Zum Artikel „Auch Lehrer brauchen einen Coach“ veröffentliche ich hier einen Gastbeitrag von Birgit Beuel aus Minden, der in der FR vom 17. März in gekürzter Fassung als Leserbrief erscheinen wird.
Die Schule ist unpädagogisch auf pure Leistung ausgerichtet
Zunächst das Positive. Es ist durchaus wohltuend, nach jahrelanger Lehrerschelte quer durch alle Medien – angefangen bei der unsäglichen Diffamierung als „faule Säcke“ durch Gerhard Schröder bis zu billigen, aber publikumswirksamen Seitenhieben eines Dieter Nuhr – seit einiger Zeit zunehmend andere Töne hören zu können. Die Arbeitsbelastung von Lehrerinnen und Lehrern wird auch außerhalb von Verbänden und Gewerkschaften entdeckt, diagnostiziert und bewertet. Und deshalb darf ich es als Lehrerin auch erleben, dass mir inzwischen nicht mehr im Grundton der Überzeugung von meinem Bäcker oder Nachbarn ein „schöner Feierabend“ gewünscht wird, falls ich tatsächlich einmal um 14 h zu Hause sein sollte.
Allerdings gilt dieser neue Blick auf Lehrerinnen und Lehrer immer noch nicht deren Situation als Arbeitnehmer, sondern dem mehr oder weniger gelungenen Umgang mit einer angeblich oder tatsächlich schwieriger werdenden Klientel, also mit den Schülerinnen und Schülern. Durch diesen Blick als Unterrichtender vereinzelt, stellt sich dann heraus – auch in dem Artikel Ihrer Autorin: die Lehrerinnen und Lehrer sind selber schuld, wenn es ihnen schlecht geht. Warum sind sie auch immer noch Einzelkämpfer in der Schulklasse, warum öffnen sie sich nicht für Beratung bzw. Supervision? Warum lassen sie sich verheizen (und das betrifft nach meiner Erfahrung nicht nur die im Artikel erwähnten Junglehrer)?
Die Potsdamer Lehrerstudie, auf die sich Ihre Autorin bezieht, stellt also fest, dass 60 % der Lehrerinnen und Lehrer gefährdet sind, im Beruf zu erkranken; die Untersuchung der Lüneburger Universität kommt zu dem – seit Jahrzehnten bekannten und kritisierten – Zeitdruck als Grund allen Übels, aber dennoch – wem auch immer sei Dank : Lehrer werden nicht mehr so häufig dienstunfähig bzw. in den vorzeitigen Ruhestand versetzt (Statistisches Bundesamt). Ende gut, alles gut?
Ende gut, alles gut?
Die Komposition des Artikels zeigt den Weg: Lehrer, lasst euch coachen, dann geht es euch auch besser und dann könnt ihr auch unbeschadet demnächst bis zum Alter von 67 Jahren vor wahrscheinlich immer noch viel zu großen Klassen stehen und eure viel zu große Stundenzahl ableisten! Manager schaffen es doch auch und die arbeiten nun wirklich mehr. Von 60 bis 70 Stundenwochen ist da die Rede, während Lehrerinnen und Lehrer lediglich mit 23 bis 28 Wochenstunden aufwarten können; nicht zu vergessen die unschlagbar hohen Ferienzeiten.
Spätestens hier sind wir wieder bei der in Deutschland sehr verbreiteten Skepsis gegenüber den Menschen, die Jahr für Jahr und Tag für Tag Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen erziehen und fördern sollen. Hinderlich ist dabei nach Ansicht der Autorin, dass Lehrer sich immer noch als „souveräne Wissensvermittler“ begreifen, die sich nicht ins Handwerk pfuschen, also auch nicht hinter die geschlossene Klassentür schauen lassen wollen. Diese Darstellung ist eine grobe Verzerrung der Realität in den Schulen, so wie ich sie in vielen Jahren der Berufstätigkeit kennen gelernt habe.
Abgesehen von den sich seit dem kurzfristigen, mit den 80er Jahren wieder aufgegebenen Bemühen um verbesserte Rahmenbedingungen ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen an den Schulen der BRD, erschwert es ebenso die Struktur des Schulsystems selbst, Arbeitszufriedenheit erreichen zu können, weil nämlich diese Struktur es kaum möglich macht, als Pädagogen zu arbeiten. Die völlig unpädagogisch auf pure Leistung ausgerichtete Schule hat spätestens seit „PISA“ Hochkonjunktur, allenfalls unterbrochen von einem kurzen Hochschrecken nach Amokläufen an Schulen. An keiner Stelle hat eine ernsthafte Reflexion darüber eingesetzt, welchen Anteil das System Schule an diesen Verzweiflungstaten hat, um daraus Konsequenzen zu ziehen. Im Gegenteil, der Leistungsdruck auf Schüler und Lehrer wurde seitdem noch erhöht.
