„‚Je suis gay‘ habe ich heute noch nirgendwo gelesen“, schrieb der Blogger Johannes Kram bei Facebook als Reaktion auf das Attentat von Orlando, bei dem ein Mann im populären Gay-Club „Pulse“ 49 Menschen erschoss und und 53 verletzte, bevor er selbst von der Polizei erschossen wurde. Es war das schlimmste Massaker solcher Art in den USA bisher und hat weltweit Entsetzen hervorgerufen, wurde aber offenbar von der Öffentlichkeit nicht in die Kategorie der Attentate auf Charlie Hebdo oder der vom November 2015 in Paris eingeordnet. Warum schrieb bisher kaum jemand „Je suis gay“, um sich zu solidarisieren? Und warum bekomme ich überhaupt nur zwei Leserbriefe zu diesem Thema?
Stell dir vor, du willst eigentlich einfach nur feiern. Tanzen und hoffentlich auch ein bisschen flirten. Die Stimmung ist ausgelassen, und du denkst natürlich an nichts Böses, sondern nur daran, dass du ein zweites T-Shirt hättest mitnehmen sollen; das, das du am Leib hast, ist längst völlig durchgeschwitzt. Da taucht plötzlich dieser Typ auf, den du schon ein paar Mal in diesem Club gesehen hast, und fängt an, mit einem Karabiner, also einer schweren Handfeuerwaffe, auf die Tanzenden zu schießen. Völlig wahllos mäht er die Menschen nieder. Du entgehst ihm nur, weil du dich im Reflex zu Boden geworfen hast und dich totstellst. Der Typ ist offensichtlich in einer Art Blutrausch, seine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Menschen, die laut schreiend davonlaufen. Sie versuchen, sich auf der Toilette zu verstecken. Er geht ihnen nach; dort stecken sie in der Sackgasse, und er hat seine Opfer sicher. Du nutzt den Moment und schleichst dich davon.
Ist dies kein Anschlag gewesen auf „die Art, wie wir leben“, wie es nach den Attentaten von Paris im November 2015 hieß? Omar Mateen, der Attentäter, war Muslim, aber war er auch Islamist? So wurde er von den Medien auf der Basis der vorliegenden Informationen zunächst bezeichnet, weil er in einem „Bekenneranruf“ bei der Notrufnummer 911 vom „Islamischen Staat“ gesprochen hatte. Auch psychische Probleme waren als Erklärung schnell im Spiel, aber je genauer die Ermittler und die Medien hinschauten, umso unklarer wurde das Motiv. Inzwischen kam heraus, dass Mateen vermutlich selbst schwul war. Er wurde mehrfach im „Pulse“ als Gast gesehen, soll aber häufig allein gewesen sein. In anderen Zusammenhängen, z.B. der Frau gegenüber, mit der er ein paar Monate verheiratet war, hat er eine Neigung zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen gezeigt, aber an dem Attentat von Orlando war nichts unkontrolliert; die Terrortat war gut vorbereitet. Und er hat 9/11 bejubelt.
Doch, dies war ein Anschlag auf „die Art, wie wir leben“, und US-Präsident Barack Obama sowie die angehende Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton haben ihn entsprechend verurteilt. Clubs wie das „Pulse“ bieten einer Minderheit geschützte Freiräume, in denen sich Menschen angstfrei entfalten können. Das ist ihnen in der von Heteros dominierten Mehrheitsgesellschaft meist nicht möglich. Die Existenz solcher Clubs kann sogar als Gradmesser dafür angesehen werden, wie ernst eine Gesellschaft es mit den Freiheitsrechten tatsächlich meint. Zum Glück hat sich – auch bei uns in Deutschland – in dieser Hinsicht in den vergangenen dreißig Jahren viel getan.
Aber es war vermutlich keine islamistische Terrortat, auch wenn der Attentäter sich selbst in diesen Kontext zu stellen versucht hat. Viel mehr deutet darauf hin, dass es sich um die Tat eines Verwirrten handelt, eines Mannes, der nicht wusste, wer er eigentlich war. Während die Existenz von Nachtclubs wie dem „Pulse“ belegen, dass unsere Gesellschaften funktionieren, belegt die Existenz von Menschen wie Omar Mateen, dass unsere Gesellschaften versagen. Sie versagen da, wo genauer hingesehen werden sollte — genauer hingesehen jedoch nicht in dem Sinne, in dem der deutsche Innenminister Thomas de Maizière die Bevölkerung zur „Mitarbeit“ aufforderte. Mateens Vater etwa sagt, sein Sohn sei nicht schwul. Diese Frage ist zwar tatsächlich wohl noch nicht endgültig geklärt, aber die Reaktion des Vaters könnte auch darauf hindeuten, dass er diese Facette der Persönlichkeit seines Sohnes nicht wahrhaben wollte. Und Mateens Ex-Frau soll von seinen Anschlagsplänen gewusst haben. Hat sie ihn nicht für voll genommen?
Mussten 49 Menschen sterben, weil ein junger Mann nicht mit sich im Reinen war? Oder ist diese Frage nur der verzweifelte Versuch, einem völlig sinnlosen Attentat etwas anzudichten, um es erträglich zu machen? Denn irgendwie müssen wir mit solchen Schreckenstaten leben. Sie gehören immer mehr zu unserem Leben, und die Gefahr besteht, dass wir uns von ihnen beeindrucken lassen, obwohl wir dies eigentlich nicht wollen. Denn wir wollen unser freies Leben ja weiterhin leben. Doch wir müssen auch daran denken, uns zu schützen, denn offenbar kann es uns überall treffen, jeden und jede. Können wir jetzt also nicht mehr überall hingehen?
Auch wir in Deutschland müssen aufpassen. Es könnte nämlich sein, dass es mit der Liberalität und der Toleranz nicht so weit her ist, wie viele offenbar glauben. Soeben haben Wissenschaftler der Uni Leipzig eine Studie namens „Die enthemmte Mitte“ herausgebracht, die aufdeckt, dass Ressentiments gegen Minderheiten von mehr als der Hälfte der Deutschen geteilt werden. Zu diesen Minderheiten zählen auch die LGBT*-Menschen.
- LGBT: Lesbian Gay Bisexual Transgender
FR-Leser Jürgen Malyssek aus Wiesbaden sieht schwarz für unsere Zukunft:
„Der Wahnsinn ist tief eingedrungen in eine uferlos globalisierte sich selbst zerstörende Wachstumsgesellschaft. Orlando ist nur eines dieser pausenlosen Zeichen dafür, dass diese hyperkapitalisierte und unglaublich rastlose Gesellschaft, die den Einzelnen überbeansprucht, allmählich in einer ganz gefährlichen Weise aus dem Lot gerät. Und letztlich ist es gar nicht mehr so entscheidend, ob es sich um einen kranken oder verrückten Einzeltäter handelt oder ein organisierter terroristischer Hintergrund besteht. Auch die Gewaltexzesse („der andere Terror“) wie jetzt bei der Fußball-EM in und um die Stadien in Frankreich drücken nichts anderes aus als Zerstörung, Hass und Kontrollverlust. Keine der schon lange virulent in diesem Turbokapitalismus um sich tobenden Konflikte und Skandale werden an der Wurzel angepackt (weder lokal, regional oder weltweit). Man begnügt sich gebetsmühlenartig mit den vorgetragenen Postulaten des Gesellschaftswandels bzw. der Risse durch die Gesellschaft, denen man sich als Herausforderung der Zukunft stellen muss, ohne zu fragen, ob wir so überhaupt noch eine Zukunft haben (wollen).
Das Stammland des „Wilden Westen“, die USA , liefert – wie hier und in vielen anderen vergangenen Amokläufen und Terroranschlägen – in diesen Fällen mit seinem abstrusen und verbohrten Verständnis des Schusswaffengebrauchs die entsprechende Dauermunition, verbunden mit seiner ihm eigenen Art der Interpretation von Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit, die ja alle Präsidenten zu ihrer Zeit so gerne immer und immer wieder betonen. Wenn’s dann passiert, wird von der Abscheulichkeit der Taten gesprochen. Man braucht nur die Daten auszutauschen. Nichts weiter passiert als Konsequenz.
Und hier wie dort gehen die Feiern und Eventspektakel weiter, dreht sich das Riesenrad in einem fort. Stehen wir bei diesen täglich stattfindenden unmenschlichen Brutalitäten in der Welt am Ende des Zivilisationsprozesses? Ich sehe da nicht viel anderes.“
Susanne Alpers aus Frankfurt
„In einem Gay-Club in Orlando werden am frühen Sonntag Morgen 50 Menschen erschossen und über 50 verletzt. Der Täter hat afghanische Wurzeln, war psychisch krank und stand ideologisch dem IS nahe. Eine Steilvorlage für Donald Trump, der bereits den amtierenden Präsidenten Obama zum Rücktritt aufgefordert hat und ein generelles Einreiseverbot für Muslime in die USA durchsetzen will.
Letztendlich reiht sich jedoch auch diese Gewalttat ein in eine Abfolge von Schießereien und Bombenattentaten, wie sie – in immer kürzeren Abständen – derzeit an vielen Orten der Welt stattfindet. Woher kommt dieses Phänomen, das die Menschen zunehmend in Angst und Schrecken versetzt? Amokläufe von schießwütigen Außenseitern, Bombenattentate radikalisierter junger Männer und Prügelattacken besoffener Fußballfans (wohlgemerkt: die EM hat gerade erst begonnen) weisen ein gemeinsames Merkmal auf. Sie werden von vornehmlich jungen Männern begangen, die ihr Handeln ideologisch begründen. Entweder hassen sie Schwule/Lesben/Transpersonen, sie identifizieren sich mit dem IS oder sie berufen sich auf eine nationale Zugehörigkeit, die sie meinen aggressiv verteidigen zu müssen.
Diese Renaissance des Totalitären ist nicht nur mit den Folgen der bizarren Verteilung von Kapital in den Händen einiger Weniger und den damit verbundenen sozialen Folgen zu begründen. Zeitgleich ist eine Rückorientierung zu patriarchal-archaischen Stereotypen zu beobachten, die auch vor extremen Formen von Gewalt nicht zurück schreckt, wenn es um Ehre, Vaterland und den eigenen Vorgarten geht.
