Der Sieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen war so nicht vorgesehen und sicher auch nicht eingeplant worden – nicht von den Israelis oder den Europäern und gewiss auch nicht von den USA. Selbst viele Palästinenser, die Hamas gewählt hatten, zeigten sich überrascht: Sie hätten den Regierenden lediglich einen Denkzettel verpassen, sie aber nicht abwählen wollen. Die FR berichtete darüber in mehreren Beiträgen unserer Korrespondentin Inge Günther aus Tel Aviv (Der Hamas-Schock, Die Hamas und vorab: Frisch rasiert zur Wahl in Gaza) sowie in nachrichtlichen Artikeln auf Basis der Meldungen von Nachrichtenagenturen (USA und EU warnen Wahlsieger Hamas). – Das Thema hat zahlreiche Leser zu Mails an die FR angeregt.

Halil Massadou aus Jena schreibt:

„Das haben wir gerne: Der Westen radikalisiert die islamische Welt (und auch die im Westen lebenden Muslime) , indem er vorbehaltlos den israelischen Terror in Palästina stützt und im Irak inzwischen auch die amerikanische Besatzungsrolle durch entsprechende UN-Resolutionen legitimiert und beklagt sich dann über das radikalisierte Wahlverhalten in der islamischen Welt. Ein doppeltes Doppelspiel. Viel ist immer von Frieden und nie von Gerechtigkeit die Rede. Frieden ohne Gerechtigkeit wird aber immer ein frommer Wunsch bleiben. Außer westlichen Journalisten vermag einen Friedens- (und keinen Gerechtigkeits-) -Prozess ohnehin niemand mehr zu erkennen.

Während des Ölboykotts versprach Kissinger, die Israelis zum Rückzug aus den besetzten Gebieten zu bewegen. Die Saudis beendeten den Boykott. Nichts geschah. Während des ersten Golfkrieges wurde die Unterstützung der islamischen Welt erkauft mit dem Versprechen von Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten. Nichts geschah. Ein Deja-vu gab es vor dem letzten Golfkrieg. Wenn der böse Saddam weg ist, gibt es Frieden und Gerechtigkeit in Palästina. Dies versprach nicht nur Bush, sondern auch seine getreuen Vasallen Blair und Sharon. Nun sind Iran und Syrien schuld am mangelnden Frieden. Der mundgeruch der Lüge haftet aber der westlichen Nahostpolitk an. Die Araber sind zu häufig vom Westen zu gunsten Israels betrogen worden, als dass sie dem Westen jemals wieder trauen werden.“

Peter Freudenthal aus Hamburg schreibt:

„Es verwundert, wie der Sieg der Hamas kommentiert wird: Die Palästinenser wurden sowohl während des sogen. Oslo-Prozesses als auch nach der Vereinbarung der „Road Map“ nach allen Regeln der Kunst betrogen: Während man ihnen Wohlverhalten und Reformen abverlangte, bauten die Israelis weiter massiv ihre Siedlungen aus. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage in den Autonomiegebieten wurde dagegen immer prekärer – und das war nicht ausschliesslich die eigene Schuld der Palästinenser! (…) Die Palästinenser sollen demokratisch wählen, aber bitteschön nur Politiker, die mit Israel kollaborieren.

Wer jetzt argumentiert, mit der Hamas könne man nicht verhandeln, der vergisst, dass Israel auch mit der Fatah und Arafat nicht verhandelt hat. Und darüberhinaus, dass Israel alles getan hat, um die Hamas groß zu machen. Die Vorstellung, die Hamas sei in den Flüchtlingslagern erträglich, nicht jedoch in der offiziellen Politik, lässt außer acht, dass bei Fortführung der westlichen Politik bald nur noch die Flüchtlingslager für die Palästinenser übrig bleiben. Dann muss man nur noch die gütigst gewährten Gelder sperren.“

Weiterhin Ralf Richter aus Dresden:

„Die halbe Wahrheit im Kasten: Hamas ist verantwortlich für Selbstmordattentate und will Israel nicht anerkennen – das ist die Interpretation der Hamas durch das offizielle Israel, Amerika und die EU. Und genau das ist Hamas eben nicht für Millionen Palästinenser. Hamas heißt für sie in erster Linie Suppenküchen, soziale Unterstützung, Schulen und vor allen Dingen auch Disziplin und Ordnung – wovon die Fatah mit ihren Anhängern inzwischen weit entfernt ist. Außerdem heißt Hamas auch nicht „tunesische Dominanz“, sondern Leute aus der eigenen Region an der Spitze. Ginge es nach dem offiziellen Israel und der US-Regierung müssten alle Araber ihre Waffen abgeben, damit man sie noch ungestörter schikanieren, vertreiben, töten und ausbeuten kann. Mit dem Aggressor-Staat Israel ist kein Frieden möglich – mit einem Israel, dass dem Rassismus abschwört und sich mit den Arabern auf den gleichberechtigten Zugang zu allen Ressourcen wie Trinkwasser geeinigt hat, wird es auch keine Auseinandersetzungen geben. Natürlich gehört dazu, dass Israel abrüstet, sich aus den widerrechtlich besetzten Gebieten zurück zieht, den Staatsterror gegen die Nachbarstaaten beendet und seine Atomwaffen verschrottet, die es gemeinsam mit dem Apartheid-Staat Südafrika seinerzeit entwickelt und getestet hat – von einem vehementen Widerstand Europas und der USA gegen diese unerhörte Entwicklung von Massenvernichtungswaffen (…) hatte seinerzeit seltsamerweise niemand Einwände im Westen.“

Urs Schmidlin aus Basel merkt an:

„Dennoch hat es laut Avi Primor, Ex-Botschafter von Israel in Deutschland, seit August 2004 keinen Hamas-gesteuerten Anschlag in Israel gegeben. ‚Die Hamas hat Wort gehalten. Die Frage ist, ob sie das weiterhin tun wird‘, sagt Primor der FR. Diese Angaben sind falsch.“

In der Folge listet Urs Schmidlin 16 Selbstmordattentate seit 30. September 2004 auf, an denen die Hamas beteiligt gewesen sein soll. Die Liste kann bei mir angefordert werden: bronski@fr-aktuell.de. Ich veröffentliche sie hier nicht, weil Urs Schmidlin keine Quelle angegeben hat, aus der er diese Informationen bezogen hat.

Jürgen Schulz aus Buchholz dagegen meint:

„Diese Wahl ist ein Fortschritt für Palästina. Nur in der Verantwortung kann sich die Hamas ändern. So wie sich die jüdischen Untergrundorganisationen damals zu demokratischen Parteien entwickelten, wird es auch die Hamas tun müssen. Die Sperrung der Finanzmittel durch das Ausland wird den Vorgang noch beschleunigen. Sicherlich eine Zerreißprobe für die Hamas, aber es gibt für sie keinen anderen Weg. „

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6 Kommentare zu “Der Hamas-Schock

  1. @Das Heilige Land; es gab mal ein Buch mit dem Titel:
    „Und die Bibel hat doch Recht“; Die Bibel nur ein „Geschichtsbuch“?

  2. Hey, wer immer nach Demokratie im nahen Osten gebrüllt hat, der muss sich jetzt mit dem Ergebnis der Wahl auseinander setzen! Klarerweise schreien jetzt die Flachz…. sorry Vertreter des rechten Glaubens nach einer Einstellung der Finanzhilfen für die Palästinenser. Aber denken diese Leute auch daran, wohin das führt? Das Geld kriegt die Hamas auch woanders her…

  3. Die Verantwortung, die die HAmas übernommen hat ist groß. Allerdings heißt das auch, dass der Westen eine Änderung seiner Einstellung vornehmen muss. Über die Jahre hinweg wurden Versprechen gebrochen und immer nur darüber debattiert wie schlimm die Selbstmordattentate sind. Das weise nicht von der Hand. Aber sind die Reaktionen nicht mindestens genauso schlimm. Eine legitimierte Regierung gibt den Befehl Menschen umzubringen, Häuser dem Erdboden gleich zu machen und Menschen daran hindert zur Arbeit zu gehen. Hier kann man auch von Terror sprechen. Mit dem Unterschied das all diese Taten in den Augen vieler gerechtfertigt sind. Die Vergangenheit sollte uns lehren, dass nur die Wahrheit Gerechtigkeit bringen kann. Dann wird sich auch einiges in den Köpfen der Radikalen ändern müssen. Der Zustimmung aus der Bevölkerung würde sonst abnehmen. Welche Verantwortung hat Israel? Welchen ehrlichen Versuch haben sie unternommen, um die Situation zu verbessern. Ich kann mich an viele Versuche erinnern, aber es gab immer wieder Ereignisse, die dazu geführt haben einen Schritt zurück zu gehen.
    Dass die Wahl ein Erfolg seien kann, hängt davon ab wie der Westen und Israel den Wahlausgang bewerten. Und sich gegenüber einer demokratisch gewählten Gruppierung verhalten. Jeder sollte seine Standpunkte überdenken und der neuen Situation entsprechend anpassen. Das gilt natürlich auch für die Hamas

  4. Die Hamas ist demokratisch gewählt worden und u.a. Deutschland hat das Wahlergebnis offiziell anerkannt.
    Israel hat angekündigt, Hamas-Politiker aus dem Gaza-Streifen nicht zum Parlament reisen zu lassen.
    Mir stellt sich jetzt die Frage, welche der beiden Seiten sich weniger demokratisch verhält. Die Hamas (die ich hier nicht loben will, denn ich finde die Methoten des Terrors schlimm) wohl eher nicht.

