Frankfurt hat gewählt – und die Republik überrascht: Der bis dahin weitgehend unbekannte SPD-Politiker Peter Feldmann schlug den lange als Favoriten gehandelten CDU-Kandidaten Boris Rhein, und zwar haushoch mit 57,4 Prozent. Nach 17 Jahren hat Frankfurt, die fünftgrößte Stadt Deutschlands, nun wieder einen Oberbürgermeister aus den Reihen der SPD. Die Hessen scheinen immer wieder gut für Überraschungen zu sein: Feldmann wird dem linken Flügel der SPD zugeordnet. Dabei weiß doch jeder nicht erst seit Gerhard Schröder, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden …
Petra Roth, die noch bis zum 30. Juni als OB amtiert, hatte sich das alles indes wohl anders vorgestellt. Vorzeitig machte sie den Weg für ihren Nachfolger frei, indem sie Anfang November 2011 ihren Rückzug ankündigte, und schien die politische Konkurrenz damit überrumpelt zu haben. Doch das Kalkül, den hessischen Innenminister Boris Rhein auf den OB-Posten zu heben, ging nicht auf. Die SPD bestimmte ihren Kandidaten in einer Urwahl, und dieser Kandidat überzeugte nun auch mehrheitlich jene Frankfurter Bürgerinnen und Bürger, die am Sonntag wählen gingen. Allzu viele waren es nicht, rund zwei Drittel der Wahlberechtigten interessierten sich anscheinend nicht dafür, wer sie künftig regieren wird.
Im Frankfurter Römer regiert eine schwarz-grüne Koalition, für deren grüne Wähler der Konservative Rhein offenbar mehrheitlich nicht wählbar war. So hat die grüne Basis indirekt gegen die eigene Koalition gestimmt und zwingt den Magistrat so gewissermaßen zur „Cohabitation“ mit einem roten OB – der selbstbewusst das Wirtschafts-Dezernat für sich beansprucht. Mitentscheidend dürfte das Thema Fluglärm gewesen sein. Hier hatte Rhein einen schweren Stand, denn die hessische Landesregierung, deren Mitglied er ist, hat beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Nachtflugverbot geklagt, das vom Landesverwaltungsgericht noch bestätigt worden war. Rhein hatte im Wahlkampf immer wieder gesagt, die Klage sei lediglich erfolgt, um Rechtssicherheit zu erreichen, aber das hat ihm bei den Wählerinnen und Wählern gerade im lärmgeplagten Frankfurter Süden – eigentlich konservative Hochburg – nicht geholfen. Unschön ist hier auch angekommen, dass er die Einladung eines Bürgers zum Grillen im Garten in der Einflugschneise zwar annahm, jedoch dann einfach nicht erschien – ohne abzusagen. Die neue Nordwest-Landebahn des Frankfurter Flughafens wird wohl auch unter Peter Feldmann nicht wieder dicht gemacht, aber Feldmann trat im Wahlkampf immerhin für ein Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr ein (bisher 23 bis 5 Uhr).
Wer Frankfurt gewinnt, heißt es, kann auch den Rest Deutschlands gewinnen. Die SPD wittert Morgenluft. Der Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel hat die Landtagswahlen Ende 2013 schon fest im Blick. Auch der Bundestag wird im Herbst 2013 neu gewählt. In wenigen Wochen werden zudem in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Landtage gewählt. Wirkt sich die Wahl des Frankfurter OB aus? Und wenn ja, wie? Zieht die SPD daraus die Konsequenz, künftig eher linke Positionen zu betonen? Und welche Lehren ziehen die grünen Politikerinnen und Politiker im Römer aus dem für sie schwierigen Wahlergebnis?