Was heißt das für die Arbeit an den Schulen? Um die gewünschten Leistungen zu erreichen, werden nicht die Klassenfrequenzen gesenkt, Fördermöglichkeiten eingeführt, mehr Lehrer eingestellt, die Wochenstundenzahlen für die Kolleginnen und Kollegen gesenkt, damit sie sich pädagogischer Arbeit überhaupt zuwenden können (dazu gehören auch die Zusammenarbeit mit den Eltern!), sondern im Gegenteil, sie werden überhäuft mit Themen wie Schulentwicklung und Schulqualität, mit zusätzlichen Terminen, zusätzlichen Aufträgen, die alle nichts mit Unterricht oder pädagogischer Arbeit zu tun haben. Fortbildungen dürfen nicht mehr in die Unterrichtszeit fallen, neue/andere Methoden sollen den Frontalunterricht ablösen, ohne dass die äußeren Rahmenbedingungen auch nur angetastet werden (allein die Räumlichkeiten in den häufig langsam verwahrlosenden Schulgebäuden führen diese Ansätze schon ad absurdum). Die Zahl der Schulpsychologen wird flächendeckend reduziert, so dass auch in diesem Bereich der Beratung Lehrer zunehmend alleine vor der Erfahrung stehen, nicht beraten oder helfen zu können, weil die Mittel nicht zur Verfügung stehen. Und so sieht man dann zu, wie Kinder und Jugendliche es „nicht schaffen“ . Die Schuldzuweisung lässt nicht lange auf sich warten – von Seiten der Gesellschaft, der Medien, der Eltern und – der Vorgesetzten. Nur die Schulen – und vor allem deren Schulleiter – gelten etwas, die gute Abschlüsse präsentieren können. Kolleginnen und Kollegen, die diese nicht garantieren können, sind ein Problem. Besonders die Eltern erwarten aus nachvollziehbaren Gründen, dass ihre Kinder an der Schule erfolgreich sind bzw. im Krisenfall gefördert werden.
Wünschenswerte Initiative
Wäre es unter diesen Umständen nicht gerade sinnvoll und wünschenswert, dass Lehrerinnen und Lehrer die Initiative ergreifen und sich Hilfe holen bzw. sich gegenseitig helfen? Dieser grundsätzlich sicher nicht falsche Ansatz vernachlässigt einen wesentlichen Faktor, der weit darüber hinaus geht, dass z.B. gegenseitige Unterrichtsbesuche von Kollegen allein aufgrund der internen Schulorganisation (also Stundenpläne) kaum möglich sind. Gemeint ist die Schule als ein Ort starrer, undurchlässiger und undurchschaubarer Hierarchien, an deren letzter Stelle der eigentlich Handelnde, der Lehrer steht: Hierarchien innerhalb der Schule selbst; die häufig nur durch Anweisungen und Erlasse wahrnehmbare Behörde, die nicht hinterfragbar in den schulischen Alltag eingreift; das Ministerium, das noch weiter entfernt ist und dessen Entscheidungen häufig mit staunendem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen, aber eben auch erfüllt werden (müssen). Der einzelne Lehrer kommt in diesen Abläufen kaum oder gar nicht vor, es sei denn, er erhält eine Urkunde oder wird wegen einer Verletzung des Dienstrechts diszipliniert. Schule ist eben nicht nur der jeweilige Ort, sondern ein komplettes System, dessen Struktur der einzelne Lehrer kaum kennt und dessen Personal er auch nicht bestimmen kann.
