Die Rekrutierung von Freiwlligen für die Bundeswehr droht zum Debakel zu werden. Ein Siebtel der Rekruten hat bereits nach dem ersten Monat wieder gekündigt. Dazu ein Gastbeitrag von
Henning Gabel aus Frankfurt
Es ist schon erstaunlich, wie der Öffentlichkeit der Übergang von der (angeblich nicht mehr aufrecht zu erhaltenden) Wehrpflichtigenarmee zu einer Freiwilligenarmee verkauft worden ist: Man muss nicht mehr dienen, das Dienen ist jetzt sogar freiwillig (wer hört dieses Wort nicht gerne!), es wird dabei so richtig gespart und das Ganze ist außerdem nur vorläufig, denn es ist ja nur eine Aussetzung der Wehrpflicht. Und damit in der Öffentlichkeit das Thema nicht „zerredet“ würde, wurde die Entscheidung einem Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg aufgetragen, dessen besondere öffentliche Ausstrahlung, dessen mediale Aktivitäten und schließlich dessen Plagiatsaffäre die eigentlichen Probleme überdeckten….. Als es dann mit der Freiwilligenarmee richtig losgehen sollte, merkt man, dass sich selbst für eine stark reduzierte Truppenstärke nicht genügend Freiwillige finden lassen. Statt die ganze Sache jetzt aber noch einmal gründlich zu überdenken, wird einfach so weitergemacht wie bisher.
Naheliegender Schluss also: Die Truppe muss attraktiver werden. Das aber bedeutet erstens, dass die Freiwilligen besser bezahlt und zweitens dass sie besser untergebracht werden müssen. Drittens wird man sie mit ständig neuen supermodernen Waffen locken müssen. Das alles wird die kleine und feine Freiwilligenarmee viel teurer machen als die bisherige Wehrpflichtigenarmee, sodass die Politik eines ihrer Versprechen wird kassieren müssen, mit denen sie vorher um Zustimmung zur Abschaffung der Wehrpflicht geworben hat.
Die Attraktivität der Freiwilligenarmee könnte übrigens noch in anderer Weise gesteigert werden: Freiwillige wollen ja so richtig kämpfen dürfen (und nicht untätig in der Kaserne herumsitzen). Abgesehen davon, dass das den Verbrauch an Waffen und Gerät potenziert und damit die Kosten der Freiwilligenarmee weiter in die Höhe treibt, kann ein friedlicher Staat mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung solche Freiwilligen eigentlich nur sehr begrenzt vertragen. Das gilt natürlich noch mehr für Freiwillige, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben (in Frankreich bezeichnet man sie als Legionäre). …
Das Ganze ist sehr ärgerlich, denn für unseren Staat wäre die Wehrpflichtigenarmee auch weiterhin genau das Richtige gewesen. Sie war nämlich die Konsequenz der schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik mit einer Berufsarmee, die nicht in der Bevölkerung verankert gewesen ist und deshalb zur Zerstörung der damaligen Demokratie und damit zu Schlimmerem beigetragen hat. Aber Lehren aus der Vergangenheit sind zwar notwendig aber eben ziemlich lästig. So werden wieder Zeiten kommen, in denen unsere Armee wieder im Inneren eingesetzt werden wird – vielleicht, damit sich die unsere Politik bestimmenden Eliten nicht so sehr nach dem Willen der Bürger richten müssen.
Nein, Herr Gabel, eine Wehrpflichtarmee wäre mitnichten auch in Zukunft das Richtige. Abgesehen davon, dass es eine Wehrgerechtigkeit schon lange nicht mehr gibt (schon allein deshalb, da die Wehrpflicht nur für Männer galt), kann sie die aktuellen und zukünftigen „Aufgaben“ der Bundeswehr nicht mehr unterstützen. Die Verteidigung der Landesgrenzen gehört längst nicht mehr zu den Kernaufgaben der BW. Statt dessen wird sie immer mehr unter dem Deckmäntelchen der NATO-Mitgliedschaft für sinnlose Kriegseinsätze instrumentalisiert, die mit Wehrpflichtigen gar nicht leistbar sind. Die Wehrpflicht ist obsolet. Leider wurde sie nicht konsequent abgeschafft, nur ausgesetzt, aber sie gilt – derzeit – nicht mehr. Weit größer, als das Problem, genügend freiwillige „Durch-den-Schlamm-Robber“ zu finden, ist der Ersatz der früheren Arbeitssklaven der Sozialdienste, auch gern Wehrdienstverweigerer genannt. Zu Beginn der Wehrpflicht Mitte der 50er Jahre sollte der Ersatzdienst ganz bewusst eine möglichst abschreckende Wirkung haben. Von diesem Negativimage hat er sich nie ganz lösen können, deshalb auch hier zu wenig Freiwillige. Ich hoffe jedenfalls, dass die Wehrpflicht dort bleibt wo sie hingehört: In der Mülltonne deutscher Nachkriegsgeschichte.
