Ein gutes neues Jahr Ihnen allen! Wir beginnen es mit einem Thema zum Anlass, mit der Böllerei an Silvester, die zunehmend in der Kritik steht. Man muss vielleicht wirklich mal in Frankfurt dabei gewesen sein, wenn sich die Massen am Main versammeln und ihre Raketen zünden. Dieses Jahr war das nicht ganz so einfach, denn in Frankfurt gab es Sicherheitszonen, wo die Knallerei bis auf Kleinkaliber wie Knallfrösche praktisch nicht möglich war. Trotzdem wurden auch diesmal wieder Feuerwehrleute und Polizisten mit Böllern angegriffen.
Aber wenn man mal erlebt hat, wie dieser Rauch über der Stadt entsteht, dieser Brandgeruch, und sich dabei klarmacht, dass dieser Nebel, den man dann ja auch irgendwann einatmet, vermutlich giftige Stoffe und auf jeden Fall hohe Konzentrationen von Feinstaub enthält, dann sollte man wohl nachdenklich werden.
Ich selbst habe den Silvesterabend mit Mann und Freunden im elften Stock verbracht und dort auch das Feuerwerk über Offenbach verfolgt. Es ist durchaus schön anzusehen, und zwischendurch, wenn da unten auf der Straße mal wieder jemand eine Raketenbatterie angezündet hatte, aus der die Geschosse dann in schneller Folge in den Himmel stiegen, hatten die Druckwellen der Explosionen fast etwas von Bassboostern in der Disco. Laut war’s auch. 130 Millionen Euro sollen die Deutschen nach vorläufigen Schätzungen diesmal in die Luft gefeuert haben. Sonderbarerweise scheinen vor allem Menschen mit relativ geringem Einkommen zu sein, die viel Geld ins Feuerwerk gesteckt haben. In Offenbach jedenfalls, wo es viele arme Menschen gibt, wurde auf Hölle komm raus geknallt. Auch wenn’s möglicherweise Spaß macht – ökologisch gesehen ist das der allergrößte Unfug.
Also verbieten? Oder Steuern auf die Knallkörper, um sie zu verteuern? Welche Ideen haben Sie dazu?
Immer lauter, bunter und stinkiger
Seit mehr als 40 Jahren halte ich mich fern von Feuerwerk, eigentlich habe ich nie selbst Feuerwerk gekauft. Meine endgültige Abneigung gegen Feuerwerk entstand vor ca. 40 Jahren, als ich nach der Silvesterparty bei Freunden abgebrannte Feuerwerkskörper auf dem Dach meines Autos vorfand, die Löcher in den Lack gebrannt hatten.
Meine Gegnerschaft gegen jedwedes Feuerwerk ist jedoch grundsätzlicher Art. Ich kann mir keine unsinnigere, überflüssigere Tätigkeit von Menschen vorstellen, als Feuerwerk abzubrennen. Böllern und Feuerwerk haben in bestimmten Gegenden einen Sinn besessen, der den heutigen Menschen aber fremd geworden ist! Was bleibt, ist die Sinn entleerte Aktion, die im Wettbewerb, andere übertreffen zu wollen endet. Es muss lauter, stinkiger und bunter werden, als beim vermeintlichen Konkurrenten. Da greift mancher sogar zu illegalen Mitteln. Die schockierendsten Bilder sah ich in einem Video von einer Straßenbahnfahrt durch Kassel genau während der Jahreswende 2015/2016. Da wurde mit Raketen auf Personen geschossen, die Straßenbahn musste anhalten, weil irgendwelche Idioten Batterien von Böllern im Gleis gezündet hatten – zum Kotzen! Viele Polizeifahrzeuge im Einsatz sind zu sehen und ich denke, die Feuerwehr wird genau so viel zu tun gehabt haben. Bei dieser Straßenbahnfahrt wurde zugleich dokumentiert, welchen Sauladen die „fröhlichen“ Böller-Schießer der kommunalen Stadtreinigung hinterlassen: nicht nur Feuerwerksreste, auch Flaschen. Scherben und jedweden Müll. Ich erfreue mich bei dem Gedanken, die Feuerwerker müssten einmal selbst ihren Dreck beseitigen – das wäre eine Neujahrsfeier und viele Fotos für das Internet wert. Vor Jahren habe ich mit dem damaligen Umweltreferenten der Stadt München, Herrn Lorenz von den Grünen, eine Korrespondenz geführt, in der ich nach der Luftbelastung durch Silvesterfeuerwerk fragte. Ich erhielt zur Antwort, dass diese in der ersten Viertelstunde des Jahres über 1300 Mal über den zulässigen Grenzwerten läge. Schaue ich ins Ausland um uns herum, dann zeichnen wir Deutschen uns aus durch übertriebene Ballerei… und diese ohne Sinn und Verstand!