In dieses System tritt man nach dem sogenannten Referendariat ein, wodurch man nach der fachspezifischen Ausbildung an der Universität die Didaktik und Methodik der Wissensvermittlung erlernen soll. Pädagogik/Psychologie spielt auch hier nur eine sekundäre Rolle. Leistung ist alles, sie entscheidet über das weitere Leben, weil unterhalb der Note 3 mit keiner, unterhalb der Not 2 nur bedingt mit einer Anstellung gerechnet werden kann. Wie wird diese Leistung festgestellt? Vor allem durch Unterrichtsbesuche der Fachleiterinnen und Fachleiter der Studienseminare, die 1 1/2 oder 2 Jahre Zeit haben, ihrer Klientel zu vermitteln, ob sie fähig sind oder nicht. Man absolviert diese Zeit als Einzelkämpfer gegenüber den Fachleitern (nicht gegenüber den Mit-Referendaren) und hofft, dass man die jeweilige Vorliebe der Ausbilder rechtzeitig erkennt und umsetzt, auch wenn man sie selbst gar nicht teilt. Die Referendarszeit erzieht zu einer permanenten Selbstverleugnung und hinterlässt tiefe Spuren. Ich kenne kaum einen Kollegen, der diese Zeit nicht auch noch nach Jahren als die schlimmste Zeit seines Lebens bezeichnet und der nicht jeden Referendar mit einem mitleidig-wissenden Lächeln begrüßt.
Die Folgen sind immer spürbar: in Unsicherheit, Schuldgefühlen, Ängsten und eben auch in der Abneigung gegen Überprüfungen der eigenen Tätigkeit (wie gesagt, ich spreche nicht von der Zusammenarbeit mit Kollegen, die im Rahmen des Möglichen entgegen der Darstellung Ihrer Autorin sehr verbreitet ist). Dass bisher nur Schulleiter eine Art coaching erhalten, um ihre „Managementfähigkeiten“ zu erhöhen, ist Teil des Systems der Bertelsmann-orientierten Schulen, die sich immer weiter von pädagogischen Grundsätzen und Zielen lösen. Sprach man früher von reformpädagogischen Schulen, wäre es heute schön, überhaupt von pädagogischen Schulen sprechen zu können. Um Missverständnisse zu vermeiden: damit meine ich nicht die tägliche Arbeit der Kollegen, die versuchen aus dem allgemeinen Missstand das Beste für ihre Schüler und damit auch für sich selbst zu machen und die an den Rahmenbedingungen häufig genug resignieren, manchmal sogar verzweifeln. In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu der reduzierten Zahl vorzeitigen Ruhestands: diese Möglichkeit wurde durch die inzwischen geltenden erheblichen Einbußen bei der Rente verwehrt.
Gibt es einen positiven Ausblick? Vielleicht wenn der Öffentlichkeit nicht nur die tatsächliche Lage der Schulen wirklich bewusst wird, sondern wenn die seit Jahrzehnten bekannten Konzeptionen endlich umgesetzt werden. Das kostet natürlich Geld. Unsere Kinder sollten es uns wert sein.
Gutes Schlusswort.
Was ich noch anzufügen habe ist: Was die Eltern von zu Hause aus den Kindern mitgeben, kann durch keine Schule ersetzt werden. Seid mehr für eure eigene Familie da!
Im ganzen stimme ich der Analyse von Birgit Beuel völlig zu und danke ihr dafür. Als ehemaliger Gymnasiallehrer, der seine aktive Schullaufbahn schon einige Zeit hinter sich hat, bin ich immer wieder erstaunt, mit welchem aufklärerischen Pathos Ratschläge an die ach so unaufgeklärte Lehrerschaft daherkommen, die von wenig Kenntnis der außerordentlich komplexen Unterrichtssituation zeugen und sich bei näherem als Griff in die Mottenkiste entpuppen. Das gilt im wesentlichen – so wohlwollend er vielleicht gemeint sein mag – auch für den Artikel „Auch Lehrer brauchen einen Coach” von Katja Irle, der so ziemlich alle wesentlichen Aspekte des Schulalltags ausblendet. Ihr Schlachtruf „Lehrer, lasst euch coachen, dann ist alles in Butter!“ mag zur Selbstbestätigung nützlich sein, mit der Realität hat er nicht viel zu tun. Er erzeugt eine Erwartungshaltung, die enttäuscht werden muss und auch in Frust umschlagen kann.
Als Fazit bleibt auch hier, wie Frau Beuel richtig feststellt: „Die Lehrerinnen und Lehrer sind selber schuld, wenn es ihnen schlecht geht.“ Der Blick wird auf das vermeintlich so sehr zurückgebliebene Selbstverständnis der Lehrerschaft verengt. Kein Wort aber zur Organisation eines solchen Coachings und der Verzahnung mit dem Schulalltag. Bleibt der Schluss, dass auch dies als Privatvergnügen des einzelnen betrachtet wird – der angeblich aus seiner Vereinzelung zu befreien sei –, mit Übernahme der entsprechenden zeitlichen wie finanziellen Belastung. Dabei ist die Forderung nach regelmäßiger Weiterbildung mit entsprechender Reduktion der Unterrichtsbelastung schon uralt und scheitert bestimmt nicht an mangelndem Willen oder Unaufgeklärtheit der Lehrerschaft.