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg meint:
„Der gar nicht so überraschende Ausgang der Frankfurter Oberbürgermeister-Wahl führt natürlich sofort zu der Frage, wie der neue OB Peter Feldmann (SPD) mit der unverändert schwarz-grünen Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung sowie den schwarzen und grünen Stadträten im Magistrat zusammen arbeiten wird? Nun hat der grüne OB in Bad Homburg Korwisi dies gegenüber einer CDU/FDP-Mehrheit im Bad Homburger Stadtparlament erfolgreich vorgemacht.- Inzwischen hat sich allerdings in Bad Homburg nach der letzen Kommunalwahl eine neue Parteienkonstellation ergeben, die CDU und FDP in die Oppositionsrolle hineingeführt hat. Ähnlich ist es in Zukunft auch für Frankfurt am Main zu erwarten.
Es ist bekannt, daß die hessische CDU innerhalb der Bundes-CDU deutlich auf der rechten Seite angesiedelt ist. Das war schon Dreggers Zeiten so. Die hessische CDU muß also über eine gewisse ‚Sozialdemokratisierung‘ nachdenken.“
Alexander Kühn aus Maintal:
„Die Reaktionen von Schwarzgrün auf die Wahl von Peter Feldmann sind teilweise sehr bedenklich. Jetzt auch noch Bedingungen aufzustellen, wann er mit wem reden darf – „wir reden mit Feldmann nur als Koalition“ – geht komplett an der entscheidenden Tatsache vorbei, dass Feldmann immerhin vom Volk direkt gewählt ist und für seine Arbeit eine mindestens so große Legitimation hat wie das Koalitionskonstrukt in der Stadtverordnetenversammlung.
Insbesondere die Grünen müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass letztlich ihre Wähler es waren, die mit der Wahl von Feldmann deutlich gemacht haben: Sie machen nicht jede schwarzgrüne Position hemmungslos mit. Nicht nur Boris Rhein hat sich also verzockt, sondern auch die grünen Chefstrategen im Römer. Daraus müssten sie jetzt eigentlich Konsequenzen ziehen.“
Lothar Dicks aus Frankfurt:
„Herr Feldmann sollte auf die Grünen aufpassen: Sie argumentieren leider nicht mehr aufrichtig. Wenn er mit jedem Magistratsmitglied Zielvereinbarungen treffen will, sollte er dies unbedingt durchsetzen. Wenn Cunitz und Co nur als schwarz-grüner Block mit ihm reden wollen, zeigt sich bereits, wie unehrlich die „ausgestreckte Hand“ gemeint ist. Passen Sie auf, Herr Oberbürgermeister!“
Helen Hauff aus Frankfurt:
„Wie bitter muss es für Petra Roth sein, dass ihr Kronprinz nicht die Amtskette des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt umgelegt bekommen wird. Wer hat sie so falsch beraten? Der kluge Schachzug, den sie sich erhofft hatte, endet in einem jämmerlichen Schachmatt. Und so wird ihr politischer Rückzug dem Glanz ihrer Amtszeit einen Schatten auflegen. Selbst der „Beste“ der hessischen CDU, laut Herrn Bouffier (pass auf, wem Du traust!) konnte Peter Feldmann nicht aufhalten, obwohl viele Bürger in ihm nur das kleinere Übel gesehen haben. Jede Stadt bekommt den Oberbürgermeister, den sie verdient.
Mich aber würde interessieren, wie viele Wähler zur Wahlurne gegangen sind und ihre Stimmen ungültig gemacht haben. Weil es eben nur die Wahl zwischen Cholera und Pest gab.“
Robert Lebowitsch aus Frankfurt:
„Bei allen Kommentaren fehlt ein ganz wesentlicher Grund, der wahrscheinlich für viele Wähler hauptausschlagend war nicht Boris Rhein zu wählen. Nämlich ein Oberbürgermeister-Amt wirft man nicht einfach weg. Es mag persönliche, gesundheitliche Gründe geben, die das rechtfertigen können, aber in diesem Falle liegen die Gründe in den Beschwerden zur neuen NW-Landebahn und den geänderten Abflugrouten. Die permanenten Beschwerden und Proteste seit Oktober/November letzten Jahres wollte sich Frau Roth nicht mehr antun.
