Die Ecken, aus denen Drachen kriechen

Er sieht sich selbst als Drachentöter: Wolf Biermann, der Barde, der 1953 in die DDR übersiedelte und 1976 nach schwierigem Prozess in die BRD zurückkam. Er war schon immer kantig, und folgerichtig eckte er überall an. Wie auch immer man zu ihm steht: Er ist und bleibt ein Querkopf. Unser Land braucht solche Menschen, die polarisieren, provozieren und damit Debatten anstoßen.

Biermann hat die Feierstunde zum Mauerfall-Jubiläum im Deutschen Bundestag genutzt, um sich die Linkspartei vorzuknöpfen. Er konnte sich der allgemeinen Aufmerksamkeit gewiss sein. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erinnerte ihn zwar an die Geschäftsordnung, nach der Biermann kein Rederecht im Parlament hat, aber Biermann ließ sich den Mund nicht verbieten. Was dabei herauskam, dürfte einzigartig in der Geschichte des Deutschen Bundestages sein und hoffentlich auch bleiben (im Youtube-Video kann man sich die ganze Geschichte noch einmal in Ruhe ansehen).

Ich bin mir nicht sicher, ob Biermann sich selbst als eine Art moralische Instanz sieht oder ob er nur seinen persönlichen Strauß ausgefochten hat, ob er glaubt, für die SED-Opfer sprechen zu können oder ob der Künstler, das Individuum, gesprochen hat. Eines steht jedoch fest: Er hat das Parlament desavouiert. Der Auftritt wird ein Nachspiel haben: Der Ältestenrat des Bundestags wird über das Verfahren beraten. Ansonsten wird er folgenlos bleiben, denn die große Koalition hat kein Interesse daran, den Bundestagspräsidenten, der sich immer für einen respektvollen Umgang im Parlament eingesetzt hat, einer Debatte auszusetzen. Diese Feierstunde zum Mauerfall wird jedoch als Gegeifer statt Respekt in die Geschichte eingehen.

Apropos Drachentöter: Es soll Exemplare dieser Helden-Spezies geben, denen beim Bad im Drachenblut ein Lindenblatt zwischen die Schulterblätter gefallen ist.

Dieter Hooge aus Frankfurt:

„Wo ist eigentlich der politische Skandal bei Biermanns Auftritt im Bundestag? Was er da gegen die Linke abgeseilt hat, kann man als peinliche Hasstirade, als rhetorische Barbarei bezeichnen. Man kann sich auch wundern, das dieser Mann mit 77 auf jede Altersweisheit und -milde verzichtet und ohne Hemmungen Selbstgerechtigkeit, stets überhöhter Eitelkeit und Aroganz immer wieder freien Lauf lässt. Treffen konnte er die Linke mit seinem Hass und seiner Scharfrichtersprache wohl nicht. Was er tat, richtet sich selber.
Hervorzuheben bei diesem Auftritt ist etwas anderes. Es hätten genügend Männer und Frauen des hohen Hauses aufstehen müssen, um zum Ausdruck zu bringen, dass sie über Parteigrenzen hinaus diesen Auftritt nicht hinzunehmen bereit sind. Lammert hätte das Ganze unterbinden müssen. Hat er vergessen, wo der Knopf ist, um Biermann den Saft abzudrehen? Stattdessen: frenetischer Beifall in „Hohen Hause“. Anschließend geht Vizekanzler Gabriel zu Biermann (er wollte wohl auch ins Fernsehen), dessen bekennender Fan er ist, wie man hört, und nimmt ihn kumpelhaft in die Arme. „Mutti“ Merkel hinterher und täschelt ihn und Biermann tätschelt artig zurück.
Keine Sternstunde, wie man bisweilen hört, ist das alles gewesen, eher eine Stunde der Finsternis.“

Günter Dombert aus Biedenkopf-Wallau:

„Das Plädoyer der Frau Vates für gute Manieren im Bundestag ist doch einigermaßen lächerlich; denn ihr geht es doch in Wirklichkeit darum, der Linkspartei eine Begegnung mit unangenehmen Teilen ihrer Vergangenheit zu ersparen. Und wer dürfte für solch eine Wiederbegegnung geeigneter sein als ein Wolf Biermann, den die DDR 1976 ausgebürgert hat in der Hoffnung „Aus den Augen, aus dem Sinn“? Nichts gegen gute Manieren. Sie sind notwendig, wenn der Bundestag ein zivilisiertes Forum argumentativer Auseinandersetzungen sein und bleiben soll. Wo aber ein Verhaltenskodex angemahnt wird, dessen Einhaltung eine falsche Harmonie erzeugen wird, da wachsen Verdrängung, Vergessen und Tabus statt rationalem Diskurs. Und dass der Sänger Biermann auch dort, wo er spricht, seine kräftige Metaphorik zitiert („Drachenbrut“), ist gut. Oder soll er in Feierstunden-Deutsch verfallen?“

Klaus Phlipp Mertens aus Frankfurt:

„Nach dem Attentat am 11. April 1968 auf Rudi Dutschke, den bekanntesten Wortführer des Studentenprotestes, schrieb Wolf Biermann ein Lied („Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“), in dem er die Springer-Presse, den Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) und den „Edel-Nazi-Kanzler“ Kurt Georg Kiesinger (CDU) der Mittäterschaft beschuldigte: „Es haben die paar Herren / So viel schon umgebracht / Statt dass sie euch zerbrechen / Zerbrecht jetzt ihre Macht. / Ach Deutschland, deine Mörder…“
Die Wahrheit dieses Vorwurfs muss die Fraktionen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus noch im Jahr 2007 so beeindruckt haben, dass Sie Biermann das Ehrenbürgerrecht der Stadt Berlin verliehen. Andere hingegen, die den politischen Bänkelsänger in den 60er und 70er Jahren bewunderten und feierten, hatten sich zu diesem Zeitpunkt längst von ihm distanziert. Vor allem seine Rechtfertigung des Irak-Kriegs ließ man ihm nicht mehr durchgehen. Sie überschattete den jahrelangen Protest Biermanns gegen die Willkür des DDR-Staatsapparats.
Dabei waren die Widersprüche in Wolf Biermann Leben und künstlerischem Schaffen schon vorher unübersehbar. Als er 1953 von Hamburg in die DDR übersiedelte, waren in der SED bereits heftige interne Auseinandersetzungen über einen deutschen, von der Sowjet Union unabhängigen Weg zum Sozialismus ausgebrochen. Die Niederschlagung des Aufstands am 17. Juni war dafür ein deutlicher Beweis. Biermann rechtfertigte bzw. differenzierte dieses Handeln noch bis zu seiner Ausbürgerung 1976.
Vor diesem Hintergrund verwundert es sehr, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert ausgerechnet Wolf Biermann zur Feier der Maueröffnung in den Bundestag eingeladen hat. Wollte er die Spaltung Deutschland an den Rissen in der politischen Biografie dieses Künstlers symbolhaft aufzeigen? Oder kennt er Biermanns Werk allenfalls in Ausschnitten? Oder wollte er den unberechenbaren Biermann instrumentalisieren, um sowohl die Linken als auch die Thüringer SPD zu provozieren?“

Ulrich Spangenberger aus Ostfildern:

„In den 70er Jahren war ich ein glühender Verehrer von Wolf Biermann. Ich habe gelitten mit ihm, wenn er von unmenschlicher Behandlung in der DDR erzählt oder gesungen hat, und ich habe ihn bewundert, weil er gleichzeitig Zustände im Westen angeprangert hat. Ich empfand ihn damals als sehr ehrlich. Er war mir Vorbild, Leitbild, vielleicht beides. Seine Worte waren für mich DIE Wahrheit, die es aber in diesem Sinne nicht gibt.
Einige Jahre nach seiner Ausbürgerung aus der DDR, habe ich mich zum ersten Mal gewundert, als ich über ihn lesen musste, dass er sich mit CSU-Leuten getroffen hatte und diese als ein ‚lustiges Völkchen‘ – oder so ähnlich – bezeichnete. Das passte so gar nicht zu dem Bild vom ihm, das ich immer noch im Kopf hatte. In dieser Zeit fing ich an, seine Texte weniger zu lesen, seine Lieder weniger zu hören, denn immer wieder gab es Meldungen über ihn, die zeigten, dass sich da wohl jemand gedreht hatte, eine Art von Wendehals.
Sein Auftritt jetzt vor dem Bundestag mit seinem Wutausbruch gegen die Linke zeigt mir, wie einäugig man in diesem Lande offensichtlich werden kann. Wenn unser Bundespräsident auf einem Auge blind ist, und Neonazis lediglich als Spinner bezeichnet – aber der Ausdruck Spinner ist doch eine Verniedlichung, das sind doch im allgemeinen Sprachverständnis Leute, die man eh nicht ernst zunehmen braucht. Hallo!!! Hat da jemand beim Geschichtsunterricht nicht aufgepasst??? – während er sein pastorales Haupt bei dem Gedanken an einen Ministerpräsidenten der Linken in Thüringen sehr entschieden und voller Sorgen hin und her wiegt, dann bekomme ich ein Gespür davon, wie in Deutschland Politik gemacht wird. Da passt es dann auch rein, wenn Biermann es genießt, sich von Frau Merkel und Siegmar Gabriel umarmen zu lassen, nachdem er den Facetten des neoliberalen Kapitalismus auf den Leim gegangen ist. Oder sollte man eher vermuten, dass es vielleicht schon immer sein Ziel gewesen ist, sich im Westen einzuschleimen?
Drachentöter will Biermann sein. Ja, mein Gott, dann soll er mal schön weiter Drachen bei den Linken suchen. Ich fürchte allerdings, diese Viecher kriechen aus anderen Ecken.“

Ulrich Spangenberger aus Ostfildern:

„In den 70er Jahren war ich ein glühender Verehrer von Wolf Biermann. Ich habe gelitten mit ihm, wenn er von unmenschlicher Behandlung in der DDR erzählt oder gesungen hat, und ich habe ihn bewundert, weil er gleichzeitig Zustände im Westen angeprangert hat. Ich empfand ihn damals als sehr ehrlich. Er war mir Vorbild, Leitbild, vielleicht beides. Seine Worte waren für mich DIE Wahrheit, die es aber in diesem Sinne nicht gibt.
Einige Jahre nach seiner Ausbürgerung aus der DDR, habe ich mich zum ersten Mal gewundert, als ich über ihn lesen musste, dass er sich mit CSU-Leuten getroffen hatte und diese als ein ‚lustiges Völkchen‘ – oder so ähnlich – bezeichnete. Das passte so gar nicht zu dem Bild vom ihm, das ich immer noch im Kopf hatte. In dieser Zeit fing ich an, seine Texte weniger zu lesen, seine Lieder weniger zu hören, denn immer wieder gab es Meldungen über ihn, die zeigten, dass sich da wohl jemand gedreht hatte, eine Art von Wendehals.
Sein Auftritt jetzt vor dem Bundestag mit seinem Wutausbruch gegen die Linke zeigt mir, wie einäugig man in diesem Lande offensichtlich werden kann. Wenn unser Bundespräsident auf einem Auge blind ist, und Neonazis lediglich als Spinner bezeichnet – aber der Ausdruck Spinner ist doch eine Verniedlichung, das sind doch im allgemeinen Sprachverständnis Leute, die man eh nicht ernst zunehmen braucht. Hallo! Hat da jemand beim Geschichtsunterricht nicht aufgepasst? –, während er sein pastorales Haupt bei dem Gedanken an einen Ministerpräsidenten der Linken in Thüringen sehr entschieden und voller Sorgen hin und her wiegt, dann bekomme ich ein Gespür davon, wie in Deutschland Politik gemacht wird. Da passt es dann auch rein, wenn Biermann es genießt, sich von Frau Merkel und Sigmar Gabriel umarmen zu lassen, nachdem er den Facetten des neoliberalen Kapitalismus auf den Leim gegangen ist. Oder sollte man eher vermuten, dass es vielleicht schon immer sein Ziel gewesen ist, sich im Westen einzuschleimen?
Drachentöter will Biermann sein. Ja, mein Gott, dann soll er mal schön weiter Drachen bei den Linken suchen. Ich fürchte allerdings, diese Viecher kriechen aus anderen Ecken.“

