Der Fall eines Mannes, der ins Kosovo abgeschoben wurde, obwohl er sich in Gießen in stationärer psychiatrischer Behandlung befand, wühlt derzeit die Gemüter auf, auch hier im FR-Blog. Da stellen sich viele Fragen. Handelt die Bundesrepublik hier noch wie ein Rechtsstaat? Werden die Schutzbedürftigen bei uns wirklich geschützt? Der folgende Gastbeitrag von Ute Vogell aus Hofheim zeigt, dass sich dieselbe Frage täglich stellt — und nicht nur anlässlich finaler Entscheidungen wie Abschiebungen. Frau Vogell berichtet von Tendenzen, die viele Fragezeichen aufwerfen. Ihr sehr langer Leserinbrief konnte im Print-Leserforum nur um die Hälfte gekürzt veröffentlicht werden und hat dort trotzdem noch den Platz eingenommen, den ich einem einzelnen Leserinbrief gerade eben noch zugestehen kann. Hier kommt nun die ungekürzte Langerversion als Gastbeitrag im FR-Blog.
Fragwürdigkeiten im Asylverfahren
von Ute Vogell, Hofheim
.
Die Fragwürdigkeiten im Asylverfahren beginnen wesentlich früher – das wissen hauptamtliche und freiwillige Helfer wie ich aus trauriger persönlicher Erfahrung.
Bereits während der Anhörung fühlen sich einige Flüchtlinge durch die ihnen zugeordneten Dolmetscher schlecht vertreten: Unzureichende Sprachkenntnisse von Dolmetschern werden von den Flüchtlingen beklagt, die selbst bereits ein wenig Deutsch gelernt haben. Außerdem werden die von der Anhörung angefertigten Protokolle nicht immer übersetzt und nochmals verlesen. Stattdessen wird den Asylbewerbern gesagt, es sei alles in Ordnung und sie mögen bitte unterschreiben. Die böse Überraschung kommt mit der Ablehnung des Asylantrags; diese stützt sich häufig auf so nicht getätigte Äußerungen bei der Anhörung, die aber angeblich protokollarisch korrekt festgehalten und angeblich von den Asylbewerbern mit Unterschrift genehmigt worden seien. Hier fehlt offensichtlich eine interne Qualitätskontrolle beim BAMF.
Mindestens ebenso fragwürdig fallen einzelne Ablehnungs-Begründungen aus: So wird zum Beispiel ignoriert, dass Eritrea ein Land mit vielfältigen Sprachen ist. Das Nichtbeherrschen der vom BAMF-Entscheider als „Landessprache“ deklarierten Sprache wird als Zeichen für die fehlende Staatsangehörigkeit gewertet. Oder: Der lebenslange Zwangsmilitärdienst in Eritrea wird mit dem deutschen Militärdienst gleichgesetzt und damit als Schutzgrund für hinfällig erklärt. Oder: Die Angriffe auf eine afghanische Hindu-Familie (Kinderentführung und –tötung, Raubüberfall, Verhinderung des Schulbesuches der Tochter, keine rituelle Totenbestattung wegen langer und gefährlicher Wege) werden nicht als religiöse Verfolgung bzw. Diskriminierung von Mädchen, sondern als Lebenstatsache in Afghanistan hingestellt, die jeden treffen könne. Dies gilt auch für einen Familienvater, der mit anderen oppositionellen Dorfbewohnern von den Taliban beschossen wurde. Es gilt für afghanische Kinder, deren Klassenkameraden als Kindersoldaten rekrutiert wurden. Und auch für eine Lehrerin, die sich um Mädchenbildung bemühte und vergewaltigt wurde.
Die Argumentation der Entscheider im BAMF ist seltsam einförmig: Eine persönliche Bedrohung liege nicht vor – weder aus religiösen, politischen oder geschlechtsspezifischen Gründen. Dies sei halt der kriminelle Alltag in Afghanistan und daher nicht schutzwürdig. Niemand sei als Person individuell bedroht.
Damit wird nicht nur die Auffassung des Bundes-Innenministeriums und der hessischen Landesregierung konterkariert, dass Afghanistan ein sicheres Land sei. Auch der sozialpsychologische Zusammenhang zwischen dem Verfall von staatlicher Autorität und der deutlichen Zunahme von Übergriffen auf Minderheiten wird ignoriert. Am schlimmsten aber ist: Das Asylrecht wird ausgehebelt. Auch Anne Frank wurde nicht im KZ zugrunde gerichtet, weil sie Anne Frank war. Es ging nicht um sie als Person. Es ging um ihre Religionszugehörigkeit als Jüdin.
Dieser Zusammenhang wird in vielen Ablehnungen von Asylgesuchen inzwischen ignoriert. Die Entscheider verlangen eine auf die jeweilige Person bezogene individuelle Bedrohung. Politische Überzeugung, Rasse, Religion, Herkunft, Geschlecht scheinen nicht mehr zu zählen. Verstöße dagegen werden als „allgemeine Kriminalität“ abgetan – und damit wird der Schutzstatus der Betroffenen geleugnet.
Sind diese Beispiele nur Fahrlässigkeit? Der Unkenntnis und Unfähigkeit von überstürzt eingestellten Dolmetschern, Anhörern und Entscheidern geschuldet? Oder hat das Ganze Methode?
Der oberste Dienstherr des BAMF, der Bundesinnenminister, hat in Bezug auf die geplante Handy-Überwachung von Asylbewerbern öffentlich erklärt : Falls jemand behaupte, er sei Eritreer, aber seine Handy-Daten zeigten hauptsächlich Telefonate in den Sudan, dann könne man zurecht seine angegebene Staatsangehörigkeit anzweifeln. Was zeigt das? Ist Herr de Maiziere schlecht informiert? Weiß er nicht, dass viele eritreische Familien sich derzeit in sudanesischen, äthiopischen Flüchtlingslagern aufhalten oder dass sich einzelne Familienmitglieder auf dem Fluchtweg durch Lybien oder Ägypten befinden? Insofern sind Handy-Daten absolut kein Beweis für die Staatsangehörigkeit!
Ich unterstelle unserem Bundesinnenminister keine Ignoranz. Also muss ich von politischem Kalkül ausgehen. Und daher fürchte ich, dass auch die Entscheidungen des BAMF derzeit politisch motiviert sind. Die Willkommenskultur, die viele Deutsche pflegen, ist bei den Behörden leider nicht angekommen. Vielmehr geht es um politischen Opportunismus bei der Ablehnung und Abschiebung von Flüchtlingen.
