Was die deutschen Ceta-Kritiker nicht hinbekommen haben, das schafft nun anscheinend die Wallonie, der französisch-sprachige Landesteil Belgiens, der mit großer Autonomie ausgestattet ist. Die wallonischen Volksvertreter machten in Brüssel klar: Wir wollen dieses Freihandelsabkommen nicht. Und damit könnte Ceta nun tatsächlich noch scheitern, auch wenn der Brüsseler Apparat alles in Bewegung gesetzt hat, um es zu retten und Druck auf die Wallonen auszuüben.

EU muss die Wallonie bändigen“ , lautete eine Überschrift zum Thema in der FR, der mehrere Leserinnen und Leser nicht zustimmen. Dass die EU jetzt vor einem Desaster in Sachen Ceta steht, ist jedoch nicht den Wallonen anzulasten, sondern den Demokratiedefiziten in der EU, wie FR-Leitartikler Andreas Schwarzkopf schrieb. Ich glaube, damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.

fr-theseWir brauchen Instanzen, die mit dem Recht ausgestattet sind, Verträge für uns alle abzuschließen

Die EU-Kommission muss gegenüber internationalen Verhandlungspartnern mit einem Mandat auftreten können, das robust genug ist, um für den gesamten EU-Raum zu verhandeln. Die Kommission wird von den Regierungen der EU-Staaten eingesetzt und vom EU-Parlament bestätigt (oder abgelehnt). Die Regierungen der EU-Staaten sind demokratisch legitimiert, das EU-Parlament ist von den EU-Bürgern gewählt. Eine Wahl der EU-Kommission durch das Parlament oder gar das EU-Volk ist vom Europäischen Konvent vor 15 Jahren diskutiert worden, konnte aber nicht durchgesetzt werden. Auf der Basis der EU-Verträge, deren Hüterin die EU-Kommission ist, ist diese ausreichend demokratisch legitimiert und sollte daher das Recht haben und imstande sein, Handelsverträge wie Ceta für die EU abzuschließen.

Dahinter steht die Erkenntnis, dass Nationalstaaten in Zeiten der Globalisierung Schwierigkeiten haben, ihre Interessen zu vertreten, wenn sie auf sich allein gestellt sind. Großbritannien wird das schon bald merken. Die EU funktionierte als Interessenverbund lange recht gut, hat aber in letzter Zeit — nicht nur wegen der Debatte über die Verteilung der Flüchtlinge — ein Problem mit ihrer Identität, das möglicherweise daher rührt, dass sie zu schnell gewachsen ist und Staaten aufgenommen hat, in denen Demokratie keine lange Tradition hat.

fr-theseCeta wird wegen der Kommunikationsstrategie der EU-Kommission scheitern

Zuerst konnte von Kommunikation gar keine Rede sein, da die Verhandlungen über Ceta geheim stattfanden. Das wurde vielfach kritisiert, und dies ist wohl der Punkt, an dem die EU-Kommission als legitimierter Verhandler letztlich gescheitert ist, denn Geheimverhandlungen machen nur dann Sinn, wenn sie auch geheim bleiben. Von den Ceta-Verhandlungen wurden aber ebenso wie von TTIP Zwischenergebnisse geleakt. Diese Zwischenergebnisse sind so etwas wie eine Momentaufnahme des Verhandlungsstandes und geben durchaus Aufschluss darüber, was die Verhandlungspartner durchzusetzen versucht haben, aber sie wurden in der Öffentlichkeit missverstanden als etwas, was uns allen droht, wenn Ceta bzw. TTIP kommt.

Ein Abkommen wie Ceta, das sehr unterschiedliche Wirtschaftssysteme zu synchronisieren versucht, lässt sich nicht mit Begleitung der Öffentlichkeit aushandeln. Zuerst müssen die Experten die Gelegenheit haben, sich zusammenzusetzen, die Standpunkte auszutauschen, den Ist-Zustand zu ermitteln und dann zu beraten. Das ist eine komplexe Angelegenheit. Im Fall von Ceta und auch TTIP besteht der Verdacht, dass diese Hinterzimmerrunden eher wie eine Art von „Wünsch dir was“ betrieben wurden, weil dabei auch der dumme Fehler passierte, die ominösen Schiedsgerichte zu fordern bzw. zu installieren. Dabei haben die Verhandlungspartner offensichtlich auf Erfahrungen mit Handelsabkommen mit Ländern der Dritten Welt zurückgegriffen, die nicht über eine funktionierende Gerichtsbarkeit und über keine aufmerksame Öffentlichkeit verfügen. Die Schiedsgerichte sind der große Stolperstein für Ceta und TTIP, und hier stellt sich die Frage, warum eine Institution wie die EU-Kommission so etwas akzeptieren konnte.