Es wäre ein Fehler anzunehmen, dass wir in Deutschland vor derartigen Eruptionen „echter Männlichkeit“ bewahrt blieben. Die Krise der Männlichkeit ist auch hier präsent und artikuliert sich z. B. in „gelben Foren“ oder im WikiMannia-Portal der Maskulistenbewegung. Hier wird gegen den angeblich allgegenwärtigen Feminismus gewettert und männliche Vorherrschaft und Gewalt als evolutionär bedingt gerechtfertigt. Sozial verträgliche Männer werden allen Ernstes als „Fotzenknechte“ und „lila Pudel“ diffamiert und rape-culture ist cool.
Wer nun glaubt, dies sei lediglich ein skurilles Randphänomen, dem sei zudem ein Blick in die Freizeitangebote für männliche Jugendliche angeraten. Hier sitzen die harten Kerle von morgen stunden- tage- monate- und jahrelang vor den neuesten Ego-Shooter-Spielversionen, in denen dissoziale Männlichkeit der einzige Weg ist um zum nächsten Level aufzusteigen. Mit diesen medialen Vorbildern verbringen sie weit mehr Zeit als mit realen Männern, die Fussballspielen und vieles reparieren können, aber auch mal Rückenschmerzen haben oder Gefühle zeigen.
Maskulisten, rechte Hooligans, Islamisten und andere religiöse Sekten, die sich gegenseitig abgrundtief hassen, weil sie doch in ihrem Denken und Fühlen so ähnlich sind, fahren reiche Beute ein, wenn jungen Männern außer Beziehunglosigkeit, Verteilungskämpfen im Alltag und medialen Gewaltfantasien nichts Brauchbares angeboten wird. Die Folgen dieser Gleichgültigkeit werden sich auch bei uns in gewalttätigen Eruptionen manifestieren.“
Nun werden wieder die üblichen Verdächtigen herausgekramt. Ich meine,dass sich das Auswalzen von Umständen und Tätermotivation mindestens so schädlich auswirkt, wie die genannten negativen Schablonen.
Warum ist es notwendig, Täter und Opfer
öffentlich zu qualifizieren?
Ein Satz in dem m.E. sehr guten Leserbriefs von Susanne Alpers, der nähere Betrachtung verdient.:
„Zeitgleich ist eine Rückorientierung zu patriarchal-archaischen Stereotypen zu beobachten, die auch vor extremen Formen von Gewalt nicht zurück schreckt, wenn es um Ehre, Vaterland und den eigenen Vorgarten geht.“
Die unheilige Allianz von dumpfbackener Ideologie, Pseudoromantik, geistiger Regression und pubertären Gewaltphantasien ist hier gut aufgezeigt. Doch es fehlt noch ein Element, das diese unheilige Allianz erst zur Horrorvision werden lässt: die Möglichkeit der Konzentration von ungeheueren Machtmitteln in der Hand von Psychopathen, Steinzeitideologen oder Menschenhassern.
Archaische Stereotypen haben bei Steinzeitmenschen schlimmstenfalls dazu geführt, einem anderen den Schädel einzuschlagen. Der Attentäter von Orlando war in wenigen Minuten zum fünfzigfachen Mord in der Lage. Und dabei steht dies nur symbolisch für das, was im politischen Bereich die Verbindung von archaischer Vernichtungswut mit hochmoderner Technik an Verheerung ausrichten kann. Der IS exerziert dies vor, und den Finger eines Donald Trump am Atomknopf mag man sich lieber nicht vorstellen – selbst, wenn es da eine Reihe von Sicherheitsvorkehrungen geben mag.
Im Falle von Orlando ist nicht allein Möglichkeit einer solchen Tat bestürzend, vielleicht mehr noch die Infantilität einer ganzen Nation, die in Sachen Waffenbesitz und Waffengebrauch offenbar noch immer nicht aus archaischen Stereotypen und Denkmustern herausgefunden hat und auch keinerlei Anstalten macht, einen Weg daraus zu suchen. Die solche Schreckensereignisse nicht nur duldet, sondern regelmäßig produziert: weil sie solche Menschenopfer als Schlachtvieh auf dem Altar infantilen „Freiheits“-Wahns benötigt.
Die Reaktion von Donald Trump und Gefolgschaft spricht Bände. Und es muss gefragt werden, ob da die Mayas nicht eine humanere Vorstellung von Gesellschaft, Menschen und Menschenopfern hatten.
Lieber Bronski,
ich persönlich konnte, bei aller nachdrücklichen Verurteilung des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo, einfach weil niemand andere Menschen töten darf, nie sagen „Je suis Charlie“, weil ich einige Karikaturen dieser Zeitschrift grenzwertig fand. Nach dem Anschlag in Orlando kann ich aber aus vollem Herzen sagen: „Je suis gay“, weil ich es für unabdingbar halte, dass jeder Mensch entsprechend seiner sexuellen Orientierung leben darf und kann. Ich finde, das hat noch einmal eine andere Qualität. Ein Schwuler bzw. eine Lesbe attackiert und provoziert ja niemanden, sondern ist einfach der Mensch, der er/sie ist.
Hallo Bronski,
zwei meiner besten Freunde sind schwul und die homosexuelle Opfer der Szene bzw./und deren Angehörige haben mein echtes Mitgefühl. Nichts desto trotz: je ne suis pas gay.
Es fällt schwer zu dem ungeheuerlichen Fall und dem noch ungeheuererlichen Unfug seiner allgemeinen Kommentierung etwas zu schreiben:
Angefangen bei Artikeln die zu wissen meinten es sein nicht die „Welt der Menschen.. untergegangen“ sondern „nur eine „Subkultur“ angegriffen worden bis zu den üblichen und und unqualifizierten Komemntaren des „selbst schuld“ oder dem Ausleben faktenfreier Hoplophobie.
Unverständlich, da gerade zu meiner Welt ein nachteilsloses Ausleben der sexuellen Orientierung gehört…
Was ist eigentlich am TO vorgefallen?
Soweit nachvollziehbar, gab es zwei Versuche des Täters in das Objekt einzudringen.
Versuch eins scheiterte am bewaffneten Widerstand eines Polizisten der in seiner Freizeit dort als Wachmann tätig war.
Versuch zwei gelang, weil der Täter mit Geisel erneut an der Tür auftauchte und die Polizei erst viel zu spät eintraf. Möglich das der ausgebildtete Sicherheitsfirmenmitarbeiter dafür auch insiderwissen ausgenutzt hat.
Im Objekt gab es auch kein „niedermähen“ (dafür gabs weder Tatmittel noch dicht geballte Ziele), sondern der Täter hat eine sogenannte „Inssellage“ ausgenutzt und seine Opfer eins nach dem Anderen in relativer Ruhe über Stunden quasi liquidiert. Das stark verzögerte Pol. Einschreiten bleibt an dieser Stelle unentschuldbar und ist, auch „Amok“-Dellikte zeigten das der Hauptgrund für eine hohe Zahl an Toten.
Darum ist das Konzept aller deutschen Polizeien auf sofortiges, verzugfreies Einschreiten mit schnellstmöglicher Handlungsunfähigkeit der Täters begründet.
Anmerkung 1: Die Geschädigten haben nämlich bei rechtzeitiger Erstversorgung (> 40 min eine Überlebenswahrscheinlichkeit von ca. 80%, bei mehr als 60 min versterben diese meist am vermeidbaren Blutverlust.
Anmerkung 2: Die „Insellage“ beschreibt eine Situation bei der ein Täter über einen längeren Zeitraum unbehindert von wirksamen Widerstand „Jagd auf Menschen“ machen kann, denen jede Möglichkeit zur Flucht fehlt. Nicht zufällig wurde das durch den Breivik-Fall auf Utoya geprägt.
Zu den tatsächlichen Rechtfertigungsgründen kann nur spekuliert werden. Ein fanatischer Schwulenhass der eigentlich Selbsthass war, gepaart mit unseelig religiös weltanschaulichem Unfug vom „richtigen Leben“ ergibt eine sehr brisante Mischung…war so, sit so und wird so bleiben.
Gegenmaßnahme ist eigentlich nur aufzuzeigen das es einen Ausweg aus dem vermeintlichen Dilemma für die Geshcädigten religiös-weltanschaulichen Wahns gibt.
Der Kampf um die Kontrolle der Sexualität beliebiger Schäfchen war und ist immer noch Herrschaftsmittel
Es ist schon sehr absurd, gegen Gewalttaten die Solidarität der Friedlichen zu bemühen.
Gewalttaten sind per Gesetz und Moral verboten. Jeder Mensch darf sich darauf berufen, von der Gemeinschaft und der Moral geschützt zu sein. Es ist daher nicht notwendig, sich aktiv gegen Gewalt auszusprechen oder gegen diese aufzustehen, es ist eine Zumutung, dafür kritisiert zu werden, sich nicht dazu zu äussern. Jeder Mensch darf davon ausgehen, daß Gewalt ungesetzlich ist.
Frieden und Friedlichkeit sind der Standard in allen Gesellschaften, die „Schlechten“ und „politisch Perversen“ sind die Gewalttäter, niemand sonst.
Es findet seit langem eine schleichende Rechtfertigung von Gewalt dadurch statt, daß den Friedlichen und Unscheinbaren eine Verantwortung untergeschoben wird, die sich aus ihrem Stillhalten und ihrer Passivität angeblich ergibt.
Ich finde das, ehrlich gesagt, zum Kotzen. Ich muß in einem demokratischen Staat der Gewalt nicht persönlich entgegentreten!
Niemand, der friedlich oder passiv ist, trägt Verantwortung für die Taten. Für die Taten sind einzig und allein die Täter verantwortlich, im Hintergrund die, die zu diesen Taten aufrufen.
Es ist eine Perversion jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens, die schweigende Mehrheit zu Mitläufern zu stempeln. Es ist dies auch eine Perversion der Rechtstaatlichkeit.
Niemand muß gegen Gewalt Position beziehen oder gegen sie aufstehen. Es ist selbstverständlih, daß Gewalt verachtet wird und es ist selbstverständlich, daß staatliche Gewalt gegen unstaatliche Gewalt tätig wird.
Es macht mich wütend, daß die Tugend, ein guter Bürger zu sein, nicht mehr ausreicht, als ein guter Bürger anerkannt zu werden.
Ich handele nicht ungesetzlich. Gesetzestreues Handeln und Passivität sind keine Verbrechen und lassen sich auch nicht durch intellektuelle Winkelzüge zu Schuld transformieren!
Täter sind solche, die ungesetzlich handeln. Diese zu verfolgen ist Sache des Staates.
(Wenn sich ein rechter Schmutzbeutel durch diese Argumente bestätigt fühlen sollte: „Das war nicht für Dich, Blödmann!“)
@ BvG
„Frieden und Friedlichkeit sind der Standard aller Gesellschaften“.
