In der FR-Redaktion geht ein Wort um, das Wort von den „versifften Linksfaschisten“. Dabei handelt es sich um ein Zitat aus einer „Liebesmail“, die ich in den vergangenen Tagen bekommen habe, und gemeint sind wir, die Leute von der Frankfurter Rundschau. Um das gleich dazu zu sagen: Nachdem die Nachricht von der Insolvenz der FR heraus war, gab es viele, viele Mails, Briefe und Anrufe, und die allerwenigsten bedienen sich eines Vokabulars wie des oben zitierten. Die allermeisten stammen von freundlichen, engagierten Menschen, die der Meinung sind, dass die FR weiter erscheinen muss, und die nachfragen, wie sie ihren Teil dazu beitragen können. Wenn es eines Beweises dafür bedürfte, wie nötig die FR in der Tat weiterhin ist, dann ist er mit der Mail von den „versifften Linksfaschisten“ bereits erbracht.
Die Schadenfreude im rechtsextremen Lager über die Anmeldung der FR-Insolvenz scheint groß zu sein. Was Wunder – wie keine andere Zeitung hat die FR das Versagen der deutschen Behörden in der NSU-Angelegenheit dokumentiert und hinterfragt. Und sie hat in Mely Kiyak eine fleißige Kolumnistin, die sich keine Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschusses entgehen lässt und schon viele Ungeheuerlichkeiten aus diesen Sitzungen dokumentiert hat. Die FR folgt damit ihrer jahrzehntelangen Tradition – ich hätte fast geschrieben: ihrer antifaschistischen Tradition.
Erst kürzlich hat eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung festgestellt: „Die Mitte rückt nach rechts„. Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Am vergangenen Donnerstag habe ich einen Leserbrief von Hajo Jahn veröffentlicht, Vorsitzender der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft und der Stiftung „Verbrannte und verbannte Dichter – Für ein Zentrum der verfolgten Künste“. Eine zentrale Passage aus diesem Leserbrief lautet:
„Die deutsche Erinnerungskultur befindet sich in einer Epochenwende: Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit nehmen zu. Wir alle wissen zudem, dass die Gewaltbereitschaft in der rechten Szene, vor allem in den ’neuen‘ Bundesländern, steigt, wo man ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild hat. Nationalsozialismus und Holocaust liegen fast 70 Jahre zurück, und die jungen Generationen sehen sich mit neuen Herausforderungen wie Asylproblematik, Überalterung der Gesellschaft, Globalisierung und Klimawandel konfrontiert.“
Auch das Wiedererstarken rechtsextremer Denkweisen ist eine neue Herausforderung, auf die die deutschen Sicherheitsbehörden und die deutsche Politik noch keine Antwort gefunden zu haben scheinen. Der Nationalsozialismus mag 70 Jahre zurückliegen, aber er ist in unserer Gesellschaft präsenter denn je. Wer, wenn nicht die Medien, kann die Behörden und die Politik zum Jagen tragen? Und vornean dabei: die Frankfurter Rundschau mit ihrer klaren Forderung nach Aufdeckung aller Fakten und nach Konsequenzen.
In der Redaktion wurde über die „versifften Linksfaschisten“ sehr gelacht. Ich habe mir sogar ein T-Shirt machen lassen, auf dem steht: „Ich bin ein versiffter Linksfaschist“. Zugleich tue ich natürlich alles, was in meinen Kräften steht, damit die FR weiterlebt und ihrer Tradition gegen Rechtsextremismus und ihrer Aufklärungarbeit weiter nachgehen kann. Da gibt es Positives zu berichten:
Seit dem vergangenen Wochenende wurden bisher gut 750 Solidaritäts-Abos gebucht!
Stand: 22. November.
Wenn Sie uns helfen wollen, weil auch Sie der Meinung sind, dass die FR in diesem Land noch gebraucht wird, dann können Sie zwei Dinge tun: Sie können ein Soli-Abo buchen oder eine Sympathie-Anzeige schalten. Das Abo können Sie natürlich auch verschenken – etwa an jemanden, der sich kein eigenes Abo leisten kann, an jemanden, den Sie von der FR überzeugen wollen, oder auch an gemeinnützige Organisationen.
Etwaige Fragen beantworte ich Ihnen gern auf den bekannten Mail-Kanälen.
