Drohnen lassen Manna regnen

Im Krieg bleibt bekanntlich zuerst die Wahrheit auf der Strecke. Dann die Menschen und die Menschlichkeit.

Die Nato war nach Afghanistan gezogen, um die Taliban davonzujagen und einen funktionierenden Staat aufzubauen. Zuvor war Afghanistan zur Keimzelle des internationalen Terrorismus geworden, wobei ich in zwei Nebensätzen daran erinnern möchte, dass es die USA waren, die die Mudschaheddin gegen die sowjetische Invasion aufgebaut hatten. Inzwischen dauert dieser Krieg fast elf Jahre. Die Taliban sind immer noch da,  und der afghanische Staat, wenn man ihn so nennen will, funktioniert so richtig halbwegs nur in Kabul. Der Krieg, diese Erkenntnis scheint sich nun endlich auch in der Nato durchgesetzt zu haben, ist nicht zu gewinnen. Er ist vor allem deswegen nicht zu gewinnen, weil das Projekt, die Herzen und Köpfe der Afghanen zu erobern, als gescheitert angesehen muss, denn ein wichtiger Teil der Nato-Taktik ist gescheitert: die psychologische Kriegsführung. Dafür haben die US-amerikanischen Streitkräfte nachhaltig gesorgt.

Die jüngste Entwicklung ist geprägt von einem Hattrick von Eigentoren, wenn mir dieses verharmlosende Bild aus der Sportsprache gestattet sei. Erst geht ein Video um die Welt, das US-Soldaten dabei zeigt, wie sie einer Geste archaischen Männlichkeits- und Demütigungswahns auf erschossene Taliban urinieren. Dann werden in einer US-Kaserne Koran-Exemplare verbrannt. Und vor einigen Tagen erst zog ein US-Feldwebel los und erschoss 16 schlafende Menschen, darunter neun Kinder und drei Frauen. Was für ein Held! Und die Taliban brauchen sich um Propaganda für ihre Ziele nicht mehr zu sorgen.

Was ist mit den GIs los? Handelt es sich wirklich nur um Einzelfälle, wie uns die Propaganda schon anlässlich des Folterskandals von Abu Ghraib Glauben machen wollte? Linndie England und ein paar andere Täter wurden verurteilt, aber die, die das Foltern freigaben, wurden nicht belangt. Das Problem ist offenbar alles andere als erledigt, wie die Exzesse der US-Amerikaner in Afghanistan nun zu belegen scheinen – auch wenn es da nicht um Folter geht. Aber es geht um Fehlentwicklungen. Die Militärführung hat ihre Soldaten ganz offensichtlich nicht im Griff.

Der US-Feldwebel, der so tapfer die afghanischen Kinder erschoss, ist auf dem Armeestützpunkt Lewis-McCord im US-Bundesstaat Washington stationiert gewesen, einer gigantischen Kaserne mit rund 100000 Soldaten und Zivilangestellten. Von dort stammen auch andere Straftäter, die in Afghanistan, aber auch in den USA mordeten. Der Standort wird euphemistisch gern als „Problemkaserne“ bezeichnet. Jener Feldwebel war, bevor er diesmal nach Afghanistan versetzt worden war, bereits dreimal im Irak im Einsatz. Kann jemand sich nur ansatzweise vorstellen, wie diese Einsätze die eingesetzten Menschen deformieren?

Der Fisch stinkt bekanntlich immer vom Kopf. Etwas stimmt nicht mit den Strukturen in der US-Armee, etwas ist da gründlich faul. Schlimm, dass es so viele Tote geben musste. Schlimm aber auch, dass diese US-Soldaten, die da quasi Amok liefen – damit meine ich auch die Koranverbrenner -, auch ihren deutschen Kameraden kräftig in den Arsch traten. Bei den Isaf-Truppen, auch dem Bundeswehr-Kontingent, hat es im Lauf dieser fast elf Jahre viele Tote gegeben. Wofür? Diese Frage war schon immer sinnlos, aber trotzdem: Wofür, wenn die Nato sich selbst dergestalt ein Bein stellt, dass sie letztlich an sich selbst scheitert?

Der Afghanistan-Einsatz muss so schnell wie möglich beendet werden. Er hätte nie begonnen werden dürfen.

FR-Leser Peter Himstedt aus Hamburg scheint das ähnlich zu sehen:

„‚Die Taliban schwören Rache und schüren Hass‘, beginnt Ihr Bericht über das Massaker eines GI an schlafenden Menschen. Weiter unten sieht man, wie die märkische Pastorentochter vor dem Psalm 31 posiert: ‚In Deine Hände befehle ich meinen Geist.‘ Vielleicht wäre Matthäus 5 treffender: „ Selig sind, die geistig arm sind“. Während die heidnischen Taliban also den Hass schüren, verbreiten die christlichen Kreuzritter, allen voran der heilige St. Georg Oberst Klein, die frohe Botschaft von der christlichen Nächstenliebe. Bagram wird umbenannt in ‚Philadelphia‘ (= Nächstenliebe). Die barmherzige Samariterin Linndie England tröstet die Witwen und Waisen. General David Petraeus lässt alle zu sich kommen, die mühselig und beladen sind, und wird sie mit einem Bombenhagel erquicken. Die Menge der himmlischen Heerscharen lässt aus ihren Drohnen Manna regnen.
Nach den Vietnamesen und Irakern werden jetzt den Afghanen die Werte des christlichen Abendlandes vermittelt. Die Brüder in Christo stimmen ‚Ich bete an die Macht der Liebe‘ an, während sie den Koran versehentlich unsachgemäß entsorgen oder auf die Leichen ihrer gefallenen Feinde urinieren, die ja der allmächtige Gott in ihre Hände gegeben hat.“