Schön wär’s, kann ich da nur sagen. Schon mal was von struktureller Gewalt gehört, die von Staatsorganen selbst ausgeht? Das geschieht in vielen Ländern dieser Welt und leider auch von Seiten unseres Staates. Ich denke da, um ein Beispiel zu nennen, an die unterschiedliche Behandlung von Menschen verschiedener ethnischer Herkunft durch unsere Polizei, sei es bei Straßenkontrollen, sei es im Zusammenhang mit den Verbrechen des NSU. Und ist es keine Gewalt, was seitens der EU derzeit der Bevölkerung Griechenlands angetan wird? Ich bin also der Meinung, dass der „brave Bürger“ durchaus wachsam zu sein hat und sich nicht nur im Bewusstsein der eigenen Rechtschaffenheit sonnen darf.
@ Brigitte Ernst,
ja, das nennt sich auch Gewaltmonopol. und eine polizeiliche Maßnahem beruht auf Auftrag und Eremssensentscheidung, wenn bestimmte Ethnie einer erhöhten Kontrolldichte unterliegen ist das üblicherweis gut begründbar. Begrenzte Resoucen müssen nicht statistisch gleichverteilt verschwendet werden.
Natürlich kann das Gewaltmonopol auch an den grundsätzlichen Träger desselben, den „braven Bürger“ zurückfallen!
@ Karl Müller
Sie haben ja völlig recht, und ich wollte auch keine generelle Kritik an der deutschen Polizei üben. Dass jedoch die Staatsgewalt bei den Ermittlungen nach den NSU-Morden versagt hat, werden Sie sicher nicht bestreiten.
BvG behauptet allerdings, Frieden und Friedlichkeit seien der Standard ALLER Gesellschaften, und da habe ich doch so meine Zweifel, wenn ich an Länder wie die Türkei, Syrien, Saudi-Arabien und Afghanistan etc. pp. denke. Diese Gesellschaften werden von Männern dominiert, die unter „Frieden“ offenbar die Unterdrückung von Frauen, Andersdenkenden und Homosexuellen verstehen.
Hallo Frau Ernst,
„Versagt“ ist sicher allzu untertrieben, die richtigen Worte in diesem Gewirr von Lüge und Vertuschung zu finden fällt sehr schwer.
Grundsätzlich ist ja so ein „Standard aus Einsicht“ imemr begrüßenswert, da geb ich BVG Recht, nur was ist, Sie führen es aus, mit den Böswilligen die sich absichtlich nicht daran halten? Nach aller erfahrung darf auf deren Willen zur Besserung nicht gehofft wreden, auf Einsicht auch nicht, zumal wenn diese sich in dem Unrecht behaglich eingerichtet haben.
,@ BVG , doch Sie können sich nich auf persönliche Unversehrtheit verlassen. Notwehr und Nothilfe steten Ihnen deshalb offen, oderw ollen Sie ständig einen Cop im Rücken, denke nicht?
Tätige Unterlassung kann auch Schuld begründen, ist kein Winkelzug. Bei „Gewalt“ findet sicher eien entgrenzung und Aufweichung von Kriterien statt, medial und politsich gefördert; weil damit eine allgemeine Orientierungslosigkeit und Bewußtsein für Humanität reduziert wird. Teile und herrsche eben.
Weltklasse Frau Alpers. Nur kleine Ergänzungen scheinen mir notwendig. Ad 1. Meiner Meinung nach sollte der Staat körperliche Gewalt direkter und wesentlich härter bestrafen als es die Justiz jetzt tut. Diese gewalttätigen Machos sind aus meiner Sicht ohnehin Waschlappen und Feiglinge, die sich fast ausschliesslich an Kleineren, Schwächeren oder alten Menschen (Kinder, Frauen, Alte) mit ihrer antrainierten Kraft austoben oder wenn sie glauben, dass sich jemand wehrt, weil gleich stark, mit mehreren Gleichgesinnten auf einen Einzelnen losgehen und diese Person ins Koma prügeln oder zum Krüppel schlagen. Bei gleich Starken, kampftechnisch ebenso Leistungsfähigen oder einer Gruppe mit gleicher Anzahl Personen ziehen sie meistens das Schwänzchen ein bzw. getrauen sich nicht. Ad 2. Das Gleiche ist fast immer bei denen zu beobachten, die Menschen in ihre Gewalt nehmen (warum auch immer), um sie zu verletzen oder zu töten. Diese Feiglinge nutzen ebenso wie die anderen mit der Körperüberlegenheit auch nur die Macht, eine Waffe zu haben, um bei anderen Menschen über Leben und Tod bestimmen zu können und, ganz wichtig, die meisten von ihnen schiessen sich dann ein Loch in den Kopf eben weil es Memmen sind, die die Verantwortung bzw. die Folgen nicht tragen können oder wollen. Ad 3. Sind es nicht auch insbesonders die erzieherischen Prinzipien, die die Machos hervorbringen? Es sollte sich mal angeschaut werden, wie die kleinen Männchen als Halbgötter (z.B.: anders als bei Mädchen) behandelt werden, bevor sie laufen können und das geht dann so weiter, bis sie dann mit ca. 35 oder später die Wellness-Oase bei Mama verlassen, nachdem sie zwischen 15 und 30 ein paar Ladies vergewaltigt hatten, den einen oder anderen Rentner halb totgeschlagen, um ihm 20 Euro zu rauben – meistens, weil sie Langeweile hatten, wie es der eine oder anderen schon erklärt hatte. (Hier z.B.: der Hinweis auf den japanischen Vater, der es nicht schaffte, seinen ca. 5-jähriger Sohn davon abzubringen, Steine auf andere Autos zu werfen…FR vor kurzer Zeit). Abschliessend ad 4 ist es m. E. nicht der Staat, dem die Prügelnden angehören, der verteidigt werden soll, sondern der jeweilige Habitus, der sich derzeit insbesonders aus religiöser bzw. religionspolitischer Zugehörigkeit manifestiert. Es ist einem jungen Mann sch….egal, aus welchem nahöstlichen oder nordafrikanischen Land er kommt – die Hauptsache ist, dass sein Herr Allah oder Mohamed nicht beleidigt wird. Und daher kommt die Agrression. Irgendwann so bis um 1618 war das auch bei den Christen mal so; die hatten aber nach 30 Jahren mit dem Mist dann mal aufgehört und Frieden geschlossen – das lässt aber der Koran leider nicht zu. Im Übrigen will ich unbedingt darauf verweisen, dass es sich bei den Punkten 1. bis 3 und teilweise auch 4. auch um „westliche“ Machos handelt; die archaische Religionsauslegung, die auch im Wesentlichen leider auf die Erziehung Einfluss ausübt, müssen die armen Jungmänner aus der anderen Religion als zusätzliches Päckchen tragen. Fazit meinerseits: ein Mensch, der einen anderen Menschen aus Machtgier oder im Überlegenheitswahn Gewalt antut, ist auf das Allerschärfste zu bestrafen – unabhängig ob Täter mit oder ohne Waffe agiert, unabhängig von Rasse, Religion, Herkunft, Geschlecht etc., etc. etc.
@BErnst
Für mich findet da eine fatale Bedeutungsverschiebung statt.
Wenn das, was in Gesetzen staht, nurmehr als wünschenswert angesehen wird und nicht mehr als Standard, dann haben wir ein sehr großes Problem.
Aber sie verstehen „Standard“ dann wohl mehr als „Wirklichkeit“
@ BvG
Sie missverstehen mich. Es gibt doch offensichtlich Länder, in denen Gesetze herrschen, die nicht unseren demokratischen Standards entsprechen, wohl aber denen des jeweiligen Landes. Dann ist es folglich in unserem Sinne auch nicht wünschenswert, dass diese Gesetze befolgt werden.
Auf diesem Prinzip fußt unser gesamtes Asylrecht, das nämlich denen Zuflucht gewährt (oder zumindest gewähren sollte), denen Verfolgung droht, wenn sie die unmenschlichen Gesetze ihres Landes nicht befolgen können oder wollen.
Die Welt gerät aus den Fugen, die Apokalypse droht, alles ist dem Untergang geweiht, immer mehr Gewalttaten und in den USA sinkt die Mordrate um 40%.
http://www.welt.de/politik/ausland/article123523690/Experten-verbluefft-ueber-sinkende-Mordrate-in-USA.html
Wer soll das noch verstehen?
@BErnst
Ich würde mich da zunächst auf die Menschenrechte berufen. Wenn man es differenzierter betrachten soll, müßte man Beispiele suchen.
Es wäre eventuell eine FR-Serie wert, solche Gesetzesvergleiche mit anderen Ländern durchzuführen.
Im Grunde besteht aber der gleiche Konflikt: Es ist Aufgabe staatlicher Organe, die Wahrung der Menschenrechte durchzusetzen, es ist nicht die Aufgabe der Öffentlichkeit, darauf zu achten oder durch Stellungnahmen, Empörungen oder Btroffenheitsbekundungen darauf hinzuweisen, wie verachtenswert solche Verstöße sind.
Ich bin mir nicht sicher, ob mein Gedankengang verständlich ist. Ich sage es überspitzt:
Es ist nicht Aufgabe der Öffentlichkeit, Täter- und Täterhandeln zu beurteilen, zu verurteilen oder zu ahnden. Dennoch kann natürlich eine Meinung und Haltung dazu ausgedrückt werden, die aber nur individuell sein kann.
Dem folgend, entlädt sich die Empörung, eventuell auch die kollektive Trauer, gegen die falschen, denn der Garant der Gesetzlichkeit ist der Staat, nicht der Bürger (also auch nicht der Täter). So seltsam das auch klingen mag: Eine kollektive Empörung kann nur gegen die Tat, niemals gegen den Täter gerichtet werden.
Natürlich ist dabei zu bedenken, daß jeder einzelne und im Notfall ich selbst der Hüter der Rechte des Anderen ist (siehe K.Müller)
Natürlich ist auch ein Bekenntnis der Bürger zu den Gesetzen nötig, um einen Konsens und einen Auftrag an die Regierungen zu formulieren.
Ein Schweigen zu Taten und Tätern aber als Desinteresse oder gar Billigung auszulegen, geht aus meiner Sicht in eine sehr falsche Richtung. Hier ist selbstverständlich nicht die Unterlassung im rechtlichen Sinne gemeint.