Ende 2013 bzw. Anfang 2014 stehen Landtagswahlen an, so wie sich die Sache entwickelt, könnte es aus heutiger Sicht eine Wachablösung in Hessen geben und die CDU befindet sich auf den harten Bänken der Opposition. Boris Rhein wäre bei geglückter OB-Wahl bis 2016 abgesichert gewesen. Das waren die Überlegungen von Frau Roth den Beschwerden der Bürger zu entgehen. Hinzu kommt natürlich noch die Einstellung von Boris Rhein selbst zum Flughafen und der plötzliche Sinneswandel für die Bürger ein Nachtflugverbot zu wollen. Das ist einfach unglaubwürdig. Frau Roth hat ja kurz nach ihrer Ankündigung erklärt, für weitere bzw. andere Aufgaben zur Verfügung zu stehen.
Zugegebenermaßen war dieser Schachzug aus ihrer Sicht gut durchdacht, aber die Wähler haben das durchschaut. Wenn wir als Bürger schon durch den Kakao gezogen werden sollen, wollen wir nicht auch noch die Brühe selbst trinken müssen.
Ein Oberbürgermeister-Amt ist kein Erbhof und wird nicht nach Gutdünken vergeben, das Ganze riecht nach Vetternwirtschaft und hat ein Geschmäckle bekommen. Aus Trotz hätte ich sogar eine Vogelscheuche gewählt um dieses abgekarte Spiel zu verhindern.“
Klaus Glaeser aus Frankfurt:
„Der ‚triumphale‘ Hype zu Peter Feldmann entbehrt jeder realen Grundlage. Wenn nun in der Fischerfeldstraße geglaubt wird, unter Führung der SPD eine Mehrheit links der Mitte organisieren zu können, so gibt es noch einige Umstände zu umschiffen. Die behauptete Wiedergeburt der SPD in Frankfurt ist eher dem Umstand zu verdanken, dass Peter Feldmann nicht Boris Rhein heißt. Die Wähler der Grünen und der anderen Parteien jenseits der CDU, deren Kandidat und dessen Intentionen sattsam bekannt sind, konnten sich bislang kein Bild vom Wahlsieger machen, da Peter (Marty) Feldmann in seiner über 20-jährigen Tätigkeit im Stadtparlament wenig Spuren hinterlassen hat. Die Substanz seiner Wahlversprechen ist auch eher dürftig, denn mit welchen Entscheidungen er Kinderarmut begegnen und preiswerten Wohnraum schaffen möchte, bleibt sein Geheimnis, gerade bei einem restriktiven Haushalt. Also, so what? Trotzdem hoffe ich, dass sein Wahlsieg der SPD deutlich macht, dass nun Quintessenzen statt Illusionen gefragt sind, um die eigene Partei neu aufzustellen. Neben diesem Sieg zeigt sich in Berlin und an der Saar, dass nicht nur Grüne und Linke, sondern nun auch die Piraten das Wählerpotential der SPD erfolgreich befischen. Also heißt es für die SPD, schön bescheiden bleiben und sich redlich mühen.“
Christine Braun aus Frankfurt:
„Peter Feldmann ist neuer OB in Frankfurt. Das wundert mich gar nicht. Obwohl ich Boris Rhein schon aus Verbundenheit zu Petra Roth gewählt habe, war ich mir nach dem letzten Interview mit den beiden Kontrahenten eigentlich sicher, dass Boris Rhein seinen Bonus verspielt hat. Peter Feldmann sprach sachlich und kam sehr sympathisch rüber, während Boris Rhein sich arrogant in Akten vergrub und den Gegner einfach ignorierte. Ich dachte gleich: Boris Rhein verspielt durch seine Arroganz viele Punkte. So kam es dann auch. Frankfurt ist eine liberale, tolerante Stadt, die Überheblichkeit nicht schätzt. Schade, dass Petra Roth aufhört. Sie passte so gut zu uns. Ich wünsche dem neuen OB immer ein offenes Ohr für das Anliegen seiner Mitbürger.“
Ich glaube nicht, dass das gut geht. Der schwarz-grüne Magistrat versucht zu mauern, die Grünen arbeiten quasi gegen ihre eigene Basis … Natürlich kann man mit der Frankfurter CDU regieren, sie ist nicht wie die Hessen-CDU. Aber ich glaube, die Grünen müssen sich entscheiden. Wenn nur nicht die Grabenkämpfe in der SPD wieder losgehen.