In meinen Augen: Die Fragwürdigkeiten im Asylverfahren haben Methode! Kein Wunder, dass diese rechtlich anfechtbaren Entscheidungen zu einem drastischen Anstieg der Zahlen von Asylstreitverfahren vor den deutschen Verwaltungsgerichten führen – auf Kosten der Steuerzahler natürlich, wenn sie positiv für die Kläger ausgehen. Kein Wunder, dass aus politischen Gründen der Wetterau-Kreis Anzeige gegen einen Gießener Arzt erstattet. Das wiederum ist sehr fragwürdig. Vielmehr verdient dieser Arzt absoluten Respekt, weil er die ethischen Normen, die uns alle in der Bundesrepublik Deutschland leiten sollten – also unsere von der Politik reklamierten „westlichen Werte“ – ins Bewusstsein ruft.
Wieder mal ohne Textverständnis?
Eigentlich disqualifiziert sich der Beitrag schon grundsätzlich mit der undifferenzierten „Flüchtlings“Darstellung.
Ansonsten gilt:
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“.
Betroffenheit ist kein Ersatz für Argumente, denn allgemeine gesellschaftliche Gewalt und Kriminalität waren und sind keine politische Verfolgung.
@ Karl Müller
Was Ute Vogell hier beschreibt macht nachdenklich und sollte uns zu Nachfragen animieren, wie hier aus politischer Opportunität verfahren wird. Ihre buchstabengetreue Kälte, Herr Müller, erschreckt mich.
@ I. Werner,
und mich erschreckt, die fortgesetzte Willkür, wenn es denn ins eigene, empathiegesteuerte Weltbild passt.
Es geht doch gar nicht darum ggf. Schutzgründe nicht anzuerkennen, sondern um den kindlichen Umgang mit Begriffsbestimmungen und die naive Art scheinbar alles und jeden „retten“ zu wollen.
@ Karl Müller
Gesetze können unterschiedlich interpretiert und sogar durch das Parlament verändert werden. Sie dienen den Menschen und nicht umgekehrt. Vor allem müssen sie verfassungskonform sein, d.h. sie müssen mit den Menschenrechten vereinbar sein.
Hallo Frau Ernst,
so weit kommt doch der auslösende Beitrag gar nicht. Wer sich nicht wenigstens zu den korrekten Definitionen herablässt, hat weder ein Interesse an einer lösungsorientierten Diskussion noch kann erwartet werden das letztere inhaltlich überhaupt bewältigt werden kann!
@ Karl Müller
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“
Das ist richtig, bedarf aber noch einiger Ergänzungen.
Ich zitiere aus dem Text des UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) zur Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und zu dem Protokoll von 1967.
Als Flüchtlinge werden Menschen definiert, „die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, um Zuflucht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu suchen.“
„Die Konvention und das Protokoll sind und bleiben die feste und universell anerkannte Grundlage für den Schutz derjenigen, die aufgrund einer ernstzunehmenden Bedrohung ihres Grundrechts auf Leben, Sicherheit, Freiheit und Würde gezwungen sind, ihr Land zu verlassen. […]Sie (die Gruppenfeststellung) garantiert eine lebenswichtige Zufluchtstätte für Kriegs-, Konflikt- oder Gewaltopfer […], die als Teil einer Massenfluchtbewegung ins Land kommen.“
„Der vorläufige Schutz bietet den Staaten eine praktische Möglichkeit, grundsatzgetreu auf große Zahlen von Asylsuchenden zu reagieren, die durch Krieg und allgegenwärtige Gewalt vertrieben wurden.“
Es stimmt also nicht, dass nur von staatlicher Seite politisch Verfolgten Schutz zu gewähren ist, sondern auch Menschen, deren Leben in einem Krieg wegen allgegenwärtiger Gewalt ihr Land verlassen, werden als Flüchtlinge anerkannt und genießen Schutz.
Meine Güte, Herr Müller! Er schreibt schon wieder genau das Gleiche, was er in Abschiebung-4 geschrieben hat! Lassen wir ihn doch mal einfach rechts liegen, statt immer wieder gegen seine stereotypen 2 Sätze anzuargumentieren!
Das Vorgehen gegen Flüchtlinge und Asylbewerber ist genau so gemeint wie es aussieht! Es gab ein Gesetz nach dem anderen inklusive der Behauptung sicherer Herkunftsländer und der Behauptung, in Afghanistan gebe es sichere Orte für abgeschobene Asylbewerber. Und dazu gehören auch die Anhörungen mit z.T. miserabel ausgebildetem Personal – die übrigens genau wie die willfährigen gut bezahlten Ärzte, die den Gesundheitszustand beurteilen sollen – gerne tun, was von ihnen erwartet wird: so wenig wie möglich Fluchtgründe erkennen. Frau Vogell arbeitet als hauptamtliche/ehrenamtliche Mitarbeiterin in dem Bereich. Sie weiss, wovon sie spricht. gleiches höre ich von den jugen Juristen in Hamburg, die von absurden Bescheiden, bestehend aus fertigen Textbausteinen berichten.
Hallo Frau Ernst,
es dürfte sicher mehr als 10 unterschiedliche Arten von Konventionsschutz geben, was auch zweckmäßig ist. Ich versuche lediglich daran zu erinnern das mann nicht einfach alles unter „Flüchtling“§ subsummieren kann und soll.
@ Frau Flach,
die meisten Asylbewerber werden nicht positiv beschieden, die Ablehnungszahlen sprechen für sich.
Das langjährige Organisationsverschulden und die Verantwortungslosigkeit beim BAMF lasten Sie mir noch gleich warum an?
Es wäre viel einfacher trennscharf zu definieren wann berechtigt Gefahren für Leib und Leben geltend gemacht werden können oder wann nicht.
@ Karl Müller
bitte präzisieren Sie, was Sie mit undifferenzierter „Flüchtlings“Darstellung meinen. Auch das „empathiegesteuerte Weltbild“ klingt so abwertend. Ich finde Empathie sehr wichtig für das Zusammenleben der Menschen, besonders auch für Menschen in Not. Meinen Sie, das sei eine Gefühlsduselei?
Was Ute Vogell hier beschreibt, ist eine Nichtbeachtung der Interessen der Schutzsuchenden. Dolmetscher, die die Sprache aus den Herkunftsländern nicht beherrschen, verunsicherte Asylbewerber, die Protokolle unterschreiben, die sie nicht genau verstehen. Was schädliche Folgen für sie hat. Mag sein, dass unsere schnell in die Ämter berufenen Kräfte in der Beurteilung überfordert sind, ich wäre das sicher auch. Gerade deshalb mag es Ihnen scheinen, dass es rechtliche Vorgaben erleichtern, Entscheidungen zu treffen, die frei von emotionalen Empfindungen sind. Immer an der Rechtslage entlang (die allerdings auslegungsbedürftig ist).
Mut ist gerade gefordert, ja wie auch immer das gemeint ist, fordere ich mal Mut zu mehr Menschlichkeit.