Ich wehre mich allerdings auch dagegegen, solchen Taten überhaupt eine „Bedeutung“ über die individuelle Täterschaft hinaus zu geben. Metaphern wie „Angriff auf unsere Art zu leben“ und ähnlich überhöhte Reaktionen geben den Taten ein Gewicht, das sie nicht haben.
Diese Äusserungen sind ideologisierende und folgen dem Wunsch der Hintermänner, ideologisierend zu wirken.
Ein Mensch hat Menschen getötet. Töten ist Verbrechen.
Mehr braucht nicht gesagt werden. Ich wehre mich gegen eine Politisierung der Trauer.
Nachtrag:
Es ist mir auch schon seit den Tagen der RAF ein großes Ärgernis, daß sogenannte „Bekennerschreiben“ veröffentlicht werden und so den Tätern überhaupt die Möglichkeit gegeben wird, eine mediale Wirkung ihrer Taten zu erzielen.
Es ist überhaupt absurd, einer Tat, die gegen die Menschlichkeit verstösst, irgendeine Bedeutung zubilligen.
Es ist auch sehr an der Zeit, gewaltätige Aktionen nicht mehr als Ausdruck von irgendwas hinzunehmen.
Gewalt hat keine Botschaft.
@ BvG
Mir ist bei Ihnen schon öfter eine gewisse Obrigkeitgläubigkeit aufgefallen, die ich nicht nachvollziehen kann.
Die Einführung von Gesetzen unterliegt doch einem historischen Prozess. Noch vor 50 Jahren hat ein Homosexueller gegen den Paragraphen 175 verstoßen, wenn er seine sexuelle Orientierung ausgelebt hat. Er hat sich also strafbar gemacht. Gleichzeitig widersprach dieses Gesetz der Charta der Menschenrechte. Das bedeutete also, dass der deutsche Staat damals eben NICHT der Garant der Menschenrechte war. Würden Sie denn in der Rückschau sagen, dass die Betroffenen sich damals an die herrschenden Gesetze hätten halten müssen?
Außerdem ist es doch nur der Diskussion in der breiten Öffentlichkeit zu verdanken, dass solche unmenschlichen Gesetze abgeschafft wurden. Hätten sich damals alle braven Bürger an das Prinzip der Gesetzestreue gehalten, hätte sich nie etwas geändert. Das Gleiche gilt übrigens z.B. auch für die Rassentrennungsgesetze in den USA und in Südafrika.
Fazit: Dass man dem Staat das Gewaltmonopol zugestehen kann, erfordert Gesetze, die sich an den Menschenrechten orientieren, und eine Exekutive und Judikative, die diese Gesetze dann auch respektiert. Und z.B. mit der Türkei haben wir gerade einen Staat vor Augen, bei dem ein Staatsführer (und seine Wähler) dabei sind, diese Voraussetzungen zu beseitigen. Gilt da für Sie auch Gesetzestreue, Nichteinmischung und die Unterwerfung unter die Staatsgewalt als oberstes Gebot?
Sicher haben Sie recht, dass solchen Gewalttaten wie der in Orlando oft zu viel Medienaufmerksamkeit geschenkt wird. Andererseits muss die Öffentlichkeit informiert werden, und es muss auch nachgefragt werden, welcher gesellschaftliche Nährboden eine solche Tat eventuell begünstigt, um dann politisch und erzieherisch aktiv werden zu können.
Und ganz nebenbei: Schadet es irgendjemandem, wenn eine breite Öffentlichkeit Trauer, Mitgefühl und Empörung äußert und so ihre Solidarität mit einer Bevölkerungsruppe bekundet, die ja auch heute noch durchaus nicht in allen Kreisen unserer Gesellschaft akzeptiert und wohlgelitten ist?
@ bun, 17. Juni 2016 um 12:57
Zustimmung betr. Ihre Bemerkungen zu Macho-Unkultur.
Ich meine auch, dass dieser Aspekt, der – in Anlehnung an Wilhelm Reich – Merkmale einer Massenpsychose trägt, die größte Aufmerksamkeit erfordert. Und, was es besonders gefährlich macht: Diese geht im Wesentlichen nicht von „unten“, sondern von der „Mitte der Gesellschaft“ aus.
Als Stufen auf diesem Weg in die Massenpsychose wären zu benennen:
(1) Verlust eines Gefühls für gesellschaftliche Verantwortung im Zuge einer Verabsolutierung des eigenen „Ego“
(2) Verabsolutierung der eigenen Wirklichkeitswahrnehmung als Besitz der „Wahrheit“, die keine neuen Informationen braucht und jegliche Infragestellung massiv abwehrt (religiös oder ideologisch begründet)
(3) Verlust von Empathie, im Extremfall auch jeglicher Form von Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit
(4) Zerstörung eines etablierten Wertesystems durch totale Relativierung: Menschenrechte werden zu einer „Meinung“ unter vielen, gleichberechtigt neben Trumpschen Rundumschlägen und Verschwörungstheorien jeglicher Art (so der Vorwurf der „Intoleranz“ an mich in einem Forum nach Hinweis auf Umgang eines Trump mit Menschenrechten)
(5) Ideologische und begriffliche Verkehrung eines etablierten Wertesystems, oft ins gerade Gegenteil, die aus „gut“ „dumm“ und aus „rücksichtslos“ „konsequent“ und „standhaft“ macht (siehe „Gutmschen“-Debatte);
Steigerung zu einer Apologie der Unmenschlichkeit als „Tugend“: vgl. Gauland („Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen“) – analog zu H.Himmler (vor SS: „abgesehen von einigen menschlichen Schwächen anständig geblieben zu sein, hat uns hart gemacht“)
(6) Brutalisierung des Umgangs in symbolischer Form (Galgen für Merkel und Gabriel) wie auch in der Tat (Brandanschläge auf Flüchtlingsheime): Rechtfertigung von Gewalt als gerechtfertigte „Gegenwehr“, Verkehrung von Täter und Opfer (weinerliche „Opfer“-Attitüde in rechtsradikalen Kreisen).
(7) (vor allem in den USA): pervertierter „Freiheits“-Begriff im Sinne eines „Grundrechts“ auf Selbstjustiz (Zugang und Gebrauch von Waffen), was nichts anderes bedeutet als Rücknahme eines historisch errungenen staatlichen Gewaltmonopols als Grundlage der Befriedung und zur Verhinderung von bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
Fazit:
Die Frage, ob bzw. wie ein persönlicher Schutz unter den aufgezeigten Bedingungen möglich ist, wird kaum zielführend zu beantworten sein, ohne dieses ganze Bündel von Tendenzen und deren Ursachen sowie ihr Zusammenwirken ins Auge zu fassen. Wobei natürlich je nach Fall der Schwerpunkt unterschiedlich gesetzt werden muss: so im Fall von Orlando die Frage des individuellen Zugangs zu Waffen.
@Brigitte Ernst
Ihre Argumentation kann leicht missverstanden werden. Man könnte herauslesen, dass sich Gesetze nur ändern lassen, indem man sie übertritt. Das erinnert mich an manche Diskussionen in den siebziger Jahren. Gesetze, die man als ungerecht betrachtet, muss man nicht beachten, wurde damals gesagt. Welches Gesetz ungerecht ist, bestimmte man natürlich selber. Das ist eine gefährliche Diskussion.
Brigitte Ernst sagt:
18. Juni 2016 um 4:20
Danke daß Sie so differenziert auf meine Argumente eingehen.
Zunächst zur Beobachtung der „Obrigkeitsgläubigkeit“:
Da ich in einem demokratischen Staat keinerlei „Obrigkeit“ erkenne, auch nicht anerkenne, ist dieser Vorwurf wohl gegenstandslos. In meinem Verständnis sind das Staatsorgane, die Gesetze und Politik und gesellschaftliche Beschlüsse umzusetzen haben. Ich bin den Personen, die diese Funktionen ausfüllen, gleichwertig und nicht zu Gehorsam verpflichtet. Nicht ohne Grund betone ich hier oft, daß „Bürokratie“ das Gegenteil von „Willkür“ ist.
Im Gegenteil erkenne ich in vielen Diskutanten ein veraltetes Bild von Staatsgewalt und Staatsorganen als „Obrigkeit“, der es möglicht zu entwischen gilt oder die zu bekämpfen sei.
Auch aus diesem Grund habe ich eine Diskussion über die Haltung der Deutschen zum Präsidialamt angeregt, da mit Menschen, die Probleme mit demokratischen Autoritäten haben nur schlecht ein Staat zu machen ist.
Es sind zwei sehr unterschiedliche Haltungen, „Obrigkeit“ hierarchisch/herrschend oder sachgebunden/demokratisch mit Autorität auszustatten. Daß es in einem Staatswesen oder auch in sehr viel kleineren Gruppen letztlich nicht völlig ohne Autoritäten funktioniert, das scheint mittlerweile Konsens zu sein, auch in der Pädagogik, obwohl ich diese Frage längst noch nicht für entschieden halte.
Meine Haltung, die manchem obrigkeitsgläubig oder gar -hörig erschent ist aber eine andere: Das demokratische Staatswesen ist eine Vereinbarung aller Bürger, die sich frei und in einer Wahl dafür aussprechen und mit dieser Wahl die Macht an die Gewählten Vertreter delegieren. Wir hatten diese Diskussion schon einmal.Selbstverständlich darf jedes demokratische Mittel ausgeschöpft werden, Meinungen und Abstimmungsergebnissse zu verändern, auch dürfen solche demokratischen Mittel keinesfalls behindert oer entzogen werden.
Meine Haltung, Kritik an den Verhältnissen nicht direkt umzusetzen, klingt nur vordergründig „obrigkeisgläubig“. Tatsächlich verlange ich von der Regierung und den Parteien, ihrem Auftrag nachzukommen und diesen nicht an die Bürger und schlechtensfalls an „die Strasse“ zu delegieren oder abzuschieben.
Mein Geschenk an die Mächtigen ist nicht so süß, wie es verpackt ist. Ich fordere dazu auf, Kritik eben umso mehr und deutlichen an die Zuständigen zu richten und sie nicht aus ihrer Rolle zu entlassen. Das hat allerding in keiner Weise mit der Agitation der AfD und ähnlichen zu tun.
Zur Veränderung falscher Gesetze besteht natürlich jedes Recht, und wenn diese Gesetzeder Menschlichkeit oder den Menschenrechten widersprechen, gibt es auch ein Recht zum Widerstand. Aber ich gebe H.Flessner Recht, daß dies ein sehr gefährliche Diskussion ist, die unter Umständen die Unrechten unterstützt.