Nun, sie hat sich weit von dem Volk entfernt, für das sie da ist, die EU-Kommission. Vielleicht hat sie sogar vergessen, dass sie für das Volk da zu sein hat. Dann kam das britische Brexit-Referendum, und plötzlich hat sie gemerkt, dass es da noch ein Volk gibt, für das sie das alles angeblich macht, das ihr aber zunehmend misstraut. Also hat sie plötzlich gesagt: Die Parlamente der EU-Staaten dürfen über Ceta mitbestimmen.

fr-theseIrgendwie funktioniert sie doch, die Demokratie

Jetzt plötzlich kam Dynamik in die Sache. Das, was vorher schon wie in Stein gemeißelt erschien, war plötzlich wieder verhandelbar. Schiedsgerichte müssen so nicht mehr sein, der völkerrechtlich verbindliche Charakter von Ceta wurde vom Bundesverfassungsgericht in der Form infrage gestellt, dass Deutschland selbstverständlich ein Kündigungsrecht haben muss; sonst darf es nicht zustimmen. Positiv hat gewiss auch gewirkt, dass es in Kanada einen Regierungswechsel gegeben hat. Es gab von Seiten Kanadas zuletzt viel Entgegenkommen. Jetzt bekamen wir sogar eine kanadische Handelsministerin zu sehen, die fast geweint hat, weil Ceta nun wohl doch nicht kommt. Na ja, Mrs. Freeland, dafür sind Sie nicht verantwortlich. Die Fehler sind wohl auf EU-Seite gemacht worden. Mitverantwortlich an erster Stelle: die falsche Kommunikationsstrategie. Spätestens in dem Moment, in dem die Zwischenstände von Ceta geleakt wurden, hätte die Kommission in die Offensive gehen müssen, um dem EU-Volk zu erklären, was da genau läuft. Und zwar schnell, laut und kompromisslos.

Jetzt scheitert Ceta womöglich an der Wallonie, einem Flecken Europas, der in globaler Hinsicht keine Rolle spielt. Und der entsprechend wenig ernst genommen wurde, wie es scheint. Der aber eben doch ein garantiertes Mitspracherecht hat. Irgendwie funktioniert sie also doch, die Demokratie. Wollen wir hoffen, dass die Entscheidungsträger in der EU-Kommission sich diese internationale Blamage zu Herzen nehmen und sich daran erinnern, für wen sie da sind.

fr-balkenLeserbriefe

Susanne Roether aus Frankfurt meint:

„Vive la Wallonie! Ein kleines Regionalparlament zeigt der EU-Kommission, was demokratische Verantwortung ist. Die Wallonen sind nicht bereit, ein Abkommen, über dessen Inhalte man die Bürger nicht zu informieren wagte, blind abzusegnen. Die EU und Kanada tragen die alleinige Verantwortung für das Scheitern, denn sie haben sich bis zuletzt geweigert, das angeblich so segensreiche Abkommen für jeden Bürger einsehbar zu machen. Die Weigerung der Wallonen ist die verdiente Quittung dafür. Sehr interessant waren die „Nachbesserungen“, die plötzlich angeboten wurden – obwohl doch angeblich bereits das Optimum herausverhandelt war. Und ebenso interessant ist die zur Schau gestellte Entrüstung der CETA-Befürworter darüber, dass jemand sein demokratisches Mitspracherecht tatsächlich wahrnimmt, statt die „Experten“ entscheiden zu lassen, die ja auch sonst längst den Parlamentariern die mühsame Arbeit der Entscheidungsfindung abnehmen. Zu hoffen ist, dass das Beispiel der Wallonie bei den anderen EU-Parlamenten Schule macht, bzw. die Wähler zu kritischen Anfragen bei ihren gewählten Vertretern veranlasst.“

Berndt Fischer aus Poxdorf nimmt sich den Text „EU muss die Wallonie bändigen“ vor

