„Einige unserer Ultras, die oft kritischer gesehen werden, als sie sind, waren zuletzt auf Einladung des Vereins in Auschwitz. Dort haben alle vor Augen geführt bekommen, wo Gewaltexzesse hinführen”.
Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gegenüber „Sport Bild“ zur Debatte über Gewalt unter und gegen Fußball-„Fans“, zitiert nach Focus Online.
Die rührenden Versuche des BVB, Gewalt unter Fussballfans in den Griff zu bekommen, sind selbstverständlich begrüßenswert, auch wenn das seit dem 31.10.2000 börsennotierte Unternehmen damit vielleicht vorrangig eigene wirtschaftliche Interessen verknüpft. Vielleicht gilt aber auch hier der Erfahrungssatz „Gut gemeint ist nicht zwangsläufig gut gemacht!“
Das von Bronski ausgewählte Zitat ist leider sinnentstellend. Nimmt man es allerdings zunächst einmal für bare Münze, dann muss man am Verstand der Verantwortlichen zweifeln.
1. 65 Jahre schulischer Bildung und ständig wiederkehrende Behandlung in den Medien über Nationalsozialismus und Holocaust haben offenbar nicht soweit gefruchtet, dass dieser braune Sumpf ausgetrocknet wäre. Man wird sich fragen müssen, ob ein derartiges Vorgehen überhaupt sinnvoll und zielführend ist.
Ob ein derartiges „Versagen“ nun ausgerechnet durch einen Fussballverein ausgebügelt werden kann? Muss es tatsächlich ein Besuch in Auschwitz sein? Könnte es nicht auch eine (kürzere) Fahrt nach Dachau oder Buchenwald tun? Hat man sich eigentlich darüber Gedanken gemacht, ob man für das eigene Vorhaben den Holocaust instrumentalisiert und/oder banalisiert?
2. „Schocktherapien“ – wie es z.B. ein Besuch in einem KZ sein kann – haben den Nachteil, dass sie sich recht schnell abnutzen. Entweder muss deren Dosis erhöht werden oder deren Eintrittspunkt abgesenkt werden. Im Alltag sieht man das ja schon bei angenehmen Vorhaben, die nicht durch innere Abwehr bedroht werden: immer verrücktere Fahrgeschäfte auf den Jahrmärkten zu jeder Jahreszeit (statt an zwei oder drei Terminen im Jahr), immer gewagtere Freizeitbetätigungen, immer schneller und härter wirkende Drogen usw.
Irgendwann wird das Ausspucken eines Kaugummis auf der Straße oder das Einfüllen flüssiger Hundekacke in Münchner Briefkästen, das ja ebenfalls eine ausgesprochen unsoziale Komponente hat, zu dem Hinweis führen „Ein derartiges unsoziales Verhalten hat zum Holocaust geführt!“
3. „Dort [in Auschwitz] haben alle vor Augen geführt bekommen, wo Gewaltexzesse hinführen.“ Hier wird eine völlig unsinnige Kausalkette aufgebaut, die noch nicht einmal durch das Wörtchen „können“ relativiert wird!
Gewaltexzesse können – wie gerade Frankfurter wissen sollten – genauso gut zum reich dotierten Posten eines hessischen Umweltministers oder Aussenministers der BRD führen wie zum Tod in Stuttgart-Stammheim oder in einem Wohnmobil in Zwickau. Gewaltexzesse können zum Krieg gegen die Nachbarn führen. Ebenso können Gewaltexzesse dazu führen, dass sich Underdogs gegenseitig die Mütze vollhauen, statt ihre (berechtigte?) Wut gegen „die da oben“ zu richten – sie also eine Art friedensstiftende Komponente haben. All dies kann, muss aber nicht. Erinnert sei an die unseelige Debatte über Killerspiele.
4. Man muss sehr vorsichtig sein, dass das gut gemeinte Vorhaben nicht in sein genaues Gegenteil umschlägt. Dann wird für Gangsterraper und sonstige knallharte Möchtegernmachos die Chiffre „Auschwitz“ zum Synonym für „Extra-Supa-Mega-Killa-Camp“. Der Voyeurismus samt Ekelfaktor des Dschungelcamps lässt grüßen.
5. Die Konfrontation mit den Gräueln des Holocaust hinterlässt möglicherweise nur bei denjenigen einen abschreckenden Eindruck und einen Anstoß zur Verhaltenänderung, die eh (noch) für Fragen der Ethik und des Anstands empfänglich sind. Es gibt allerdings heutzutage einen Prozentsatz an Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die völlig verroht, enthemmt und zu keinerlei Empathie fähig sind. Die Schläger in öffentlichen Verkehrsmitteln sind Ausdruck einer solchen Haltung. Denen wird ein Besuch in Auschwitz nicht einmal ein müdes Stirnrunzeln entlocken.
6. Der Mechanismus wirkt vermutlich nur bei denjenigen, die mit einem Rest an Sozialverhalten aufgewachsen sind („…die oft kritischer gesehen werden, als sie sind,…“), einen Rest an Verantwortung für die Taten ihrer Groß- oder Urgroßeltern verspüren oder überhaupt das Prinzip von Ursache und Wirkung verstehen. Intensivtäter aus dem libanesischen, palästischen oder türkischen [1] Umfeld wird man damit wohl nicht erreichen.
Immerhin gibt der BVB-Geschäftsführer Watze – in dem von bronski nicht zitierten Teil – zu bedenken:
„Das ist unfassbar. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Von einem kleinen Teil der Gesellschaft wird Randale als Event inszeniert.“ … „Es gibt in der Gesellschaft keinen Respekt mehr vor dem Individuum. Viele Jugendliche haben von ihrem Elternhaus keine Werte mehr mitbekommen: Disziplin, Pünktlichkeit, anderen zuzuhören, dass Gewalt keine Lösung ist. Das äußert sich in solchen Exzessen.“
Vielleicht gibt es zuviel an Respekt der Gesellschaft vor dem Individuum und seinem (vermeintlichen?) Recht auf Selbstverwirklichung? Vielleicht wird anders herum ein Schuh daraus: es gibt keinen Respekt des Individuums mehr vor der Gesellschaft und ihrem Zusammenhang? Der Zerfall in viele, mehr oder wenige kleine und unverbunden nebeneinander existierende, „scenes“ oder „communities“ – egal ob ethnische, religiöse, kulturelle oder fussballerische usw.: daraus ergibt sich eben keine verbindende sinnstiftende Identität. Das ist Vereinzelung und Beliebigkeit durch Multi-Kulti.
So gehen aberwitzige Mengen an geistigen und materiellen Ressourcen an eine rege lautstarke Minderheit, die sich um Leute wie die Herren Kenan Kolat (Vorsitzender der „Türkischen Gemeinde in Deutschland“) [1] und Aiman Mazyek (Vorsitzender des sog. „Zentralrat der Muslime“) schart, um deren Partikularinteressen zu bedienen. Vielleicht wäre es sinnvoller, sich weniger um die Wenigen und mehr um die Vielen zu kümmern?
[1] Im Jahr 2009 kritisierte Kolat die Aufnahme der Themen Völkermord an den Armeniern und Leugnung des Völkermords an den Armeniern in die Lehrpläne und Schulbücher des Bundeslandes Brandenburg: diese „geschichtlichen Ereignisse“ seien „bisher unzureichend und einseitig behandelt worden“, der Vorwurf „gefährde den inneren Frieden“ türkischer Schüler und könne diese unter „psychologischen Druck“ setzen.(FAZ, 7. August 2009: Völkermord im Lehrplan – Die armen Schüler)