Blogtalk: Die Coronakrise unterbricht ganze Biografien

Das Coronavirus Sars-CoV-2 bringt unser gesellschaftliches Leben insgesamt ebenso durcheinander, wie es einzelne Lebensentwürfe durchkreuzt. Vielen Freiberuflern und Künstlern bricht derzeit die Lebensgrundlage weg. Sie werden von den Folgen der Pandemie hart erwischt. Der Staat versucht, zumindest die ökonomischen Notlagen abzufedern, aber die Krise und die Maßnahmen, die gegen sie ergriffen werden, tun noch mehr: Sie unterbrechen ganze Biografien.

YaronÜber diese Situation spreche ich ab morgen, 31. März, im Blogtalk mit dem jungen israelischen Choreografen Yaron Shamir, der in Berlin lebt.

Foto: privat

Text von Yaron Shamirs Webseite:

Yaron Shamir wurde in Israel geboren und lebt in Berlin. Seine künstlerische Karriere begann er  1998; zuvor war er vier Jahre Offizier in der israelischen Armee. Er arbeitet sowohl in Europa als auch in Israel als Choreograf und Tänzer. Seine Ausbildung wurde vom israelischen Ministerium für Kultur und Erziehung gefördert; unterstützt wurde seine Arbeit auch vom Goethe-Institut. Seit 2009 entwickelt Yaron Shamir Choreografien und Installations-Projekte, sowohl mit Ensembles als auch Solo-Programme; er leitet weltweit Workshops an internationalen Bühnen und bei Festivals. Neben seiner Arbeit in Deutschland wurde er als Gast-Choreograf in verschiedene europäische Länder sowie nach Asien und in die USA eingeladen. Yaron Shamir arbeitet außerdem als Gast-Juror auf internationalen Festivals.

Kurz auch zu mir: Ich bin Lutz „Bronski“ Büge, Redakteur der Frankfurter Rundschau, zuständig für das Leserforum, FR-Blogger und Romanautor, geboren 1964 in Eutin, bei der FR seit 2001. Soeben erschienen: der Roman „Evan – Virenkrieg IV“. Auf meiner Webseite Ybersinn.de veröffentliche ich wöchentlich Artikel, die sich thematisch mit den vielfältigen Hintergründen der Romane befassen, beispielsweise mit Biowaffen, dem Konflikt zwischen islamischer und westlicher Welt, der Weltmacht USA und vieles andere mehr.

Foto: Thomas Vögele

Wie immer in solchen Blogtalks sind Sie eingeladen, sich zu beteiligen, Fragen zu stellen und eigene Perspektiven, und Erfahrungen beizusteuern. Nutzen Sie dazu einfach die Kommentarfunktion des Blogs. Eine kleine Einführung ins Kommentieren und Mitreden finden Sie HIER. Es gelten die üblichen Blogregeln. Alle Kommentare werden von mir moderiert. Dabei kann es wie auch bei früheren Blogtalks zu Verzögerungen kommen, für die ich um Verständnis bitte. Falls viele Menschen mitreden möchten, werde ich natürlich versuchen müssen, eine gewisse Ruhe in den Talk zu bringen. Es kann daher passieren, dass Beiträge und Userinnen und Usern um einen oder zwei Tage verschoben werden.

Der Talk beginnt am 31.3. gegen 10 Uhr und dauert so lange, wie er will. Die Kommentarfunktion für diese Unterhaltung wird dann erst eingeschaltet. Das Gespräch wird auf Englisch geführt. Als Übersetzer ins Deutsche arbeitet mein Lebenspartner Thomas Vögele mit.

Ich freue mich auf das Gespräch und danke Yaron Shamir dafür, dass er dazu bereit ist.

Ihr Lutz „Bronski“ Büge

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30 Kommentare zu “Blogtalk: Die Coronakrise unterbricht ganze Biografien

  1. Guten Morgen, Yaron. Vielen Dank dafür, dass wir dieses Gespräch machen können. Beginnen wir mit Deiner persönlichen Situation, bevor wir aufs Berufliche kommen. Wie geht es Dir? Du bist in häuslicher Isolation?

    Good morning, Yaron. Thank you so much for having this conversation. Let’s start with your personal situation before we get down to business. How are you doing? You’re in domestic isolation?

  2. Guten Morgen in diesen ungewöhnlichen Tagen. Ich bin froh, dass ich bei diesem Thema über meine Situation reden kann. Heute ist mein letzter Tag in Quarantäne nach meiner Rückkehr vor 14 Tagen nach Berlin von der letzten Tour nach Zürich und Reutlingen. Ich wollte sichergehen, gesund zu sein, damit ich niemanden womöglich anstecke.