Basisdemokratie geht anders, Herr Riesbeck. Ich finde Ihren Bericht derartig einseitig und in der Wortwahl suggestiv (EU muss die Wallonie bändigen), dass ich mir erlaube folgende Anmerkungen zu machen. Wenn wirklich basisdemokratisch vorgegangen wäre, dann hätten Urabstimmungen über CETA in den einzelnen EU-Ländern stattfinden müssen. Was sollte denn bei der Abstimmung im BT anderes herauskommen, als die Mehrheit der GroKo? Wieso sprechen Sie vom „Bändigen“ der vermeintlich Widerspenstigen, wenn Sie wissen (müssten), dass es nach wie vor Widerstand gegen die Unterzeichnung von CETA gibt, auch in Deutschland? Ist es in Deutschland, Europa nicht mehr möglich gegen die globalisierte Handelspolitik, gegen Investoren-Schutz und für regionale Wirtschaftskreisläufe aufzutreten, ohne dass die politischen Machteliten (inkl. FR) über einen herfallen? Wieso hat denn die FR früher quasi „empathisch“ über den Widerstand gegen CETA berichtet, wenn die Frage der Beschlussfindung quasi „alternativlos“ für die Unterzeichnung abgewickelt wird. Daran ändert auch die personalisierende Darstellung von Frau Freeland (3 Kinder, Tränen, Buchveröffentlichung…) und Martin Schulz („lässt nicht locker“, der Macher und seine Karriere…) nichts.
Auf der anderen Seite war ja der belgische „linke“ (?) Sozialdemokrat Magnette bereits in einer vorhergehenden Ausgabe der FR madig gemacht worden, indem von seinen eigenen Interessen bei der „Blockade-Haltung“ berichtet wurde. Zur Frage, was eigentlich „links“ sei, gibt der Artikel ja auch eine aufschlussreiche Definition, indem er Schulz‘ Unterscheidung von „links“ als „moralisch-rhetorischer Kategorie“ spricht. Der richtige Sozialdemokrat redet also rhetorisch links während der Debatte und stimmt dann „pragmatisch“ gegen seine eigene Auffassung.
Die FR hat wieder einmal eindeutig Position bezogen für das „Weiter so!“: „Freeland fliegt… Bis dahin (Montag Abend) muss eine Einigung her“. Was war das eigentlich für ein Text: Bericht oder Kommentar, Reflexion oder Suggestion, Sachverhalt oder Personality Soap, Neutralität oder Schulz-Werbung?“

Roland Winkler aus Aue:

„CETA, die Hintertür von TTiP macht Interessenvertretern der EU viel Ärgernis. Da haben sie erfolgreich nennenswerte demokratische Proteste verschwiegen, klein- wie dummgeredet und nun stellt sich auch noch eine kleine wallonische Minderheit quer. Warum? Wegen ihrer Interessen, die denen weltweiter Konzerne im Wege stehen, vertreten von Volksvertretern in der EU. Wieder eine Lehrstunde der Demokratie. Wir dürfen sie eben nicht ernst, schon gar nicht wörtlich nehmen. Ernst ist sie gemeint, wenn es gegen jene geht, die Demokratie gegen ihre Demokratie setzen, sich nicht unterwürfig geben. Demokratie ist gut, wenn sie Volk davon abhält sie ernsthaft zu fordern und machen zu wollen. Über Volksentscheide und Basisdemokratie, Mitwirkung des Volkes und Blabla, wird gern und viel gefaselt, vor Wahlen ganz besonders. Ein aufgeklärtes, demokratiewilliges Volk ist ihnen immer ein Grauen, den selbsternannten Demokraten. Über die Geschichte des Freihandels, Gewinner und Verlierer, die Mächtigen und Schwachen, die Spielregeln und mehr, was könnte darüber aufgeklärt werden! Eine Geschichte der Demokratie und Interessen der Völker ist es wahrlich nicht.“

Alan Mitcham aus Köln:

„Also die EU möchte Ceta über die Bühne bringen aber die Belgier stellen sich quer. Wie peinlich!
Für mich aber gibt es eine Nagelprobe, die wir beachten sollten: Canada ist ein nettes Land aber begeht zwei riesige „Umweltsünden“ a.) Im Westen wird aus Teersand Öl gewonnen und b.) die Urwälder werden abgeholzt um für uns Europäer Pellets (Biomasse) herzustellen … damit wir sagen können, dass wir „erneuerbare Energien“ einsetzen!
Wenn Ceta heißt, dass wir diese Art Handel steigern wollen und (durch Schiedsgerichte) verboten wären, ihn zu drosseln, dann ist Ceta sofort abzulehnen.
Oder vielleicht wollen wir Ceta abschließen, damit europäische Ölfirmen, ohne Einschränkung, an die „Verwüstung“ der Arktis teilnehmen dürfen?“

