Das Betreuungsgeld, eines der zentralen Vorhaben der schwarz-gelben Koalition, ist am 9. November vom Bundestag beschlossen worden. Der Bundesrat muss noch zustimmen. 150 Euro pro Monat soll es geben, wenn Eltern ihre Kinder zu Hause erziehen wollen – bis zum dritten Geburtstag. Um diese familienpolitische Leistung ist viel gestritten worden. Dass sie kommen wird – vorbehaltlich der Zustimmung des Bundesrats -, ist vor allem dem Beharrungsvermögen der CSU zu verdanken, die sich dafür gefallen lassen muss, dass ihr ein rückwärtsgewandter Familienbegriff vorgeworfen wird: Eine/-r aus der Familie, meist der Mann, geht arbeiten und schafft das Geld heran, eine/-r aus der Familie , meist die Frau, kümmert sich um das Kind oder die Kinder. Eine Arbeitsteilung, die längst keine Normalität mehr ist, denn in vielen Familien müssen beide Elternteile ran, um das nötige Einkommen zu erzielen. Betreuungsgeld – eine überflüssige Leistung für die, die es sowieso schon dicke haben?
Andererseits: Das Betreuungsgeld ist eine Art Antwort der CSU auf den Kita-Anspruch. In 2013 soll der angeblich flächendeckend erfüllt werden. Das mag noch niemand so recht glauben. Einer der Gedanken dahinter ist anscheinend, dass junge Eltern so richtig schon flexibel gemacht werden sollen, um arbeiten gehen zu können. Was viele, siehe oben, auch müssen. Immerhin haben wir in Deutschland den größten Niedriglohnsektor Europas. Der Kita-Anspruch als neoliberales Arbeitsmarktinstrument?
Und wo bleiben bei alldem die Kinder selbst? Wer fragt nach ihrem Wohl – außer dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul, der im FR-Interview sagte: „Die Debatte ist nicht ehrlich„? Das fragen sich auch einige FR-Leserinnen, die sich über Juuls Thesen freuen, so etwa Brigitte Ernst aus Frankfurt:
„Endlich wagt mal einer, sich dem allgemeinen Trend entgegenzustellen! Schon lange habe ich mich über die Unbekümmertheit gewundert, mit der junge Eltern heute förmlich dazu genötigt werden, ihre Kleinstkinder möglichst früh in Kinderkrippen auszulagern. Diejenigen, die diese zunehmende Praxis für problematisch halten, werden als rückständig verspottet und so mundtot gemacht.
Nur sehr selten wurden bisher in der FR Beiträge veröffentlicht, die darauf hinwiesen, dass durchaus nicht für jedes Kind im zweiten Lebensjahr eine ganztätige Unterbringung in einer Tagesstätte förderlich sein muss. Bei einigen Kindern ist in diesem Alter die Phase des Fremdelns noch nicht vorbei und sie können die Trennung von den bisherigen Bezugspersonen noch nicht verkraften. Auch der Lärm in einer solchen Masseneinrichtung bedeutet für viele dieser Kleinen zu starken Stress, und angesichts der Tatsache, dass in den meisten Tagesstätten viel zu wenige Erzieher zur Verfügung stehen, ist zu bezweifeln, ob hier der frühkindliche Bedarf an individueller Zuwendung wirklich befriedigt werden kann. Aber nur ein Kind, das sich sicher und geborgen fühlt, kann seine sozialen und kognitiven Fähigkeiten entwickeln.
Anstatt also allein auf frühes „Outsourcing“ der Kinder zu setzen, damit unsere Ökonomie möglichst reibungslos funktioniert, könnte unsere Gesellschaft auch andere Modelle entwickeln, z.B. ein „Kleinkindjahr“ für den Vater im Anschluss an das „Babyjahr“ für die Mutter – und zwar ohne berufliche Nachteile.“
Monika Weiß-Imroll aus Köln:
„Ich habe mich sehr gefreut, dass endlich einmal ein Experte zum Thema frühkindliche Erziehung zu Wort kam und die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt stellte und nicht die Interessen der Eltern, die sich selbst verwirklichen wollen, und die Interessen der Wirtschaft, die auf die Arbeitskräfte nicht verzichten möchte, die während der Kindererziehung nicht für die Arbeitswelt zur Verfügung stehen.
Ich möchte die Ausführungen von Jesper Juul unterstützen und wundere mich seit Jahren schon, dass kein Kinderpsychologe ähnlich Stellung bezieht. Die Behauptung, dass Kinder, wenn sie mit einem Jahr in die Krippe kommen, besser gefördert werden, ist mit wenigen Ausnahmen falsch. In dem Alter braucht ein Kind eine verlässliche und vertrauensvolle Beziehung zu einer oder wenigen Personen in einer überschaubaren Umgebung, die es auf den vielen Schritten seiner Entwicklung individuell begleiten.
Eine Erzieherin/ein Erzieher in einer Kinderkrippe hat gar nicht die Zeit, sich speziell um ein Kind zu kümmern, das noch enorm viel Unterstützung, Anleitung und Zuwendung braucht. Auch ist natürlich die emotionale Beziehung zwischen Erzieherin/Erzieher und Kind nicht so stark wie zwischen Mutter/Vater und Kind. Diese Beziehung ist aber gerade in den ersten drei Lebensjahren enorm wichtig für eine gute Entwicklung eines Menschen, dessen Persönlichkeit auf einem Urvertrauen aufbauen sollte, das die Eltern ihn lieben und seine Bedürfnisse berücksichtigen.
