Fragen, die wir nicht beantworten können

Einige FR-Leser haben sich in der vergangenen Woche einen Schlagabtausch geliefert, den ich nun hier nachträglich abbilden möchte. Ausgelöst wurde er von einem Leserbrief von Helge Nyncke aus Mühlheim am Main, der als „Einspruch“ auf der Meinungsseite von FR und Berliner Zeitung am 30. November veröffentlicht wurde. Es geht um die geplante Gedenkfeier für die Opfer des rechten Terrors und um die „würdige Form des Gedenkens“. Helge Nyncke schrieb:

„Bundespräsident Wulff verspricht also den Angehörigen eine würdige Gedenkfeier angesichts der skandalösen Mordserie rechtslastiger Fanatiker. Was aber ist in diesem Fall eine würdige Form öffentlichen Gedenkens? Denn der übliche stereotype Reflex eines feierlichen christlichen Gedenkgottesdienstes, wie er bislang obligatorisch zur Trauerbewältigung nach Lawinenunglücken, Amokläufen, Kindestötungen oder Terroranschlägen inszeniert wurde, könnte diesmal auf Widerspruch stoßen angesichts der mehrheitlich dem muslimischen Glauben anhängigen Opfer. Die traditionelle Standardmedizin könnte also Allergien auslösen und verbietet sich daher von selbst.
Aber hat denn diese Medizin eigentlich überhaupt jemals wirklich geholfen? Hat sie je die Frage beantwortet, warum das angeblich so sinnstiftende Allheilmittel Religion mit seinem Hauptwirkstoff Gott die erschütternden Ereignisse denn nicht verhindert, die Liebsten nicht beschützt, die Gebete nicht erhört und seine schützende Hand verweigert hat? Hat sie je geholfen, zukünftige Katastrophen zu verhindern, Ursachen aufzuklären oder Wirkungszusammenhänge zu erforschen? Hat sie je Hilfe angeboten auch für die vielen religionsfernen, glaubensfreien Menschen?
Nein, das hat sie nicht. Noch nie. Denn ihr Wirken liegt in der Banalisierung des Diesseits zum Jubel des Jenseits, dessen Vermögensverwalter sie ist. Und die Teilnahme an ihren Ritualen verlangt stets Unterwerfung unter das Glaubensdiktat und Verdrängung der Wirklichkeit. Vielleicht realisiert man jetzt, an diesem offenkundigen Widerspruch zwischen dem, was gebraucht und dem, was angeboten wird, wie wenig bislang der allzu bequeme Rückgriff auf religiöse Rituale wirklich den betroffenen Menschen gerecht wurde.
Was bei solchen Anlässen hilft und tröstet, ist alleine das, was allen Menschen, gleich welcher Herkunft, Weltanschauung und Prägung gemeinsam ist: Empathie, menschliche Nähe, die Fähigkeit, Gefühle zu teilen und mitzutragen. Die Atmosphäre des dafür gewählten Ortes, Musik und kluge, einfühlsame Ansprachen können dies wirksam unterstützen.
Würdig ist dies aber nur dann, wenn es gelingt, die Würde der Veranstaltung nicht durch einseitige Bekenntniserpressung, klerikale Rituale, realitätsferne Versprechungen oder spaltende Symbolverehrung zu missbrauchen. Diese Trauerfeier könnte endlich einen Wendepunkt markieren für den Beginn einer neuen, wirklich Menschen- (und nicht Gottes-)gerechten Kultur der Besinnung und des Gedenkens. Ob dafür aber ausgerechnet der Christdemokrat Wulff im Schafspelz seiner bisherigen religionsanbiedernden Äußerungen der geeignete Regisseur ist, wird sich zeigen.“

Darauf reagierte Michael Strake aus Hütschenhausen:

„Helge Nyncke fordert eine Gedenkfeier für die von Neonazis Ermordeten, die frei ist von religiösen Ritualen. Das ist seine Meinung. Ist das auch die Meinung der Angehörigen der Opfer? Bei neun Ermordeten ist das äußerst unwahrscheinlich – sagt mir die Religionsstatistik.
Nyncke begründet seine Meinung so: „Hat sie (die Religion) je Hilfe angeboten auch für die vielen religionsfernen, glaubensfreien Menschen? Nein, das hat sie noch nie.“ Diese Aussage ist weder richtig, was das Selbstverständnis der Religion angeht, noch entspricht sie den Tatsachen. Zum Selbstverständnis etwa der Christen gehört zentral die Nächstenliebe. Und wer ist der Nächste? Derjenige, welcher der Hilfe bedarf. Bekannteste Gleichniserzählung dazu: der Samariter, der uneigennützig dem andersgläubigen Überfallenen hilft.
Aus den Tatsachen, die Nynckes Meinung widersprechen, wähle ich als Katholik das nun schon über 50-jährige Wirken von Misereor: Kampf gegen Hunger und Krankheit in der Welt, unabhängig von der Religion des Leidenden. Der Kampf umfasst auch, den „Reichen ins Gewissen zu reden“, das heißt also politische Stellungnahme. Andere Konfessionen und Religionen können sicher ebenfalls solche Beispiele anführen. Glücklicherweise sind die Religionen nicht so simpel, einfach und einseitig, wie sie sich (!) Herr Nyncke vorstellt.“