Es ist selbstverständlich den Mutigen zu danken, die sich unter großem persönlichen Einsatz gegen solche Gesetze gestemmt haben, beispielsweise die ersten Frauenrechtlerinnen/er Kriegsdienstverweigerer und andere.
Es ist aber, in meinem Sinne, kein wünschenswerter Standard in einer Gesellschaft, daß sich einzelne Personen opfern müssen, um Freiheiten zu erreichen. Ebendies widerspricht dem demokratischen Gedanken und entlässt die Regierenden aus der Pflicht, solche Konflikte zu lösen, antatt die Betroffenen nur durch Sanktionen zu disziplinieren.
Um dem fälligen Aufschrei gleich zu begegnen: Das heißt nun nicht, daß jeder seinen Willen an den Staat herantragen kann, und ihn sogleich erfüllt bekommt. Wie gesagt: Der demokratische Prozess ist wesentlich. (siehe auch den vielgeplagte „Kategorischen Imperativ“).
Es darf im übrigen auch erwartet werden, daß die Staaten, die die Menschenrechte anerkannt haben, die Gesetze ihres Landes daraufhin überprüfen.
Es ist leider ein häufiger Kurzschluß in solchen Diskussionen, daß der, der nach stattlicher Autorität ruft, gleichzeitig Unfreiheit meint.
Es scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben, daß es auch die Aufgabe des Staates ist, Freiheit zu erzeugen, zu gewähren und zu schützen.
@ Werner Engelmann,
„bitte lernen Sie „Notwehr/Nothilfe“ von Selbstjustiz zu unterscheiden. 300 Mio. US-Amerikaner können das auch, das Strafmaß ist ungleich höher als bei Uns; sollte der zuständie US-StA da einen Anklagepunkt draus machen…
Und nochmal „Das Gewaltmonopol“ berechtigt Beliehen zu hoheitlichem Handeln und hat nichts mit „Gewalt“ zu tun, was hier amtsdeutsch „Unmittelbarer Zwang“ ist.
Der herbeigeheimniste „Zugang zu Waffen“ ist kein valides Kriterium, sondern läßt nur auf ein massives Erkenntnsidefizit schließen. Wenn man sich nicht hinreichend in die Problematik vertieft, kommt man natürlich zu so oberflächlichen Schlüssen.
@ Henning Flessner und BvG
Ich bin nicht der Meinung, dass sich Gesetze nur ändern lassen, indem man sie übertritt. Vielmehr ist eine öffentliche Diskussion und ein oft langer Prozess des Umdenkens in der Gesellschaft nötig, wenn man schlechte Gesetze, die z. B. Ungerechtigkeit fördern, abschaffen und durch bessere ersetzen will. Es gibt aber natürlich auch, wie Sie, BvG, einräumen, das Recht zu zivilem Ungehorsam. Der Einzelne kann nicht immer darauf warten, bis der Konsens in einer Gesellschaft so weit hergestellt ist, dass das Parlament irgendwelche unmenschlichen Gesetze, z.B. den § 175, abschafft, der sich in unerträglicher Weise in das Intimleben seiner Bürger einmischte.
Meiner Ansicht nach muss die stetige Reflexion der Zustände in einer Gesellschaft und die daraus folgende Meinungsbildung sowohl in den politischen Parteien als auch in den Medien stattfinden, aber auch in Bürgerbewegungen, die gerne abwertend mit dem Begriff „die Straße“ bezeichnet werden. Der Maßstab sind immer die Menschenrechte und die Gewaltfreiheit. Von dem, was von der APO als „Gewalt gegen Sachen“ bezeichnet wurde, halte ich gar nichts, aber passiver Widerstand muss schon erlaubt sein.
Dass in bestimmten Fällen Einzelne oder mutige Gruppen nötig sind, um untragbare gesellschaftliche Zustände zu verändern, ist sicher in einer Demokratie nicht wünschenswert, die Realität zeigt allerdings, dass die gewählten Politiker ihrer Aufgabe nicht immer gerecht werden, z. B. weil sie eher als Lobbyisten tätig sind und nicht die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Dann müssen eben die Bürger aktiv werden. Wenn das in einem zivilisierten Dialog und ohne Diskriminierung anderer Personen geschieht, ist dagegen doch auch nichts einzuwenden.
@ Karl Müller,18. Juni 2016 um 22:49
Um bei der Aktualität zu bleiben: Es soll sich ja schon so mancher verrechnet haben, der mit einem Tritt gegen das Schienbein die eigene überlegene Spielkultur zu demonstrieren glaubte. Ein klassisches Eigentor erzielt nach dieser Analogie wohl auch, wer zwar nicht zwischen Realität und Rechtfertigungsideologie zu unterscheiden weiß, sich aber zum Oberlehrer berufen fühlt, der, „massives Erkenntnsdefizit“ diagnostizierend, seine Überlegenheit zur Schau zu stellen meint.
Nun gibt es zwar Menschen (ein Michael Moore etwa), die sich wohl „in die Problematik vertieft“ haben, Ihrem Verdikt, Dinge „herbeizugeheimnissen“, aber kaum entgehen würden. Eine Aufforderung, doch bitte all die tumben Toren an Ihren tiefschürfenden Erkenntnissen teilhaben zu lassen, erscheint mir daher nicht sehr vielversprechend.
@B.Ernst
„und nicht die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Dann müssen eben die Bürger aktiv werden. “
Da kommts wohl auf den Punkt.
Politiker sind Vertreter des ganzen Volkes, haben also nicht bloss die Interessen der Mehrheit zu vertreten, sondern auch die Interessen der Minderheiten.
Wenn sie dies nicht tun, müssen die Bürger aktiv werden. Sie müssen und dürfen aber nicht gegen phantasierte politische Gegner außerparlamentarisch aktiv werden, sondern müssen direkten Einfluss auf die Politiker nehmen. Was spricht eigentlich gegen einen Lobbyismus der Bürger?
Ich glaube, die Bürger haben noch zuviel Respekt vor der „Obrigkeit“…und gehen statt dessen lieber auf die Strasse.
Sehen Sie, lieber BvG, da sind wir eben unterschiedlicher Meinung. Ich begrüße es, wenn Menschen auf die Straße gehen, z.B. wenn eine wichtige Entscheidung wie die über TTIP näher rückt und der einfache Bürger befürchten muss, auf dem direkten Weg über seine Abgeordneten die Gefahr für das Gemeinwesen, die aus einem solchen Vertrag zu erwachsen droht, nicht abwenden zu können. Bürgerbewegungen können ja durchaus aufklärerisch wirken und den Wählern und Parlamentariern gesellschaftliche Zusammenhänge bewusst machen, die diese sonst nicht erkannt hätten.
Ich bin heilfroh, dass es in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, in Zeiten einer festgefahrenen Großen Koatition, die Apo gab, auch wenn ich nicht mit jeder ihrer Einzelaktionen einverstanden war. Die Demokratisierungs- und Bewusstseinsprozesse, die diese Bewegung in Gang gesetzt hat, von der Aufarbeitung der Nazizeit über die Friedensbewegung bis zur Durchsetzung der Rechte von Frauen und Homosexuellen, nicht zu vergessen das neu erwachte Interesse für ökologische Probleme, haben allmählich unsere gesamte Gesellschaft durchdrungen und den Weg in die Parlamente gefunden, bis in die CDU/CSU hinein. Oft bedarf es eben äußerer Anstöße, um die parlamentarische Arbeit fruchtbar zu machen. Auch das gehört meiner Ansicht nach zu einer funktionierenden Demokratie.
BvG: „Politiker sind Vertreter des ganzen Volkes, haben also nicht bloß die Interessen der Mehrheit der Menschen zu vertreten, sondern auch die Interessen der Minderheiten.“
Aber selbstverständlich doch! Problematisch wird es nur, wenn es sich um Minderheiten handelt, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht die Mehrheit zu deren Schaden dominieren und ausnutzen wollen, wie z.B. die Vertreter der Großkonzerne, der Finanzwirtschaft und der Superreichen. Da sind die Parlamentarier meiner Ansicht nach eher den Interessen der zwar zahlenmäßig überlegenen, aber ökonomisch schwächeren Gruppe verpflichtet.
@ Werner Engelmann,
da ich Ihre Beiträge im Allgemeinen als fundiert und oft ziemlich gut abgewogen wahrnehme, hat mich die die sehr fragwürdige Gleichsetzung von Notwehr und Selbstjustiz doch irritiert. Oder habe ich Sie da missverstanden?
Ach ja, „Schienbein“, die Intervention war etwas krude, allerdings erschließt sich gerade deshalb nicht wie Sie bemüht sein könnten hier Realität und „Ideologie“ methodisch zu unterscheiden. Binsenweisheiten sind keine Realitätsprüfung und ich stelle nichts zur Schau, das ist auch nur eine sehr freie Interpretation. Hinweise auf die angerissenen Themenfelder, zum Beispiel das „Gewaltmonopol“ sind selbst erklärend.
Was das Erkenntnsidefizit“ angeht, so teilen Sie ausweislich Ihrer Kommentierung hier tatsächlich ein signifikantes Defizit mit vielen Deutschen. Sie können das Kriterium „Verfügbarkeit“ überhaupt nicht einschätzen, sondern schließen von der nur vermeintlich logischen Folgerung „Wer keine Waffe hat, kann nicht schießen“ auf den vorgeblichen Sicherheitsgewinn. Das ist leider völlig unzureichend.
Moore hat einge, überwiegend auf gesellschaftliche Defizite hinweisende Aspekte, gut herausgearbeitet, keine Frage.
@ Karl Müller:
Unterschied zwischen Realität und Rechtfertigungsideologie am Beispiel von Michael Moores Film „Bowling for Colombine“:
Waffenproduzenten verbarrikadieren sich hinter vielfach elektronisch gesicherten Sicherheitsmauern, um sich vor der von ihnen selbst produzierten Bedrohung zu schützen. Den Waffennarren, die zu solchen Sicherheitsmaßnahmen nicht in der Lage sind, verkaufen sie mit ihren Waffen zugleich die Illusion von „Freiheit“, „Stärke“, „Selbstschutz“.
Dass in realen Stresssituationen, psychologisch verstärkt durch – medial geschürte – Bedrohungsgefühle einerseits, illusorischer „Sicherheit“ und Machtgefühl andererseits die Grenzen zwischen „Selbstverteidigung“ und Selbstjustiz schwinden, liegt dabei auf der Hand. Dies umso mehr, als nach gesicherten Erkenntnissen gerade im rechtsradikalen Milieu alles, was das eigene festgefügte Weltbild in irgend einer Weise in Frage stellt, prinzipiell als „Aggression“, die eigene Aggression dagegen als „legitime Selbstverteidigung“ wahrgenommen wird.
