Frauen brauchen keine Moralapostel

Abtreibungen werden bisher per Strafrecht geregelt. Das war schon immer ein Skandal und hat die Frauen zu recht auf die Barrikaden getrieben. Jetzt gibt es eine Debatte über die Abschaffung des Paragraphen 218, nachdem Paragraph 219a vor einem Jahr aufgehoben wurde. Er kriminalisierte ärztliche Beratung über Schwangerschaftsabbrüche als Werbung für dieselben. Trotzdem ist es weiterhin so, dass es laut Bundesverfassungsgericht eine „Rechtspflicht zum Austragen des Kindes“ gibt. So werden Schwangere für unmündig erklärt. Diese Rechtspflicht kollidiert mit den Rechten der Frauen. Falls eine Frau – aus welchen Gründen auch immer – einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung zieht, gerät sie damit in einen fast unauflöslichen Konflikt, in dem ihr der Gesetzgeber nicht zur Seite steht.

Zu: „Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Missachtung des werdenden Lebens„, FR-Politik vom 21. Juni

Dünkel ist Gift für den Diskurs

in vielen strittigen Fragen hat die FR um ihr linkes Herz einen weiten Vorhof – einen Raum für Meinungsvielfalt. Sie lassen dort auch Leute, die nicht nach Ihrem Herzen sind, zu Wort kommen und refererieren andere Ansichten so, dass, wer sie hat, sich darin wiedererkennt. Nur beim Thema Abtreibung ist das anders, da ist Schluss mit linksliberal. Der mit Mühe errungene Kompromiss von 1975 und 1993 ist Ihnen offenbar nichts wert. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie die Leitgedanken der beiden BVerfGE je unvoreingenommen dargelegt, geschweige denn gewürdigt hätten. Statt dessen trommeln Sie für eine libertäre Deregulierung: Schwangere Frauen sollen in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes jederzeit selber entscheiden dürfen, ob sie ihr Kind austragen wollen oder nicht. Wenn die Entscheidung für Abtreibung fällt, soll der Staat flächendeckend für die medizinischen, finanziellen und rechtlichen Bedingungen sorgen, die das leicht möglich machen, und er soll mit rechtlichen Mitteln denen entgegentreten, die Abtreibung weiterhin als Unrecht kennzeichnen und verhindern wollen. 

Mein Problem ist nicht, dass das in der FR Blattlinie ist, und Sie Ihre Meinungsmacht dafür einsetzen, um diese Linie durchzuziehen. Das kenne ich aus der katholischen Kirche. Was mir missfällt, ist die Agitation dabei: das Zerrbild von Abtreibungsgegnern, in Ihrer Sprache „selbsternannte Lebensschützer“, an denen Sie kein gutes Haar lassen, und die systematische Ausblendung von Argumenten und Erfahrungen, die zwar die Nöte von ungewollt schwangeren Frauen sehen, aber Abtreibung dennoch als Unrecht und Unheil erkennen. Diese Ausblendung ist Gift für den Diskurs; sie täuscht eine Eindeutigkeit vor, die in Wirklichkeit nicht besteht, und nährt das Gefühl der moralischen Überlegenheit über Unbelehrbare, deren Rechte man nicht achten und deren Gründe man nicht ernst nehmen muss. Diese Ausblendung nimmt offenbar nicht nur Ihren Lesern die Sicht auf die Wirklichkeit – sonst hätten Sie beim „Thema des Tages“ vom 21. Juni nicht im Ernst titeln können: „Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Missachtung des werdenden Lebens.“ Ich kann gut verstehen, dass Frau Schlitt von Pro familia das so sehen möchte. Aber von Ihnen erwarte ich, dass Sie sich in das Denken und Empfinden von Menschen hineinversetzen können, die die Leibesfrucht für einen von der Mutter zu unterscheidenden Menschen mit Menschenrechten halten, und für die deshalb so eine Behauptung absurd ist. All das kenne ich übrigens auch aus der katholischen Kirche. Vielleicht wollen Sie da von uns lernen? Dünkel und Fühllosigkeit haben uns nämlich nicht gut getan. Sie diskreditieren unsere Überzeugungen, und heute gefährden sie unsere Existenz. 

Nicht zuletzt beunruhigt und bekümmert es mich, dass Sie, das Beispiel der USA vor Augen, die Sprengkraft einer extremistischen Position in den life issues für den gesellschaftlichen Frieden unterschätzen. Sie treten doch auch sonst für humanistische Werte in einer solidarischen Gesellschaft ein: Ich bitte Sie, suchen Sie einen Weg, der das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und das Lebensrecht von ungeborenen Kindern vermittelt. 