Die Behauptung der Nicht-Expertin Bascha Mika in einer Kolumne, dass unsere Regierung mit dem Betreuungsgeld „die Kinder von frühkindlicher Bildung fernhält“ , entspricht überhaupt nicht der Realität. Bei Kindern in meinem Bekanntenkreis und auch bei einigen SchülerInnen, die ich als Grundschullehrerin unterrichtete, habe ich die teils negativen Auswirkungen auf Kinder erlebt, die ab dem ersten Lebensjahr schon in einer Krippe waren bzw. ab drei Jahren den ganzen Tag im Kinderhort verbringen mussten. Einige Kinder wiesen Entwicklungsdefizite oder Verhaltensauffälligkeiten auf, die ich aus den 70er Jahren nicht bei meinen SchülerInnen kannte, als in fast allen Familien die Mütter in den ersten drei Lebensjahren die Kinder noch zu Hause betreuten und die meisten Kinder nur bis mittags im Kindergarten waren.
Ich freue mich für alle Mütter, die im nächsten Jahr das Betreuungsgeld erhalten! Es ist eine kleine Anerkennung ihrer enorm wichtigen Erziehungsarbeit für ihr Kind, aber auch ein Beitrag zu seelisch gesunden, selbstbewussten und kreativen Menschen in unserer Gesellschaft.“
Dieter Wittbrodt aus Frankfurt zieht einen weiteren Aspekt hinzu:
„Ein zentraler Gedanke liegt beiden Artikeln zugrunde: In unseren Krippen und Kitas muss dringend etwas verändert werden. Während der Familientherapeut Juul sich in der letzten Zeit mehr mit dem Beschreiben des Status quo beschäftigt, ruft die Integrationsdezernentin zu besserer Sprachförderung im Vorschulalter auf. Man geht jedoch nicht an das eigentliche Problem: Es kommt nicht auf eine Verbesserung der Qualifikation der Erzieher/innen an; deren Ausbildung ist weitestgehend fundiert und umfassend, berücksichtigt die kognitiven Aspekte ebenso wie die psychologischen Bereiche und thematisiert Empathie und individuelle Zuwendung, Bereiche, von denen Herr Juul ausgeht, dass sie zu kurz kämen.
Die Misere findet vielmehr in den „Kinderzentren“ (alter Wein in neuen Schläuchen, früher reichte der Begriff „Kindergarten“) statt. Man verzichtet auf eine kindgerechte Organisation in der äußeren Form, indem größtenteils sogenannte „offene Arbeit“ betrieben wird. Das hat zur Folge, dass die Kinder sich ihre Beschäftigung nach Neigung selbst aussuchen. Sprachförderung findet z.B. nur noch maximal zweimal eine halbe Stunde pro Woche statt, was eindeutig zu wenig ist. Eine von Empathie getragene individuelle Förderung der Kinder wird so gut wie unmöglich gemacht. Stattdessen finden in ihrem Anspruch abgehobene sog. Forschungs- und Museumsprojekte statt, die den Kindern zugutekommen, die sich sowieso als interessiert und neugierig zeigen, also bereits etwas wissen wollen.
Es tut Not, Förderung dort ansetzen zu lassen, wo die Kinder nicht von allein den Weg finden, weil sie aus problematischen Sozialisationen kommen und einfach von zu Hause aus nicht die förderlichen Voraussetzungen mitbringen. Die sind in manchen Stadtteilen Frankfurts in der Mehrzahl. Diese wiederum scheint Herr Juul nicht zu kennen, denn er zeigt sich als Anhänger des Betreuungsgeldes, welches die häusliche Nicht-Förderung von Kindern – kulturell wie sprachlich – auch noch finanziell belohnt.
Wir brauchen dringend einen pädagogischen Dezernenten, der mit einer Expertengruppe an der Optimierung unserer Kinderförderung in allen Bereichen arbeitet. Doch das kostet Geld.“
Ein sehr altes Lied, das hier angestimmt wird.
Wäre nur zu lösen, wenn ein Einkommen zum Unterhalt einer Familie ausreichte, bedürfnisabhängig und nicht leistungsabhängig wäre (was ist denn wohl „Leistung“?)
Dieses Familieneinkommen müsste den Bedarf decken und eine Vermögensbildung ermöglichen. Es müsste aufgeteilt werden können, zum Beispiel anhand einer familieninternen Zuteilung der (externen) Arbeitszeiten und (internen) Erziehungsszeiten.
Bedingung dazu ist eine qualifikationsunabhängige Lohngleichheit, nämlich ein Zeitlohn, der die Entziehung der Eltern von der Erziehungsleistung vollständig ausgleicht.
Zu diesem Thema wird nicht viel geschrieben. Ich glaube das eines passieren wird. Mütter die bisher einen 400 Eurojob nebenher gemacht haben werden den sich sparen und die finanzielle Lücke dadurch schließen das sie ihre Kinder nicht in den Kindergarten geben und damit die Gebühren sparn und die neue Förderung in Anspruch nehmen. Ob das so politisch gewollt sein kann?