  3. Und das ist offenbar nicht passiert. Du bist sicher froh, dass diese Zeit vorbei ist und Du wieder raus kannst, oder?

    And that obviously didn’t happen. You must be glad that this time is over and you can get out again, right?

  4. Die zwei Wochen sind vorbei, und ich bin froh darüber. Aber es liegen noch lange Wochen vor uns, in denen wir zu Hause bleiben. Ich gehe nur zum Spazierengehen und Einkaufen raus. In der übrigen Zeit denke ich darüber nach, wie meine Arbeit nach all dem aussehen wird.

  5. Das klingt sehr ruhig und besonnen. Aber wie würde Deine Arbeit zurzeit ohne das Virus aussehen, wenn das Leben einfach weitergegangen wäre? Sind Dir viele Engagements entgangen?

    That sounds very calm and prudent. But how would your work look right now without the virus if life had just gone on? Have you missed many engagements?

  6. Es klingt ruhig, aber in mir wütet ein Sturm. Wenn die Tage normal wären, wäre ich heute im Flugzeug nach Rom mit einem Projekt, an dem ich drei Monate mit einer Gruppe in Zürich gearbeitet habe. Dann würden zwei Projekte in Dresden folgen, eine Tour nach Palermo und ein neues Projekt in Reutlingen, das am 8. Mai Premiere haben sollte. Die Liste ist lang: Es wäre für mich die Zeit der Tourneen, Aufführungen – neue Projekte, die wir in den vergangenen neun Monaten geplant haben.

  7. Weißt Du schon, ob diese Projekte nach der Krise, die ja sicher irgendwann zu Ende sein wird, wieder in Angriff genommen werden?

    Do you already know whether these projects will be taken up again after the crisis, which will surely end at some point?

  8. Im Moment ist gar nichts sicher. Bei manchen Projekten heißt es, man wolle nach neuen Terminen schauen, andere Festivals sind abgesagt. Es ist unklar, wo wir jetzt stehen, niemand weiß, wie lange es dauern wird, bis die Theater wieder öffnen. Die meisten Termine und Programme bis zum Jahresende sind schon vergeben. Was ich sagen kann: Jeder versucht unter diesen Umständen, sein Bestes zu geben. Es ist ein großes Durcheinander ohne einen Startpunkt. Es wird dauern.

  9. Das heißt, Du hast zurzeit kein Einkommen. Also gehörst Du wohl auch zu denen, die Soforthilfe vom Staat beantragen?

    That means you have no income right now. So I suppose you’re one of those who applies for emergency aid from the state?

  10. Ja, ich habe in Berlin Hilfe beantragt, jedes Bundesland regelt die Situation unterschiedlich. Da alle meine Projekte, Aufführungen und Workshops bis Ende Juni abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben wurden, bin ich bis dahin ohne Einkommen.

  11. Guten Morgen, Yaron – auf in die zweite Runde. Ich möchte zuerst noch mal auf die Belastung zurückkommen. Diese Situation bedeutet einen enormen Druck, könnte ich mir vorstellen. Auch ich bin im Homeoffice. Ich habe zwar gut zu tun und bin daher abgelenkt, aber dann und wann ein Spaziergang – das entspricht nicht meinen Bewegungsbedürfnissen. Dir muss es ja noch viel schlimmer ergehen. Was glaubst Du im Moment, wie lange Du diese Situation zu Hause aushältst? Du wirst auch trainieren wollen.

    Good morning, Yaron – next turn. I’d like to get back to the stress first. This situation means an enormous pressure, I could imagine. I’m in the home office too. I am busy and therefore distracted, but every now and then a walk – this does not meet my movement needs. You must be doing a lot worse. How long do you think you can physically and mentally cope with this situation at home? You’ll want to practice your dancing, too.

  12. Guten Morgen, Lutz. Klar, ich verstehe. Wir tun, was wir von zu Hause aus tun können. Für uns Tänzer ist es schwieriger. Je länger wir warten mit dem Einstudieren und Üben einer Choreografie, desto länger wird es natürlich dauern, sie auf die Bühne zurückzubringen. Wir sind allesamt Menschen, die sich viel bewegen und die viel reisen. Wir treten auf verschiedenen Theaterfestivals auf, sind ständig unterwegs. Die nächsten drei Monate, vielleicht länger, zu Hause zu bleiben – nun, das ist mir zumindest in den vergangenen acht Jahren nicht mehr passiert.
    Ich habe gerade die Soforthilfe des Bundeslandes Berlin in Höhe von 5000 Euro bekommen. Alle Freiberufler in der Stadt bekommen sie. Ich bin dafür sehr dankbar. Das gibt mir ein bisschen Luft, um weiterzumachen. Darüber hinaus gibt es viele andere Probleme, aber die Hilfe gibt Sicherheit.
    Eines der großen mentalen Probleme ist, dass niemand weiß, wie lange es dauern wird und was als nächstes passieren wird. Um ein Programm oder eine Choreografie vorzubereiten, die Kontakte zu knüpfen und die Unterstützung zu bekommen, braucht man Monate.

