Wenn Beamte streiken, geht es um mehr als „nur“ ums Geld. Dann geht es auch um das Verhältnis des Staates zu seinen Dienern — oder der Staatsdiener zu ihrem Staat. In diesem Fall sei die erste dieser beiden Perspektiven gewählt, denn es ist der Staat — in diesem Fall das Bundesland Hessen –, dass den Konflikt vom Zaun gebrochen hat, indem er seinen Beamten eine Nullrunde verordnen will. Es ist dieser Staat, der in den Menschen, die ihm dienen, in erster Linie Kostenfaktoren zu sehen scheint und eben nicht Diener, die ihn tragen und die dafür angemessen behandelt werden wollen. Es ist dieser Staat, der seine eigenen Strukturen kaputtspart — Brücken, Straßen, Schulen –, weil er sich nicht an die herantraut.
In Sonntagsreden betonen unsere Volksvertreter, wie wichtig das Bildungssystem sei, denn Bildung sei die einzige echte Ressource dieses Landes. In der Realität aber macht der Sparzwang auch vor dem Bildungssystem nicht halt. Zugleich haben eben diese Volksvertreter keine Scheu, sich selbst wieder und wieder Erhöhungen ihrer Grundentschädigungen, vulgo Diäten, zu genehmigen. In Hessen geschah dies zuletzt vor einem Jahr. Knapp zwei Prozent genehmigten sich die Parlamentarier, begründet mit der allgemeinen Lohnentwicklung. Die Tarifgehälter steigen 2015 voraussichtlich um durchschnittlich 2,7 Prozent, die Renten werden wohl um 2,1 Prozent erhöht. Die Tendenz der allgemeinen Lohnentwicklung hält also an. Nicht für die Beamten?
Die hessischen Beamten streikten also. An den Schulen fanden anstehende Prüfungen trotzdem statt. Die angestellten Lehrer hatten schon im März gestreikt, bundesweit. Wie die Verhältnisse an den hessischen Schulen sind, lässt sich recht gut aus dem Artikel „Lehrer gehen auf Konfrontation“ über die Verhältnisse in Wiesbaden herauslesen.
Hans-Georg Frischkorn aus Frankfurt:
„Es ist ein flächendeckender Hilferuf! In dem Artikel wird berichtet, dass mehr als 20 Schulen aus Wiesbaden und dem Rheingau-Taunus-Kreis Überlastungsanzeige beim hessischen Kultusministerium gestellt haben. Kultusminister Alexander Lorz kommentierte, er sehe in dem Klagebrief „keinen speziellen örtlichen Hilferuf“, sondern eine Aktion, die „eindeutig zentral orchestriert“ werde. Nein, es sind auch keine örtlichen Hilferufe, es ist ein flächendeckender Hilferuf. Schulen sind notorisch unterbesetzt, eine Zahl wie 104% Lehrerversorgung soll den Menschen Sand in die Augen streuen. Die Lehrkräfte können den Anforderungen nach professionellem Unterricht und professioneller Erledigung der vielen wichtigen Zusatzaufgaben nur mit deutlich geringerer Pflichtstundenzahl, deutlich geringerer Klassengröße und mehr Entlastungsstunden für Sonderaufgaben nachkommen. Schulen brauchen zusätzlich mehr Personal für Sozialarbeiter und Schulverwaltungskräfte. Die Zukunft des Unterrichts liegt u.a. im differenzierten, individualisierten Unterricht, das kostet zusätzlich Zeit, wichtige Vorbereitungszeit. Wir haben es heute mit flächendeckenden Verlierern zu tun: Schülern, Lehrern, Eltern und Betrieben. Grünen Fraktionschef Martin Wagner spricht in der FR vom 10. Juni 2015 von einer „Lehrerversorgung über Bedarf“. Bekommen Sie die Misere nicht mit oder wollen Sie die Bevölkerung mit Ihrem Sprachgebrauch bewusst irreführen?
Was in der Tat „zentral orchestriert“ wird, ist diese Bildungsmisere. Immer wieder frage ich mich: Gibt es irgendeine Möglichkeit, das Thema Bildung den Politikern aus der Hand zu nehmen und den Bildungsexperten zu übergeben?
In meinem Bekanntenkreis sind viele Lehrerinnen und Lehrer – sie alle sehen die Situation so wie oben beschrieben. Keiner von ihnen will einen Leserbrief schreiben – alle haben Angst vor Nachteilen im beruflichen Umfeld. Das erschüttert mich sehr.“
Claus Wenzel aus Wehretal:
„Unabhängig von der Frage, ob verbeamtete Lehrkräfte streiken dürfen oder nicht, lehne ich Streiks während der Unterrichtszeit als Lehrer und Personalratsmitglied ab. Streiks während des Unterrichts, wie von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) initiiert, gehen zu Lasten der Schülerinnen und Schüler. Glaubwürdiger wäre es, in der unterrichtsfreien Zeit zu streiken.
Die Proteste der Beamten gegen eine Nullrunde und die Besoldungsdeckelung auf ein Prozent in den kommenden zwei Jahren sind gerechtfertigt. Eine Nullrunde widerspricht, wie jüngst das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, der Verpflichtung der Bundesländer, ihre Beamten angemessen zu alimentieren. Wer gutes Personal haben will, muss es entsprechend bezahlen. Aus diesem Grund wird der deutsche Beamtenbund, dem auch der Deutsche Lehrerverband Hessen (dlh) angehört, gegen das Vorhaben der Landesregierung klagen. Dies wahrt die Interessen der verbeamteten Lehrkräfte und ist im Ergebnis zielführender als zu streiken. Letztendlich war der Warnstreik der GEW ein Betriebsausflug ohne Wirkung.
Zukünftig sollte die Beamtenbesoldung an die Diätenerhöhungen der hessischen Landtagsabgeordneten gekoppelt werden, dann dürften keine Streiks wegen zu geringer Besoldung zu befürchten sein.“
Petra Schlüter aus Bad Harzburg:
„‚Beamte leisten genauso gute Arbeit wie Angestellte‘, zitiert Herr von Bebenburg die DGB-Chefin. Daran zweifle ich nicht, und die Anpassung der Tariferhöhung an die der angestellten Lehrer sei ihnen gegönnt. Allerdings etwas mühsam, denn im Umkehrschluss – und natürlich auch in der Realität – leisten angestellte LehrerInnen genausoviel wie verbeamtete. Mühsam deshalb, weil die Anpassung an die Tarifabschlüsse im zweistelligen Bereich pro Monat liegen wird, angestellte Lehrkräfte aber prinzipiell Monat für Monat einige hundert Euro weniger verdienen als ihre verbeamteten KollegInnen. Mal ganz abgesehen vom gesicherten Arbeitsplatz. Ein Aspekt, der überhaupt nicht erwähnenswert ist?“
iskussion: frblog.de/lehrerstreik
So langsam wird es ein Thema mit „Gähnfaktor“.
Sparen muß man, überall, aber Geld ausgeben muß man, auch überall.
Bekannt ist, daß die untersten Einkommensschichten keinerlei Chance haben, etwas auf die Seite oder gar auf die hohe Kante zu legen. Sie sind also der Motor der Wirtschaft.
Bekannt ist auch, daß die höheren Einkommensschichten den Kapitalmarkt bedienen und Investitionen tätigen. Sie sind also der Motor des Kapitalmarktes.
Die Frage ist: Wie belohnt man jeweils die Protagonisten gerecht?
Die Überschrift stellt die falsche Frage. Es gibt Länder mit einem besseren Bildungssystem die auch Demokratien sind. Die Wähler haben halt die Politiker die sie wählen.