Hermann Roth aus Frankfurt:

„Wolf Biermann sang zwar „Du, lass dich nicht verbittern“, scheint aber offensichtlich selbst verbittert, verhärtet und verbraucht zu sein, denn anders als der von ihm attackierte „elende Rest“ ist Biermann irgendwie im alten Freund-Feind-Schema stecken geblieben. Das mag angesichts seiner Biographie verständlich sein, verhindert aber substanzielle und notwendige Debatten. Unfreiwillig komisch wird es, wenn der frühere „revolutionäre“ Sozialist („So oder so, die Erde wird rot“), inzwischen bekennender Merkel-Fan, den bereits seit langem an Landesregierungen beteiligten sozialdemokratischen Linken vorwirft, sie seien nicht „revolutionär sondern reaktionär“.
Vielleicht ist das die besondere Ironie dieses merkwürdigen Szenarios, dass der „Ironiker“ Lammert, den ehemaligen glühenden Anhänger einer wahrhaft sozialistischen DDR („Die DDR auf Dauer, braucht weder Knast noch Mauer, wir bringen es so weit! Zu uns fliehen dann in Massen die Menschen, und gelassen sind wir drauf vorbereit‘“ aus Enfant perdu von W. Biermann) eingeladen hat, um der einzig verbliebenen Oppositionspartei (die Grünen nehme ich als Opposition kaum wahr) mal „ein paar Ohrfeigen zu verpassen“.
Obwohl ich die Linke durchaus kritisch sehe und auch den Umgang der Linken mit dem DDR-Erbe in vielerlei Hinsicht problematisch finde, fand ich den Auftritt des „Drachentöters“ überheblich und selbstgerecht und angesichts der herrschenden Verhältnisse mit extremer Ungleichheit, Ungerechtigkeit, ertrinkenden Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen und zunehmender Dauerüberwachung auch politisch fragwürdig. Die DDR ist längst untergegangen, aber Biermann ist seit vielen Jahren thematisch auf sein Feindbild „Die Linke“ eingeengt, ab und zu begeistert sich der ehemalige Friedensdichter („Soldat, Soldat in grauer Norm …“) für Kriegseinsätze (bereits 2003 befürwortete er eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg). Was hätte das für eine Sternstunde des Bundestages werden können, wäre es möglich gewesen, die Erinnerung an eine menschenverachtende Diktatur, die ihre Bürger einsperrte und eine Mauer errichtete, mit der heutigen Debatte um die Gefährdung und zunehmende Einschränkung der Menschenrechte im (post)-demokratischen Europa zu verbinden.“

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11 Kommentare zu “Die Ecken, aus denen Drachen kriechen

