Weichgequirltes Wortgewaber

Norbert Bolz, Professor am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin, sieht alle heute im Bundestag vertretenen Parteien als sozialdemokratisch an. „Die deutsche Sozialdemokratie hat alles verwirklicht, was am Sozialismus vernünftig war. Das Jahrhundertexperiment des Sozialismus ist gescheitert, und gleichzeitig sind alle seine vernünftigen Forderungen vom Kapitalismus selbst erfüllt worden“, schreibt er in seinem Gastbeitrag im Rahmen der FR-Serie „Soziale Frage“. Weiter: „Dass wir es heute, am Ende der Geschichte des Wohlfahrtsstaates, mit oft grotesken Wucherungen des Sozialen zu tun haben, hat aber nicht nur politische Gründe. Die ‚linke‘ Entmündigungspolitik, die ihre Wähler durch Sozialtransfers ködert, kann nämlich nur durch die sentimentale Begleitmusik der Massenmedien die nötige Gefühlsstütze bekommen.“ Gefühlsstütze leisten nicht nur die Massenmedien, sondern auch FR-Leser. So meint Michael Strake aus Hütschenhausen: 

„In der Reihe ‚Die soziale Frage‘ gelingt es Norbert Bolz in einem vierspaltigen Artikel, kein einziges Mal die Worte ‚Arme‘ oder ‚Marginalisierte‘ oder ‚an den Rand Gedrängte‘ zu verwenden. Der Begriff ‚Ausbeutung‘ erscheint nur in einem Zusammenhang, den Bolz als ‚kompletten Unsinn‘ bezeichnet. Mit diesem leichtfertigen Übergehen der tatsächlichen Probleme entlarvt sich Bolz selbst. Der verbalen Schaumschlägerei von Bolz im erdenfernen Spekulationsraum halte ich (und hoffentlich viele andere auch) das Leitwort von misereor entgegen: ‚Die Armen zuerst!‘
Wenn auch etwas holzhammermäßig,so doch völlig zutreffend ist der ironische Bild-Kommentar der FR zum Bolz-Artikel: Ein Foto eines Prunkzimmers aus dem 18. Jahrhundert mit einem Bolz-Zitat als Unterschrift: „Groteske Wucherungen des Sozialen“. Wenn ich Herr Bolz wäre, würde ich zuerst ganz heftig schlucken ob solcher Frechheit, dann aber in mich gehen.“

Carsten Ernst aus Frankfurt:

„‚Groteske Wucherungen des Sozialen‘? Stimmt, es ist grotesk wenn die Mehrheit die Folgen einer Finanzkrise zahlt, die sie nicht verursacht hat. Eigentlich wäre es sozial, wenn die Verursacher mit ihrem Vermögen dafür haften würden. Zum Beispiel auch Leute wie Bolz oder Sloterdijk, die den Kapitalismus mit seinen absehbaren Krisen philosophisch zu legitimieren trachten. Diese intellektuellen (und vom Staat bezahlten) Vorfeldinstitutionen des Kapitals heizen mit ihrem Geschwurbel das Meinungsklima an, in der die Entfesselung der Märkte mit den bekannten Folgen blüht. Gegen die Überhitzung empfiehlt Norbert Bolz konsequenterweise die Temperatur des Sozialstaats zu senken.Das war ohnehin schon lange der Trend und wird es auch bleiben.
So müssen ‚erfolgreiche, leistungsbereite und wachstumsorientierte Menschen‘ wie Bolz auch in Zukunft nicht damit rechnen müssen, für ihr Reden zur Verantwortung gezogen zu werden. Ihnen bleibt nur die Zumutung, einmal im Jahr sich mit ihrem Steuerberater treffen zu müssen und sich arm rechnen zu lassen.“

Prof. Rudolf Mester:

„Welch ein wunderbar weichgequirltes Wortgewaber, mit dem Norbert Bolz den Leser da einzuwickeln versucht! Hier trifft man unter den Apologeten der braven neuen Welt der Leistungsträger, Bonus-Optimierer und Sozialstaatsfeinde zumindest einmal jemanden, der Worte zu setzen versteht. Welch ein angenehmer Kontrapunkt zu deutsch und englisch stammelnden Politikern in hohen und höchsten Ämtern in diesem Lande!
Wäre es zuviel verlangt, wenn uns Herr Bolz auch noch etwas mitzuteilen hätte? Wie erhebend wäre es, wenn seine schöne Worte auch mit einem Argument unterfüttert wären, wie erfrischend, wenn Bolz den Gesetzen der Logik folgend vermitteln könnte, warum die edelste Aufgabe des Staates darin bestehen sollte, die Gewinner des gegenwärtigen Wirtschaftsschaffens, die Hazardeure an den internationalen Finanzplätzen, und eben die schlechten Unternehmer zu schützen, denen nichts besseres einfällt, als durch Lohndrückerei und ‚Freisetzung‘ äußerst kurzfristige Gewinn-Strohfeuer zu entfachen. Und so argumentiert Bolz munter für einen starken Staat, den er als Bollwerk der Privilegierten gegen die Ansprüche der Massen „da unten“ verstanden wissen möchte.
Bei aller Freude an sprachlichem Können: Es ist bedenklich, dass in diesen Zeiten von Leuten wie Bolz mit schönen Worten offen die Axt an die Demokratie, an christliche und humanistische Grundwerte, mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auch an zentrale Pfeiler unserer Zivilisation also, gelegt werden darf, und die Medien (allein innerhalb knapp einer Woche schon ‚Anne Will‘ und FR) es wohl ‚cool‘ finden, eine solche Verdummung im Gewande schöner Worte auch noch zu veröffentlichen.“

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3 Kommentare zu “Weichgequirltes Wortgewaber

  1. Der Bolz ist doch nur der terminus technicus für ein neu eingeführtes Hohlmaß zur Messung von Intellektualität: Ein Bolz entspricht demnach einem Giga-Liter mentalen Hohlraums …

  2. „Bismarcks Sozialgesetzgebung“ — meint Herr Bolz auch, daß Bismarck das Reich mit Sozialgesetzen beschenkt hatte? Übrigens, würde die FR einen Wettbewerb für den besten klärenden Aufsatz über die 40 fetten Jahre des Wirtschaftswunders ausschreiben und auch etwas davon publizieren und zur Debatte stellen?!

  3. „Bismarcks Sozialgesetzgebeung“
    Es ist wie mit dem gleichnamigen Hering:
    Dem einen schmeckt er ,dem anderen ist er zu sauer 🙁

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