Eine weitere Reaktion kam von Georg Pape aus Hochheim:

„Als Christ, der seit Jahren an Initiativen gegen Rechts beteiligt ist und auch von Neonazis bedroht wurde, fühle ich mich durch Helge Nynckes Einspruch zum Depp erklärt. Er hat zwar Recht damit, dass die Gedenkfeiern für die Opfer des Neonazi-Terrors nicht einfach christlichen Ritualen folgen können. Die meisten Opfer sind schließlich Muslime. Andererseits täte es unserer (immer noch) weitgehend an christlichen Traditionen orientierten Gesellschaft – aus der die Täter stammen! – durchaus gut, sich eben auch ihrer eigenen Traditionen zu bedienen, um sich ihrer Beteiligung bei der Verbreitung des braunen Sumpfes zu stellen. Die fängt nämlich bei der Verachtung alles Unverstandenen, Andersartigen und Fremden an.
Vielleicht müsste Herr Nyncke dann nicht vergebens auf die göttliche Beantwortung der Warum-Frage warten. Warum-Fragen werden auch in der biblisch-christlichen Tradition nicht so platt beantwortet, wie er sich das wünscht. Es gibt Fragen, die wir nicht beantworten können. Glaube ist so gesehen auch eine Haltung, in der Menschen die oft schmerzlich bewusstwerdende Begrenzung ihres Wissens und Könnens anerkennen. Auch die islamischen Rituale, die Herr Nyncke berechtigterweise für die Opfer einfordert, werden Antworten auf die Frage nach dem Sinn von Hass und Leid nicht zu seiner Zufriedenheit beantworten.
Zum Vollidioten fühle ich mich im zweiten Teil seines Einspruchs gestempelt. Da wird behauptet, die Wirkung christlicher Rituale liege in der „Banalisierung des Diesseits zum Jubel des Jenseits“, die Teilnahme an ihnen verlange „stets Unterwerfung“. Das Gegenteil ist der Fall – auch wenn es in sein Schema nicht passt und es zugegebenermaßen Christen gibt, die ihren Glauben genau so praktizieren, wie er es polemisch beschreibt. Nur: So wie es für jede kulturelle, philosophische oder politische Tradition unterschiedliche Lesarten gibt, so gibt es diese auch für die christliche Tradition. Und diese andere Lesart zu unterschlagen oder zu ignorieren, ist unwahrhaftig. Mit etwas gutem Willen könnte Herr Nyncke ein anderes Verständnis christlicher Tradition in der Glaubenspraxis vieler, vieler Christinnen und Christen finden, die keineswegs „im Drüben fischen“, sondern sich ganz dem Diesseits, den Leidenden, den Unterdrückten und Zukurzgekommenen widmen – oft genug verbunden mit eigenen großen Opfern. Es ist diesen Menschen gegenüber völlig unangemessen, sie damit zu beschimpfen, sie würden sich der „Bekenntniserpressung“ aussetzen.“

Hierauf reagierte Carsten Dietrich Brink aus Gauting:

„Den beiden Leserbriefen muss widersprochen werden! Die Erfahrungen, die man als kirchenferner Bürger macht, sind einfach anders! Mich graust´s noch heute beim Gedanken an die Kruzifix-im-Klassenzimmer-Diskussion hier in Bayern. Angeführt von Kardinal Wetter wurde in München demonstriert – da war von den hehren Idealen, die die Leserbriefe glauben machen wollen, nichts – gar nichts – zu spüren! Es gibt wohl eine sehr große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, gerade wenn von Amtskirchen Toleranz erwartet wird. Ich könnte noch andere Beispiele von mangelnder Toleranz gegen Andersdenkende schreiben. Ich denke aber, dieses eine reicht.“

Auch der kritisierte Helge Nyncke meldete sich zu diesen beiden Zuschriften erneut zu Wort:

„In meinem Beitrag „Würdige Form des Gedenkens“ (FR-Meinung vom 30.11.) geht es vor allem um die Kernfrage, wie man mit der Endlichkeit des Lebens angemessen umgeht. Dieses Problem wird von den Religionen mit einem Weltbild beantwortet, in dem ein von Menschen zum Trost erdachtes Fantasiegebilde namens Jenseits der real existierenden Wirklichkeit gegenübergestellt und ihr als eigentliches Ziel vorangestellt wird. Aus diesem Kerngeschehen entwickelte sich in Jahrtausenden ein alle Lebensbereiche umfassendes Netzwerk von Geboten, Vorschriften, Moralvorstellungen, Ritualen und Gewohnheitsrechten. Kulturtechniken wie Wissenschaft, Philosophie, Ethik und Kunst versuchten bereits in der Antike, Menschen gerechtere Antworten auf die Urfrage zu finden, was ihnen bis heute auch zu 95 Prozent gelungen ist. Die in der Fünf-Prozent-Restlücke verbliebenen göttlichen Antworten beanspruchen aber nach wie vor eine den Markt beherrschende Stellung und umfassende öffentliche Würdigung in unserer Gesellschaft. Und das ist ein Problem.
Diese Besetzung von Zentralfunktionen durch die Kirche ist das, was ich unter „Bekenntniserpressung“ subsumiere, da bei solchen Gelegenheiten kein Raum bleibt für unsere ansonsten allen Lebensbereichen zugrundeliegende moderne Weltanschauung. Beim Thema Tod fallen auch gestandene Wissenschaftler wieder auf die Knie und damit zurück in regressive Verhaltensmuster aus der Kindheit der Menschheitsentwicklung. Wer sich dabei ertappt fühlt, verfällt nicht selten in eine Art Beißreflex und unterstellt dem Überbringer der schlechten Nachricht finsterste Absichten oder schlicht Unwissenheit und fühlt sich „zum Depp erklärt“. Angemessen wäre es, wenn sich diese Reaktion auf die Kirche beziehen würde, die ihre Schäfchen so konsequent hinters Licht führt.
Auch etwas gründlicheres Lesen würde helfen: Weder werden in meinem Beitrag islamische Rituale für die Opfer eingefordert noch werden „unterschiedliche Lesarten der christlichen Tradition“ ignoriert (die sich aber stets auf dieselbe Quelle, die Bibel, beziehen und diese nicht etwa zu überwinden trachten). Auch warte ich nicht „auf die göttliche Beantwortung der Warum-Frage“ (von Nicht-Existenzen erwarte ich keine Antwort) und bin nicht blind gegenüber dem „Kampf gegen Hunger in der Welt“.
Richtig ist, dass Religionen gelegentlich auch „Reichen ins Gewissen reden“, um die Armut zu bekämpfen. Bitter ist, dass ihre Botschaft der verhütungsfreien Allzeit-Fruchtbarkeit wesentlich zu dieser Armut beiträgt. Nachvollziehbar ist, dass die Kirche sich stark auf ihre Traditionen beruft. Bitter ist, dass die Wurzeln dieser Traditionen für Jahrhunderte des Schreckens, der Ausrottung ganzer Völker bis hin zum Schulterschluss mit den Nazis gesorgt haben. Nichts gegen die vielen Menschen, die sich empathisch für andere Menschen einsetzen. Das sollte unser aller verbindender Grundsatz sein. Aber dazu braucht man keine Religion.
Die geplante Gedenkveranstaltung für muslimische Opfer in einem christlichen Land könnte ein Zeichen setzen als ein Besinnen darauf, dass es zu allererst um menschliche Opfer in einem Land voller Menschen geht.“

Dieser Leserbrief wiederum rief Kurt Dantzer aus Nienburg an der Weser auf den Plan

„Die Sicherheit, mit der der Autor meint, in zwei Sätzen die Entstehung von Religion(en) erklären, und in einem Satz die Erkenntnisleistungen von „Kulturtechniken wie Wissenschaft, Philosophie, Ethik und Kunst“ einschätzen zu können, hätte ja glatt etwas Amüsantes, wenn sie uns nicht eine krude Schlichtheit in der Wahrnehmung von Wirklichkeit unterjubeln würde.
Er unterstellt, dass wir Menschen nur die Alternative hätten, uns entweder auf „zum Trost erdachte Fantasiegebilde“ oder auf „die real existierende Wirklichkeit“ einzulassen.
Als ob wir nicht ständig dabei wären, unsere Wirklichkeit zu konstruieren, ohne dabei in pure Fiktion verfallen zu müssen. Als ob das „Jenseits“ – Juden, Christen und Muslime geben ihm den Namen Gott – sich in der Wirklichkeit nicht finden ließe (wer allerdings nicht danach fragt, wird nur schwerlich darauf stoßen). Als ob der Trost, der von Gott kommt, sich nicht gerade angesichts der erfahrenen Wirklichkeit bewähren, d. h. bewahrheiten könne (und zwar gegenwärtig, nicht ver-tröstend). Als ob das „Netzwerk“ der Religionen nur aus „Geboten, Vorschriften“ etc. bestünde und nicht auch aus Visionen, Verheißungen und Realisierungen (!) von Freiheit, Mitgefühl und realer Solidarität mit den an den Rand gedrängten Menschen (da ist Wahl angesagt). Als ob die Versuche der menschlichen „Kulturtechniken“, auf die Endlichkeit des Lebens zu antworten, nicht zusammen mit den Religionen immer auch Teil des Problems wären und nicht zu erheblichen ökologischen, politischen, sozialen und kulturellen Zerstörungen und Leid geführt hätten.
Der Autor versucht – sicher nicht in „böser Absicht“ und auch nicht mit „schlichter Unwissenheit“, aber schon in weltanschauungspolitischer Absicht und mit autoritärem Gestus – das religiöse Erleben und Denken heutiger Menschen in die „Fünf-Prozent-Restlücke verbliebener göttlicher Antworten“ zu verweisen. Wer selbst so machtförmig argumentiert, sollte sich nicht über die „Besetzung von Zentralfunktionen durch die Kirche“ beklagen, wenn es um die öffentliche Trauer mit den Angehörigen der Opfer rechtsextremer Gewalt in „einem christlichen Land“ geht und um öffentliche Selbstbesinnung angesichts von latentem wie offenem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unter uns.
Die Vertreter der Kirchen müssen in angemessener Weise und gemeinsam mit den muslimischen Menschen und Verbänden wie mit vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen das Ihre dazu tun, was nicht leicht sein wird. Es ist auch nicht nur eine einmalige Herausforderung.“