@ Karl Müller
Zu Ihrer Behauptung vom 4.April, 20:49:
„die meisten Asylbewerber werden nicht positiv beschieden, die Ablehnungszahlen sprechen für sich.“
Woher nehmen Sie denn diese Erkenntnis? Mir liegen andere Zahlen vor:
Quelle: BAMF, Aktuelle Zahlen zu Asyl im Jahr 2016, Ausgabe Januar 2017)
Anerkennung als Flüchtling: 36,8%
Gewährung von subsidiärem Schutz: 22,1%
Abschiebungsverbot: 3,5%
Als unbegündet abgelehnte Fälle: 25%
Formelle Entscheidungen (meist Überstellung zum Asylverfahren in einem anderen EU-Land entsprechend dem Dublin-Abkommen): 12,6%
Also: Nur 25% eindeutige Ablehnungen. Diese Zahlen sprechen in der Tat für sich.
@Frau Ernst: selbst wenn die negativen Bescheide in sehr große Zahl erfokgen heisst das nicht, dass die Menschen keine legitimen Fluchtgrűnde hätten. Es kommt darauf an, was ein Staat als legal definiert. Und das hängt offensichtlich von der aktuellen politischen Gemengelage ab. Es ist nicht irgendwo einbetoniert. Schauen Sie nur auf die Definitionen für „sichere Herkunftsländer“. Und schauen Sie auf das Geschwurbel rund um Afghanistan und seine „sicheren“ Gebiete! Und so werden auch die Gesetze gemacht bzw. -noch unauffälliger, da oft nur den Fachleuten bekannt – die Verfahrensregeln.
@ Irmgard Flach
Ich verstehe nicht, was sie mir sagen wollen. Ich habe doch Herrn Müller gerade entgegengehalten, dass er irrt, wenn er behauptet, die meisten Asylbewerber würden abgelehnt. De facto liegen die Ablehnungen nur bei 25%, und das zeigt, dass die Mehrheit der Antragsteller auch nach Meinung der Entscheider gute Gründe hatten, bei uns Schutz zu suchen.
Dass darüberhinaus die Flüchtlinge aus Afghanistan ebenfalls vor Abschiebungen geschützt werden müssten, bestreite ich gar nicht.
@Frau Ernst: Sie haben die derzeitigen Zahlen genannt – die tatsächlich hohe Anerkennungszahken darstellen. Ich habe an die vielen Jahre davor gedacht, in denen es nur sehr wenig Anerkennungen gab – dafür viele Menschen, die aus humanitären Grűnden nicht abgeschoben werden konnten. Dennoch wurden die niedrige Anerkennungsrate argumentativ als Waffe genutzt ebenso wie das Wort von den Wirtschaftsflűchtlingen und auch der Begriff der sog. Sicheren Herkunftsländer.
Offenbar hat Herr Müller meinen Leserbrief nicht richtig verstehen wollen. Außer persönlich gemeinten Diskreditierungen („empathie-gesteuert“/ „undifferenzierte Flüchtlings-Darstellung“) hat er in der Sache nichts zu sagen. Will er nur Stimmung machen? Was sind seine Sachkenntnisse?
@ Karl Müller 3. April 2017: Was mich als jemand, der nur peripher an dieser Problematik beteiligt ist, an Ute Vogells Leserbrief bewegt, ist das Engagement für Menschen,deren überwiegend noch junges Leben durch Krieg und menschliche Katastrophen zermalmt wird. Ich wünsche mir und rufe alle dazu auf,die wie Ute Vogell sachkundig etwas zur aktuellen Flüchtlingsproblematik und zu den entseelten Kommentaren a la Karl Müller zu sagen haben, dies massenhaft kund zu tun. Vielleicht bewegt dies ja auch unsere Politiker dazu,wenn sie wieder einmal unsere humanistisch-christlich-jüdischen Werte beschwören, darüber nachzudenken, was sie da eigentlich einfordern.
Hallo Frau Ernst,
lesen Sie eigentlich was Sie schreiben?
Anerkennungsrate ca. 36 % i.S. des Schutzes vor politischer Verfolgung….
Der Rest hat damit nichts zu tun.
Guten Tag Frau Vogel,
ich für meine Teil darf mich mit dem geschenkten Extremismus aus der Perspektive Gefahrenabwehr beschäftigt. Da hält sich meine Euphorie in sehr engen Grenzen.
Und für die Verständnisschwierigkeiten zeichnen Sie selbst verantwortlich, da Sie geruhen sämtliche Rechtsstellungen mit reiner Wirtschaftsmigration in einen Topf zu werfen.
Ihr Beitrag ist in jeder Weise eine Zumutung, als Diskussionsgrundlage sind solche von Befindlichkeiten geleiteten Einlassungen einfach unbrauchbar.
@ Karl Müller
„… eine Zumutung … einfach unbrauchbar …“
Frau Vogells Beitrag enthält eine Reihe von Beobachtungen, die tatsächlich eine Zumutung sind — für Menschen, die an den Rechtsstaat glauben und daran, dass es beim Asylverfahren neutral und gerecht zugeht. Ich halte den Beitrag für alles andere als „unbrauchbar“, nehme Ihre Kritik aber zur Kenntnis und lade alle Beteiligten hiermit ein, von nun an inhaltlich zu den Fragen zu diskutieren, die der Leserinbrief aufwirft. Wenn Sie ihn als Diskussionsbeitrag ebenfalls für „unbrauchbar“ halten, brauchen Sie ja nicht mitzudiskutieren.
Hallo Bronski,
es ist von der Methodik her eine Zumutung, moralische Aspekte haben dabei inhaltlich nicht verloren, es sind auch keine validen Kriterien da kaum objektivierbar.
Warum, hatte ich erläutert.
Auf eine „Diskussion“ von undefinierten Befindlichkeiten kann in der Tat verzichtet werden, da völlig gewicht- und ergebnisfrei.
Frau Vogell beschreibt in ihrem Beitrag, dass in ihren Augen von den Beamten oft falsche Entscheidungen getroffen werden. Die Beamten werden vermutlich antworten, dass sie sich an Recht und Gesetz halten. Wer in diesem Falle richtig liegt, das zu entscheiden, ist Sache der Verwaltungsgerichte. Wie Frau Vogell schreibt, häufig sich die Klagen bereits. Sollten die Verwaltungsgerichte die Entscheidungen häufig aufheben, so ist damit zu rechnen, dass sich die Entscheidungspraxis entsprechend ändert. Für die Karriere eines Beamten ist es sicherlich nicht förderlich, wenn seine Entscheidungen vom Verwaltungsgericht einkassiert werden.
Frau Vogell macht als einzigen Vorschlag, dass die Beamten ihre Entscheidungspraxis ändern sollten. Diese werden das aber so interpretieren, dass sie das Recht beugen sollen.