Carsten Dietrich Brink, Gauting
Böller statt Brot heißt jetzt die Devise
Böllern mit Feinstaub, dass muss am „Silvester-Neujahrs-Tag“ einfach sein, wir lassen es am Jahreswechsel wieder einmal so richtig lautstark krachen! Was übers Jahr verboten ist, das ist nur/noch am „Silvester-Neujahrs-Tag“ erlaubt.
Jeder darf hier seinen Knall haben, jeder darf seinen Knall voll ausleben, und jeder darf seine Kracher lautstärker als stark zünden, von wegen Brot statt Böller!
Böller statt Brot oder Böller und Brot heißt da die Devise.
Riggi Schwarz, Büchenbach
Über ein Verbot darf man nicht mal nachdenken
Die besinnlichen Feiertage an den Krippen bei christlichen Gesängen und überschwappenden Gefühlen der Nächstenliebe sind vorüber. Die Politik vermeldet die richtigen Stimmungsmacher für den Alltag. Tempo-30-Debatte, das bringt gleich mal die deutschen Autofahrer und -produzenten auf Wut-Pegel. Über so eine Sache nachzudenken ist seit Jahrzehnten nicht der Deutschen Ding. Böller zu Silvester infrage zu stellen, die nächste Ungeheuerlichkeit gegen deutschen Feierlaune. Die Wut steigert sich in gesundheitliche Gefahrzonen. Uns auch noch den Spass zu verderben, das kann nur teuflisches Werk der Klima- und Umweltschützer sein. Undenkbar, über so etwas auch nur nachzudenken oder einschränkende Regeln in Erwägung zu ziehen. Wichtig ist der Stimmungsmacher.
Wichtig ist sicher auch das Interesse des Umsatzes der Hersteller, der nicht gefärdet werden darf, der zu steigern ist. Dieses zwingende Interesse, die Lobby, wird eher verschwiegen.
Roland Winkler, Aue
Vorbildliches China
In China wurden wunderbare Feuerwerke anhand elektronisch gesteuerter, in vielen Farben leuchtender Drohnen gezeigt. Nicht nur eine Vielzahl von Figuren wurden am Himmel erstellt, sondern auch Raketen und sprühende Sternenfontänen wurden dargestellt.
Wenn in einem zu novellierenden Sprengstoffgesetz die Kommunen ein solches Feuerwerk übernähmen und die bisher verwandten Feuerwerkskörper verboten würden, hätte dies für die Umwelt und die Menschen bedeutende Folgen: Ca. 5000 Tonnen Feinstaub, ein Sechstel des durch den jährlichen Verkehr verursachten Feinstaubs, würde verhindert. Teilweise stark kontaminierter Müll würde nicht entstehen. (Die Stadt Frankfurt am Main braucht zur Entfernung eine Woche. Die Kosten tragen die Kommunen, obwohl diese laut Gesetz den Verursachern angelastet werden sollten.) Zahlreiche Augen- und Handverletzungen von Kindern, die mit Rest-Feuerwerkkörpern zündeln, und andere schwere Verletzungen durch Unachtsamkeit würden vermieden.
2019 mussten in Deutschland 617 Brände durch Feuerwerkskörper gelöscht werden. (Ca. 40 % mehr als in den Vorjahren, Affenhaus in Krefeld ist mit den Tieren abgebrannt.) Tausende von Polizeieinsätzen würden überflüssig. In den Großstädten werden nach 24 h ca. 3.000 Notrufe abgegeben. (In Berlin ca. 1.500 Polizeieinsätze, in Leipzig Mordversuch an einem Polizisten, In Frankfurt am Main wurden in Rödelheim Barrikaden gegen Polizisten gebaut und diese mit Feuerwerkskörpern angegriffen.) Gehörverletzungen durch Detonationen in Räumlichkeiten (U-Bahnhöfen etc.) würden unterbunden. Schlimme Beeinträchtigung von Haustieren, Vögeln in Parks, Detonationen in der Nähe von Tierhaltungen, auch Beschädigungen an Autos und Häusern könnten vermieden
Über 130 Millionen Euros könnten anderweitig, möglicherweise sinnvoller, ausgegeben werden.