  13. Wenigstens ist der finanzielle Druck fürs erste von Dir genommen. Diese 5000 Euro sind für drei Monate?

    At least the financial pressure is off you for now. This 5000 Euro is for three months?

  14. Weißt Du etwas darüber, wie Israel – das Land, aus dem Du kommst – seine Künstlerinnen und Künstler in dieser Notlage unterstützt? Dort gibt es ja eine große Kreativenszene.

    Do you know anything about how Israel – the country you come from – supports its artists in this desperate situation? There is a big creative scene there.

  15. So weit ich weiß, gibt es keine Unterstützung für Solokünstler, aber ich weiß es nicht genau. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass es hier schnell und effektiv kam, wie ich es in den letzten 48 Stunden erlebt habe. Ich glaube, freischaffende Künstler sind die Gruppe, die schwer betroffen ist. Noch mal: das Handeln des Landes Berlin ist extrem positiv.

  16. Heue Frage: Deine Karriere als Choreograf hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Du bist erfolgreich mit verschiedenen Projekten, in denen mehreren Tänzer und sogar ein Schaupieler auf der Bühne stehen. Wie geht es Deiner Gruppe?

    New question: Your career as a choreographer has picked up speed in recent years. You are successful with various projects in which several dancers and even an actor are on stage. How is your group doing?

  17. Das ist richtig. Es ist sehr gut vorangegangen in den vergangenen Jahren: Projekte, Tourneen, Workshops. Die meisten in der Gruppe sind Solokünstler, und sie gehen die Situation unterschiedlich an. Die meisten von uns beschäftigen sich damit, wie es weitergeht, wenn das alles vorüber ist und versuchen das hinüberzuretten, was abgesagt wurde. Wir passen aufeinander auf. Es ist viel Angst dabei, was morgen sein wird, aber wir glauben daran, dass es bald wieder besser wird. Wir versuchen, stark und kreativ zu bleiben.

  18. Von Künstlern anderer Sparten, wie zum Beispiel Sängern, erfährt man, dass sie ihre Kunst nun im Netz darbieten. Kann man Deine Arbeit auch auf Videos sehen?

  19. Es wird in diesen Tagen viel improvisiert, wie man im Netz arbeiten kann. Ich hoffe, die Leute finden Lösungen unter diesen Umständen. Videos von meinen Produktionen kann man auf meiner Webseite sehen (https://shamiryaron.com/videos/). Bei mir ist Problem, dass Shows, Festivals und Tourneen abgesagt wurden. Mein Team und ich sind auf Wochen und Monate hinaus blockiert, vermutlich rund acht bis neun Monate. Das Einkommensloch ist riesengroß. Die Gagen fließen in der Regel nach den Aufführungen, zuvor habe ich als Organisator aber schon Investitionen: den Komponisten bezahlt, Proberäume gemietet, Flugtickets gebucht. Keiner weiß, wann wieder Geld hereinkommt.

  20. Ich bin als selbstständiger Fotograf einer der kleinen Gewerbetreibenden, der in Folge der Pandemie alle Aufträge verloren und in den nächsten Monaten keine Umsatzerlöse mehr hat. Gerade habe ich mir den 6 Seiten langen Leitfaden zum Ausfüllen des Corona-Soforthilfe-Antrags reingezogen. Sagenhaft, was hier an Unterlagen und Erklärungen erforderlich ist. Aber entgegen der Ankündigung, dass der Link zum Antrag ab 06:00 bereitstehe, funktioniert das Ganze (Stand 08:00 Uhr) immer noch nicht. Die Scans der diversen Dokumente habe ich schon fertig. Wer keinen Scanner besitzt, hat in Hessen die Arschkarte. Es gibt übrigens (maximal und nicht pauschal) 10.000 Euro Soforthilfe nur zur Deckung der betrieblichen Kosten in den nächsten 3 Monaten – nicht gedeckt ist der Einnahmenausfall. Die Einnahmen – sprich Überschüsse – eines Selbstständigen sichern doch erst seinen Lebensunterhalt. Aber dass der seine private Miete und seine Lebensmittel aus dem Einkommen bestreiten muss, welches er in nächster Zeit gar nicht mehr hat, scheint die Hessische Landesregierung nicht zu verstehen. Übrigens darf die Soforthilfe später mit der Steuererklärung für 2020 auch noch als Einnahme versteuert werden…. Die „Soforthilfe“ in Hessen ist eine Mogelpackung und fernab von einfach, schnell und unbürokratisch, wie uns das Herr Bouffier und Herr Al Wazir angepriesen hatten.