Was soll also diskutiert werden? Wollen wir den Verwaltungsgerichten vorgreifen?
Sollen die Gesetze geändert werden? Dann muss jemand einen Vorschlag machen, den man dann diskutieren kann.
Soll diskutiert werden, ob die Gesetze gerecht sind?
Die von Frau Vogell angedeutete politische Verschwörung zu diskutieren, halte ich nicht für sehr fruchtbar.
@ Henning Flessner
Wo liegt das Problem? Selbst wenn dieses Thema wirklich ausdiskutiert sein sollte, was ich nicht glaube, eignet sich dieser Thread immer noch für andere freiwillige HelferInnen dazu, weitere Beobachtungen hinzuzufügen. Und wenn das nicht passiert, bleibt das Thema dennoch aktuell und der Leserbrief lesenswert. Ihnen fällt nichts mehr ein, was Sie dazu sagen wollen? Nun, ich wiederhole mich, aber: Wo ist das Problem?
@Bronski
Mein Fehler. Ich hatte das zu diskutierende Problem nicht gefunden.
@ Henning Flessner
Es geht nicht um Fehler, sondern um ein Gesprächsangebot. Das ist nicht immer gleichbedeutend mit einem Diskussionsangebot. Ich weiß aus verschiedenen Quellen, dass die Praxis, wie die Asylverfahren mitunter schon ab Antragstellung verlaufen, nicht immer ideal ist, und ich bin sehr froh, dass sich endlich mal jemand, die das selbst beobachtet hat, mit einem Leserinbrief dazu geäußert hat. Dass das Thema kaum zu diskutieren ist, liegt auf der Hand, aber ebenso liegt auf der Hand, dass es hier Missstände in der Praxis gibt, über die geredet werden muss. Nicht Ihr Fehler. Nicht mein Fehler. Trotzdem ein Thema.
@ Karl Müller
Selbstverständlich haben diejenigen, die subsidiären Schutz genießen, etwas mit dem Thema „Flüchtlinge“ zu tun. Ihnen wird zwar kein Asyl im eigentlichen Sinne gewährt, sie werden aber vom UNHCR als „Flüchtlinge“ bezeichnet und, zumindest für eine gewisse Zeit, nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben. Der Grund ist in diesem Fall „Krieg und allgegenwärtlige Gewalt“.
Ihre Kritik, nicht trennscharf zu unterscheiden, richtet sich also auch an den UNHCR. Schön, dass Sie über mehr Sachkunde verfügen als dieser!
Hallo Frau Ernst,
was erwarten Sie was mir eine Staatsanwaltschaft erzählt, wäre ich nicht mehr in der Lage eine Abgrenzungsentscheidung zu treffen?
Was der UNHCR meint interessiert mich schlicht nicht.
Herrn Müller liegt einzig und allein daran zu provozieren. Das ist mein Eindruck. Von daher wundert mich schon seit langem, dass immer wieder versucht wird, ihn zu überzeugen. Ich halte das für müßig und unfruchtbar.
Zurück zur Debatte: die Fehler in der praktischen Druchführung durch gerichtliche Kontrolle ausräumen zu wollen ist gut und schön – kommt aber für viele Betroffene zu spät.Sie sind dann oft bereits außer Landes, da nicht alle Widersprüvhe aufschiebende Wirkung haben. Es liegt außerdem wesentlich an den vorhandenen Gesetzen sowie dem z.T. schlecht ausgebildeten, in Windeseile zusammen getriommelten Personal. Es ist eine POLITISCHE Entscheidung, die Romfamilie, wie in der FR vom 06.04. geschildert, morgens um 5 aus den Betten zu holen. Das ist eine unerträgliche Grausamkeit – insbesondere bei Familien mit Kindern. Es muss andere Wege geben – wenn es schon zu derartigen Abschiebungen kommt.
Für den Syrischen Familienvater (ebenfalls Bericht am 06.04.), der aufgrund der Aussetzung des Familiennachzuges seine gesamte Familie verloren hat, gab es eine Spendensammlung. Wie wäre es damit auch für die Romfamilie mit krankem Vater, die derzeit in einem 12 qm kellerähnlichen Raum hausen müssen? Vielleicht kann Bronski dazu etwas sagen? gibt es evtl bereits ein solches Spendenkonto? – Ich weiss, dass hat mit grundsätzlichen Lösungen nichts zu tun.Aber das haben ja viele Spenden so an sich.
@I. Flach
Ich stimme Ihnen zu (auch was Herrn Müller anbelangt).- Was können wir aber – außer dem humanitären Ansatz wie spenden – POLITISCH tun? Hilft es, die hessischen Grünen aufzufordern, die Abschiebungen nach Afghanistan zu verhindern? Oder gibt es sogar jemanden/eine Initiative7eine Organisation, die Klage gegen des obersten Dienstherrn des BAMF, Herrn de Maiziere, erheben würde, wegen unzureichender „Qualitätskontrolle“ des BAMF? Denn dieses fällt zuviele fragwürdige Entscheidungen , die uns Steuerzahler Geld kosten (ich fürchte, dass dieser Argumentationsstrang der erfolgsversprechendste ist)
@H. Flessner
Das Problem ist: Fragwürdige (um nicht zu sagen: rechtsbeugende) Abschiebebegründungen, die uns Steuerzahler viel Geld kosten.
Es mag sein, dass die Beamten/Angestellten/Mitarbeiter im BAMV subjektiv meinen, sie hielten sich an Recht und Gesetz.Ich denke aber, sie erhalten „Hilfestellungen“, weil sie ja häufig nicht entsprechend juristisch vorgebildet sind, sondern kurzfristig eingestellt wurden. Wie dem auch sei: Wer überprüft die „Gesetzestreue“ der Bescheide des BAMFs außer den Verwaltungsgerichten – wenn nicht nicht eine kritische Öffentlichkeit? Denn viele Ablehnungen werden leider nicht vor Verwaltungsgerichte gebracht, da es weder Geld für Gerichtskosten/Rechtsanwälte noch Kompetenz gibt, dies zu tun. Meine Beispiele im Leserbrief zeigen, dass die entsprechenden Ablehnungen zumindest fragwürdig waren und entsprechend Verwaltungsgerichtsklagen nach sich ziehen.
Aber muss das sein? Die Situation der betroffenen Flüchtlinge will ich hier bewusst außer acht lassen. Sondern ich will mich viel mehr auf uns alle als Staatsbürger und Steuerzahler beziehen. Müssen wir wirklich tolerieren, dass BAMF-Mitarbeiter so offenkundig fragwürdige Entscheidungen treffen, was Asylrecht und Menschenrechte anbelangt? Ich denke: Nein . Wir müssen uns gegen diese politische Zumutung wehren.
