Warum ist es in Deutschland eigentlich nicht möglich, mal sachlich über die Wehrpflicht zu reden? Sobald das Thema aufkommt, zucken alle Politiker zurück, egal ob bei Union oder SPD. Dabei macht der SPD-Politiker Rainer Arnold recht vernünftige Vorschläge für eine Reform der Wehrpflicht. Doch prompt schallt es aus der CDU zurück: „Die Wehrpflicht ist ein Zukunftsmodell“. Das dem nicht so ist, schreibt FR-Leser Ulrich Findele aus Bremen:
„Vielen Dank für den großen Bericht zur Wehrpflicht. Schade aber, dass Sie nicht energischer die Irreführungen des Verteidigungsministeriums kritisieren. Schon die Rede von der Wehrpflichtarmee ist ein Witz. Von den 250.000 Soldaten werden gerade mal 30.000 zwangsweise einberufen und dienen neun Monate. Alle anderen sind Freiwillige als Zeitsoldaten oder Berufssoldaten auf Lebenszeit.
Die Bundeswehr braucht jedes Jahr 20-25.000 neue Freiwillige. Die Annahmestellen für Freiwillige stellen aber nur 10.000 ein. Die Fehlenden sollen dann unter den Wehrdienstleistenden angeworben werden. So entsteht das Problem mit der Wehrgerechtigkeit. Von den 440.000 jungen Männern eines Jahrgangs braucht die Bundeswehr höchstens 75.000. Zunächst werden nicht alle gemustert, sondern 80.000 stillschweigend übergangen. Sie sind jahrelang im Ungewissen, ob sie gemustert und einberufen werden. Das ist fatal für jegliche Berufs- und Lebensplanung. Die nächste Manipulation passiert bei den Musterungen. Über 45 Jahre lang und in allen vergleichbaren Staaten werden ca. 10 Prozent als nicht wehrdienstfähig eingestuft. Das Verteidigungsministerium hat aber angeordnet, 40 Prozent untauglich zu mustern.
Allgemeine Wehrpflicht mit solchen Manipulationen? Da lachen die Hühner.“
Die Frage sollte und darf nicht sein: „Wehrpflichtarmee ja oder nein?“, sondern das Thema muß heißen „(Wehrdienst)Gerechtigkeit“, wahlweise „Abschaffung des Militärs“
Die politischen Gründe für eine, wenn schon Armee, dann Wehrpflichtarmee sind seit Gründung der Bundeswehr vorhanden und nicht widerlegt. Die Verselbstständigung einer Profi-Armee im demokratischen Staat ist abzulehnen.
Die Tatsache, dass (Stand 1999) z.B. im Pflegedienst ca. 12.000 Männer (= 3% des gesamten Personals im Pflegedienst) tätig waren (Vergleich: knapp 10% Wehrplichtige in der Bundeswehr), dies aber länger und damit die eigenen Ausbildung länger hemmend, weist vielmehr darauf hin, dass, wenn schon denn schon, ein allgemeiner dem Wehrdienst in jeder Hinsicht gleichgestellter sozialer Dienst für ALLE eingeführt werden müsste, bzw. die bestehenden Dienste mindestens entsprechend in Länge und Bezahlung angepasst werden müssten.
Wahlweise stünde immer noch die Abschaffung der Armee als Alternative zur Verfügung. Gespartes Geld wäre für Investitionen in Bildung, Sozialwesen, etc. frei.
Das wär`s wirklich!
Apropos „Dienst für alle“: Man darf nicht vergessen, dass die bisherige Wehrpflicht eben gerade nicht allgemein ist, sondern grundgesetzwidrig ein Geschlecht benachteiligt (vgl. Artikel 3 GG).
@ 2 Robert;
ich will die angef. auslegung des GG nicht in frage stellen, aber ob es als benachteiligung der frauen angesehen werden sollte, dass sie nicht unter die „allgemeine wehrpflicht“ fallen, wage ich doch zu bezweifeln. jedoch ist es sicher heute noch nicht gängige praxis, dass von den freiwillig dienenden frauen schon welche bis an die spitze unserer parlamentsarmee bundeswehr vorgedrungen sind. hier könnte man sicher berechtigt die frage nach der gleichberechtigung oder gleichstellung der geschlechter stellen.
aber die ganze problematik wird man ja zukünftig wohl so lösen, dass quasi niemand mehr „gezogen“ wird, der sich nicht auch schon vorher freiwillig gemeldet hat.
Und wie steht es mit der Benachteiligung aller deutschen Männer durch die Wehrpflicht? Das fängt bereits mit der Erfassung an und zieht sich über die Musterung bis hin zum Dienst: Viel Zeitaufwand, der unnötige Brüche in der Biografie verursacht.
Die Wehrpflicht gehört m. E. in Gänze abgeschafft. Zumindest derzeit existiert sie real ohnehin nicht. Eine Komplettabschaffung der Bundeswehr in Deutschland, wie unter Nr. 1 gefordert, unterstütze ich duchaus, halte sie aber aufgrund von langfristigen Natoverpflichtungen für nicht realistisch. Eine Verselbständigung eines Berufsheeres ist nur eine theoretische Gefahr. Die Erfahrungen der Länder, die ein Berufsheer betreiben (Großbritanniern, z. Zt. USA, um nur zwei Beispiele zu nennen), zeigen dies. Aufgrund der Neuausrichtung der Bundeswehr auf internationale Konflikte sind Wehrpflichtige kaum noch verwendungsfähig, sie haben dort schlicht nichts zu suchen. Warum die SPD dieses Problem nicht angegangen ist, als sie noch zusammen mit den Grünen an den Hebeln der Macht saß, bleibt zu fragen. Es ist ohnehin zu befürchten, dass dieses Thema sogar ohne den schmerzerfüllten Aufschrei der Institutionen, die Wehrdienstverweigerer als „billige Arbeitssklaven“ für unversichtbar halten, schnell wieder in der Versenkung verschwinden wird. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.