdenken in Griechenland. Sich in die Tasche lügen, bis die superkalte Dusche kommt, das Phänomen ist virulent hüben wie drüben.

    Solange noch der Selbstbetrug funktioniert, solange darf man auf trügerischem Grund froh sein. Bis dann das bittere Erwachen kommt. Und die Erkenntnis, daß es die Ablehnung von Reform ist, was in Wahrheit unfroh macht.

  3. „Reform“ klingt halt immer gut, geht aber auch nicht immer zum Wohl des oder der „Reformierten“ aus.
    Da fällt mir auch noch (a) die sog. „Rechtschreib-Reform“, (b) die „Reform-Pädagogik“ mit der Odenwald-Schule ein.

    „Gut gemeint“ und „Gut gemacht“, das sind nicht nur manchmal Antagonisten.

  4. @Sehr geehrter Herr Rudolphi (#3),

    ich bewundere und genieße Ihre so häufigen Ausflüge in die Welt des Unverbindlichen. Geht es gelegentlich auch mal anders ?

    Mit freundlichem Zuspruch, Ihr V. Grebe

  5. Im Augenblick nur so viel, verehrter V.Grebe:

    Ein Zitat vom 17. März 2015 7:30 aus dem Thread: „Ganz schöner Käse!“

    *** Da habe ich aber noch etwas für Sie:
    3 Zitate, denen ich selber aber zu 100% zustimme:
    Woran erkennen Sie einen guten Therapeuten?
    „Fordert er mich, ohne mich zu überfordern?“
    Wann sollte man über einen Wechsel seines Therapeuten nachdenken?
    „Wenn nach vier bis fünf Wochen intensiver Therapie noch keine Besserung eingetreten ist, dann sollte die Wahl der Psychotherapie überdacht werden.“
    http://www.stern.de/gesundheit/interview-viele-therapeuten-sind-nicht-auf-der-hoehe-538048.html
    Was kann eine gute Psychotherapie erreichen? Wann ist eine Therapie erfolgreich?
    „Letztendlich bestimmt jeder selbst, welche Ziele er sich wählt. Im Laufe der Therapie sollten Sie sich selbst besser kennenlernen, verstehen und in Richtung auf Ihr Ziel hin verändern.“
    https://psychotherapeuten.palverlag.de/psychotherapie.html ***

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