Heute möchte ich mal etwas machen, was ich noch nie gemacht habe. Ich hoffe, Manfred Backhaus aus Niederbrechen nimmt es mir nicht übel, wenn ich seinen Leserbrief zum Anlass nehme, mal Stellung zu nehmen zum Thema Medienschelte oder -kritik. Aufhänger ist der Gastbeitrag „Vergessene Welten und blinde Flecken“ in der FR vom 31. Mai (online hier). Lesen Sie ihn mal, anschließend die Reaktion von Manfred Backhaus und dann meine Gedanken dazu.
Nur wenn es richtig knallt
Zurecht wird in dem Artikel „Vergessene Welten und blinde Flecken“ darauf hingewiesen, dass die Berichterstattung in unseren Medien sehr eurozentriert ist und die Staaten des globalen Südens weitgehend außer Acht lässt. Ebenso ist es mit Berichten über ehemalige Hotspots des Weltgeschehens. Wenn es nicht mehr richtig knallt, kein Giftgas versprüht und kein saudischer Flughafen angegriffen wird, zieht die journalistische Karawane weiter. Corona geht immer! Aber was erfährt der interessierte Leser aktuell über die Lage in Syrien? Ich meine nicht die Fake-Wahlen von Assad. Was geschieht in Idlib? Was in den türkisch besetzten kurdischen Gebieten? Gibt es eine „Normalität“ in Aleppo?
Findet so etwas wie „Frieden“, Wiederaufbau etc. statt und unter welchen Obrigkeiten und Bedingungen? Gleiches gilt für die Berichterstattung aus Jemen, Äthiopien, Mosambique. Ein Massaker vermeldet und dann ..? Ich wünsche mir eine Zeitung, die am Ball, bzw. bei den Menschen in den Krisenregionen bleibt und nicht von schrecklichen News zu noch schrecklicheren hüpft.
Manfred Backhaus, Niederbrechen
Mit langem Atem
von Bronski
Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: An dieser Kritik ist natürlich was Wahres dran. Wenn Medien davon leben, dass sie Information transportieren, dann werden sie sich immer Gedanken darüber machen, wie sie diese Information so rüberbringen, dass sie möglichst viel Interesse weckt. Früher durch Zeitungsverkäufer auf den Straßen und am Kiosk, heute eher online. Es gibt dabei aber große Unterschiede zwischen den Medien, auch heute noch. Die Kritik von Herrn Backhaus erachte ich nicht als auf die FR zielend, denn die FR ist gerade nicht die Zeitung, die erst dann berichtet, wenn es laut genug kracht. Diese Kritik ist übrigens alles andere als neu. Dieses Reißerische, Sensationsheischende wurde vor allem den Boulevardmedien im Lauf der Jahrzehnte immer wieder vorgeworfen. Zu recht. Die „Bild“-Zeitung beispielsweise steht bis heute in dem Ruch, auf manipulative Weise mitzuwirken an der politischen Stimmungsbildung. Aber die FR? Ich kondensiere die Kritik von Herrn Backhaus mal auf die relevanten Punkte:
- Die Berichterstattung ist eurozentriert
- Die Staaten des globalen Südens werden außer acht gelassen
- ehemalige Hotspots des Weltgeschehens interessieren nicht mehr, wenn dort nichts mehr passiert
- Wo bleiben die Hintergrundberichte?
- Die Zeitung soll bei den Menschen in den Krisenregionen sein und über sie berichten, statt zum nächsten Hotspot zu hüpfen
Im Folgenden spreche ich nicht für die Medienlandschaft insgesamt, wohl aber für die FR; und andere seriöse Medien dürften sich anschließen können. Für die Sensationsmedien spreche ich hier nicht.