Ihr Bronski
(versiffter Linksfaschist)
ich würde gern das App-Abo buchen und mit Android nutzen, aber gleich auf dem Formular steht, dass es „irgendwelche“ Probleme mit Asus-Tablets gibt. Ich finde aber nirgends eine Liste, *welche* Tablets das betrifft. Ich habe ein Nexus7 mit Android 4.2, gebaut von Asus. Wäre ich betroffen?
Welche Kündigungsfrist hat das Abo ohne Hardware?
Vorneweg: Die Solidarität mit der FR ist sehr zu begrüßen. Es genügt, die Häme etwa in den Zuschriften bei Faz.net anzuschauen, um zu begreifen, wie notwendig diese Zeitung ist. Als einem, der ihr über 40 Jahre – bis vor kurzem – die Treue gehalten hat, sei mir dennoch ein offenes Wort gestattet, gerade in dieser Situation.
Solidarität, so notwendig und erfreulich sie ist, kann keine Einbahnstraße sein. Sie erspart nicht die umfassende Reflexion über Ursachen einer Krise, auch und gerade hausgemachte, wenn die Chance nicht vergeben werden soll, die jede Krise in sich birgt. Ratschläge bezüglich der ökonomischen Situation möchte ich dabei Kompetenteren überlassen und mich auf inhaltliche Aspekte beschränken.
Als Alt-68er bin ich mir bewusst, in welchem Maße diese Zeitung mich bei der eigenen politischen Sozialisation begleitet hat, dabei geradezu Teil des eigenen politischen Selbst geworden ist. Nicht immer durch inhaltliche Positionen, wohl aber durch eine grundsätzliche Haltung: kritische Auseinandersetzung und Fähigkeit zur Selbstkritik, Toleranz ohne Beliebigkeit, Offenheit bei gleichzeitig entschiedenem Einsatz für Menschenrechte und in der Abwehr dumpfbackender Vorurteile gegen alles Fremde. Ein Wissen grundsätzlicher Übereinstimmung, das auch manche Unstimmigkeiten ertragen ließ – sogar die Zumutungen eines Götz Aly, dem so ziemlich jeder Anlass recht zu sein scheint, zu verdächtigen und in den Schmutz zu ziehen, wofür er selbst einmal gestanden hat. Eine grundsätzliche Übereinstimmung, die m.E. auch in diesem Blog zum Tragen kommt, der eben nicht nur die Abgabe von Statements ermöglicht, sondern auch das Austragen inhaltlicher Kontroversen – auch in aller Schärfe, sofern der Respekt vor der Integrität des Andersdenkenden gewahrt bleibt. Möglichkeiten, die ich nicht missen möchte und für die ich Bronski an dieser Stelle danke.
Eben dieser Respekt vor der Integrität des andern ist jedoch in der „Beschneidungsdebatte“, inbesondere in der unsäglichen Leitartikelserie des Herrn Bommarius – wie sich aus zahllosen Kommentaren in FR-online, vor allem langjähriger Leser belegen lässt – entschieden verletzt worden. Wo spekulativ-pauschalisierende Motivforschung, wo verallgemeindernde „Antisemitismus“-Vorwürfe, „belegt“ durch willkürliche Nazi-Vergleiche, wo Tabuisierung mithilfe Denunziation die Auseinandersetzung mit unbequemen Fragen ersetzt, wird jede rationale Diskussion unmöglich – wie die Löschung der Kommentarfunktion zum Leitartikel „Aus der Sickergrube“ (30.9.) belegt.
Dem ahistorisch-moralisierenden „hilflosen Antifaschismus“ (W.F.Haug) der frühen 60er Jahre und der Studentenbewegung als Folge schuldbewusster Tabuisierung kann ein gewisses Verständnis entgegengebracht werden. Diffamatorische „Antisemitismus“-Vorwürfe 50 Jahre danach, die schreckliches Leiden und große Schuld instrumentalisieren, die ihrerseits der Tabuisierung (etwa religiös verbrämter Machtstrukturen) dienen, sind mehr als nur ein historischer Rückfall: Sie erscheinen (so die Analyse Moshe Zuckermanns, siehe Anhang) als zynisches „Herrschaftsinstrument“, befördern dadurch gerade die Tendenzen, die zu bekämpfen sie sich vorgenommen haben.
Dass ein solches Verfahren mit dem Anspruch einer „liberalen“, „kritischen“, „weltoffenen“ Zeitung unvereinbar ist, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Es konterkariert auch ein lobenswertes Engagement, etwa im Nachhaken beim NSU-Verfassungsschutz-Skandal oder dem hessischen Steuerfahnderkandal.