Die Silvesterknallerei ist ein typisches Beispiel dafür, dass Menschen (vor allem, wenn sie in Gruppen auftreten) regelmäßig gegen ihre eigenen Interessen handeln. Also ihr häufig schwer verdientes Geld für ein rasch verlöschendes Knall- und Farberlebnis ausgeben und sich damit sogar Gefahren aussetzen.
Die drastisch erhöhte Feinstaubkonzentration in der Silvesternacht beeinträchtigt nachweislich die Gesundheit. Und das Risiko von Bränden steigt überproportional an. Ganz zu schweigen von Alkoholexzessen, die Aggressionen freisetzen und vielfach mit Körperverletzungen enden. Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und Notfallambulanzen sind in der Neujahrsnacht vorrangig deswegen gefordert, weil grobe und vorsätzliche Fahrlässigkeit von der Allgemeinheit toleriert und auch bezahlt wird.
Der Müll, der an den folgenden Tagen beseitigt werden muss, schmälert die kommunalen Etats zusätzlich. In Frankfurt am Main rechnet man mit 80.000 Euro Kosten. Dafür könnte die Stadtbücherei ca. 4.000 neue Bücher anschaffen und so einen spürbaren Beitrag zur dringend notwendigen kulturellen Bildung leisten.
Wenn der Jahreswechsel einen kulturellen Passageritus darstellt, weil er dem Einzelnen dazu verhelfen könnte, Vergangenes und Künftiges zu reflektieren, sollte er auf einer angemessenen intellektuellen Ebene begangen werden. Deswegen plädiere ich für Musik; für Gesang auf Plätzen, Straßen und in Häusern, im Idealfall instrumental begleitet. Nicht mit den Gassenhauern á la Helene Fischer & Co., sondern mit den Liedern der Singer- und Songwriter-Szene, die immer noch sehr produktiv ist. Begleitet von alten Freiheits- und Arbeiterliedern. Als Auftakt Beethovens „Ode an die Freude“ und zum Beschluss Brechts Kinderhymne („Anmut sparet nicht noch Mühe…“). Hefte mit Texten und CDs könnte der Handel bereits im Dezember anbieten und damit ein nachhaltiges Geschäft machen.
Kurzum: Es gibt Alternativen zum Feuerwerk. Man muss sie nur wollen und die ersten Schritte machen.
Es ist eigentlich wie immer. Wenn man die Kosten den Verursachern zuordnen würde hätte der Fall sich wohl relativ schnell erledigt. Da sind zum Beispiel tausende von Feuerwehrleuten im Land im Einsatz. Die Masse davon unentgeltlich in ihrer Freizeit. Diesen Leuten sollte man ca 30 Euro/Std. zukommen lassen als sicher nicht zu hohe Entschädigung dafür das sie sich die Nacht um die Ohren schlagen. Genauso gehören die Kosten von Hauptamtlichen Kräften richtig zugeordnet. Dann würde sich das ganz schnell erledigen. Ich denke dafür gäbe es auch eine klare Mehrheit in der Bevölkerung.
Dem Motto des Threads wie auch den Berichten ist nicht viel hinzuzufügen.
Ich habe noch nie in meinem Leben geböllert. Ich halte das für einen Ausdruck archaischen Verhaltens, das sich aus der Ursprungszeit, als es galt, unfassbare böse Geister mit viel Krach zu erschrecken, in eine hypertechnisierte Welt hinüber gerettet hat.
Geeignet auch, um aufkommendes Unbehagen über hirnlose, pubertäre Bedürfnisse nach schrankenloser „Freiheit“ zu übertönen. Als Beispiel dafür ein Andreas Scheuer, der für seine „Freiheit“ zu unbeschränktem Rasen schon auch mal jährlich mindestens 80 Tote (so die schätzte Zahl von Opfern des Geschwindigkeitswahns) in Kauf nimmt.
In Frankreich ist das Böllern zum Glück gesetzlich verboten.
Wir hatten also eine sehr ruhige Nacht und Genuss an „Dinner for one“ mit französischen Freunden (denen dies unbekannt war).
Dafür werde ich an jedem Geburtstag (der mit dem französischen Nationalfeiertag zusammenfällt) gebührend „entschädigt“.
Im Vergleich zu der unkontrollierten, ausufernden Knallerei aber durchaus begrenzt, von den Kommunen veranstaltet. Bei uns durchaus künstlerisch, mit einem thematischen Motto und passender Musik.
Eine Alternative, die sich durchaus auch für Deutschland anbieten würde.