Anders ausgedrückt: Die naiven „gewöhnlichen“ Waffennarren baden aus, was der Zynismus der Waffenproduzenten ihnen einbrockt. Und sie bezahlen ihr illusorisches Sicherheitsgefühl ggf. mit lebenslanger Haft oder gar dem Tod.
Dass die Reduktion auf eine Komponente (etwa Waffendichte) als Erklärungsmodell für Häufigkeit von Gewalttaten allein nicht ausreicht, zeigt der Vergleich der USA mit Kanada, wo bei ähnlicher Waffendichte nur ein Bruchteil der Gewalttaten gegenüber den USA zu verzeichnen ist.
Sehr wohl ist dies aber EIN wesentlicher Faktor, der aber im Kontext mit anderen Faktoren, besonders einer medial und politisch verbreiteten „Kultur der Angst“ (Trump-Phänomen!) zu sehen ist: In dieser Kombination verringt sich die Gefahr, Opfer zu werden, nicht, sie potenziert sich vielmehr.
Vergleichszahlen für Todesfälle durch Schusswaffen nach Michael Moore:
USA: 11.127 Tote pro Jahr (3,601/ 100.000 Einw.)
Kanada: 165 Tote pro Jahr (0,284/ 100.000 Einw.)
Deutschland: 381 Tote pro Jahr (0,466/ 100.000 Einw.)
@ werner Engelmann,
vielen Dank für die differenzierte Antwort, hätt mich auch sonst sehr gewundert.
Zunächst zu den Vergleichszahlen, da gibt e sin den USA das Problem dass diese nicht gleichverteilt sind, sondern zu 70-90% Resultat milieugebunderen Gewalt auf ca. 3 % der bebauten Fläche.Bandenkriminalität die, auch von Moore aufgezeigt praktisch nur flächenbezogen existiert, vo der aber, medial befeuert, allgemein große Furcht existiert. Soweit so schlecht.
Was die Hersteller angeht, nun die sind tatsächlich verpflichtet auch Vorkehrungen gegen Abhandenkomen zu treffen, Zugangsbeschränkungen kennt jede Firma.
Und auch von mir nochmal die Farge: „Was ist ein Waffennarr?“
Allgemein doch eien Person mit einem törichten Verhältnis zum Objekt; nur wer definiert hier „töricht“? Das hat schon zwei Seiten der närrischen Betrachtung.
Was spricht gegen rechtskonformen Selbstschutz, Stärke und Freiheit? Es ist nicht falsch daran, wenn jemand rechtmäßig entsprechend handelt. Die Zahl der Fälle von Putativnotwehr hält sich aufgrund sehr strenger staatsanwaltliche Prüfung in Grenzen, ganz ohen nach politischen Hintergründen zu fragen. Die im Zwiefel gerade in den USA bei politischen Delikten auch strafverschärfend gewürdigt werden. Eine jährliche drei – viertstellige Zahl von legitimate Killings durch Zivilisten, bei Moore eingerechnet, deute eher auf einen verantwortungsbewußten Umgang hin.
Übrigen korreliert die Verteilung der Legalwaffendichte über alle Bundesstaaten negativ mit der Delikthäufigkeit. Da gib es m.E. nicht viel auszubaden.
Wenn man von den SW-Delikten der US die für das Groß der Gesellschaft geltenden Zahlen beizeiht, also ohne die milieugebundene Delikte, ist der Unterscheid nicht mehr so groß. Zumal auch von den Moorschen Zahlen die Nicht-Delikte aus kriminologischer Sicht abzuziehen sind.
@ Karl Müller
Danke für Ihre Antwort. Vorneweg: Dass Verallgemeinerungen ebenso notwendig sind wie Konkretisierungen, gehört lediglich zum Grundgerüst der Argumentationslehre. Ebenso, dass, wo die Umstände längere Ausführungen nicht zulassen, Verallgemeinerungen konkretisierbar sein müssen (wie auch umgekehrt konkrete Sachverhalte nach Möglichkeiten korrekter Verallgemeinerung zu befragen sind). Um nichts anderes ging es in meinem Beitrag vom 17. Juni 2016, 12:57, wo die Interdependenz verschiedener Faktoren aufgezeigt werden sollte.
Zur Sache:
1. Abschreckung:
Die von Ihnen aufgezeigten Mechanismen zur Verhinderung von Gewalttaten in den USA bleiben unbefriedigend und offenbar weitgehend wirkungslos, wie ja auch die Vergleichszahlen eindrucksvoll belegen. Grund: Sie zäumen das Pferd vom Schwanz auf, setzen auf Abschreckung statt auf Prävention. Die gleiche Problematik wie bei der Todesstrafe. Abschreckung als eines der Hauptargumente für die Todesstrafe ist nachweislich falsch. Denn kein Mörder, noch weniger ein Amokläufer denkt vor und während der Tat an die Folgen der Strafe, lediglich daran (sofern es sich nicht um Selbstmord-Attentäter handelt), nicht erwischt zu werden. Die Wirkungslosigkeit von Abschreckung wird außer durch die Fakten auch durch kriminologische Untersuchungen belegt.
2. Umgang mit Waffen:
Der Hinweis, dass die überwältigende Mehrheit von Waffenbesitzern verantwortungsvoll damit umgeht, beruhigt in keiner Weise. Denn aufgrund der zur Verfügung gestellten Machtmittel reicht (wie leider immer wieder zu erfahren ist) eine verschwindende Minderheit Unverantwortlicher, um gewaltigen Schaden anzurichten.
Umgang mit der Waffe betrifft dabei 2 Aspekte: technische Beherrschung und psychologischer Umgang mit der Situation.
Dazu ein Beispiel aus meiner Bundeswehrzeit:
Kampfausbildung, Granatenwerfen. Zur technischen Beherrschung gehört das Wissen, dass die Granate ca. 5 Sekunden nach Abreißen des Zünders (Dauer eines Wurfs) explodiert. Der Soldat unmittelbar vor mir reißt den Zünder ab, gerät in Panik, drückt dem neben ihm stehenden Offizier die Granate in die Hand. Der kann sie in einer Reflexbewegung gerade noch hochwerfen, bevor sie nach ca. 3 m expodiert. Wiewohl die Situation in keiner Weise mit der Stresssituation etwa eines Überfalls vergleichbar ist, erfolgte eine Panikreation, die nicht vorhergesehen war.
Mehrere Fälle von Erschießungen unbewaffneter schwarzer Jugendlichen durch US-Polizisten zeigen, dass solche Reaktionen selbst bei gut an der Waffe Ausgebildeten vorkommen. Ohne eine Mordabsicht zu unterstellen: M.E. hat das auch mit dem Gefühl der Macht zu tun, das der Besitz einer Waffe verleiht. Dies senkt die Hemmschwelle für ihren Einsatz ganz beträchtlich.
Um ein Vielfaches mehr gilt dies für unreife Jugendliche oder Menschen mit besonderen psychischen Belastungen (wie meist bei Amokläufern). In diesem Zusammenhang der Ausdruck „Waffennarren“: Für mich die Kurzbezeichnung für Menschen, die ein irrationales Verhältnis zur Waffe haben, von Faszination für das ihr zugeschriebene Machtgefühl bestimmt sind, die demnach in besonderem Maße zu unverantwortichem Umgang damit neigen.
Fazit:
Eine zivile Gesellschaft ist nicht nur gehalten, sondern verpflichtet, das Menschenmögliche zum Schutz seiner Bürger zu tun, was nach den voranstehenden Ausführungen in erster Linie Prävention verlangt. Was in diesem Fall heißt: Den Zugang zu Waffen den schärfst möglichen Bedingungen zu unterwerfen, für die genannten Problemgruppen, so weit es geht, unmöglich zu machen. Dass dies in den USA nicht gewährleistet ist, ja sogar gezielt verhindert wird, liegt auf der Hand. Ebenso, dass dies einerseits mit Lobbyismus und Interessen, andererseits aber auch (im Sinne von Michael Moore) mit einer „Kultur der Angst“ zu tun hat. Was m.E. auch berechtigt, von „kulturellen Defiziten“ zu sprechen.
Eine Gefahr, die sich mit dem Phänomen „Trump“ und dem gezielten Umlenken von realen Gefahrenquellen auf Minderheiten noch erheblich verschärft – nicht allein bezogen auf das Problem von Prävention von Attentaten. Und die insofern auch uns betrifft.
@KM
Wir hatten ja schonmal die Diskussion über die Verantwortung der Waffenindustrie, für ihre eigene Produkte einen mißbräuchlichen Gebrauch auszuschließen. Ich sehe keinerlei Anstrengungen in diese Richtung.
Es ist schon seltsam: Google bekommt es hin, selbstfahrende Autos herzustellen, deren Software und Steuerung angeblich sicherer ist als der menschliche Fahrer. Programmiertechnisch ein Kinderspiel,die „Wirkung“ eines Autos kann auf wenige Zentimeter berechnet und gesteuert werden.
Ausgerechnet die Waffenindustrie, die sich stets der technologisch höchstentwickelten Lösungen rühmt, brächte dies nicht fertig?
Ausgerechnet eine Waffenindustrie, die sich rühmt, jeden „verdächtigen“ Menschen aus der Entfernung von hunderten Kilometern treffsicher umzubringen, brächte dies nicht fertig?
Binden Sie uns bitte nicht den Bären auf, den man Ihnen aufgebunden hat. Waffenkontrolle ist möglich, selbst eine lokale Freischaltung und Blockierung von Waffen ist möglich.
Sie werden einwenden, daß es, wie überall, auch das kriminelle Wissen und die kriminelle Energie gibt, solche Sicherungssysteme zu umgehen.
Ist das aber wirklich ein Argument?
@KM
Sie werden vermutlich auch einwenden, daß es möglich ist, jeden Gegenstand als Waffe zu gebrauchen und auch Waffen selbst zu bauen.
Auch dies halte ich nicht für ein treffendes Argument. Das Argument, man könne Krminalität nicht in letzter Konsequenz verhindern, darf selbstverständlich nicht dazu führen, daß man deren Bekämpfung aufgibt.
@ BvG.
ja und es wurde schon festgestellt das nach der „willentlichen Entäußerung“ nur der für einen Gegenstand verantwortlich ist, der die tatsächliche Gewalt darüber ausübt, nennt sich auch „Widmung“.