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6 Kommentare zu “Fragen, die wir nicht beantworten können

  1. Die mir als Autor eines Kurzbeitrages unterstellte „krude Schlichtheit der Wahrnehmung von Wirklichkeit“ abzuleiten von der kurzen und prägnanten Formulierung der wesentlichen Aussagen in drei Sätzen offenbart wohl eher eine recht typische Wahrnehmungsverschiebung gläubiger Mitmenschen, die davon ausgehen, dass tausend eng bedruckte Seiten auf extra platzsparendem Bibeldünndruckpapier allein auf Grund ihrer Masse automatisch aussagekräftiger und gewichtiger (und damit „wahrer“) seien müssten als ein paar wenige konzentriert auf den Punkt gebrachte Thesen. Das mag quantitativ zutreffen, ist aber als qualitativer Vergleich ebenso untauglich wie der von Äpfeln und Birnen und ignoriert völlig die grundlegende Verschiedenheit dieser beiden Textformen. Meine Fähigkeit einer sehr differenzierten Herangehensweise zu diesem Thema habe ich in meinem Buch „Eine Gotteslästerliche Floßfahrt – Leichtsinnige Variationen über tiefsinnige Fragen“ (ImPrint-Verlag 2009) sicher hinreichend unter Beweis gestellt. Was die inhaltlichen Einwände angeht, möchte ich folgendes anmerken: Dass sich das Jenseits für den, der danach fragt, auch hier „in der Wirklichkeit“ finden ließe, geht für mich schlicht nicht mit dem Begriff Jenseits zusammen, ebenso wenig wie Stille im Lärm zu finden wäre. Visionen und Verheißungen (für das Jenseits) gestehe ich der religiösen Botschaft gerne zu, was aber die „Realisierungen (!)“ anbelangt, so finde ich hier nur Beispiele eben jener Mitmenschlichkeit, die ich bereits unter dem Begriff „Empathie“ als vollkommen natürliche und ebenso gut auch ohne Religion realisierbare Eigenschaften charakterisiert habe. Und dass menschliche Kulturtechniken nur zum Guten führen, habe ich nirgendwo behauptet, so betriebsblind ist doch wohl niemand. Der Unterschied ist aber der, dass sich säkulare Kulturtechniken anders als ihre religiösen Pendants immer wieder neu bewähren und geschichtlich verantworten müssen und dadurch stets veränderbar und entwickelbar bleiben, da sie nicht auf Jahrtausende alten, unantastbaren „heiligen“ Dogmen beruhen. Solche Betrachtungen haben übrigens ganz und gar nichts mit „“autoritärem Gestus“ und „machtförmiger Argumentation“ zu tun, sondern beruhen im Gegenteil auf einem zutiefst humanitären und egalitären Menschenbild, das eben keine übergeordnete göttliche Hierarchie über den Menschenrechten akzeptiert. Dass die Auseinandersetzung mit dem Terror und seinen Opfern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe (und damit natürlich auch von Gläubigen) ist, steht außer Zweifel. Nur ohne religiöses Vordrängeln bitte!

  2. Helge Nyncke ruft zwei allzu schnell verdrängte Sachverhalte ins Gedächtnis: den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Neutralitätspflicht des Staates. Also die Verpflichtung des Staates, sein Handeln – seiner Institutionen, seiner Repräsentanten und seiner von ihm Beauftragten [1] – weltanschaulich bzw. religiös neutral zu gestalten und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zu wahren. Artikel 3 des Grundgesetzes besagt:

    (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
    (3) Niemand darf wegen […] seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

    Zuletzt war diese Thematik anhand der Rede von Herrn Ratzinger (Künstlername: Benedikt XVI.) als Repräsentant der Römisch-Katholischen Kirche im Deutschen Bundestag aufgetreten. Dabei wurde die Neutralitätspflicht des Staates gröblichst verletzt. Anschließend lud Herr Ratzinger alle 16 Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts zum Gespräch ins Priesterseminar nach Freiburg – dieser Einladung wurde von der Mehrheit der Bundesverfassungsrichter Folge geleistet. [2]