Denn:Die Vorgesetzten/ möglichen Kontrolleure im BAMF scheinen die politische Entscheidung getroffen zu haben, dass viele Abschiebungen im Wahljahr zum Stimmengewinn helfen. Das zeigt ja die von mir zitierte Aussage des Bundesinnenministers in Bezug auf Handy-Abhörung – sachlich ist seine Aussage sehr fragwürdig. Ich erwarte von einem Politiker in seiner Position, dass er genügend informiert ist, um die Fakten zu kennen. Ansonsten sollte er wegen Inkompetenz seinen Hut nehmen. Das will Herr de Maiziere natürlich nicht. Er verkauft uns Wähler für dumm, indem er trotz aller Fakten seine fragwürdige Aussage macht, wahrscheinlich um Stimmung für – in diesem Fall – die Kriminalisierung von Flüchtlingen zu machen. Meine Meinung: Wenn der Dienstvorgesetzte solch eine sachfremde und asylrechtlich fragwürdige Linie vorgibt – welche Objektivität können wir dann von den nachgeordneten Mitarbeitern erwarten???? KEINE – ODER SEHEN SIE DAS ANDERS ?
@ Ute Vogell
Aus den Erfahrungen bei der Vorbereitung und Begleitung von Flüchtlingen (warum ich diesen Begriff verwende, habe ich Karl Müller bereits in einer früheren Diskussion ausführlich erläutert) zur BAMF-Anhörung, die ich und meine Kolleginnen und Kollegen als ehrenamtliche Mitarbeiter der Organisation ArrivalAid gesammelt haben, kann ich die von Ihnen festgestellten „Fragwürdigkeiten im Asylverfahren“ zum Teil bestätigen und ergänzen. Tatsächlich gibt es immer wieder Probleme mit den vom BAMF eingesetzten „Sprachvermittlern“, bei denen es sich in der Regel nicht um zertifizierte Dolmetscher handelt. Die BAMF-Anhörer sind zwar angehalten (und tun es meiner Erfahrung nach auch), zu Beginn der Anhörung den (weiblichen oder männlichen) Flüchtling zu fragen, ob die Verständigung funktioniert. Für den Flüchtling bedeutet es aber eine hohe Hürde, den Sprachvermittler abzulehnen, obwohl dies sein Recht ist. Zum einen gibt es eine kulturelle Schwelle, weil eine solche Ablehnung eine grobe Unhöflichkeit gegenüber der Amtsperson wäre. Zum anderen würde die Ablehnung zu einer weiteren Verzögerung der Anhörung führen, auf die die Flüchtlinge bereits Wochen oder Monate gewartet haben. Oft ergeben sich die Verständigungsschwierigkeiten erst im Laufe der Anhörung, was die Ablehnung des Sprachvermittlers zusätzlich erschwert.
Dabei ist es für den Flüchtling entscheidend, dass er sein Anliegen in der Anhörung vollständig und ausreichen differenziert vortragen kann, zumal bei einem späteren Widerspruch gegen den BAMF-Bescheid von den Verwaltungsgerichten nur die Sachverhalte zählen, die bei der Anhörung vorgebracht wurden. Außerdem können die meisten Flüchtlinge keine objektiven Belege für ihre Fluchtgründe vorweisen, sodass die Stichhaltigkeit ihres Vortrags entscheidend ist. Dabei kommt es oft auf scheinbare Nebensächlichkeiten an, deren Bedeutung sich nicht selten erst im Laufe der Anhörung, die mehrere Stunden dauern kann, erschließt. In den seltensten Fällen übersetzen die Sprachvermittler wortwörtlich, sondern fassen die Schilderung zusammen, wobei Details weggelassen oder verfälscht werden. Auch der Anhörer protokolliert die Übersetzung nicht wortwörtlich, sondern formuliert das Protokoll, das er in den PC tippt oder mit einem Spracherkennungsprogramm diktiert, im Beamtendeutsch zusammenfassend. Dabei geht ein Großteil der individuellen Formulierungen, die für die Glaubwürdigkeit der Schilderung entscheidend sind, verloren.
Bei der vorgeschriebenen Rückübersetzung des Protokolls, die unserer Erfahrung nach am Ende der Anhörung tatsächlich erfolgt, hat zwar der Flüchtling die Möglichkeit, einige Fehler zu korrigieren oder fehlende Aussagen aufnehmen zu lassen. Oft fehlt ihm aber nach einer mehrstündigen Anhörung die dafür nötige Konzentration. Außerdem ist er auf die korrekte Rückübersetzung des Sprachvermittlers angewiesen. Ein Begleiter, der mit der Geschichte des Flüchtlings vertraut ist, kann in diesem Punkt hilfreich eingreifen, obwohl dem Begleiter das Recht dazu eigentlich nicht zusteht. Dazu muss man wissen, dass die Entscheidung über die Schutzgewährung oft nicht der Anhörer trifft, sondern ein anderer Entscheider lediglich auf der Basis des Protokolls!
Die Frage, wie weit die Entscheidungen des BAMF durch Politik beeinflusst sind, sehe ich differenzierter als Sie. Es trifft zu, dass die Entscheider weisungsgebunden sind, sodass von der BAMF-Leitung bestimmte Vorgaben zu einzelnen Ländern gemacht werden. Dies führte z.B. dazu, dass 2016 die meisten syrischen Flüchtlinge nur noch subsidiären Schutz erhalten haben, während sie davor als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt wurden. Es ist sicher kein Zufall, dass die Anerkennungspraxis sich gerade dann geändert hat, als von der Union die Einschränkung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Flüchtlingsschutz durchgedrückt wurde. Allerdings haben die Entscheider die Fluchtursachen jedes Flüchtlings individuell zu bewerten, auch wenn er aus einem „sicheren Herkunftsland“ kommt. In diesen Fällen gilt allerdings eine Art von Beweisumkehr: Der Flüchtling muss die Vermutung widerlegen, dass er trotz der allgemeinen Lage in seinem Heimatland verfolgt wurde. Dies gilt z.B. für Homosexuelle aus dem „sicheren Herkunftsland“ Senegal, wenn es ihnen gelingt, die Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung glaubhaft zu machen.
Grundsätzlichere politische Probleme sehe ich z.B. bei Flüchtlingen aus Afghanistan und Irak, weil die Genfer Konvention nur vor staatlicher Verfolgung schützt. Durch Rechtsprechung abgesichert ist zusätzlich auch dann ein Schutzanspruch, wenn die individuelle Verfolgung von einer nicht-staatlichen Gruppe ausgeht, sofern der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, den Betroffenen vor dieser Verfolgung zu schützen. Der Flüchtling aus Afghanistan bzw. aus Irak muss aber glaubhaft machen, dass er persönlich zur Zielscheibe der Taliban oder des IS wurde. Die Berufung auf die allgemeine Gefährdung durch Terror begründet den Schutzanspruch nicht, anders als bei Bürgerkriegen. In diesem Punkt müsste die Genfer Flüchtlingskonvention dringend der veränderten Verfolgungssituation angepasst werden, wozu aber der politische Wille – nicht nur in Deutschland – fehlt.