Eurozentriertheit
Tatsächlich berichten wir in erster Linie über das konkrete Lebensumfeld der Menschen, die wir informieren wollen. Daher stehen Nachrichten und Hintergrundberichte über Vorgänge in Deutschland und der EU in der FR selbstverständlich ganz obenan. Täten wir das nicht, würden wir unserer Informationspflicht nicht genügen. Der Vorwurf der Eurozentriertheit meint darüber hinaus aber wohl auch, dass wir alles, was jenseits des europäischen Tellerrandes liegt, aus europäischer Brille betrachten. Ich glaube, dass das nicht stimmt. Gerade aktuell: die Verhandlungen mit Namibia wegen deutscher Verbrechen im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika. Die FR hat durch ihren Korrespondenten die Position der Herero und Nama unmissverständlich eingebracht. Die FR hat einen Leitartikel von Johannes Dieterich gebracht, der sehr deutlich die afrikanische Perspektive transportiert hat. Nur ein Beispiel von vielen.
Afrika wird außer acht gelassen
Sicher wäre es schön, immer noch mehr berichten zu können, aber das ist immer eine Frage der Abwägung. Da spielen viele Faktoren rein. Wir können nur berichten, wenn unsere Korrespondenten Berichte anbieten. Aber auch Korrespondenten haben Grenzen. Das ist ein Punkt. Der andere Punkt ist: Es ist schon ein bisschen sonderbar, ausgerechnet die Zeitung, die immer wieder darauf aufmerksam macht, dass der „globale Süden“ mehr Aufmerksamkeit verdienen würde, dafür kritisiert wird, dass sie den globalen Süden außer Acht lässt. Meines Erachtens stimmt das ganz einfach nicht.
Hotspots werden uninteressant
Hinter dieser Kritik steckt eigentlich die an der Kurzatmigkeit der medialen Berichterstattung, die angeblich kein Interesse an Hintergründen hat. Diese Kritik ist so alt wie die Medien selbst. Idlib und der Jemen, um diese beiden Hotspots aus der Kritik von Herrn Backhaus aufzunehmen, sind immer noch Hotspots, auch wenn von dort kaum berichtet wird. Das hat viele Gründe. Einer davon: Es muss sich jemand trauen, dorthin zu gehen, um von dort zu berichten. Unser Afrika-Korrespondent Johannes Dieterich war vor einer Weile im Jemen, ist derzeit in Tigray und immer unterwegs. Dabei stellen sich ihm viele Probleme in den Weg, zum Beispiel: Wie ist er eigentlich versichert? Er macht nur seine Arbeit – etwas, was für uns in Deutschland völlig normal und gefahrlos möglich ist. Aber eine Reise in den Jemen oder nach Idlib, um dort etwas in Erfahrung zu bringen, birgt zweifellos Gefahren für Leib und Leben. Wir Zeitungen können von unseren Korrespodent:innen nicht verlangen, dass sie sich solchen Gefahren aussetzen. Hier findet die mediale Berichterstattung eine natürliche Grenze.
Hintergrundberichte
Die wollen wir natürlich trotzdem liefern. Deswegen werten wir mit allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, alle Quellen aus, an die wir rankommen. Aber an dieser Stelle sei auch mal gesagt: Journalist:innen sind nur Menschen. Sie bringen viel Idealismus in ihre Arbeit ein, und kaum eine oder einer von ihnen beklagt sich, wenn er/sie mal 60 statt 40 Wochenstunden arbeitet, wenn sie/er an einem Thema dran ist. Eine Kritik wie „Die journalistische Karawane zieht weiter“ sorgt da nur für Achselzucken: Der Kritiker zeigt damit, dass er das Nachrichtengeschäft, das er kritisiert, eigentlich gar nicht kennt. Berichterstattung entsteht in den Redaktionen oft mit langem Atem. Es gibt viele Mitarbeiter:innen, die Themen, die ihnen am Herzen liegen, über Wochen, Monate und Jahre beackern. Dabei fallen dann immer wieder Artikel ab, die von großer Expertise geprägt sind und die kurzatmige Kritik von Herrn Backhaus klar widerlegen.
Damit will ich es gut sein lassen. Das ist genug Diskussionsstoff über die Arbeit von Medien. Mir ist wichtig, in die sehr pauschale Kritik Faktoren wie die Arbeitskraft, das Leistbare einzuspeisen.