Und nein, eine nachhaltige Waffenkontrolle ist nicht möglich, nicht einmal mit dem feuchten Traum einer Personalisierung oder „intelligenter Systeme“. Denn diese sind aus verschiedenen Gründen untauglich und reiner Selbstbetrug. Zudem atmet das ganze nicht weniger als den Geist des Reichswaffengesetzes von 1935.
Zu den Details, denn die von Ihnen vorgetragene Einschätzung kommt eigentlich nur von Personen die den technischen Hintergund der funktionalen Einfachheit von SW schlicht nicht erkannt haben.
Solche Systenme, wie z.B. von „Armatix“ haben wir auch getestet, die längste Widerstandszeit waren ca. 3 Minuten; wer mehr Zeit hat, für den ist es überhaupt kein Problem solche „Sicherungen“ zu überwinden. Aber notwenig ist der Aufwand eigentlich garnicht.
(Bei militärischen Kampfmitteln werden üblicherweise solche Sicherungen in Großsysteme eingebaut. Wie die schlechten Abschusszahlen der „irakischen Roland-Systeme“ gegenüber den Alliierten zeigten, nachdem die iranische Luftwaffe reihenweise Phantom bei Luftnahunterstützungseinsätzen durch Roland verloren hatte. -Gibt es also schon länger-) Entsprechende Handwaffen würde kein Staat abnehmen, da wird lieber selbst gefertigt.
Mit RFID oder ähnlichen Ansätzen als Sicherung versehene SW habe ich kurz nach Aufkommen in einem Gutachten vollumfänglich für BOS-Aufgaben und Notwehr/Nothilfe bei Zivilisten abgelehnt und kann solchen Unfug auch nicht befürworten. Wer Hilfsmittel des unmittelbaren Zwangs einsetzt muss die maximale Sicherheit zuverlässigen Funktionierens haben, das fordert letztlich auch das jeweilige PolG. Alle Faktoren welche die Ausfallwahrscheinlichkeit erhöhen, sind daher zu verwerfen. Das gilt genau so für schutzbedürftige Zivilisten.
Alle Arten von SW bauen wir auch gemäß den verfügbaren Anleitung selbst nach und erproben diese. Veranlasst hat das ein Vortrag vom LKA Bremen wo um 2011 eine Studie: „Wer keine Waffe hat, kann nicht schießen!?“ vorgestellt wurde.
Eben weil sich dieses „selbst bauen“ in weniger anspruchsvollen Fällen auf zusammenstecken und Eindrehen einer konischen Schraube in ein Gewindeloch beschränkt, ist es sehr wohl ein Argument. Damit können nach ca. 10 min schon 20-30 gezielte Schüsse über deliktrelevante Entfernungen mit den meisten Kurz- und einigen Langwaffenmunitionsarten abgegeben werden.
Die etwas aufwändigere „Luty-MP“ haben wir auf Anraten australischer Kollegen, die haben damit seit 2012 ein Riesenproblem, auch schon nachgebaut..Halt nur etwas mehr Bastelarbeit.
Wenn Sie ein bischen Elektronikkenntnisse haben, kommen Sie auch mit einem Stahlrohr ohne jedes bewegliche Teil und 30 € für die IC-s aus, um eine Pistole mit variabler Feuergeschwindigkeit zu erstellen.
Munition, Bauanleitungen dafür und Komponenten gibts, entgegen den Bestimmungen des SprengG, in jedem westeuropäischen Land pfundweise.
Die laienhafte Vorstellung dass ein Täter tagelang mit Fräse und Drehbank arbeiten muss, ist vollkommen neben der Realität. Geht zwar auch, aber den Aufwand tätigt bisher nur die OK in Einzelfällen.
Wir untersuchen alle dies Konfigurationen um uns keinen Bären aufbinden zu lassen, von keiner Seite und damit bin ich bisher „gut gefahren“, denn auf Worte allein verlasse ich mich bei dieser Problematik besser nicht.
Frau Alpers hat mir aus der Seele und dem Geist gesprochen. Ich wundere mich schon länger darüber, dass dieser Aspekt „Krise der Männlichkeit“ in der Öffentlichkeit, sprich Printmedien, Talkshows und so weiter, nicht diskutiert wird. Allerdings sitzen gerade in den Talkshows, auch bei den weiblichen Moderatorinnen, meist Männer und bekanntlich sitzt der dickste Balken im eigenen Auge. Offensichtlich kommt das vermeintlich „starke Geschlecht“ mit den tiefgreifenden Veränderungen auf der Welt nicht oder weniger gut zurecht. Vielleicht muss in Rechnung gestellt werden, dass es leichter ist, „von unten hoch, als von oben runter“ zu kommen.
Anscheinend erleben Männer ihren globalen Machtverlust als nicht hinnehmbaren Abstieg.
Wie Frau Alpers richtig anmerkt fehlt es an Vorbildern, die eine Männlichkeit symbolisieren, die „weiche Qualitäten“ zulässt und die nicht auf einem „entweder oder“, sondern einem „sowohl als auch“ aufbaut. Ich halte auch ihre Kritik an dem exzessiven Gebrauch von Ego-Shooter-Spielen für richtig.
Wo bleibt der Aufschrei, das Engagement und die Tat von den Männern, die es anders machen wollen und die es doch gibt? Typischerweise stammt der Leserbrief von einer Frau.
@KM
Sehr beunruhigend, aber wenn es so ist, ist es so.
Da kann ich mich als Pädagoge jedenfalls entspannt zurückziehen, wenn die Forderung auf mich zukommt, gefälligst ein paar Sicherungen in die Köpfe einzubauen, damit sowas nicht mehr vorkommt. Die sind nämlich auch schwerer ein- als auszubauen. Und von der funktionalen Einfachheit der SWN (Schußwaffennutzer)kann man in meinem Job echt nicht sprechen.
Was mir dabei allerdings auffällt ist, daß wir, die Pädagogen, also alle im weiteren Sinn erzieherisch Tätigen, recht gute Erfolge in diesem Bereich erzielen.
Ich habe aber noch von keiner Beteiligung der Waffenindustrie an der Friedenspädagogik gehört.
Sollte sich mal einer zu Wort melden und darüber aufklären, inwieweit die Waffenhersteller es unterstützen, daß Waffenbenutzer moralisch geschult werden.
Ist gar nicht ironisch gemeint, denn wenn die technischen Hilfen versagen, ist stets die Pädagogik (Therapie, Forensik etc) gefragt. Aber auch die kostet Geld.
Kleine Anekdote:
Ich habe mal voller Empörung an eine Zeitschrift geschrieben, die nachsichtig über Landminen berichtet hat, die als Kinderspielzeug(!) getarnt waren.
Ich habe in der Zuschrift verlangt, daß die Verantwortlichen der Herstellerfirma für jedes durch diese Minen zu Schaden kommende Kind persönlich haftbar gemacht werden sollten und in dieser Form für die perverse kriminelle Phantasie und Aggression, Minen als Spielzeug zu tarnen, also gezielt als Köder für Kinder einzusetzen, bestraft werden sollten.
Der Chefredakteur hat mir ernsthaft geantwortet, daß meine Zuschrift ja schließlich auch von Aggression geprägt war…
Aber da steckt ja auch Methode dahinter. Raucher sollen Schockbilder auf den Packungen sehen. Die Schockbilder hängen aber nicht in den Chefetagen und Produktionshallen…
Anmerkung
@KM
Sie mögen im Bezug auf Waffen von der Anwenderverantwortung sprechen.
Es ist aber zu definieren, wo die Herstellerverantwortung bleibt.
Tatsächlich ist es doch wohl so, daß Waffenhersteller immer effektivere Werkzeuge entwickeln, andere Menschen zu töten.
Sich damit herauszureden, daß das, was man unterläßt, ein anderer leicht tun kann, ist ein sehr fadenscheiniges, eigentlich verwerfliches Argument. Letztendlich kommt es darauf an, was man selbst tut. Es ist eine tiefe moralische Schande, daß Deutschland noch immer eine Waffenindustrie hat, die andere Staaten, Kriminelle und wen sonst noch beliefert.
Kurzum: Eine Waffenindustrie, die es nicht fertigbringt, ihre Waffen zu kontrollieren, gehört abgeschafft.
Jede Pommesbude wird schärfer kontrolliert…
Ihre Argumente der staatlichen Gewaltmonopole und der Selbstverteidigung nehme ich ernst, aber es ist nicht vertretbar, das Deutschland noch immer Waffen in das Ausland verkauft.
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ hat Paul Celan geschrieben. Derzeit ist Deutschland ein Meister im Todverkaufen. Das ist unerträglich.
Bitte liefern Sie nun nicht das Argument der Arbeitsplätze. Die paar Arbeitslosen können wir auch noch bezahlen. Das große Geld landet ganz woanders.
@ BvG,
ja, ist so; leider. Es gibt keinen Grund das zu beschönigen. In Ihrer Antwort sprechen Sie dafür wichtige Aspekte an.Auch wenn mir „Friedenspädagogik“ ein leichtes mentales Schleudertrauma verursacht. Nicht weil ich das nicht für erforderlich hielt, sondern weil m.E. das Ganze ziemlich fehlerbehaftet gehandhabt wird.
Kinder, mehr noch Heranwachsende entwickeln durchaus, jedenfalls die „Normalen“, Anlagen welche als Sicherung implementiert werden sollten und auch müssen.
Heranwachsende brauchen Umwelterfahrung und Risikokompetenz. Was bei „Feuer, Schere, Licht.. anfängt darf ebi anderre potenziell gefährlichen Gegenständen nicht aufhören. Zumal sich auch noch ansatzweise dabei, soweit man ein aufmerksames Auge auf die Heranwachsenden haben kann, auch forensische Probleme doch eher erkennen lassen, als wenn der Ganze Kram nur mit unnützen Verteufeleungen und „böse, böse“ Abstraktionen unnötig interessant gemacht wird. Im Prinzip gehört das auch zur Vermeidung von xtremismus, das Heranwachsende sehr wohl verstehen können was man ihnen da zeigt. Insbesondere wenn zur Aufklärungs ichere Handhabung und Aufzeigen der Folgen beispielsweise mit einem Pathologiebesuch verdeutlich werden.