Die Ablehnung des Flüchtlingsschutzes durch das BAMF für viele Afghanen oder Iraker entspricht also dem gültigen Recht. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Folge eine Abschiebung sein müsste. Es ist die Aufgabe der Ausländerämter zu prüfen, ob eine Abschiebung nach Afghanistan oder Irak mit einer akuten Gefahr für Leib und Leben verbunden ist. Hier kann und muss die Politik entscheiden, die sich nicht nach Wählerstimmungen, sondern nach der tatsächlichen Gefährdungslage zu richten hätte.
Noch ein Anmerkung zu den Möglichkeiten eines Einspruchs gegen die BAMF-Entscheidungen oder gegen Abschiebeanordnungen: Für diese gibt es eine Frist von lediglich sieben Tagen ab Zustellung des Bescheids (beginnend ab Abgabe des Briefes bei der Flüchtlingsunterkunft). Ohne Hilfe von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern würden die meisten Flüchtlinge schon an dieser Frist scheitern, denn in dieser kurzen Zeit ist es schwierig, einen im Asylrecht versierten Anwalt zu finden (zumal der Flüchtling die Anwaltskosten tragen muss). Wichtig ist auch, gleichzeitig die aufschiebende Wirkung zu beantragen, die meines Wissens von den Verwaltungsgerichten meistens gewährt wird.
@Ute Vogell
„Wer überprüft die „Gesetzestreue“ der Bescheide des BAMFs außer den Verwaltungsgerichten – wenn nicht nicht eine kritische Öffentlichkeit?“
Nach meiner Meinung ist es allein Aufgabe der Verwaltingsgerichte, Verwaltungsbescheide zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben.
Wie stellen Sie sich denn konkret vor, wie die Öffentlichkeit die Bescheide überprüft? Was passiert, wenn die Öffentlichkeit zu einem anderen Ergebnis kommt als das Verwaltungsgericht?
Da haben Sie natürlich recht, Herr Flessner, das kann die Öffentlichkeit nicht tun. Wir können nur versuchen deutlich zu machen, dass wir diese Art von Asylpoltik nicht gut heissen und dass es eine andere Mehrheit hier im Land gibt als die der Rechtpopulisten (zu denen ich auch Teile der CSU sowie Herrn de Meziere zählen möchte). Amnesty und Pro Asyl weisen beständig hin auf die vorhandenen fragwürdigen Gesetze und Verwaltungsrichtlinien. Was wir tun können, ist, deren Arbeit zu unterstützen – praktisch und per Spende. Oder uns direkt an unsere Wahlkreisabgeordneten wenden und versuchen, da Druck auszuüben. Vor allem jetzt vor der Wahl. Und hartnäckig sein, wenn es wieder um eine konkrete Abschiebung geht. Da sind ja Schulklassen und Nachbarschaften schon oft sehr wirksam gewesen.Natürlich nur in Einzelfällen, wo die betroffenen Menschen schon gut vernetzt waren. Ich muss zugeben, dass auch ich da mehr tun könnte als bisher.
@ Henning Flessner/Irmgard Flach
Wie das Asylverfahren gestaltet und vom BAMF durchgeführt wird, sind durchaus Fragen, die auch der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Es ist unser demokratisches Recht, über die politischen Vorgaben auch bei der Einschätzung der allgemeinen Lage der einzelnen Länder – z.B. in diesem Blog – zu diskutieren, von Politikern Änderungen zu verlangen und Organisationen zu unterstützen, die entsprechende politischen Forderungen stellen.
Was den Einzelfall betrifft, kann auf die Einhaltung eines fairen Verfahrens hingewirkt werden, indem man Flüchtlinge über ihre Rechte und Pflichten aufklärt und sie zu der Anhörung beim BAMF begleitet, wie es unsere Organisation ArrivalAid und andere Flüchtlingshelfer regelmäßig tun.
@JaM
D’accord.
@H.Flessner
Natürlich müssen die Verwaltungsgerichte die Entscheidung des BAMF überprüfen – da gebe ich Ihnen Recht!
Aber wissen Sie, wie die derzeitige Praxis aussieht? Innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides müssen die abgelehnten Asylbewerber eine Klage gegen die Bundesrepublik einreichen : D.h. sie müssen einen 10 bis 15-seitigen Ablehnungsbescheid verstehen, mit dem selbst deutsche Akakdemiker im Detail Schwierigkeiten, falls sie nicht juristisch vorgebildet sind. Dann brauchen sie Helfer, die das Juristendeutsch verständlich machen. Anschließend muss ein im Asylrecht bewanderter Anwalt gefunden werden, der noch Zeitkapazitäten hat. Ebenso muss die Finanzierung gesichert werden (hier in der Regel 500 Euro Zuschauss und Ratenzahlung). Dann muss ein entsprechender Vertrag mit dem Anwalt geschlossen werden. Anschließend muss der Anwalt sofort Klage erheben, die innerhalb einer Woche nach Zustellung erfolgen muss.
Ich bin sehr froh, dass viele Flüchtligshelfer und Anwälte diesem Zeitdruck standhalten. Aber Sie können sich sicher vorstellen, dass viele Asylsuchende eben nicht das entsprechende Glück haben. Deshalb muss die kritische Öffentlichkeit sich zu Wort melden: gegen diesen fragwürdigen Zeitdruck bis zur Klageerhebung, gegen fragwürdige Ablehnungsgründe , für humanitäre Lösungen!
@Ute Vogell
Ich bin kein Jurist, aber Ihre Angaben stimmen nicht mit dem überein, was man im Internet (z.B. hier:
http://www.verwaltungsgericht-lueneburg.niedersachsen.de/verwaltungsgerichtsbarkeit/klageverfahren/klageverfahren-104073.html oder hier:
http://www.ra-roessner.de/aktuell/aktuell-detail/vorgehensmoeglichkeit-bei-einem-negativen-asylbescheid.html) findet.
Die Klage gegen den Ablehnungsbescheid muss innerhalb eines Monats eingereicht werden. Die Klagebegründung kann nachgereicht werden. Es gibt keinen Anwaltszwang. Man kann seine Sache vor einem Verwaltungsgericht selber vertreten. Was innerhalb einer Woche eingereicht werden muss, ist der Antrag auf aufschiebende Wirkung. Formularmuster findet man im Internet.