Inwiefern dieser Artikel einen wesentlichen qualitativen Fortschritt im Lehrerbild darstellen soll, ist mir daher schleierhaft. Vorurteile wie die von den „faulen Säcken“ hatten durchaus praktische Konsequenzen – so die Forderung nach Pflichtanwesenheit in der Schule außerhalb des Unterrichts. Man versuchte, Stressfolgen durch Erhöhung des Drucks auf die Lehrerschaft zu bekämpfen. Welch schlüssiges Konzept! Ich sehe aber auch hier keinen grundsätzlich neuen Aspekt. Der Druck wird lediglich auf die psychische Ebene verschoben, in Form von Selbstvorwürfen und Versagensängsten, wenn der wie in einem Werbeprospekt versprochene Effekt nicht gleich eintritt, weil viele andere Faktoren weiterhin dagegen sprechen.
Das heißt natürlich nicht, dass solche Überlegungen nutzlos wären – im Gegenteil. Mit „neuen Erkenntnissen“ aber haben sie nichts zu tun. Erwartungen von Lehrerseite in dieser Hinsicht und Versuche der Kooperation sind schon uralt. „Supervision“ wurde in meinem Seminar in Berlin schon zu meiner Referendarzeit Mitte der 70er Jahre eingeführt – durchaus mit Erfolg. „Reflexion über die eigene Arbeit“, wie die Autorin sie fordert, war für mich wie für meine Kolleginnen und Kollegen auch in der Folgezeit an zwei verschiedenen Gymansien in Berlin-Kreuzberg völlig selbstverständlich. Und auch gegenseitige Unterrichtsbesuche zur Beratung waren im Rahmen der organisatorischen Möglichkeiten schon vor über 30 Jahren durchaus üblich. – Das alles hat nicht verhindert, dass sich nach meinen Erfahrungen die Unterrichtssituation in den 80er und 90er Jahren von Jahr zu Jahr verschlechterte, mit dem Höhepunkt nach der Jahrtausendwende (in Berlin zusammenfallend mit Finanzkrise und Bankenskandal des CDU-Senats), als Unterricht sich auf ein Aneinanderreihen von Vertretungen reduzierte und regulär gar nicht mehr möglich war. Was mich schließlich veranlasste, endgültig die Reißleine zu ziehen und unbezahlten Urlaub bis zur Pensionierung zu beantragen. – Wie sich das alles mit ihrem Konzept des „Coaching“ in Friede, Freude‚ Eierkuchen auflösen sollte, müsste die Autorin schon erklären.
Ich habe in meiner Laufbahn an 3 Berliner Gymnasien, einer französischen Schule (im Austausch), mehrere Jahre an einer luxemburgischen Schule und 9 Jahre an der Europäischen Schule gearbeitet, zusätzlich danach an mehreren Institutionen des Erwachsenenbildungsbereichs, meine also, genügend Vergleichsmöglichkeiten zu besitzen. Danach ist, bezogen auf Stressfaktoren, schon die Arbeit im Erwachsenenbildungsbereich nicht mit der Belastung an regulären Schulen der Primar- und Sekundarstufe vergleichbar. Und der Vergleich mit „Psychologen, Ärzten oder Sozialpädagogen“, die immer mit einzelnen, wohl kaum oder nie mit der inneren Dynamik und den Widersprüchen einer Klassensituation zu tun haben, hinkt schon vollends.
Aber auch die Behauptung von der puren „Leistungsschule“ trifft nicht den Kern der Sache. Wer das französische Schulwesen nur in etwa kennt, weiß, dass der reine Leistungsdruck hier erheblich höher ist, besonders in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern. Freilich gibt es in Frankreich auch Psychiatrien nur für Lehrerinnen und Lehrer.