    Nynckes Kritik bezieht sich, neben dem staatlichen „Alltags“handeln, insbesondere auf die Organisation von Staatsakten oder Trauerfeiern. Auch hier wurde jahrzehntelang gegen die Neutralitätspflicht des Staates verstoßen, indem solche Feierlichkeiten fast ausschließlich in Form von „Gottes“diensten stattfanden. Es ist aber nicht Aufgabe des Staates, religiöse Feiern zu organisieren oder abzuhalten oder sich, wie Nyncke richtig formuliert, „einseitiger Bekenntniserpressung, klerikalen Ritualen, … oder spaltender Symbolverehrung“ zu unterwerfen.

    Dem Privatmann Wulff und seiner Frau steht es frei, beim Besuch religiöser Kultstätten dem religiösen Diktat der jeweiligen Glaubensgemeinschaft zu folgen und sich eine Kopfbedeckung aufzusetzen oder seine Frau in einem separaten abgeteilten Bereich der Kultstätte zu parken. Als Repräsentant des deutschen Staates hat er sich derartiger Demutsgesten gegenüber Weltanschauungsgemeinschaften zu enthalten oder an derlei Veranstaltungen gar nicht erst teilzunehmen. Die Religionsgemeinschaften verlangen von den staatlichen Repräsentanten Toleranz für ihre religiösen Gebote, bestehen ihrerseits aber darauf, Anders- oder Nichtgläubigen ihre religiöse Dogmatik aufzuzwingen.

    Man stelle sich vor, nach einem angekündigten Amoklauf in einem Tuntenlokal der Schwulenszene hätte es fast 10 Tote gegeben, weil die Polizei keine Sicherheitsmaßnahmen für nötig hielt. Würde Wulff auf einer statlichen Trauerfeier dem Wunsch der Hinterbliebenen nachkommen und in einem schrillen Federboa-Outfit auftreten? Ich vermute: nein.

    Wenn man einmal den Multikulti-Begriff (multikulturell, multireligiös, multiweltanschaulich usw.) bei gleichzeitiger Beachtung des Art. 3 GG ernstnimmt, dann wird sich der Staat künftig auf grundlegende Veränderungen einstellen müssen. Denn es wird eine Vielzahl von (heute eventuell noch unbekannten) Kulten und Riten und Ansprüchen geben, die der Staat dann wird berücksichtigen – und im Zweifelsfall auch finanzieren! – müssen.

    Da aber beim Auftreten einer neuen Weltanschauung oder Religion diese gegenüber den bereits von Staats wegen berücksichtigten benachteiligt wäre, müsste diesem Zustand schnellstmöglich abgeholfen werden. Das kann der Staat (bzw. der geduldige geschröpfte Steuerzahler) auf Dauer aber nicht leisten. Es bleibt also – das Multikulti-Paradigma zuende gedacht – nur: Religion und sonstige Weltanschauungen sind Privatsache, die eben auch privat organisiert und finanziert wird.

    Entweder wird es z.B. neben den staatlich finanzierten Universitätslehrstühlen für Gottes“wissenschaft“ auch staatlich finanzierte Universitätslehrstühle für Esoterik“wissenschaft, für Homöopathie“wissenschaft“ oder Dianetik“wissenschaft“ (und viele andere) geben müssen – oder die staatliche Glaubensfinanzierung wird umgehend eingestellt. Im letzteren Fall wäre der Gleichheitsgrundsatz jedenfalls auch vollumfänglich eingehalten.

    Dass dieser Weg zu einer echten Trennung von Staat und Religion noch weit ist, zeigt sich z.B. an der SPD. Da sich eine „Arbeitsgemeinschaft der Laizisten in der SPD“ nicht gründen durfte, haben sich diese Menschen nun parteiextern als „Soziale und demokratische LaizistInnen“ organisiert. Die Parteitagsbeschlüsse der Piratenpartei für das Parteiprogramm zum Thema „Trennung von Staat und Religion“ lassen, so lau sie auch formuliert sind, immerhin hoffen.

    „Diese Trauerfeier könnte endlich einen Wendepunkt markieren für den Beginn einer neuen, wirklich Menschen- (und nicht Gottes-)gerechten Kultur der Besinnung und des Gedenkens.“

    Wo Gesinnung statt Besinnung und Bekenntnis statt Erkenntnis herrschen, hat der säkulare Staat schon verloren. Solange es in deutschen Schulen noch ein „ordentliches“ Lehrfach Religion gibt, sehe ich für die von Helge N. angedachte und angestrebte Veränderung allerdings schwarz. Es gilt auch weiterhin: „Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“ (Karl Marx, MEW 1/378)

    [1] Dies betrifft bei Beamten übrigens nicht nur ihr dienstliches (staatliches) Handeln, sondern auch ihr ausserdienstliches Verhalten, siehe §§ 53 und 54 Bundesbeamtengesetz.