Robert Maxeiner aus Frankfurt:

„Kein Wort mehr über uns EU-Bürger, die gegen Ceta demonstriert, argumentiert, unterschrieben haben, unsere Meinung interessiert nicht mehr, weder in den Parlamenten, noch in den Nachrichten. Wir Verlierer, die nie eine Chance hatten, zu gewinnen, weil die Parlamentarier unsere Stimme nicht gelten lassen, sollen diesem Pragmatismus schweigend und ,einsichtig‘ folgen. Man muss uns auch nicht irgendwie entgegen kommen, denn wir laufen keine Gefahr, rechtsradikal zu wählen. Man kann uns getrost einfach vergessen und unsere Argumente gleich mit. Und die Wallonen, eigentlich nur ihr Ministerpräsident, sollen gebändigt werden, schreibt Herr Riesbeck, wie man dies schon nicht mal mehr mit Tieren in einem Zirkus vorführen darf, erlaubten sich diese Egomanen doch, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen. Aber es geht weder um demokratisches Recht, noch um Sachargumente, sondern um Strategien, Zeitpläne, Beschwörungen, Machtspiele. Zum Schluss soll das Ceta-Abkommen durchgewunken werden. Und dies nennt sich dann Einigung. Und falls wir Ceta-Gegner dagegen aufmucken, gelten wir als schlechte Verlierer, oder als uneinsichtig, oder als nicht kompromissfähig, und womöglich als EU-Gegner? Nein, dies wäre der Differnzierung und des Zugeständnisses zu viel, wenn schon, dann müssten wir gleich als Europagegner herhalten.“

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11 Kommentare zu “Cetaxit

  1. Schulz und Gabriel sind für CETA, und damit für TTIP durch die kanadische Hintertür. Natürlich ist das Verhalten der Wallonen gegen Europa und gegen die Demokratie gerichtet, weil diese Dickschädel einfach nicht einsehen wollen, was gut für sie ist – schließlich hat die Industrie und somit die Konzerne dies schon längst entschieden, streng demokratisch natürlich, völlig ohne „Korruption“. Schließlich wissen die Konzerne und die verbandelten Regierungen am besten, was das kapitalistische Heil für die Menschen bedeutet, so wie früher die Messe für die Gläubigen. Na gut, hin und wieder gibt es mal Kollateralschäden, so um die 50% Jugendarbeitslosigkeit wie in Griechenland oder Spanien. Aber die Richtung stimmt doch, oder?

    Und das Deutschland kräftig an seinen Waffenexporten verdient, hat nur damit zu tun, das es eben auch „Exporte“ sind. Als Weltmeister darf man eben nicht kleckern, sondern muß klotzen. Das dann damit der eine oder andere Krieg oder Aufstand geführt und geschürt und vrlängert wird, dafür kann man ja nichts. Wenn ein Messer in der Schublade liegt, kann man ja auch nichts dafür, wenn die Schwiemu was abbekommt. Und für die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten kann man dann auch nix.

  2. Interessanterweise erschien heute im linken Hetzmedium SPIEGEL ONLINE eine Umfrage, nach der knapp 60% der Teilnehmenden sich gegen CETA aussprechen und die wallonische Haltung gut finden. Wohl alles Undemokraten?

  3. Dass das wallonische Parlament von seinem Vetorecht Gebrauch macht, ist sein demokratisches Recht und vollkommen in Ordnung.
    Der Fehler liegt darin, dass man ihm dieses Vetorecht zugestanden hat. Die EU-Kommission hätte darauf bestehen sollen, dass Handelsverträge gemäss EU-Vertrag einzig in die Zuständigkeit der EU fallen und daher nur der Ministerrat und das EU-Parlament zu entscheiden haben. Wenn nationale Regierungen anderer Meinung sind, können sie den Europäischen Gerichtshof anrufen.
    Vetorechte sind kein sinnvolles Instrument. Sie führen zum Stillstand (es findet sich immer einer), machen lächerlich und führen letztendlich in die Bedeutungslosigkeit.