  1. 1979 wurde ich während des Studiums mitten in einer Stunde zum Direktor gerufen. Dort angekommen, saßen mir – etwas unerwartet – zwei Vertreter von „Horch&Guck“ (Stasi) gegenüber. Vorwurf: wir (wir waren 4 Jungs auf dem Zimmer) würden heimlich Wolf Biermann hören. Nun dies blieb folgenlos, es war lachhaft.
    Ich hörte Biermann früher immer gerne. Als ich ihn letzte Woche im Bundestag hörte und sah, hätte ich am liebsten dazwischen gerufen: „Halts Maul, alter Mann!“
    Biermann ist geistig stehen geblieben, fast scheint es, er hat nichts dazu gelernt.
    Heute würde ich mir seine Musik und seine Texte nicht mehr anhören und vielleicht gehörte es in der DDR dazu, gerade das Unerlaubte zu tun. Und vielleicht waren die Aussagen Biermanns auch damals schon etwas „verquer“? So genau haben wir da wohl nicht hingehört.
    Ach, was waren das für anarchische Zeiten – heute liegt so ziemlich alles im Tiefschlaf. Inkl. Biermann, dem alten Mann.

  2. Schade, dass den Abgeordneten nach dem Spektakel Biermanns nicht das eingefallen ist, was Christian Bommarius in seinem Leitartikel gefragt hat:
    „Warum haben die Abgeordneten der Linken nicht vergnügt geklatscht, die Annahme der Botschaft Wolf Biermanns gut gelaunt verweigert und gerufen: „Lieber Wolf, es ist vorbei. Die Zeit, aus der deine Lieder stammen, ist vorbei, die Zeit der SED, gegen die du gesungen hast, ist auch vorbei. Komme endlich an im Morgen, wir sind schon lange da!“

    Humor und Ironie hätten dem Gegeifer vermutlich den Wind aus den Segeln genommen.

  3. Ich habe Ihnen ja auch einen Biermann-Leserbrief geschrieben.Ich will jetzt auch nichts Neues sagen, nur dem Herrn UIrich Spangenberger quasi meinen Dank ausdrücken, dass er meine Meinungsäußerungen noch besser differenzierend ergänzt hat. Leider haben Sie auch seinen Leserbrief nicht abgedruckt.

  4. @ Peter Gronau

    Ulrich Spangenbergers Leserbrief wird in der FR am Donnerstag veröffentlicht, und Ihrer kommt auch noch, jedenfalls wenn nichts dazwischenkommt. Ich versuche, im Leserforum ein bisschen auf Themenvielfalt zu achten, und der Platz ist leider auch begrenzt – da werden solche Zuschriften dann auch mal über ein paar Tage gestreckt. Die Debatte läuft ja noch.

  5. Nach dem Bundespräsidenten nun auch von Wolf Biermann Worte zur Linken, dem Paria irgendwie unter den Bundestagsparteien. Die FDP ist nicht mehr vertreten, statt Biermann hätte auch Guido Westerwelle über die Linke reden können. Biermann ist genauso wenig Mitglied des Bundestags wie die FDP, hat demnach genauso wenig Rederecht. Es ist schon schlimm genug, das George W. Bush im Bundestag reden durfte, eingeladen von der damaligen Regierungskoalition von rot-grün. Wäre als Debatte auch interessant, wer so in den Bundestag eingeladen wird, um zu reden, oder zu singen.

  6. Für mich stellt sich die Frage, warum N. Lammert ausgerechnet Biermann, und nicht z.B. Herrn Schorlemmer, eingeladen hatte. Weil dieser so tolle Songs drauf hat? Oder weil Lammert wußte, das der unbelehrbare und als Sturkopf bekannt Biermann einen Eklat provozieren würde, und Lammert hoffte, daß sich dann auch die Linke zu einer Gegenreaktion hinreißen lassen würde? Irgendwie ein Spiel mit gezinkten Karten, welches aber in die Zeit paßt. Wohlgemerkt, wir leben – natürlich – in einem Rechtsstaat, im Gegensatz zum „Unrechtsstaat“ der ehem. DDR.
    Wenn „Rechtsstaat“ die politische Richtung definiert, weil die Rechte und die Rechten dominieren, dann stimmt der Begriff. „Linksstaat“ gilt nicht, weil dies auch beinhalten würde, das hier viele „gelinkt“ werden.