So lächerlich und aberwitzig der Vorwurf des „Linksfaschismus“ ist, eine Reflexion darüber, wie solche Vorurteile zustande kommen, dass sie (und sei es unbewusst) auch durch eigene unreflektierte, verallgemeinernde Begrifflichkeit bedient werden können, erscheint keineswegs überflüssig – auch gegenüber einer Leserschaft, deren Vertrauen nicht als Blankoscheck einzufordern ist.
Ich wünsche den Redakteurinnen und Redakteuren der FR bei einem Klärungsprozess, der m.E. noch bevorsteht, einen klaren Sinn und bei ihren Entscheidungen eine glückliche Hand.
Werner Engelmann
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Anhang:
Moshe Zuckermann (Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv) zum Phänomen des inflationären Gerbrauch des „Antisemitismus“-Vorwurfs bei „nichtjüdischen Deutschen“ (in: „Antisemit!“ – Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Wien 2010, S. 161-163):
„Was dabei aber besonders ins Auge fällt, ist, wie sehr der Antisemitismus-Vorwurf und die an ihn gekoppelte ‚Israelsolidarität‘ sich von Juden und Israel losgelöst, mithin zu freischwebenden Selbstläufern gewandelt haben, allzeit abrufbar für jede sich bietende Gelegenheit narzisstisch-politischer Selbstsetzung. (…) Es geht den großen ‚Antisemitenjägern‘ gar nicht um Juden, es geht ihnen auch gar nicht um den Antisemitismus, es geht ihnen, den sich ‚antideutsch‘ Wähnenden, um nichts mehr als um ihr Deutschsein. (…) Links wollten sie dabei einst sein – deutscher denn je sind sie jedoch gerade darin geworden. (…) Einzig der Jude kann sie von ihrer Schuld, vom Unbehagen ihres psychischen Seins erlösen. Das macht sie wütend; die Wut können sie sich aber gar nicht erlauben; daher tabuisieren sie den Juden und kompensieren ihre Aggression ihm gegenüber, indem sie ihn (und alles, was zu ihm gehört) unantastbar werden lassen.“
Ist viel Wahres dran, was Werner Engelmann angeführt hat. Auch ich hatte ja bereits an Beispielen die Widersprüchlichkeit in FR-Berichterstattung und vor allem Kommentaren aufgezeigt.
Auf der Haben-Seite steht da NSU-Untersuchungsausschuß und die Blindheit auf dem rechten Auge. Diese sollte dann aber auch nachfragen, warum z.B. die Linke immer noch mehr im Fokus der Regenmantel- und Schlapphut-Träger ist und ob nicht der Verfassungsschutz selbst das Problem ist, also verboten gehört und nicht die NPD. Und aus der berechtigten Kritik an der rechten Blindheit darf dann nicht eine Rechtfertigung erwachsen, aus jeder Islam- und Juden-Kritik, wie in der Beschneidungsdebatte, sofort Antisemitismus zu wittern.
Auf der Haben-Seite steht auch die Haltung zum Milliardengrab „Stuttgart 21“. Ähnliches hätten sich Flughafen-Frankfurt-Erweiterungs-Geschädigte auch von „ihrer“ FR gewünscht, da waren aber dann wohl die Interessen der Anzeigen-Schalter wie FAG und Lufthansa stärker.
Und die löbliche Haltung zum Steuerfahnder-Skandal erinnert irgendwie jetzt an den Fall Mollath, (hier der Link zur Süddeutschen: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fall-mollath-das-schweigen-der-banker-1.1529677), weil hier wie dort Aufklärer und Nachfrager zu Querulanten und Geistesgestörten abgestempelt wurden und werden.
Von einer engagierten Zeitung erwarte ich mir nicht X-Beliebigkeit, also heute von Heusinger und morgen Götz Aly, und dann vielleicht noch die Begründung, etwas für die Debattenkultur zu tun. Da kann ich mir auch gleichzeitig die BILD, die TAZ und den FREITAG kaufen. Vielleicht gibt es ja innerhalb des FR-Redaktionsteams bereits einen Entwurf, oder sogar ein Konzept, wie, auf welchem Wege und vor allem mit (und von wem ggf. abhängig) es weitergehen könnte und sollte.
Dann würde ich mir auch ggf. ein neues Abo überlegen. Aber nicht aus Larmoyanz oder Solidarität zu einer Vergangenheit, die es so schon lange nicht mehr bei der FR gibt. Da lese ich lieber, wie jetzt neu abonniert, TITANIC, die ist lustiger.