  4. @ Henning Flessner
    Sie sollten mittlerweile gemerkt haben, dass CETA als gemischtes Abkommen und nicht als reines Handelsabkommen einzustufen ist und dass dafür die Zustimmung der nationalen Parlamente erforderlich ist.
    In der Zwischenzeit scheint, wie gestern Abend in den Nachrichten zu hören war, die kleine Wallonie ja das erreicht zu haben, was Millionen von EU-Bürgern anstrebten: die Streichung der Schiedsgerichtsverfahren und die Schaffung eines EU-Handelsgerichtshofs. Wenn jetzt noch der Investorenschutz gestrichen wird, der erlaubt, dass Firmen – meist ja Großkonzerne, die genug finanzielle Mittel zum Prozessieren zur Verfügung haben – gerichtlich gegen Entscheidungen der nationalen Parlamente vorgehen können, steht dem Abschluss des Vertrags ja nichts mehr im Wege. Danke, Wallonie!
    Und, mal ganz unter uns: für ein akzeptables Abkommen zum Wohl der Bevölkerung und der Demokratie kann man ruhig mal riskieren, dass andere von Blamage sprechen. Wer sich in Wirklichkeit blamiert, sind die Politiker, die meinen, heimlich hinter verschlossenen Türen Verträge zum Schaden der Bevölkerung und der Demokratie auskungeln zu können.

  5. Das Parlament der Wallonie hat die seit 2009 von der EU-Kommission mit Canada geführten Geheimverhandlungen über ein Handelsabkommen als trojanisches Pferd einer einseitigen, die Monopolwirtschaft bevorzugenden Globalisierung entlarvt.

    Das Bundesverfassungsgericht hingegen hat in seiner Entscheidung vom 13. Oktober die Eilanträge gegen CETA abgelehnt, obwohl ihm der Vertragstext einschließlich dessen juristischer Bewertung ebenso vorlag wie den Belgiern. Das Gericht orientierte sich in seiner Entscheidung weniger an den Bestimmungen des Vertrags als an der Absichtserklärung der Bundesregierung über dessen Umsetzung. Würden solche im Kern unverbindlichen Erklärungen zum geltenden Rechtsprinzip erhoben, könnte man das Grundgesetz sofort abschaffen. Folglich fällt die Begründung zur Ablehnung des Eilantrags juristisch halbseiden aus:

    „Da die Bundesregierung darüber hinaus einer vorläufigen Anwendung von CETA für Sachmaterien nicht zustimmen wird, die nach ihrer Auffassung in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind, kann davon ausgegangen werden, dass sie – soweit nicht Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung durch Beschluss des Rates statuiert werden – entsprechende Vorbehalte anbringen wird. Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass insbesondere Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems (Kapitel 8 und Kapitel 13 CETA-E), zu Portfolioinvestitionen (Kapitel 8 und Kapitel 13 CETA-E), zum internationalen Seeverkehr (Kapitel 14 CETA-E), zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen (Kapitel 11 CETA-E) sowie zum Arbeitsschutz (Kapitel 23 CETAE) nicht von der vorläufigen Anwendung erfasst werden.“

    Das Verfassungsgericht wollte aus schwer nachvollziehbaren Gründen noch keine Entscheidung in der Hauptsache fällen, also in der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von CETA. Daran, dass diese wesentlich anders ausfallen wird als die Eilentscheidung, glauben vermutlich weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission oder die kanadische Regierung. Andernfalls hätte man das Ratifizierungsverfahren bereits am 13. Oktober ohne Wenn und Aber gestoppt.

    Es blieb dem Parlament der Wallonie vorbehalten, das Abkommen als gegen die Interessen Belgiens und Europas gerichtet zu brandmarken. So berücksichtigt der angestrebte Abbau von Zöllen nicht die Notwendigkeit von Schutzzöllen, welche europäische Betriebe vor ruinösem Wettbewerb bewahren sollen. Auch die Einführung einheitlicher Standards birgt die Gefahr, dass Kernpunkte des europäischen Rechtsverständnisses wie das Vorsorgeprinzip bei Lebensmitteln (Artikel 191 AEUV) oder das Verbot von Gentechnik legal umgangen werden können. Auch die vermeintlichen Nachbesserungen bei der Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichts schließen solche Institutionen nicht generell aus. Vielmehr bieten diese die Möglichkeit, die bestehenden nationalen Rechtsordnungen einschließlich des EU-Rechts auszuhöhlen.