    [2] tagesspiegel.de/politik/hoechster-und-hoechste-richter/4628808.html

  3. Bevor über eine „würdige“ Gedenkfeier nachgedacht wird, die ja (wenn die „Veranstalter“ ehrlich sind) wohl mehr dazu dienen soll, die mutmaßlichen Täter zu brandmarken und sich als Nation gegen „Rechts“ zu positionieren als den Opfern in ihrer Trauer beizustehen, sollten die Morde erst einmal zweifelsfrei aufgeklärt sein.
    Bis jetzt ist immer von den mutmaßlichlichen Tätern die Rede (die die vorab gemutmaßten Täter abgelöst haben).
    Ich halte die Morde durch das „Terror-Trio“ für möglich aber durchaus nicht zwingend.

  4. Dem letzten Satz von Helge Nynkes Kommentar wäre ja etwas abzugewinnen, wenn er den Zugang dazu nicht durch seine Art von Polemik selber verstellt hätte. Es interessieren hier überhaupt nicht seine andernorts angeblich unter Beweis gestellten Fähigkeiten, sondern der in seinem Leserbrief veröffentlichte Text.

    Zu kritisieren ist nicht die Textmenge im Verhältnis zu den angesprochenen Inhalten, sondern die darin ablesbare Strategie. Seine im Kommentar nun als „Thesen“ deklarierten Äußerungen, die religions- und kulturgeschichtliche Sachverhalte betreffen, lassen auch nicht andeutungsweise erkennen, dass sie begründungsbedürftig seien. Stattdessen versucht er, die Leserinnen und Leser unvermittelt in eine Wahrnehmungsalternative hineinzuführen und seine Meinungsgegner in eine obskure Ecke zu stellen. Menschen, die angesichts unverfügbarer Erfahrungen und nicht beantwortbarer Fragen nach dem Tod „auf die Knie fallen“, bescheinigt er „regressive Verhaltensmuster“ und seinen Kritikern einen „Beißreflex“. Wahrhaft aufklärend! Dieses nenne ich ein in autoritärem Gehabe sich zeigendes machtförmiges Denken.

    Sein im Kommentar angeführtes Beispiel von Äpfeln und Birnen würde im Übrigen besser dort passen, wo zwischen einer Primärquelle (z. B. der Bibel) einerseits und historischer Kritik bzw. Rekonstruktion und theologischer Hermeneutik andererseits zu unterscheiden ist. Eine Unterscheidung, die heute eigentlich Standard sein sollte, sich aber bei religiösen Fundamentalisten wie auch bei vielen heutigen Religionskritikern noch nicht herumgesprochen hat. Auch bei seinem Vergleich der angeblich begrifflichen Unvereinbarkeit von „Wirklichkeit“ und „Jenseits“ mit der Unauffindbarkeit von Stille im Lärm, hat er kein Glück. Was physikalisch zutrifft, muss in der Alltagserfahrung – in der religiösen Erfahrung allemal – noch längst nicht stimmen. Beispiele dafür ließen sich in der Bibel etliche finden, wenn man sie denn aufschlagen und mit etwas hermeneutischem Sachverstand lesen würde.

    Wer „Wirklichkeit“ jedoch nur eindimensional begreift, kommt in seinem Verstehen natürlich nicht weiter, als diese Grenzen es zulassen (ein hermeneutischer Zirkel, über den die Religionskritik ebenso wenig wie die Religion in ihren Reflexionsformen hinauskommt). Doch selbst dann müsste er nicht zwangsläufig anderen, hier: religiösen Erfahrungen unterstellen, dass sie sich nicht „immer wieder neu bewähren und geschichtlich verantworten müssen und dadurch stets veränderbar und entwickelbar bleiben“, sondern „auf Jahrtausende alten, unantastbaren ‚heiligen’ Dogmen beruhen“.

    Wie wäre es, wenn Helge Nynke die von im für die säkularen Kulturtechniken reklamierten ethischen Standards auch dort praktizieren würde, wo es um Wissensbereiche geht, die ihm persönlich fern liegen? Dann müsste er jedenfalls nicht mehr arg verstaubte Vorurteile hervorholen und längst überholte Frontlinien immer noch einmal aufbauen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Das gleiche gilt übrigens auch für Einlassung über die Theologie als Gottes“wissenschaft“ (schnippsel am 13.12.).