Zu den Koranverbrennungen lasse ich hier einige etwas zurückliegende Leserbriefe folgen:

Peter Friedl aus Klein-Umstadt:

„Ich betrachte es als ein Grundrecht, einen Koran zum Beispiel zu erstehen, darin zu lesen und bei Nichtgefallen oder Desinteresse dieses Buch in den Müll zu schmeißen. Dieses Grundrecht sehe ich uneingeschränkt überall gültig.
Natürlich wäre ich nicht so blöde und unsensibel, dies öffentlich und gar in einem islamischen Land zu tun. Wenn es denn aber dennoch passiert, dann möchte ich zumindest nicht noch von westlichen Journalisten verurteilt werden.“

Jürgen Gojny aus Dortmund:

„So, so, in Afghanistan protestiert man, weil ein paar alte Bücher entsorgt wurden. Die wachsende Zahl von Attacken auf Schulen und Krankenhäuser am Hindukusch scheint kaum einen Buchleser zu stören.
So wie in Kundus, wo ein maskierter Buchliebhaber in eine Schule eindrang und einen kleinen Behälter in den Klassenraum warf. Er vergiftete 30 Kinder. Oder in der südostafghanischen Provinz Chost,wo in einer Schule eine Bombe explodierte und Kinder starben.
Im Süden Afghanistans erhielt eine Lehrerin von Buchverehrern Drohbriefe: „Wir warnen dich: Gib deinen Job sobald wie möglich auf, sonst schneiden wir deinen Kindern die Köpfe ab und zünden deine Tochter an.“
Um an dieser Stelle mit Heinrich Heine im Bild zu bleiben: Offensichtlich ist es in Afghanistan so, dass entgegen der Voraussage Heines dort erst die Menschen und dann die Bücher verbrannt werden.“

Paul Woods aus Neumagen-Dhron:

„Durch die Berichterstattung über die Bücherverbrennung in Afghanistan habe ich folgende Erkenntnisse gewonnen:
1. Nach zehn Jahren Besatzung hat die Gefängnisverwaltung der US-Armee in Bagram immer noch niemanden, der Bücher in arabischer Schrift nach Inhalt sortieren kann.
2. Das Personal der verschiedenen Nationalitäten (USA, Afghanistan) arbeitet nicht einmal beim Büchersortieren zusammen.
3. Bücher kann man nicht einfach wegschließen, sie müssen verbrannt werden.
4. Es gibt offensichtlich Massen von Menschen aus den westlichen Nationen, denen es am Arbeitsplatz nicht gefährlich genug sein kann. Deshalb gehen sie nach Afghanistan. Und müssen dann von dort evakuiert werden.
5. Zum Schluss drängt sich mir eine Frage auf: Vielleicht hätte man in Afghanistan gar nicht erst einfallen sollen?“

Andreas Widmann aus Hannover:

„Entschuldigungen bezüglich der Koranverbrennungen nützen nichts oder bewirken sogar das Gegenteil. Bundesaußenminister Guido Westerwelle übertreibt maßlos, wenn er sich so äußert: „Deutschland und alle seine Vertreter in Afghanistan empfinden tiefen Respekt für den Islam, seine Anhänger und seine Schriften.“ Jeder weiß, dass eine große Mehrheit im Westen den Islam für rückwärtsgewandt, frauenfeindlich und gewaltaffin hält. Das kriegen die in Afghanistan auch mit. Heucheln nützt nichts.
Wobei von radikalen Muslimen schon Kritik am Islam als Krieg gegen Allah, gegen den Islam und seinen Propheten Mohammed gedeutet wird. Sicher bin ich gegen Bücherverbrennungen. Die Erinnerung an die NS-Zeit sollte jeden mahnen. Aber, wenn barbarische Taliban eine unbeabsichtigte Entsorgung von Exemplaren des Koran als barbarisch brandmarken wollen, sollten die barbarischen Programme, die sie vom Koran ableiten, öffentlich gemacht werden, um totalitäre, vermeintlich religiöse Systeme zu verhindern.
Jemand könnte auf den Gedanken kommen, der Islam sei keine Religion sondern eine Religiose.“

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Ein Kommentar zu “Drohnen lassen Manna regnen

  1. „Drohnen lassen Manna regnen“ und früher gab es eben „Molotows Brotkörbe“… was moralisch nicht weniger fragwürdig erscheint.

    Als im wesentlichen nicht Neues, zumal die Besetzung Afghanistans ja doch schon vom Ansatz her unorganisiert und mit mangelndem Durchsetzungswillen ausgeführt wird.
    Warum ausgerechnet die Bundesrepublik sich mit dreisten Lügen: „..die BRD wird auch am Hindukusch verteidigt“ in ein militärisch fragwürdiges Unternehmen einbinden ließ, bleibt rational nicht nachvollziehbar!

    Möglicherweise ist die Antwort zu bestürzend wie trivial. Denn was in den Köpfen der Besatzung des Raumschiffs Berlin vorgeht, ist immer wieder für Überraschungen gut.
    Menschlich und moralisch ist die Verkommenheit der politischen Klasse, hinsichtlich der willfährigen Bewillligung eines aus militärischer Sicht zwecklosen Unternehmens etwa gleich der Fragwürdigkeit von Menschen die Gewaltausbrüche mit imaginierten „religiösen Gefühlen“ begründen.

    So gesehen: Politiker nach Afghanistan, Truppe nach Hause!

    Dann bekommt jeder Verantwortliche was er verdient!

    MfG Karl Müller

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