Im Übrigen stimme ich als Übergangsweg dem Vorschlag von hans durchaus zu, Knallfanatikern in vollem Umfang die Kosten der Aufräumarbeiten zu übertragen. Dies könnte mit entsprechender Umlage auf den Preis geschehen.
Damit nicht erst im Nachhinein vorwiegend Unbeteiligten Hören und Sehen vergeht.
Ich kann meinen Vorrednern nur zustimmen. Wir waren über die Jahreswende in Salzburg, wo Plakate der Stadt mit dem Satz geworben haben: „Lieber Korken statt Raketen knallen lassen.“
Auch war das private Abbrennen von Raketen z.T. verboten, lediglich große Feuerwerke auf der Festung und an einigen Stellen der Stadt waren zugelassen. Natürlich hatten sich viele nicht an das Verbot gehalten.
Ich habe schon seit Jahren die Meinung vertreten, die Feuerwerkskörper hoch zu versteuern. Mit diesem Geld könnte man die Reinigung finanzieren, zum Anderen würden vielleicht (?) auch weniger gekauft. Wenn die Leute ihren ganzen Mist irgendwo hin schleppen, könnten sie die abgebrannten Reste – einschließlich der leeren Sektflaschen – auch wieder mit nach Hause nehmen und ordnungsgemäß entsorgen.
Es ist kaum zu verstehen, dass die Regierungen dieses von Werner Engelmann zutreffend beschriebene Unwesen dulden, da es lediglich Verletzungen, Bränden, Umweltbelastungen, aber nichts Positives bewirkt, nicht einmal Arbeitsplätze werden dadurch geschaffen, wenn man bedenkt, wo und unter welchen Bedingungen es hergestellt wird.
Was mir dieses Jahr aufgefallen ist als die Bilder aus den Hauptstädten dieser Welt in den Nachrichten übertragen worden sind, ist das in den Städten es außer dem offiziellen Feuerwerk nichts weiteres zu sehen gab. Das Böllern scheint auch, wie das Tempolimit, ein hauptsächlich deutsches Thema zu sein.
Pardon, hier artikulieren sich die umweltbewussten und mit der literarischen Kultur verbundenen Menschen zu Wort und machen Vorschläge, die an den Menschen, die gerne böllern, völlig vorbei gehen. Ich mag diese Knallerei auch nicht. Seit Jahren flüchte ich aus Berlin in friedliche Gebiete. Ja, liebe Kommentatoren hier, ich schätze all Ihre Beiträge sehr, Sie gehören zu den kultivierten, nachdenklichen und kritischen Menschen. Aber bitte bedenken Sie, dass sich nicht alle Menschen durch Beethoven oder Brecht beglückt fühlen. Sie genießen diese brachiale Entladung als kurzfristige Befreiung aus ihrer eingeengten Existenz. Es mal richtig krachen zu lassen, egal mit welchen Folgen, ein schöner Spaß und Aggressionsablass der eher weniger Privilegierten. Wie Bronski richtig beobachtet, knallt es am lautesten bei den weniger gut Betuchten.
Es wundert mich, dass es nicht möglich ist, Silvesterfeuerwerk auf den Markt zu bringen, das schöne Feuerblumen an den Himmel zaubert, weniger(besser keine) Umweltgifte enthält und den (möglicherweise schon Angetrunkenen) nicht die Finger oder sogar die ganze Hand abreißt.
Ich habe hier eine kleine Gegenmeinung:
Immer werden „Knallerei“ und Lichtfeuerwerk in einen Topf geworfen. Die reinen Böller kann man gerne verbieten. Sie sind nur laut und erschrecken Mensch und Tier. Anders verhält es sich mit „Lichtfeuerwerk‘, also Raketen und Batterien. Ich beteilige mich selbst daran. Allerdings liegt meine „Obergrenze“ bei 20 bis 30 Euro. Mehr Geld in der Sylvesternacht zu verpulvern; dazu bin ich viel zu geizig! Dann spende ich doch lieber für einen guten Zweck.
Im übrigen bin ich ein „alter Feuerwrerker“. Schon als Jugendlicher bin ich mit meinem Bruder am Neujahrstag ausgerückt, und habe die leeren Hülsen eingesammelt, mit selbsrgemixtem Schwarzpulver gestopft, und erneut gezündet. Etwa 20% sind sogar aufgestiegen! Einige Referendare, die ich später, während meiner Ausbildung, gefragt habe, hatten ähnliche Dinge vollbracht. Sie sind dann – genau wie ich – Chemielehrer geworden!