Wenne s Sie bberuhigt, ich bin da ganz bei Ihnne und was erste Ansätz angeht, so gibt es schon vereinzelt recht erfolgreiche Programem einiger LKÄ, was den Umgang mit sprengkräftiger illegaler Pyrotechnik durch Heranwachsende angeht. Die fühle sich dabei zwar erstmal unwohl, aber doch mehr als ernst genommen und nehmen sicher einiges an Fahcwissen davon mit um es entweder zu unterlassen oder doch Sach- und Personenschäden zu minimieren. Obs auch bundesweit kommt, ist unklar, ich bin da jedenfalls bemüht es als „Weiterbildung für Lehrer und Schüler“ einzuführen. Leider ist es auch nicht umsonst zu haben.
Anmerkung: Spielzeug-Minen sind ein CIA-Märchen, leider sind Kinder neugierig und von allen ungewöhnlichen Gegenständen, Gerüchen etc angezogen…
Und getarnte Sprengfallen sind noch weniger aus der Welt zu schaffen, als Schusswaffen, weil die bezugsqueleln nochumfangreicher sind. USBV gehören leider auch dazu.
Was den Export angeht, so sollte dazu m.E. auch die Bevölkerung direkt befragt werden. Exporte in manche Länder sind auch mir schlicht unverständlich.
Celan kannman auch anders verstehen: Ein Sturmgewehr kann auch jeder mescalfreudige Mexikaner bauen…. das ist es nicht. Hier gehts doch eher um Organisation und Effizienz, das ist wegen seiner Nachhaltigkeit das gefährlichere Gut, das beste Messer nutzt nichts wenn man keine Lust hat Schnitzel zu schneiden.
Hallo Herr Engelmann,
nochmals Danke für die umfangreiche Antwort. Darauf möchte ich etwas ausführliche reagieren, gestern kam leider etwas dazwischen; ganz Herr meiner Zeit bin auch ich nit.
Zur Abschreckung:
Auch hier kann nur ein entschlossenes Jain als Antwort zustande kommen. Prävention ist immer ein schwieriges Geschäft, was nicht heißt das ist zu ignorieren. Die Verfügbarkeitsproblematik macht es schwer dazu eine befriedigende Antwort zu geben. Verbotsnormen die den technischen Realitäten wirksam Rechnung tragen, kenne ich nicht. Solche Normen könen nur im Zusammenwirken mit dem Mangel an Fachwissen bei potenziellen Tätern überhaupt Wirkung entfalten; darauf verlassen kann sich die Gefahrenabwehr aber nicht.
Abschreckung funktioniert zweifellos, wenn die unmittelbaren Folge „stimmen“, was natürlich auf psychisch kranke und religiös-weltanschaulich motivierte Täter nicht zutrifft.
„Todesstrafe“ ist m.E aber gefährlicher Unfug, zumal weder rechtssicher noch sonstwie vertretbar, und ein schlechtes Beispiel iste s allemal.
Was nachweisbar abschreckt sind 2 Dinge: Potenzieller körperlicher Schaden beim Angreifer, wenn diese in Gewinnerzielungsabsicht handelt und Aufgehalten werden, bevor das eigentliche täterseitige Ziel erreicht wurde. Gerade „Amok“-Täter fürchten jeden Widerstand und kommen schon aus dem Konzept, wenn die Opfer sich nicht so verhalte wie in der seltsamen Vorstellungswelt erdacht. Dabei reicht es schon aus wenn die Hauptfluchtrichtung nicht dem „Drehbuch“ enstpricht..Logisch auch das wir alle olizeien ausgebildet und ausgerüstet haben ummit dem Eintreffen der ersten verfügbaren Kräfte sofort gegen solche Täter vorzugehen. Länder die sich Sicherheit von Kindergärten und Schulen etwas mehr kosten lassen, arbeiten sogar mit verdeckt positionierten Polizeikräften bei solchen Sicherungsaufgaben. Mit großem Erfolg.
Auch hier darf ich auf Befragung von verurteilten Tätern verweisen. Die Mehrheit der rational handelnden wird durch erwarteten massiven Widerstand verleitet sich wehrloserer Opfer zu suchen.
Auch mit „Waffen“ zählt eine zweckmäßige Ausbildung, die auch bewirken wird, das die in den Köpfen geisternden Hollywoodfiktionen auf ein rationales Maß schrumpfen werden. Auch das ist letztlich nur eine Ausbildungsfrage zum Them Gefahrenkompetenz. Die Ausbildung vor dem scharfen Wurf war offenkundig sehr schlecht, dann erwarte ich auch nichts Gutes! Meine erste DM26 hab ich auch nicht geworfen! In der Stelung hab ich dem Leitenden den Bügel zufliegen lassen, gegrinst und dann die HGr einfach die Deckung runter rollen lassen… gab natürlich eine Meldung beim Kp-Chef. Und wenn mann selbst als Leitender dasteht sieht es natürlich auch anders aus, immerhin hatte ich nie Unfälle und die Soldaten das nötige Selbstvertrauen. Aber Panikreaktionen kann Mensch in keiner Gefahrenlage ausschließen…
Was die erwähnten Erschießungen „Unbewaffneter“ angeht, so teilen sich diese Fälle in zwei Gruppen. Rechtmäßie Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs (Fall Brown) und rein kriminelles Verhalten der entsprechenden Polizei das sich nicht wirklich vom Machgebaren von Gangs unterscheidet. Beides ist durch strenge Dienstaufsicht und Personalauswahl minimierbar, kostet aber auch Geld.
Was die Prävention angeht, das hatte ich BvG in Beitrag 40940 schon einiges zu geschrieben, Sie sind mir hoffentlich nicht bös, wenn ich auf den Beitrag verweise?
Zunächst einmal: Ich kann den Leserbrief von Susanne Alpers (16. Juni) im Zusammenhang mit dem Massaker in Orlando im Wesentlichen mit unterschreiben. Es stimmt ja mit der Krise, dieser verletzten, aber auch gedemütigten Männlichkeit, der fehlenden männlichen „starken“ Vorbilder in den Zeiten des Aufwachsens in Kindheit und Jugend – die fehlenden glaubwürdigen männlichen und väterlichen Autoritäten.
Aber ich gebe zu bedenken, die Krise der Männlichkeit hat schon eine lange Geschichte. Mal taucht sie auf, mal verschwindet sie aus Blickfeld der Aufmerksamkeit. Eine ganz besondere Dimension bekommt sie durch den Terrorismus und die Amokläufe. Susanne Alpers hat auf viele verschiedene Aspekte von „dissozialer“ Männlichkeit bei den vielen terroristischen Anschlägen hingewiesen. Aber ich möchte vor allem auf die gesellschaftspolitischen Ursachen der brandaktuellen Eskalationen und der Krise der Männlichkeit hinweisen, die abgekürzt in einem FR-Gastbeitrag von Richard Wilkinson und Kate Pickett vom 10. August 2012 („Der Wert des Menschen“), so beschrieben wurde: „Asoziale Gesellschaften verursachen asoziales Verhalten. So wie vor einem Jahr, als England von Unruhen erschüttert wurde.“ Wilkinson und Pickett sprechen von Erniedrigung und Gesichtsverlust als die häufigsten Auslöser von Gewalt. Das Bedürfnis wertgeschätzt zu werden, sei eine konstante Quelle von Existenzangst. Und Ungleichheit, soziale Ungerechtigkeit machen die Sache noch schwieriger. Das Nachdenken über die Verteilungskämpfe in der Welt, die jetzt mehrfach geschilderten Zustände in den Banlieues von Paris oder diese verrückten Waffengesetze in den USA, der dortige Rassismus usw., ist die Aufgabe der Stunde. Heranwachsende Generationen, die genau spüren, dass sie in dieser einseitig ökonomisch geführten Gesellschaft, unter dem Deckmantel des Wohlstandes und des ewig postulierten Wachstums (der auf der Seite der Reichen längst in Luxus und Masslosigkeit ausgeartet ist), keine Chance mehr haben, wertgeschätzte Mitglieder der Gesellschaft zu werden, geschweige denn jemals Anerkennung in Beruf und Familie zu erfahren. So wie sie es bereits bei ihren Vätern und Vorvätern erfahren mussten.
Und noch eines: Man darf bei der Hervorhebung der „Krise der Männlichkeit“ nicht auf dem anderen Auge blind sein, auch wenn die meiste Gewalt von Männern ausgeht. Sicher, wo bleibt der Aufschrei? Aber es ist zum einen nicht so, dass „typischerweise“ der Leserbrief vom 16. Juni von einer Frau stammt. Es gibt diese Männer, die das auch können.
Zum anderen, da gebe ich Barbara Neurohr recht: Das vermeintlich „starke Geschlecht“ ist bei genauer Betrachtung keineswegs sehr stark. Die Moderne bietet dem Mann aber auch nicht gerade viele Rollen an, die, dominiert von verquasten Erfolgs- und Leistungsvorstellungen, überzeugende Männlichkeitsbilder aufzeigen. Schlussendlich müssen dann noch Religion und schlichte Ideologien als Surrogat herhalten. Und: Frauen wollen vielfach immer noch den Helden im Manne sehen, mit den schützenden starken Armen. Das wirkt dann wiederum oft lächerlich, wie bestimmte Männertypen diese Erwartungen in ihrer Vorstellungswelt umsetzen. Auch Frauen dürften somit selbstkritische Blicke auf ihr eigenes Rollenverhalten werfen.
@ Jürgen Malyssek
Wenn der Hauptgrund für männliche Gewalt in Erniedrigung und Gesichtsverlust zu finden sein soll, dann muss ich Sie doch fragen: Erleiden Frauen keine Erniedrigungen? Meine Antwort lautet: Sie sind seit Bestehen der Menschheit mit Sicherheit größeren Demütigungen und stärkeren Kränkungen ihres Selbstwertgefühls ausgesetzt, von körperlicher Gewalt ganz abgesehen, als Männer. Und trotzdem begehen sie kaum ein Zehntel der Gewalttaten, die Männer verüben. Es muss also noch andere Gründe für die Gewaltaffinität von Männern geben.
Dass es auch heute noch Frauen gibt, die auf Machos abfahren, muss ich leider bestätigen. Wer eine Beziehung anstrebt, in der der Mann „die Hosen anhaben muss“, unterstützt ein Genderverhalten aus dem vorletzten Jahrhundert.
Wahr ist auch, dass es in unserer Gesellschaft immer noch an nachahmenswerten männlichen Vorbildern fehlt. Aber warum sollte mann sich nicht selbst neue Rollenbilder schaffen. Die Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts waren auf ihrem Weg in die Emanzipation auch auf sich allein gestellt und wurden angefeindet und verhöhnt, weil sie gegen herkömmliche Rollenklischees verstießen. Frau musste und muss sich da durchbeißen, bis heute, und von einer Krise der Weiblichkeit ist nie die Rede.