    Auch wenn ich bedenke, dass Israel „vom Westen“ geradezu einen Persilschein hat, lediglich aufgrund der Tatsache, dass unter Hitler ein unvorstellbar grausamer Holocaust stattgefunden hat, bin ich geneigt, das seltsam zu finden.
    Ich will heir nicht die Existenz Israels in Frage stellen und schon garnicht mit dem Holocaust aufwiegen, aber das Verhalten, das Israel an den Tag legt, ist ebenso wenig tolerierbar, wie das des Palestinensischen Terrors. Die Ungerechtigkeit durch den Persilschein, die Position des Westens zugunsten Israels verstärkt die Unruhe und führt nicht zu einer Lösung des Problems.

    Ein wenig Vernunft, etwas mehr Gerechtigkeitssinn und kein auf der (unzweifelhaft schlimmen) Vergangenheit beruhender Persilschein für Israel – das wären die ersten Impulse zur Stabilisierung der Lage. Und Sharon hat mit dem Rückzug aus einigen Siedlungen, am Ende (wahrscheinlich) seines Lebens doch noch die Kehre vom Hardliner geschafft.

    Hevenu Shalom Alechem
    Ich wünsche Freiden euch allen!

    F. Schink,
    Clausthal

  5. Keine Frage: nicht „der (palästinensische) Terror“ muß als erstes enden, sondern die israelische Besatzung, die bekanntlich im Westjordanland seit 1967 besteht. Trotz aller UN-Resolutionen.
    Diese Besatzung ist nicht nur absolut widerrechtlich, sie ist auch in höchstem Maße menschenverachtend, wie es einem Kulturvolk, wie es die Juden schon immer waren, einfach nicht geziemt.
    Wer jedoch als Europäer oder Deutscher oder als Merkel das nicht erkennt sondern nur schön einseitig und blind bleibt, sorgt dafür, daß das Unrecht sich fortsetzt. Bis zum jüngsten Tag.
    Israel übt eine Herrschaft der Gesetzlosigkeit aus – und fühlt sich dabei nicht nur wohl, sondern auch „im Recht“: mit immer wieder geäußerter Zustimmung der westlichen „Demokraten“.
    Jedes unterdrückte Volk ist berechtigt, sich gegen seine Unterdrücker zu wehren – mit allen verfügbaren Mitteln. Da Palästina nichts an Militärkraft hat, was dem hochgerüsteten Staat Israel gefährlich werden kann, bleibt nun wirklich nicht viel, um der Besatzungsmacht den einen oder anderen Nadelstich zu versetzen. Alles andere, jahrzehntelang geübt, hat zu nichts geführt. Nicht zum kleinsten Fortschritt.
    Wann also endet die westliche Heuchelei? Und: was soll das Gegrummel gegen Hamas, das doch eine israelisch geförderte Einrichtung ist, initiiert, um der PLO/Arafat Probleme zu machen? Jetzt haben die Palästinenser die korrupte PLO abgewählt, schon kommt der Westen mit neuen Forderungen und Verurteilungen: „Ihr habt aber nicht richtig gewählt!“
    Wie blamabel.

  6. @Herbert Steffes: Wow – auf den Punkt gebracht!
    Dem Westen sollte mal endlich bewusst werden, was eigentlich Sache ist… Alle Palästinenser bspw. als Terroristen abzustempeln ist wahrlich nicht die Grundlage für eine gerechte Zielfindung – der Westen macht es sich da sehr einfach und betrachtet die Gegenseite nicht… Wer schaut denn den Israelis genau auf die Finger? Sind denn Übergriffe auf Unschuldige, die im Namen des israelischen Militärs geführt werden, nur deswegen legal? Oder handelt es sich nicht um Terrorismus, wenn kleine Kinder und Frauen durch konventionellen Waffen getötet werden? Ach ja, sorry – sind ja nur Kollateralschäden. Die meisten Menschen kennen die Gegenseite nicht, da sie durch die Medien verschwiegen wird..

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