„Auch nur so ein Flüchtlingskind“
Von Heidi Konrad
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Meine Großeltern mütterlicherseits kamen im Frühjahr 1946, als Sudetendeutsche von den Tschechen vertrieben, nach dem Durchlaufen verschiedener Stationen hier im Westen mit fünf von sechs Kindern (zwischen 20 und 2 Jahren) in Bad Camberg im Taunus an. Der Weg bis dahin war beschwerlich, da der Transport von der Tschechoslowakei aus in Viehwaggons erfolgte und Wochen dauerte. Meine Mutter war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt.
Ein Teil der Ankömmlinge, darunter auch meine Familie, wurde in ehemaligen Wehrmachtsbaracken aus einfachem Holz am Ortsende untergebracht. In einer langgezogenen Reihe gebaut, passten in jede Baracke mehrere Familien. Jede Einheit war mit einem einfachen Ofen zum Befeuern ausgestattet und hatte in der Regel zwei (manchmal drei) Zimmer. Fließendes Wasser und eine Toilette gab es nicht in den Baracken, ein Wasserhahn für jeweils eine Familie war aber vor jeder Einheit im Freien installiert, die Plumpsklos in der Nähe stanken schlimm im Sommer.
Meine Großmutter war eine praktisch denkende Frau und überredete nach der Ankunft die älteren Töchter: „Ihr müsst dort arbeiten, wo es etwas zu essen gibt!“, und das war bei den Amerikanern, die ebenfalls in diesem Ort stationiert waren. (Drei Töchter haben später Amerikaner geheiratet und sind in die USA ausgewandert.) Meine Mutter wurde, wie man damals sagte, in Stellung geschickt, d.h. sie musste sich mit ihren 14 Jahren als Haushaltshilfe bei einer Familie im Ort verdingen.
Heidi Konrad einjährig
im Jahr 1955.
Foto: privat
Kontakte mit den Ortsansässigen hatten weder die Erwachsenen noch die Kinder, die Heimatvertriebenen blieben daher unter sich und meine Großmutter sagte immer: „Die Einheimischen wollen uns nicht haben“.
Ich selbst bin 1954 geboren und wuchs die ersten Jahre bei meinen Großeltern in diesen Baracken auf. Und ich habe noch, obwohl ich schon die nächste Generation und hier geboren bin, in meiner Grundschulzeit die Ablehnung zu spüren bekommen, in der Regel durch abfällige Blicke oder auch Bemerkungen. Einmal hatten wir eine Freistunde, und die Kinder, die wie ich einen weiteren Schulweg hatten, wurden aufgeteilt und aufgefordert, mit denjenigen nach Hause zu gehen, die in der Nähe wohnten. Als ich mit meiner Klassenkameradin auf deren Vater traf, der noch am Frühstückstisch mit Lesen beschäftigt war, senkte er die Zeitung, als er von der Situation hörte und erläutert bekam, wer ich sei. Er sagte: „Ach so, auch nur so ein Flüchtlingskind!“
Obwohl ich noch verhältnismäßig klein war, habe ich die Geringschätzung, mit der diese Worte gesprochen worden waren, bis heute im Ohr behalten. Genauso ist mir übrigens in Erinnerung geblieben, dass, wenn von jemandem gesprochen wurde, fein säuberlich unterschieden wurde; es hieß am Anfang oder am Ende immer: „Das sind Flüchtlinge“ oder „das sind auch Flüchtlinge“.
Erst 1959/1960 wurden für die Vertriebenen, die in diesen Baracken lebten, Mietshäuser aus Stein mit mehreren Wohneinheiten gebaut, d.h. erst gut 15 Jahre nach Kriegsende erfolgte ein Umzug in eine andere Unterkunft!
Heidi Konrad aus Ronneburg