@ I.Werner
Ihrer Einteilung in „kultivierte“ und weniger „nachdenkliche“ Menschen muss ich denn doch widersprechen.
Nun habe ich lange genug u.a. in „sozial benachteiligten“ Vierteln unterrichtet, um dort vorhandene Bedürfnisse wie auch Vorurteile zu kennen.
Kurz zusammengefasst: Sinnentleerte Formen der „Selbstverwirklichung“ sind nach meinen Erfahrungen primär keine soziale und intellektuelle Frage, sondern die des entsprechenden kulturellen Angebots und der dementsprechend entwickelten Wahrnehmungsfähigkeit (etwa gesellschaftlicher und sozialer Belange). Etwa nach dem Motto der beliebten „Sendung mit der Maus“: „Dumm gebor’n wird keiner, dumm wird man gemacht.“
Und es stellt sich die Frage der gesellschaftlichen Vorbilder (etwa in Medien) und der Bedingungen und wie man es anstellt, um Menschen da abzuholen, wo sie sich befinden.
Dazu braucht man sich nicht drauf einzulassen, Perversionen wie etwa „Dschungelcamp“ gut zu finden oder (Beispiel Schülertheater) partout überall Rap einzubauen, weil die Schüler/innen nun mal nichts anderes kennen.
Eltern und Lehrer sind dazu da, ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Dazu kann man auch in anderer Weise vorhandene Interessen aufgreifen. Was nicht heißt, ihnen Dinge, für die sie sich begeistern, zu vermiesen, sondern ihre Begeisterung weiter zu entwickeln.
So etwa habe ich einmal einen „Wandertag“ ins Olympiastadion zu einem Spiel von Hertha verlegt. Mit (später ausgewerteten) Beobachtungsaufträgen zu Spieler- und Fanverhalten. Wodurch ihr Lieblingshobby (darunter unglaublich viele Mädchen!) durch einen anderen Blickwinkel erweitert wurde.
Für allen möglichen „Fez“, der auch kreative Momente einschließt, bieten sich auch auf Klassenreisen genügend Gelegenheiten. So etwa eine öfter veranstaltete „Müllsackmodenschau“. Einmal ließ ich mich auch auf das Bedürfnis nach Gruseln ein und bin mit den Schüler/innen nachts durch einen stockdunkeln Wald marschiert (ich natürlich vorne und meine Begleiterin hinten).
Und auch Vorurteile gegen „bürgerlichen Kram“ wie Theater kann man sehr wohl aufbrechen. Wodurch sich z.B. in Berlin „Grips“ als Türöffner zur vermeintlich rein „bürgerlichen Kultur“ anbietet.
Um zurück zu kommen zur „Knallerei“: Ich kann mir auch durchaus denken, dass sich eine „Zivilisierung“ in dem von Ihnen am Schluss angedeuteten Sinn auch hier durchaus erreichen lässt. Mit bloßem „Laissez-faire“ freilich geht es nicht.
Nein, Herr Engelmann, ich teile nicht die Menschen in „kultivierte“ und weniger „nachdenkliche“ ein. Keineswegs. Vielmehr bezog ich mich auf die Vorschläge, wie man sich alternativ zu der Böllerei verhalten könnte. Ich beziehe mich da auf Klaus Phillip Mertens, der schreibt: „Wenn der Jahreswechsel einen kulturellen Passageritus darstellt, weil er dem Einzelnen dazu verhelfen könnte, Vergangenes und Künftiges zu reflektieren, sollte er auf einer angemessenen intellektuellen Ebene begangen werden. Deswegen plädiere ich für Musik; für Gesang auf Plätzen, Straßen und in Häusern, im Idealfall instrumental begleitet.“ Das ist sicher schön, würde mir auch gefallen, obwohl es mich bei dem meist feucht nebligen Wetter nicht in die gesellige Kälte treibt, aber es gibt doch sehr viele Menschen, die es zu Silvester richtig krachen lassen wollen. Den Spaß will ich ihnen doch gönnen. Nur sollten diese Böller und Kracher auch für Laien so handhabbar seien, dass sie weder sich selbst noch andere verletzen können und schon gar nicht als eine Art Waffe von aggressiven Betrunkenen auf Helfer eingesetzt werden können. Es wäre schön, andere Möglichkeiten dieses Spaßes zu finden, der auch die Menschen beglückt, die ihre „archaischen“ Triebe ausleben möchten.