    Natürlich hat das Herumhacken auf dem „Unrechtsstaat“ Methode und Ziele: es soll davon ablenken, daß hier bei uns seit 25 Jahren beileibe nicht alles rechtens ist und mit Recht zugeht. Das „Böse“ war eben nur in der DDR, und die bösen Linken, die hier ihre Zustimmung verweigern, sollen sich den schwarzen Peter einstecken, den man ihnen, mehr oder weniger mit Abwahl bzw. Einmischung bis hin zur Manipulation drohend, hin hält.

  7. Prinzipiell stimme ich der Einschätzung von Hans (#3) zu, dass der Person Biermann nicht mehr Beachtung zu teil werden soll, als sie verdient. Ich meine auch, dass er sich selbst am effektivsten als Denkmal zerstört hat und es keines Nachtretens bedarf.
    Allerdings sind bezüglich des Phänomens Biermann noch längst nicht alle Aspekte beleuchtet. Allein darum geht es mir hier.

    @ Stefan, #1

    „Und vielleicht waren die Aussagen Biermanns auch damals schon etwas “verquer”? So genau haben wir da wohl nicht hingehört.“ –

    Ich meine, Stefan bringt es hier auf den Punkt. Auch selbstkritische Auseinandersetzung darf hier nicht fehlen. Biermanns Verteidigung der Niederschlagung des Volksaufstands von 53 war auch damals bekannt. Aber auch ich habe damals, geblendet vom Opfermythos des „Drachenkämpfers“ wohl nicht so genau hingehört.
    Schlimmer freilich, wenn man auch aus späteren Verlautbarungen, die so gar nicht zu diesem Opfermythos passen, keine Schlüsse zieht – so vor allem sein Eintreten für den Irak-Krieg der USA 2003.
    Und – ähnlich Ulrich Spangenberger – ist auch die Frage aufzuwerfen, welche Funktion seinen Ehrungen (bis 2007) für Jahrzehnte zurückliegende Verdienste und natürlich der Bundestags-Provokation in der gegenwärtigen politischen Landschaft zukommt.

    @ V.Grebe, #35 (Thread: Schämen Sie sich, Herr Gauck – Ich übertrage, der Thematik entsprechend, die Antwort in diesen Thread.)

    „Es geht den Opfern des SED-Unrechts letztlich um Genugtuung.“ „Und diesen Respekt vor den Empfindungen dieser Menschen, Herr Engelmann, daran sollten wir es nicht fehlen lassen.“ –

    „Genugtuung“ in Form von Geifern im Bundestag? – Das ist bestenfalls pubertär. Dass Biermann damit für DIE „Opfer des SED-Unrechts“ spricht, ist zudem mehr als zweifelhaft.
    Empfindungen anderer sind generell zu respektieren, sofern sie sich nicht in Aggressivität gegenüber anderen äußern. Das ist kein Privileg von „Opfern“. Und es wirft die Frage auf, wie ehrlich die Betreffenden selbst mit ihren Gefühlen umgehen. Konservieren von Hassgefühlen ist nicht respektabel.

    „Biermann dürfte die Entwicklung seit 1989 mit äußerst wachen Augen begleitet haben.“ –

    Eine bloße Vermutung, durch keine Fakten belegt. – Ist etwa Biermanns Eintreten für den Kosovo-Krieg und den Irak-Krieg Beleg für „wache Augen“? Wann gab es dazu eine Distanzierung? –
    M.E. ein sehr eindeutiger Hinweis, dass das „Opfer“ Biermann längst schon Tätern das Wort redet (und offenbar auch schon vor 53 getan hat). Wo bleibt seine Auseinandersetzung damit?