@ Ute Vogell
Die Klage gegen den BAMF-Bescheid muss innerhalb der im Bescheid genannten Frist eingereicht werden (bei Anträgen, die als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden, eine Woche, sonst zwei Wochen). Am sichersten ist, wenn der Flüchtling die Klage (und nicht zu vergessen: auch den Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage) persönlich zur Niederschrift bei der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vorträgt, das in dem Bescheid genannt ist. Die Geschäftsstelle des Gerichts muss dann nämlich selber auf die Einhaltung der Formvorschriften achten. Die Klage und das Verwaltungsgerichtsverfahren sind kostenfrei. Die Begründung der Klage und des Antrags auf aufschiebende Wirkung kann aber nachgereicht werden, was innerhalb eines Monats erfolgen muss. Auch das ist sehr knapp, denn hierfür braucht der Flüchtling juristische Hilfe, in der Regel durch einen Anwalt, der bezahlt werden muss.
@ Henning Flessner
Die verlinkte Anwaltsauskunft ist nicht korrekt (möglicherweise überholt). Die von mir genannten Fristen sind im Asylgesetz (§ 74)festgelegt (und werden auch im Ablehnungsbescheid so angegeben), sie laufen ab Zustellung des Bescheides, die der Postbote auf der Zustellurkunde einträgt. In Sammeluntewrkünften bekommt der Flüchtling den Bescheid oft erst ein, zwei Tage später ausgehändigt.
Ein Anwaltszwang besteht bei dem Verwaltungsgericht zwar nicht, aber ohne rechtliche Beratung kann kaum ein Flüchtling eine vernüftige Klagebegründung und die sonst nötigen Stellungnahmen schreiben. Die Kapazitäten der ehrenamtlichen Rechtsberatungen, die z.B. amnesty international anbietet) sind begrenzt, sodass Flüchtlinge doch auf die Hilfe eines Anwalts angewiesen sind. Diese dürfen laut der Berufsordnung nicht unentgeltlich tätig werden.
@Henning Flessner:
Ich habe selbst diese Fristsetzung in den mir vorgelegten Ablehnungsbescheiden gesehen. Ich beziehe mich auf Fälle in Hessen.
Im übrigen hat JaM auf den entsprechenden Paragraphen des Asylgesetzes verwiesen, wo Sie die Fristen nachlesen können.
@ JaM
Natürlich besteht die Möglichkeit, die Klage etc. direkt beim zuständigen Verwaltungsgericht einzureichen. Aber welcher Flüchtling traut sich das zu und welcher Unterstützer wird ihn dazu ohne rechtlichen Beistand ermuntern? Ich denke, die Erfolgsaussichten müssen vorher einschätzbar sein. Insofern ist der von mir beschriebene Weg wohl eher die Regel.
@ Ute Vogell
Die Einreichung der Klage und des Antrags auf aufschiebende Wirkung zur Niederschrift bei der Geschäftsstelle des Gerichts kann ich aus meiner Erfahrung nur empfehlen (sie wird auch z:B. von der Refugee Law Clinic München empfohlen), weil so am sichersten die Frist gewahrt und Formfehler vermieden werden. Sicherlich ist es sinnvoll, wenn der Flüchtling von einem deutsch sprechenden Helfer begleitet wird, der aber keine juristischen Kenntnisse haben muss. Es reicht, den Bescheid mitzunehmen. Die Klage kann man jederzeit folgenlos zurücknehmen, sobald die notwendige rechtliche Beratung stattgefunden hat, für die man aber mehr Zeit gewonnen hat.
Also wenn ich das so geballt lesen und zur Kenntnis nehmen muss, dann ist doch deutlich ersichtlich, dass seitens der Gesetze und Rechtsvorschriften mit Bedacht die Hürden sehr hoch gelegt worden sind. Überschrift: hoffentlich schaffen es so wenig wie möglich! 6
@Ute Vogell
Mit den Fristen bis zur Klageerhebung haben Sie Recht.
So dramatisch wie Sie alles dargestellt haben, ist aber doch nicht.
Innerhalb einer Woche muss der Ablehnungsbescheid nicht verstanden werden, es muss kein Anwalt in dieser Zeit gefunden werden und auch keine Klagebegründung geschrieben werden.
@ Henning Flessner
„So dramatisch wie Sie alles dargestellt haben, ist aber doch nicht.“ Sie irren gewaltig, für die Betroffenen ist es dramatisch. Die Frist läuft nämlich ab der Zustellung, deren Datum der Postbote in die Zustellurkunde einträgt, wenn er den Brief in den Briefkasten der Flüchtlingsunterkunft einwirft. Bis der Flüchtling den Bescheid in den Händen hält, vergeht mindestens ein Tag, oft auch zwei, im ungünstigen Fall auch drei. Die Deutschkenntnisse der meisten Flüchtlinge reichen nicht aus, um den Bescheid zu verstehen. Die wenigsten können daher überblicken, dass es vorerst ausreichend ist, die erste Seite (Ergebnis der BAMF-Prüfung) und die letzte Seite (Rechtsbelehrung) zu lesen. Nur dank der ehrenamtlichen Betreuung wissen die Flüchtlinge, dass sie sich schnell mit dem Bescheid bei ihrem Helfer melden müssen, den bei der BAMF-Anhörung, bei der ein Sprachvermittler verfügbar ist, werden sie nicht über ihre Rechte und die Fristen aufgeklärt.
Bis der Flüchtling den ehrenamtlichen Helfer erreicht hat und dieser den Bescheid erstmals lesen kann, ist wieder mindestens ein Tag vergangen, wenn beide berufstätig sind, auch schon zwei. Damit beginnt auch für den ehrenamtlichen Helfer der Terminstress, den auch dieser hat in der Regel keine juristische Erfahrung und musst sich zunächst bei jemandem Kundigen im Helferkreis oder bei einer auf die juristische Flüchtlingsbetreuung spezialisierten Organisation informieren, wie man einen Widerspruch formgerecht aufsetzt. Dass der Widerspruch selbst keine aufschiebende Wirkung hat und diese innerhalb der Klagefrist zusätzlich beantragt werden muss, steht meines Wissens nicht in der Rechtsbelehrung. Damit ist man wieder einen Tag beschäftigt. Per Post kann man die Klage und den Antrag nicht schicken, weil unsicher ist, ob der Brief noch innerhalb der Frist eingeht. Au Fax will man sich in solcher Situation auch nicht verlassen, also muss der Flüchtling oder sein Helfer zum Briefkasten des Gerichts fahren. Auch dafür braucht man einen halben bis ganzen Tag, wenn man nicht direkt am Standort des Gerichts, sondern im Umland wohnt. Alternativ geht der Flüchtling (in der Regel mit seinem Helfer) zur Geschäftsstelle des Gerichts, um die Klage und den Antrag zur Niederschrift abzugeben, was aber nur an Wochentagen während der Büroöffnungszeiten möglich ist. Ohne ehrenamtliche Helfer, die es nicht überall gibt, ist das Ganze für den Flüchtling kaum zu schaffen.