Entscheidender ist wohl die Organisationsstruktur des deutschen Bildungswesens, das Alternativen zum Frontalunterricht, wenn überhaupt, dann nur unter Inkaufnahme erheblicher organisatorischer und inhaltlicher Mehrbelastung – und eben nur im Einzelkämpferwesen – zulässt. Und selbst, um Selbstverständlichkeiten wie Projektwochen durchzuboxen, sind x Konferenzen notwendig. Von einem Konzept, nach dem 2 oder 3 Lehrerinnen/Lehrer für eine größere Gruppe zuständig wären, diese nach pädagogischen Erwägungen aufteilen und sich gegenseitig unterstützen könnten, ganz zu schweigen. Dass solches scheitern musste, dafür sorgte schon eine Schulpolitik, welche, insbesondere in der Ära Kohl, im europäischen Vergleich die geringsten Aufwendungen für Bildung auszuweisen hatte. Dem Schlusswort von Frau Beuel ist in diesem Zusammenhang voll zuzustimmen.
Doch auch Reformbemühungen nur auf die ökonomische Schiene zu verschieben, wäre durchaus verkürzend.
Nach meinen Erfahrungen liegt der wichtigste und belastendste Unterschied des deutschen Schulwesens zu denen anderer Länder in der Erwartungshaltung von Schulbürokratie sowie eines großen Teils der Elternschaft und dem entsprechenden Lehrerbild. In Frankreich ist ein Lehrer oder eine vorwiegend oder fast nur Wissensvermittler. Das ist für mich keineswegs vorbildlich, wird aber vergleichsweise mit einer erstaunlichen Gelassenheit ertragen. In Deutschland geht man mit Selbstverständlichkeit davon aus, dass er/sie darüberhinaus auch Psychologe, Sozialarbeiter, Freizeitorganisator und vielleicht auch Vater- oder Mutterersatz in Personalunion zu sein hat. Und wer sich seiner ganzen Klasse verpflichtet weiß und zum Lohn dafür vor den Kadi gezerrt wird, wo Eltern als die besseren Lehrer auf juristischem Weg ihrem eigenen Sprössling den Weg bereiten wollen – und sei dies auch nur in einzelnen Fällen –, der kann sein wohlgemeintes Coaching getrost vergessen.
In verschiedenen Wörterbüchern wird das lateinische Wort Supervision als „Überwachung, Beaufsichtigung, Aufsicht, Leistungskontrolle“ übersetzt. Nur Wahrig gibt als zweite Bedeutung im Englischen auch „psychotherapeutische Betreuung, Sitzung“ an.
Es handelt sich also wohl hauptsächlich um ein Kontrollinstrument. Dass dies heute „nötiger“ ist als früher, liegt wohl auch an den gestiegenen Problemen von Kindern und Jugendlichen in Gruppen. Darauf werden auch die neuen LehrerInnen sowohl im Studium als auch im Referendariat ungenügend vorbereitet.
Zusätzlich hat auch der öffentlich Arbeitgeber Fortbildung –darunter zahlreiche Angebote für Problemlösungen – weitgehend abgeschafft. Also müssen die Betroffenen ihre „Supervision“ nicht nur selbst suchen, sondern auch selbst bezahlen. Wo gibt es das noch für abhängig Beschäftigte?
Die am Ende des Artikels erwähnte Methode, sich informell mit KollegInnen zu treffen ist eine akzeptable Lösung, weil nicht unter Überwachung / Leistungskontrolle des Einzelnen.
Nicht nur Schulpsycholog/innen aus den Reihen des Berufsverbandes Deutscher Psycholog/innen (BDP) beschäftigen sich professionell mit Überlastung und Burnout von Lehrerinnen und Lehrern an Schulen. So hat die Deutsche Gesellschaft für Supervision e.V. ein mehrjähriges Projekt „Supervision und Schule“ aufs Gleis gestellt, um Lehrerinnen und Lehrern sowie auch den immer mehr überlasteten Schulleitungen Unterstützung durch den professionellen „Blick von außen“ an die Hand zu geben. Über den am Ende des Beitrags beschriebenen kollegialen Austausch hinaus ist Supervision – als Einzelsupervision für Schulleiter/innen oder Supervision für das Kollegium – inzwischen an qualitätsbewussten Schulen eine selbstverständlich in Anspruch genommene Beratungsleistung. Auch in der Ausbildung von Lehrer/innen gewinnt der Einsatz von Supervision an Boden, wie das Positionspapier “Zur Humanisierung des Schullebens. Supervision in der Lehrer(aus)bildung” zeigt, an dem über 50 in der Lehrerbildung tätige Vertreterinnen und Vertreter von Ministerien, Landesinstituten, Bildungsinstituten, Studienseminaren und Universitäten aus acht Bundesländern mitgewirkt haben; vgl. http://www.dgsv.de/2011/10/positionspapier-zur-humanisierung-des-schullebens-supervision-in-der-lehrerausbildung.