In dem Gastbeitrag von Ladislauf Ludescher vermisse ich das notwendige Hinterfragen der Begriffe „Publizistische Qualität“ und „Qualitätsmedien“ sowie deren Verankerung in einem öffentlichen, also demokratischen Diskurs. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die in der Langzeitstudie erfassten Medien qua Amtes einer objektiven und investigativen Berichterstattung verpflichtet sind. Bei „Anne Will“, „Hart aber fair“, „Maischberger“ und mittlerweile auch bei „Maybrit Illner“ bezweifle ich das. Vielmehr wird dort der Austausch über vermeintlich oder tatsächlich relevante Ereignisse zum Event umfunktioniert.
Das ist mutmaßlich der Quote geschuldet, die es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich nicht geben dürfte. Der ebenfalls öffentlich-rechtliche „Deutschlandfunk“ hingegen setzt Pluralismus so hoch an, dass regelmäßig objektiv falsche und formal miserabel verfasste Berichte publiziert werden – die Dummen und die Unbelehrbaren sollen um der Gleichbehandlung willen auch Beachtung finden.
Auf der anderen Seite, also auf der von vornherein kommerziellen, vollziehen „Süddeutsche Zeitung“ und „Der Spiegel“ ständig eine Gratwanderung zwischen dem, was von journalistischem Interesse und dem, was wirtschaftlich vertretbar ist. Deswegen erscheint es mir als unseriös, die Wirkung zwar bekannter, aber nicht notwendigerweise qualitativ herausragender Medien zur Grundlage einer Studie zu machen. Ebenso finde ich darin kaum valide Hinweise auf die Erwartungshaltung des Publikums, das sich nach meiner Kenntnis sehr heterogen zusammensetzt.
Bronski hat zurecht auf die Maßstäbe setzenden Beiträge von Johannes Dieterich in der FR verwiesen. Der Südafrikaexperte berichtete früher auch für den Fachinformationsdienst „epd-Entwicklungspolitik“, solange es diesen noch gab. Der evangelischen Kirche war der Unterhalt dieser Zeitschrift, deren Redaktion von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zweimal ausgezeichnet wurde, jedoch zu teuer, obwohl diese ständig, wenn auch politisch akzentuiert, auf den fernen Nächsten außerhalb Europas hinwies.
Unangemessene Entscheidungen dieser Art sind nach meiner Einschätzung das Kernproblem der tonangebenden Medien. Sie kategorisieren das Publikum anhand von Kriterien, die fast ausschließlich mit Konsumentenforschung, aber nichts mit wissenssoziologischen Ansätzen zu tun haben, welche eigentlich die ausschlaggebenden sein müssten. Auf der Basis solcher Fehleinschätzungen entstehen Programme und Beiträge, die, wenn sie unwidersprochen bleiben, eigene Normen und Werte hervorbringen. Dadurch entsteht zum Beispiel eine europazentrierte Berichterstattung, die ihre Rechtfertigung aus dem angeblichen Interessenswandel der Leser und der realen Vernachlässigung des Themas bei politischen Parteien zieht.
Die Erkenntnis, dass publizistische Qualität und deren langfristige Sicherung auch darin bestehen könnte, die Perspektive der Leser zu weiten und Zusammenhänge zwischen ihrem Alltag und den Vorgängen in der Welt herzustellen, ist nicht mehr populär. Noch vor zwei Jahrzehnten galten Qualitätsmedien als meinungsbildend; sie wirkten als Leuchttürme in der öffentlichen Kommunikation und zogen daraus ihre Reputation. Wurde diese Rolle unter dem Druck kommerzieller Zwänge aufgegeben? Und was könnte an ihre Stelle treten, wenn der vollständige Blick auf die Welt nicht verloren gehen soll?
Auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk könnte hier eine doppelte Aufgabe zukommen. Zunächst die Selbstbefreiung von Karrieristen an seiner Spitze, verbunden mit der Neubelegung alter Qualitätsstandards auf sämtlichen redaktionellen Ebenen. Und dann die unüberhörbare und unüberlesbare Positionierung von Inhalten, die u. a. darin bestünde, den Stimmlosen hierzulande und anderswo eine Stimme zu geben. Ich bin mir sehr sicher, dass ein nennenswerter Teil der privaten Medien nachzöge, allein aus kommerziellen Gründen.