    „Einmal Opfer, immer Opfer. Der Opferstatus endet nie.“ „Und es verlangt nach Opferschutz.“ –

    Meine Antwort: Ein ganz entschiedenes Nein. Dennoch bin ich froh, dass Sie dies so klar äußern, denn auch aus Irrtümern (vielleicht gerade aus ihnen) können Erkenntnisse erwachsen.
    M.E. der entscheidende Irrtum des Typus „Biermann“ (der für andere stehen kann), sich selbst als „Opfer“ dem (oft vermeintlichen) „Täter“ gegenüberzustellen.
    Opfer- und Täterstatus sind nicht ohne weiteres trennbar, gehen oft ineinander über.
    Gewalttäter fühlen sich so gut wie immer als „Opfer“, sehen ihre eigene Aggression als legitimen Akt der „Verteidigung“. (Ich habe selbst ein Anti-Gewalttraining mit älteren Schülern geleitet.)
    Und jeder Kriminologe weiß, dass vor allem Gewalttäter (meist in der Kindheit) einmal „Opfer“ waren.
    Ein Zusammenhang mit oft verheerenden politischen Auswirkungen, der dazu führt, dass Gewalt sich selbsttätig perpetuiert. So sind in afrikanischen Ländern betr. die Beschneidung von Mädchen (oft pseudoreligiös begründet) die entschiedensten Verfechter in der Regel die Großmütter, die selbst einst Opfer waren und zu Täterinnen werden.
    Für „Opferschutz“ gibt es kein rückwirkendes Abonnement über Jahrzehnte hinweg. Den kann beanspruchen, wer aktuell Aggression erleidet oder davon bedroht ist.
    Hier aber wird ein Zynismus erkennbar, auf den Wolfgang Fladung in #7 zu recht hingewiesen hat: Auf diese Weise lässt sich prima von aktuellem Unrecht ablenken. Indem man „Opferschutz“ für Vergangenes reklamiert, wird dieser denen, die aktuell einen Anspruch darauf hätten, gerade verwehrt (z.B. in der Flüchtlingspolitik).
    Noch ein letzter Hinweis: Ein Netanjahu in Israel hat demonstriert (und tut es weiter), wie man mit Reklamieren eines Opferstatus nationalistische Politik betreiben, aggressive Siedlungspolitik und koloniale Machtattitüde rechtfertigen lässt. (Vgl. dazu: Moshe Zuckermann: „Antisemit!“ – Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument)
    Die Ähnlichkeiten liegen m.E. durchaus auf der Hand.

  8. Parlament desavouiert, Gegeifer statt Respekt (Bronski), Verzicht auf Altersweisheit, ohne Hemmungen, Selbstgerechtigkeit, Haß, Scharfrichtersprache (Dieter Hooge), Ausbürgerung, Rechtfertigung des Irak-Kriegs, Unberechenbarkeit (Klaus Philipp Mertens), Wendehals, Wutausbruch gegen Linke, Einäugigkeit, dem neoliberalen Kapitalismus auf den Leim gegangen, sucht die Drachen in den falschen Ecken (Ulrich Spangenberger), verbittert, verhärtet und verbraucht, im Freund-Feind-Schema stecken geblieben, unfreiwillig komisch, überheblich, selbstgerecht (Hermann Roth), halt´s Maul, alter Mann, geistig stehengeblieben, nichts dazu gelernt (Stefan), Spektakel Biermann´s, mit Humor und Ironie gegen Gegeifer (maiilimi), der Worte sind genug gewechselt (hans), Biermann ohne Rederecht (Stefan Vollmershausen), unbelehrbar, Sturkopf, Spiel mit gezinkten Karten, Herumhacken auf den “Unrechtsstaat” (Wolfgang Fladung), Geifern im Bundestag, bestenfalls pubertär, Konservieren von Haßgefühlen, Opfer- und Täterstatus nicht ohne weiteres trennbar (Werner Engelmann), Zeit über Biermann hinweggegangen, kann offenbar seine Eitelkeit und Selbstüberschätzung nicht sehen, vielleicht alterstarrsinnig, erwartbare Ausfälle, peinlicher Auftritt, “Verunglimpfer” (A.H.).