Mit der Ruh‘ auf Goethes Küppel dürfte es nun vorbei sein. Es dürfte spannend werden, wie die Nettigkeiten untereinander am Ende ausgehen. Feldmann kann zwar sein Veto einlegen, aber das war es auch schon. Wenn die annern net wolle… Den Frankfurter Grünen traue ich seit dem Schweigegelübde in Sachen Flughafen nix gutes mehr zu. Für ein bißchen Magistratsessel verhöckern die noch unser letztes bißchen Stadtwald an Fraport und Lufthansa. Obwohl, Fraport sind ja wir das Volk, mit 50+1 (Hessen + Frankfurt). Nur gut, daß nicht der „Windhund“ Boris da nun die Kette von Frau Roth beerbt hat. Wieso durfte der Innenminister bleiben und OB werden wollen? Ein Frankfurter OB ist mehr wert als so andere Pöstchen im Hessischen Landtag. Über die Frau Roth wurde immer gebabbelt, über Kochs Nachfolger noch net. Was macht der eigentlich?
Naja, nur Mut, muß man Herrn Feldmann zurufen, vielleicht sind ja die Kollegen im Magistrat mit Apfelwein bekehrt worden, lassen mal Kirche und Berlin da wo sie sind und schauen auf das scheene Frankfort. Denn da gibt es viel zu tun.
Zunächst hoffe ich, dass sich, so wie ich das selbstverständlich getan habe, die vier abgedruckten Leserbriefautoren beide Wahlgänge durch Abgabe ihrer Stimme legitimiert haben, an gewählten oder nicht gewählten Kandidaten Kritik zu äußern. Bei einer beschämenden Wahlbeteiligung von deutlich unter vierzig Prozent darf dieser Hinweis erlaubt sein.
Wenn man die vermeintliche Fallhöhe von Herrn Feldmann daran messen will, wie tief seine Hand bei der Begrüßung von OB Petra Roth in der Hosentasche steckte, ist das für mich Zeugnis darüber, woran Politiker welcher Couleur auch immer, von vielen Mitbürgern in erster Linie gemessen werden oder aber wie tief der Frust sitzt, dass sein Mitbewerber auf der Zielgerade gescheitert ist.
Immerhin hat eine ordentliche Mehrheit der Wähler erkannt, dass Boris Rhein als OB-Kandidat seine Fallhöhe bereits durchmessen hat, nämlich unglaubwürdig als Innenminister z.B. in Sachen Nachtflugverbot zu sein oder davor als Strippenzieher für den ehemaligen Innenminister Bouffier und dessen Ziehvater Roland Koch. Schön, dass der Anden- und Tankstellensumpf vor den Toren Frankfurts Halt gemacht hat.
Warten wir doch einfach mal ab, was passiert, wenn Herr Feldmann spätestens zum 01.07.2012 die Hand aus der Tasche nimmt, die Ärmel aufkrempelt und mit seiner Arbeit beginnt. Auch ihm sollten die berühmten einhundert Tage der Bewährung zustehen. Dann, aber erst dann bin ich bereit darüber zu diskutieren, dass das, was er bis dahin erreicht hat, läge am Protokoll, fehlendem Gespür für Manieren oder am Stil von Politprofis.
Das wichtigste, zumindest für mich als nicht Frankfurter, ist das Signal an die Hessische Landesregierung. Sie wird darauf selbstverständlich reagieren und beim Thema Flughafen auf die betroffene Bevölkerung zugehen. Wenn die Parteien merken das sie Macht verlieren haben die Lobbyisten ein Problem. Das konnte man in der Politik schon ein paar mal beobachten. Die Hessische Landesregierung wird jetzt alles tun das Thema Flughafen vor der Landtagswahl vom Tisch zu bekommen.