  21. Ich habe hier gerade einen Kommentar im Namen eines Lesers gepostet, der am 31. März im Print-Leserforum der FR veröffentlicht wurde. Hier folgt die Übersetzung ins Englische per pons.de. Yarom, wie kommentierst Du die Erfahrung dieses Lesers?

    I have just posted a comment here on behalf of a reader who was published at 31. March in the FR’s print reader forum. Here follows the translation into English per pons.de. Yaron, how do you comment the experience of this reader?

  22. As a freelance photographer, I am one of the small businessmen who lost all orders in the wake of the pandemic and will have no more sales revenue in the next few months. I have just read the 6-page guide for filling out the Corona emergency aid application. Legendary, what documents and explanations are required here. But contrary to the announcement that the link to the application is available from 06:00, the whole thing (as of 08:00) still does not work. I have already finished the scans of the various documents. Anyone who does not have a scanner has the ass end of the stick in Hesse. By the way, there is (maximum and not flat rate) 10. 000 Euro emergency aid only to cover the operating costs in the next 3 months – not covered is the loss of income. The income – i. e. surpluses – of a self-employed person is what secures his or her livelihood. But the Hessian state government doesn’t seem to understand that he has to pay his private rent and food from his income, which he won’t have in the near future. By the way, the emergency aid may also be taxed as income later with the tax return for 2020 . The "emergency aid“; in Hesse is a deceptive package and far from simple, fast and unbureaucratic, as Mr. Bouffier and Mr. Al Wazir had praised us.
    Uli Planz, Kelkheim

  23. Ich verstehe Uli, wir sind in derselben Lage, aber ich habe nicht erwartet, dass es hundertprozentige Lösungen gibt in einer Situation, die nicht hundertprozentig klar ist. Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir nicht pleite gehen. Es betrifft jeden. Ich hoffe, wir werden klarer sehen, wenn wir am Ende die Schäden bilanzieren. Für mich in Berlin war ich froh, dass sich jemand um mich gekümmert hat. Ich arbeite international, meine Tänzer kommen aus unterschiedlichen Ländern, die gar keine Unterstützung bieten. Es gibt viele offene Fragen und ein paar gute Antworten. Das Problem dieser Tage ist, dass niemand weiß, wie groß es am Ende ist. Wie Sie schreiben: Es ist weit weg davon, einfach zu sein.

  24. Jetzt bekommt Deine berufliche Biografie einen Knick. In Deinem Lebenslauf – und in dem vieler anderer ebenso – wird voraussichtlich für mehrere Monate nichts stehen. Wirst Du versuchen, diese unfreiwillige Freizeit zu nutzen? Es können ja vielleicht auch Chancen in dieser erzwungenen Pause liegen. Neue Ideen, neue Programme?

    Now your professional biography gets a kink. In your résumé – and in that of many others as well – probably will stand nothing for several months. Will you try to use this involuntary free time? There may well be opportunities in this enforced break. New ideas, new programs?

  25. Klar, zwei Dinge stehen an. Zunächst muss ich mich um all die Absagen kümmern, schauen, was man retten kann, eine Prognose versuchen, ob, wann und wie man das Programm wieder aufnehmen kann. Das kostet viel Zeit, und es ist frustrierend, diese Arbeit erneut machen zu müssen. Als zweites denke ich darüber nach, was wir als nächstes machen können. Als Choreograph muss ich Bewerbungen angehen, Zeitpläne für die Tänzer, Komponisten und das technische Personal machen – die Liste ist lang. Ich versuche zu sehen, was wir tun können, sobald wir auf die Bühne zurück können. Das wird dauern, wahrscheinlich werden die Theater als letztes geöffnet. Aber in meiner Welt denken wir nach vorne: Was können wir besser, größer und interessanter machen. Selbst jetzt, wo das Gefühl sehr schwer in der Luft liegt, dass alles irgendwie festgefahren ist! Aber wir haben keine Zeit zurückzuschauen oder uns auszuruhen. Wir gehen vorwärts.

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