    Die Europäische Union ist an einem Scheideweg angelangt. Entwickelt sie sich zurück zu einer von Lobbyisten bestimmten Wirtschaftsgemeinschaft oder besitzt sie den Mut, endlich den Weg hin zur politischen Union zu gehen? Letzeres wird nur ohne die Juncker, Schulz und Draghi möglich sein.

  6. Das Thema ist für mich nicht CETA, sondern die EU. Deshalb von meiner Seite zur These:
    «Wir brauchen Instanzen, die mit dem Recht ausgestattet sind, Verträge für uns alle abzuschließen.» ein entschiedenes JA!!

  7. Ich empfehle die ausführliche Information zu den strittigen Punkten in der derzeitigen Fassung von CETA, zu finden in der heutigen FR:
    S. 2 u. 3 mit einem Interview mit Verdi-Chef Bsirske und der Spalte „Die Kritiker“, die Rubrik „Für Sie gelesen“ auf S. 10 sowie die Leserbriefe zum Thema auf S. 18.
    Dort ist eigentlich alles gesagt.

  8. @ Henning Flessner
    Das hatte ich bereits getan, bevor ich mich hier äußerte. In der gestrigen FR findet sich aber noch eine Vielzahl von Informationen und Argumenten, die hier im Thread noch nicht zur Sprache kamen, aber ich bin jetzt zu faul, sie alle anzuführen, da sie ja jeder in der Zeitung nachlesen kann.

  9. War es nicht Herr Barroso, der Ex-Präsident der europäischen Kommission, der vor Jahren schon mit stolzgeschwellter Brust in Kanada mit Schaumwein auf den Abschluss der Verhandlungen zum Ceta-Vertrag angestoßen hat? Der jenen Vertrag verhandeln ließ und jetzt – einen vermutlich höchstdotierten – Beratervertrag mit Goldman&Sachs in der Tasche hat? Es war nicht sein Meisterstück. Kleinste Bezirksregierungen eines kleinen Landes haben elementare Verbesserung durchgesetzt. Glückwunsch, Wallonie! Die Selbstherrlichkeit der Befürworter, Promoter und „Alternativlos“-Argumentierer muss einen deutlichen Dämpfer verkraften.
    Die Lehre aus dieser Posse: Die EU, aber auch die Parlamente und Regierenden in den Ländern müssen lernen, nicht immer nur von oben nach unten zu dekretieren, sondern auch von unten nach oben zu integrieren. Sie brauchen ein offenes Ohr für den Bürger nicht nur dann, wenn sie darum werben, dass ihr Arbeitsvertrag verlängert wird, sondern an jedem Tag. Sie müssen dem Bürger zeigen, dass er relevant ist und wichtig für das Gemeinwesen, und das nicht nur in Sonntagsreden. Dann, so glaube ich, werden die Regierenden auch wieder das Vertrauen, auch das in ihre Verhandlungskompetenz, zurückgewinnen. Mehr Transparenz im politischen Handeln, mehr Bürgernähe, also plebiszitäre Elemente, und vor allem ein Wechsel des Blickwinkels tut not. Wer immer nur von oben nach unten schaut, wer sich mit gut bezahlten Lobbyisten umgibt, wer schlagzeilenträchtige Kurznachrichten absondert und sich wieder und wieder – weil wichtig – im Scheinwerferlicht der Fernsehstudios sonnen darf, weiß irgendwann nichts mehr vom wirklichen Leben. Er übersieht- und hört die wahren Sorgen der Bürger in einer globalisierten Welt, in der es eben nicht nur Gewinner gibt. Der Verlust des Arbeitsplatzes, die Sorge um eine auskömmliche Altersversorgung, um bezahlbare Versorgung im Krankheitsfall, kurz die soziale Absicherung, die nur eine solidarische Gemeinschaft und in nur wenigen Fällen individuelle Vorsorge sichern kann, ist ein elementares gesellschaftliches Anliegen und gehört auf einen Spitzenplatz der europäischen und nationalen Agenden. Eine starke EU ist dabei ein unerlässlicher Partner. Wir brauchen also mehr statt weniger EU. Allerdings eine reformierte Gemeinschaft, die sich nicht ausschließlich als Hüterin von Wirtschaft, Wachstum und freiem Handel begreift, sondern mindestens auch als Hüterin ausgleichender Sozialstaatlichkeit. Und es braucht Politiker und Parteien, die dies glaubhaft vertreten und umsetzen. Das wäre eine Alternative – nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa und könnte helfen, nicht im tumben Sumpf der Neo-Nationalisten zu versinken.

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