  5. Zunächst einmal danke für das entlarvende Stichwort einer „eindimensionalen“ Wirklichkeitsauffassung: wenn das Ihr Bild von Religionskritikern ist, dann haben Sie wenigstens genauso viel übersehen, wie Sie umgekehrt diesen Menschen unterstellen. Für mich zumindest kann ich sagen, dass meine Wirklichkeitswahrnehmung mindestens dreidimensional ist, und wenn jemand noch die Zeit als vierte Dimension definieren will, soll mir das auch recht sein. Der entscheidende Punkt ist doch der, dass wir evolutionären Humanisten, um es mal in eine benennbare Schublade zu stecken, ganz einfach davon ausgehen, dass es in unserer Wirklichkeit mit rechten Dingen zu geht, dass überall die Naturgesetze gelten und unser derzeitiger Wissensstand bis zu seiner immer möglichen Erweiterung durch neue Erkenntnisse allgemeiner Standart dessen ist, was wir als Realität bezeichnen. Alles Andere mag unterhaltsam, spannend, historisch interessant und hermeneutisch auf tausend Arten sezierbar und umdeutbar sein, gehört aber eben in den Bereich der Fiktion oder eben des Glaubens. Natürlich kann man die Bibel, ebenso wie jeden fiktiven Roman, drehen und wenden als bewegtes Zeugnis seiner Zeit, seiner Verfasser oder seiner Interpreten, aber wichtig bleibt die eindeutige Trennungslinie, zwischen dem, wovon wir ein Teil sind (die Wirklichkeit) und dem, was ein Teil von uns ist (die Fiktion, der Glaube). Diese Unterscheidung erst macht es uns möglich, uns wirklich angemessen wahrzunehmen in dem, was wir sind. Wer sich dagegen immer noch eine Parallelweltdimension als Hintertürchen offen lassen will und religiöse „Erfahrungen“ einfach als von den Naturgesetzen unabhängige Kathegorie aus jeder sachlichen Diskussion heraus nimmt, verwischt damit eben jene grundlegend notwendige Unterscheidung und stellt sich selbst eine Denkfalle, aus der heraus er dann oftmals genau die Polemik ertönen lässt, die er seinen Kritikern vorwirft. Aber dieser spiegelbildliche Schlagabtausch wird uns leider auch nicht weiter bringen. Es scheinen einfach zwei miteinander nicht kompatible Standpunkte bzw. Perspektiven auf die selbe davon übrigens völlig unberührte Wirklichkeit zu sein. Ich halte mich daher lieber an das, was mit den Sinnen erfahrbar und mit dem Verstand beweisbar ist und bin damit eigentlich reichlich zufrieden. Ich bin auch fiktiven Ausflügen, Dimensionen sprengenden Ideen, künstlerischen oder philosophischen Anregungen und spekulativen Mutmaßungen gegenüber gar nicht abgeneigt, so lange mir keiner erzählen will, dieser Roman sei wirklich genau so passiert und solle von nun an für alle als Richtschnur gelten und das obendrein noch als wissenschaftlich erwiesen erklärt oder, wo das nun wirklich nicht mehr haltbar ist, schlicht zum heiligen und für uns arme Menschen unergründlichen Geheimnis erklärt. Wenn Sie das unbedingt als autoritäres Gehabe und machtförmiges Denken bezeichnen wollen, gut. Ich nenne es schlicht gesunden Menschenverstand.

  6. Der große Aufreger scheinen die angesprochenen Themen ja nicht zu sein. Doch einmal noch: Allerdings nun nicht zum Sprachgebrauch von „ein-„ oder „dreidimensional“ (so etwas führt in der Regel nicht weiter); auch nicht zur merkwürdigen Logik, nach der der Teil eines Teils von einem Größeren gegenüber diesem Größeren getrennt sein soll, und das auch noch „eindeutig“ (als ob die Unterscheidung zweier Phänomene ihre Bezogenheit aufeinander ausschlösse).

    Auf eines jedoch will ich eingehen; denn es scheint, dass Helge Nynke meine Kritik an der Machtförmigkeit seines Vorgehens in seinem Leserbrief vom 7.12.2011 gar nicht verstanden hat. Oder er überspielt sie. Wenn er gegen einen „nun wirklich nicht mehr haltbar(en)“ Pappkameraden den „gesunden Menschenverstand“ in Stellung bringt, spült er die Aggressivität seiner Polemik gegen eine religiöse Lebensorientierung nur weich. Ein Ausweichmanöver (wenn mir der Kalauer erlaubt ist). Sein Verfahren ähnelt dem, das Arno Widmann gerade mal wieder an den Tag gelegt hat, als der in einem seiner gelegentlichen Anflüge von Häme aus dem Themen- und Wortschatz christlicher Traditionalisten schöpfen musste, um die christliche Botschaft insgesamt zu parodieren (FR vom 24.12.). Das kann man ja so machen. Aber will man dabei noch ernst genommen werden?