Das Perverse (mir fällt keine angemessenere Wertung ein) an der Frist ist, dass sich das BAMF Wochen und Monate Zeit nimmt, bis der Flüchtling zur Anhörung kommt, und weitere Wochen oder Monate vergehen, bis der Bescheid erstellt und dem Flüchtling zugestellt wird. Welchen vernünftigen Grund gibt es, dem Flüchtling gerade sieben Wochentage (nicht Arbeitstage) für die erste Reaktion zu lassen?
@JaM
Ich will die Fristen nicht verteidigen. Mich störten nur die „Ungenauigkeiten“.
Es würde mich interessieren, wie groß die Chance bei „offentsichlich unbegründeten“ Anträgen ist vor dem Verwaltungsgericht zu gewinnen. Die Gerichte scheinen wohl keine Statistik zu führen. Ich habe nur eine Stelle gefunden, wo es hiess gegen null Prozent, aber das bezog sich auf Flüchtlinge vom Balkan.
@JaM vom 14.4.2017
Danke für Ihren Tipp!
@I. Flach:“…dann ist doch deutlich ersichtlich, dass seitens der Gesetze und Rechtsvorschriften mit Bedacht die Hürden sehr hoch gelegt worden sind.“
Ja, leider – so ist. Besonders zynisch finde ich die Ablehnungsbegründungen gegen afghanische Asylsuchenden Diese erfolgt nach dem Muster „circulus vitiosus“: Afghanistan wird einerseits als ein sicheres Herkunftsland deklariert. Andererseits werden Asylanträge wegen religiöser Verfolgung (z.B. Hindu) oder wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe abgelehnt mit folgender Begründung: Die geltend gemachten Verfolgungshandlungen seien ja nicht nachweisbar aufgrund von Religions-oder Gruppenzugehörigkeit erfolgt, sondern weil die allgemeine Lage im Land eben so instabil sei, dass Gewalttaten jeden treffen könnten. Insofern sei auch keine individuelle Bedrohung nachweisbar .Mit anderen Worten – Pech gehabt! Denn weil Afghanistan ein sicheres Land sei, ist eine Abschiebung dorthin rechtens.
Angesichts der vielen persönlichen Leidensgeschichten von Vergewaltigungen, Tötungen, Erpressungen, Gewalterfahrungen, Diskriminierungen und der absolut unsicheren Zukunftsperspektive speziell für Mädchen und Frauen halte ich eine Abschiebung für unzumutbar. Wer diese befürwortet, sollte sich selbst ernsthaft fragen: Würde er selbst mit seiner Familie in einem solchen Land leben wollen?
Übrigens: Auf der Homepage des BAMF unter Asyl- und Flüchtlingsschutz Verfahrenssteuerung und Qualitätssicherung findet man deutliche Hinweise auf Gleichschaltung der Entscheider und Anhörer. Denn wenn diese nicht den vorgegebenen Weisungen, Arbeitsanleitungen etc. folgen, hält ihre Arbeit den internen Qualitätskontrollen vermutlich nicht stand. Deswegen klingen die Ablehnungsbescheide seltsam konstruiert und standardisiert. Dem individuellen Anspruch auf Asyl wird dies nicht gerecht. Und meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit auch nicht.
@ Henning Flessner
Meine Erfahrung umfasst nur das eigentliche BAMF-Verfahren. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen von ArrivalAid helfen wir den Flüchtlingen, die wir auf die BAMF-Anhörung vorbereitet und sie dorthin begleitet haben, gegen den Ablehnungsbescheid Klage einzureichen. Um die Klage zu begründen und den Flüchtlingen bei dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu helfen, bedarf es juristischer Kenntnisse, die ich nicht habe.
Wann die Asylanträge als „offensichtlich unbegründet“ und wann „nur“ als unbegründet abgelehnt werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß auch nicht, ob dies einen Einfluss auf die Entscheidung der Verwaltungsgerichte hat. Soweit ich weiß, haben Flüchtlinge, die konkrete Verfolgung geltend machen, zumindest die Chance, mit einem schlüssigen Vortrag zu überzeugen, da die Verwaltungsrichter den Flüchtling persönlich erleben und nicht, wie viele BAMF-Entscheider, nur anhand des Protokolls entscheiden. Außerdem sind die Verwaltungsrichter nicht weisungsgebunden. Eine Statistik, in wie vielen solcher Fälle die BAMF-Entscheidung korrigiert wird, kenne ich aber nicht.
Syrische Flüchtlinge, die vom BAMF inzwischen fast nur noch subsidiären Schutz erhalten, haben in manchen Bundesländern gute Chancen, von Verwaltungsgerichten den vollen Flüchtlingsschutz zu erhalten. In anderen Bundesländern hingegen nicht. Eine bundeseinheitliche Rechtsprechung wird es erst in zwei, drei Jahren geben – und da wird sich die Lage in Syrien längst wieder verändert haben.
Flüchtlinge aus Afghanistan, die eine „allgemeine“ Bedrohung geltend machen, wie sie es Ute Vogell schildert, haben meines Wissens auch vor den Gerichten nur geringe Chancen, anerkannt zu werden. Dies liegt nicht daran, dass Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“ gelten würde (Afghanistan steht nicht auf der Liste der „sicheren Herkunftsländer“, siehe http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/Sonderverfahren/SichereHerkunftsstaaten/sichere-herkunftsstaaten-node.html). Die Ursache ist die (meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäße) enge Auslegung der Flüchtlingskonventionen, die „nichtstaatliche“ Verfolgung oder Bedrohung der Gesundheit und des Lebens (wie sie für Afghanistan und Irak typisch sind) unzureichend berücksichtigt. Auch von den Gerichten wird auf die Möglichkeit der innerstaatlichen Flucht in „sichere Gegenden“ (oder bei religiösen Minderheiten, die in ihrem Heimatort nichtstaatlicher Diskriminierung oder Drangsalierung ausgesetzt sind, in die Anonymität einer Großstadt) verwiesen bzw. argumentiert, dass sich die Anschläge von IS oder Taliban gegen die gesamte Bevölkerung richten und die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass es gerade den Asylbewerber trifft. Nach der übereinstimmenden Einschätzung der Flüchtlingsorganisationen ist die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan ein zwingendes allgemeines Abschiebehindernis (die schwächste Form des Flüchtlingsschutzes). Immerhin lassen auch die Gerichte und ein Teil der Landesbehörden, die für den Vollzug der Ausweisung zuständig sind, bei einer individuellen Prüfung der Abschiebung diese Argumente für Familien gelten, während die Bundesregierung mit verstärkten Abschiebungen neue Fakten schaffen will, was bisher vor allem junge, alleinstehende männliche Afghanen trifft.