    Dagegen

    “Nichts gegen gute Manieren. Sie sind notwendig, wenn der Bundestag ein zivilisiertes Forum argumentativer Auseinandersetzungen sein und bleiben soll. Wo aber ein Verhaltenskodex angemahnt wird, dessen Einhaltung eine falsche Harmonie erzeugen wird, da wachsen Verdrängung, Vergessen und Tabus statt rationalem Diskurs. Und dass der Sänger Biermann auch dort, wo er spricht, seine kräftige Metaphorik zitiert („Drachenbrut“), ist gut. Oder soll er in Feierstunden-Deutsch verfallen?” (Günter Dombert).

    “Er sieht sich selbst als Drachentöter: Wolf Biermann, der Barde, der 1953 in die DDR übersiedelte und 1976 nach schwierigem Prozess in die BRD zurückkam. Er war schon immer kantig, und folgerichtig eckte er überall an. Wie auch immer man zu ihm steht: Er ist und bleibt ein Querkopf. Unser Land braucht solche Menschen, die polarisieren, provozieren und damit Debatten anstoßen.” (Bronski).

    “… über Wolf Biermann eine positive Anmerkung: Biermann hat im Bundestag besser gesungen als Andrea Nahles.” (Rudi).

  9. @ 9 V. Grebe

    Nach dieser Sammlung der Negativa über Wolf Biermann eine positive Anmerkung: Biermann hat im Bundestag besser gesungen als Andrea Nahles.

  10. Ich mag mich mit der Herrn Biermann nicht länger beschäftigen als unbedingt nötig. Er hatte seine Zeit und seine Bedeutung- nun ist die Zeit über ihn hinweggegangen und seine Bedeutung schwindet, auch wenn er das in der ihm eigenen Eitelkeit und Selbstüberschätzung offenbar nicht sehen mag. Vielleicht ist es auch der Altersstarrsinn, der ihn in seine Denkschamata von früher zwingt bzw. aus diesen nicht herausfinden lässt?

    Was mich viel mehr als Herrn Biermanns erwartbaren Ausfälle an seinem „Auftritt“ im Bundestag stört ist aber die Reaktion des Bundestagspräsidenten und die der anderen Parteien.

    Herr Lammert, der Hausherr des Parlaments, wusste mit Sicherheit, wen er mit Herrn Biermann einlädt und er hat ihn ja auch genau deswegen im Alleingang eingeladen? Und als Herr Biermann vor dem Bundestag nicht gesungen sondern geredet hat, hat es Herr Lammert mit einer lahmen Ermahnung bewenden lassen- den Knopf zum Ausschalten des Mikrofons hat er leider wohl nicht gefunden.

    Dass sich die Union feixend auf die Schenkel schlägt, wenn irgendwer irgendetwas gegen die Linkspartei von sich gibt- keine große Überraschung. Dass kaum jemand in der Union den Mut aufbringt, danach zu fragen, welche Verantwortung denn die von der ehemaligen „West-CDU (und CSU)“ übernommenen Blockparteien für die Gestaltung des „Unrechtsstaates“ DDR trugen ist leider auch nichts Neues mehr (es ist DIE große „Leistung“ der Union, in der Öffentlichkeit von Anfang an den Eindruck zu erwecken und durchzusetzen, dass die übernommenen Blockparteien keinerlei Schuld an der Ausgestaltung der DDR getragen und sich viel eher im „demokratischen Widerstand“ befunden haben, eine Verdrehung der Tatsachen aber inziwschen nicht mehr hinterfragt).

    Dass aber nach dem peinlichen Auftritt von Herrn Biermann, der mit Demokratie und Parlamentarismus aber auch rein gar nichts zu tun hatte, wurde hier doch eine demokratisch gewählte Partei im Parlemant beleidigt und beschimpft, Herr Gabriel und Frau Merkel sozusagen in einen Wettlauft getreten sind, wer denn den „Verunglimpfer“ als ersten herzen durfte, ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

    Andererseits: Hätte jemand was anderes erwartet? Eben!!!

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