    Religion fragt, jedenfalls in ihrer reflektierten Form, nach dem Ganzen der Wirklichkeit und darin nach Orientierung für das ganze menschliche Leben. Darum ist es ein (bei vielen religiösen Menschen leider auch Selbst-) Missverständnis, wenn man Naturgesetze und Wissenschaften in einem grundsätzlichen Widerspruch zur Religion sieht. Denn sie erschließen auch in ihrer Summe doch immer nur Teilaspekte der Wirklichkeit, indem sie (z. T. konjunkturell bedingt) thematisieren, selektieren, definieren, objektivieren, Ausgewähltes miteinander verknüpfen etc. Wir haben aber auch ein spontanes Bewusstsein (Philosophen sagen das jedenfalls), das uns als Person und die Welt und das Leben als Ganzes unmittelbar in den Blick nimmt, wenn wir uns orientieren wollen oder müssen. Und wenn wir angesichts des Endlichen, des Chaotischen, des Unvorhersehbaren, des Sinnlosen für unsere Orientierung Boden unter die Füße zu gewinnen versuchen, dann erst recht.

    Glauben ist ein Vertrauen dort, wo der verborgene Grund der Wirklichkeit in den Blick kommt. Glauben führt auf einen Weg. Dieser Weg, so wie er in der biblischen Jesus-Christus-Geschichte bezeugt ist (was eben nicht heißt, es sei historisch alles „genau so passiert“) und bis heute Menschen bewegt, versteht sich nicht von selbst. Aber er vermag in passiver wie aktiver Auseinandersetzung mit dem Leben zu überzeugen, weil er uns unmittelbar zu uns selbst führt (uns anspricht) wie zu dem Grund des Ganzen (der uns anspricht). Gott (der noch viele andere Namen hat), uns aktiv zugewandt, uns auf dem Weg des Glaubens zugänglich und unverfügbar zugleich, gibt sich zu erkennen, indem er das im Leben Erfahrene in einem anderen, seinem/ihrem Licht erscheinen lässt. Christen nennen es Liebe, wie sie in dem Leben und Tod Jesu und in seiner Auferweckung durch Gott in Erscheinung getreten ist (und damit in unsere Wirklichkeit, welch intellektueller Skandal!).

    Dieses Erkennen als Begegnung mit dem ganz Anderen und doch ganz Nahen ist „Erfahrung mit der Erfahrung“, die uns in den realen Lebenszusammenhängen passiert, nicht selten dort, wo das gerade Gegenteil von „göttlich“ geschieht. Sie richtet auf und regt an. Sie klärt Altes und eröffnet Neues. Sie nimmt in Anspruch und macht frei. Indem wir davon befreit sind, uns selbst zu begründen, orientiert und ordnet sich das Leben neu. Und das im Loslassen und in der Passion des Lebens wie auch in aktiver, kreativer Selbstverwirklichung. Es entsteht ein Erwartungsraum für die „Wirklichkeit des Möglichen“, in dem wir Menschen werden (z. B. auch in der tätigen Hoffnung gegen alles zerstörerisch Sinnlose, s. Leserbrief von Georg Pape v. 3.12.). – Das in gebotener Kürze aus einer theologischen Sicht zu der Frage, „was wir sind“.

    Dieses Erkennen als eine spezifische Erfahrung mit der Erfahrung braucht die freie Zustimmung. Und darum würde es seiner Eigenart widersprechen, wenn Christen unter sich und für andere einen Bekenntniszwang ausüben würden. Wo sie es tun, hat das mit dem Gott Jesu Christi jedenfalls nichts zu tun. Aber nun von „Bekenntniserpressung“ zu sprechen, scheint mir im Gegenzug einer Strategie geschuldet sein, die nicht sein lassen will, was weltanschaulich nicht sein darf.

    Der „Realismus“, der sich mit dem begnügt, „was mit den Sinnen erfahrbar und mit dem Verstand beweisbar ist“, diese angeblich „allen Lebensbereichen zugrundeliegende Weltanschauung“, ist auch ein Weg, der von einem Vertrauen lebt. Manche nennen es Wissenschaftsgläubigkeit. Damit kann man sich „natürlich“ zufrieden geben und sein Leben in dem so Erkennbaren und Machbaren einzurichten versuchen. Aber wie weit reicht das? Hilft es zu leben, sich zu orientieren, da wo viele Fragen offen bleiben müssen?

    Und warum kommt er so aggressiv daher? Vielleicht weil die religiöse Rede von der Existenz eines „unergründlichen Geheimnisses“ als eine Kränkung empfunden wird? Für ein sich als völlig autonom ansehendes Selbstbewusstsein mag das so sein. Und dieses wird sich dann auch nicht von dem Gedanken beruhigen lassen, dass ein religiöses Selbstbewusstsein diese Kränkung ähnlich empfinden kann (und oft mit inflationärem Sprachgebrauch überdeckt, wenn es sich ihm nicht wirklich stellt). Dass die Wahrnehmung dieses Geheimnisses auch staunen lässt, uns groß macht, auch unsere Vernunft (statt uns nur als „arme Menschen“ hinzustellen), weil es sich in einem Menschen gezeigt hat – dazu wäre die Weihnachtszeit eine gute Gelegenheit. Doch nicht nur diese Zeit.

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