Johannes zu Eltz, katholischer Stadtdekan, Frankfurt 

Ein anderes Bild vom Menschen

Ob die FR in ihrem Artikel: „Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Missachtung des werdenden Lebens“ bessere und einfühlsamere Worte hätte finden können, kann ich nicht beurteilen. Es geht um die Legitimation von Schwangerschaftsabbrüchen. Auf jeden Fall ist diese Frage die Folge eines ethischen Dilemmas (das Leben des Ungeborenen gegen das Leben der Mutter, das nicht nur aus biologischer Lebendigkeit besteht). Es ist eine Entscheidungssituation, und es geht nicht um irgendwelche Nöte, die die Frau zu ertragen hat.
Die „Lebensschützer“ behaupten, es wäre eine moralische Norm, ein Gebot oder sonst so etwas höchst Wertvolles, das von den Frauen verletzt wird. Es ist aber in Wirklichkeit die Entscheidung einer erwachsenen Person zwischen zwei gleich wertvollen Gütern. Egal wie entschieden wird, etwas von dem Wertvollen wird nicht berücksichtigt. Dahinter steht ein anderes Bild vom Menschen und seinen Möglichkeiten als das dieser Lebensschützer.
Die Mehrheit der AbtreibungsgegnerInnen sehen nur das Rechtsgut des Ungeborenen, das bei einer Abtreibung verletzt wird. Mit ihnen kann man nicht diskutieren, weil man sich der Meinung anschließen müsste, dass man darüber nicht diskutieren kann. Man kann sich dem Normativen nur unterwerfen.
Gelernt haben die „Abtreibungsgegner“ das von den christlichen Kirchen, nicht unbedingt von der christlichen Botschaft. Das Leben ist danach ein Normenkatalog, den es einzuhalten gilt. Es kommen keine Entscheidungen vor. Die Obrigkeit sagt, was richtig ist und was falsch. Der Mensch hat höchstens „Nöte“ damit. Beratung besteht dann darin, die Nöte zu minimieren und nicht, eine Entscheidung herbeizuführen.
Die Beratungen, die in unserer Gesellschaft für Schwangerschaftsabbrüche vorgeschrieben sind, sollen die Entscheidung den Betroffenen erleichtern, indem möglichst alles Für und Wider erörtert wird, die Entscheidung aber bei der Ratsuchenden bleibt. Jede Entscheidung ist eine Entscheidung für und gegen etwas. Das ist das Wesen eines Dilemmas.
Diese offene Situation des „Sich Entscheidenkönnens und -müssens“ predigen die unmittelbaren Seelsorger gerne, können sie aber nicht in ihrer kirchlichen Praxis einlösen. Das widerspricht dem Normenkatalog der Hierarchie vom Bischof aufwärts. Daran ändert auch eine entsprechende Bitte des wohlwollenden Stadtpfarrers von Frankfurt an die FR nichts.

Peter Scheuermann, Hofheim

Priester üben ihre Rolle bevormundend aus

Selten hat mich ein Leserbrief dermaßen aufgebracht wie der des Frankfurter Stadtdekans Johannes zu Eltz. Er wirft darin der FR „die systematische Ausblendung von Argumenten und Erfahrungen (vor), die zwar die Nöte von ungewollt schwangeren Frauen sehen, aber Abtreibung dennoch als Unrecht und Unheil erkennen“. Unrecht? Ob unsere Verfassungsrichter-innen einen Schwangerschaftsabbruch immer noch wie vor 30 Jahren im § 218+219 als Unrecht bestimmen oder eine Neuregelung angebracht ist, nur darum ging es in Bascha Mikas Interview mit der stellvertretenden Pro-Familia-Vorsitzenden Stephanie Schlitt (FR v. 21.6.). Wenn zusätzlich Stadtdekan zu Eltz für die Frankfurter Katholik-innen in der FR einen Schwangerschaftsabbruch als „Unheil“ bestimmt, hätte ich wenigstens andeutungsweise seine Einblendung von „Argumenten und Erfahrungen“ erwartet, die die FR angeblich dünkelhaft ausblendet. Doch da er dazu die Gelegenheit in seinem Leserbrief ungenutzt verstreichen lässt, scheint er sich eher hinter den stumm mahnenden Lebensschützer-innen zu verstecken und stärkt diesen lieber moralisch den Rücken mit seiner „Unheil“-Verkündung. So zielen beide gemeinsam auf das schlechte Gewissen der Frauen, die meist notgedrungen und ohne echte kirchliche Hilfen ihre ungeplante Schwangerschaft abbrechen lassen müssen.
Dies habe ich in hunderten von ärztlich-psychotherapeutischen Gesprächen mit ungewollt Schwangeren seit 50 Jahren eindrücklich erfahren. Niemals fühlte ich mich dabei wie ein Priester versucht, eine moralisch-ethisch höherwertige Stellung gegen sie auszuspielen. Zugespitzt gesagt: Die Hälfte der Psychotherapie- und Psychiatriepraxen wäre wohl überflüssig, wenn ihnen nicht bevormundende Priester ihre seit Generationen in Schuldgefühle getriebenen Gläubigen zutreiben würden. Dass ausgerechnet zölibatäre Priester – mit kirchlich verordneter Verklemmtheit und der Versuchung, ihr Triebleben in pädosexuellen erzwungenen Missbräuchen zu verstecken – bei Liebe, Lust und Schwangerschaft Autorität oder gar Kompetenz durch behauptete Argumente und Erfahrungen beanspruchen, fordert wegen verschwendeter Glaubwürdigkeit zu weiteren Kirchenaustritten – vor allem bisher bevormundeter Frauen – geradezu auf.
Überlasst die patriarchalen Kirchen den Patriarchen! Vielleicht kann das Haus am Dom demnächst dem Stadtdekan in einer Podiumsdiskussion mit Pro-Familia-Vertreterinnen, Gynäkolog-innen und Richter-innen mit §218-Bezug Gelegenheit geben, seine Argumente und Erfahrungen zur Abtreibung als Unheil nachzuholen. Und die FR berichtet. Claus Metz, Bad Vilbel

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