Ich halte die Wehrpflicht für ungeeignet die Probleme zu lösen die von unserer demokratisch gewählten Regierung der Bundeswehr gestellt werden. Wenn sich jetzt nicht genug freiwillige Soldaten melden dann sollte man denken der Beruf Soldat muss atraktiver gemacht werden. Das entspricht aber nicht der Logik nach der diese demokratisch gewählte Regierung vorgeht. Deshalb warte ich auf den Vorschlag das alle Freiwilligendienste zu den Waffen gerufen werden. Also Hartz 4 Empfänger an die Front. Das könnte auch noch helfen die Rentenprobleme zu lösen. Aus meiner Sicht wäre das Zynismus pur. Es würde mich aber nicht wundern wenn so ein Vorschlag von unserer demokratisch gewählten Regierung käme.
Die Wehrpflicht war schon in den 1990er Jahren, als ich meinen obligatorischen Grundwehrdienst bei der Bundesmarine ableistete, ein Anachronismus. Dabei habe ich den Wehrdienst nicht einmal zähneknirschend angetreten – es war eine Mischung aus Vorstellungen von Seefahrer-Romantik und politischer Überzeugung von der Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit einer Wehrpflichtigenarmee, die mich mit einigem Enthusiasmus „zum Bund“ gingen ließ.
Dieser idealistische Zahn wurde mir (und meinen Kameraden, soweit sie ihn besaßen) recht schnell gezogen. Nach ein paar Wochen war auch dem letzten klar, dass schon damals auch der Soldatenberuf in den meisten Verwendungsreihen ein Maß an Ausbildung und Spezialisierung erforderte, das man als Wehrpflichtiger nicht annähernd erreichen konnte. Der allgemein-militärische Teil unserer Ausbildung war zugunsten von Fach-Lehrgängen – ich war Funker, also im „Fernmeldebetriebsdienst“ – so stark zurechtgestutzt worden, dass wir Wehrpflichtigen in Kampfhandlungen nur als Kanonenfutter getaugt hätten (was uns von unseren resignierten Ausbildern auch ganz offen gesagt wurde). Berücksichtigt man zudem die von Wehrpflichtigen gebundenen Kapazitäten (Ausrüstung, Transport-Fahrzeuge, Führungs-Personal etc.) wäre der militärische Nutzen von Wehrpflichtigen in Kampfhandlungen vielerorts wohl negativ, die Wehrpflichtigen also nur „Ballast“ gewesen.
Die Behauptung, dass eine Berufsarmee die Gesellschaft teurer zu stehen komme als eine Wehrpflichtigenarmee, ist nur haltbar, wenn man die Opportunitätskosten der Wehrpflicht unterschlägt. Dazu gehören in jedem Fall die den Wehrpflichtigen aufgrund der um ein Jahr kürzeren Lebensarbeitszeit entgangenen Erwerbseinkommen (ein Schaden, der über die Steuerausfälle zumindest zum Teil letztlich auch dem Staat entsteht), sowie der ideelle Schaden durch die Aufschiebung der Verwirklichung von Lebensplanungen und das ertragene Arbeitsleid (einer Arbeit, die die meisten der Wehrpflichtigen ohne Zwang nicht würden machen wollen). Da der Großteil der (Opportunitäts-)Kosten der Wehrpflicht den Wehrpflichtigen aufgebürdet wird und diese durch das Sold nur minimal entschädigt werden, ist die Wehrpflicht auch ökonomisch ineffizient, da mit der (vermeintlich) billigen Arbeitskraft von Wehrpflichtigen verschwenderisch umgegangen wird und für die Armee kein wirtschaftlicher Anreiz zur organisatorischen Optimierung besteht.
Die militärische und ökonomische Ineffizienz der Wehrpflicht war schon damals so offensichtlich, dass seit Beginn des Trends zu „Out-of-Area“-Einsätzen immer schon nur Freiwillige für solche Einsätze außerhalb des Nato-Hoheitsgebietes herangezogen wurden. Bedingung für die Teilnahme an solchen Einsätzen war für Wehrpflichtige die Unterzeichnung einer Einwilligungserklärung sowie eine freiwillige Verlängerung des Wehrdienstes. Grundwehrdienstleistende blieben nicht nur von solchen Einsätzen, sondern gleich von ganzen Verwendungsreihen ausgeschlossen – dazu gehörten, zu meinem großen Bedauern, alle Verwendungsreihen an Bord eines Schiffes der Bundesmarine. Die Freiwilligen erhielten ein spezielles Training und bessere Ausrüstung, was zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Bundeswehr führte – die „Hauptverteidigungskräfte“ (die Holzklasse) hier, die „Krisenreaktionskräfte“ (die Luxusklasse) dort. Die Wehrpflichtigen in der Holzklasse konnten sich wenigstens damit trösten, dass sie, sobald die Grundausbildung erstmal geschafft war, ihren Wehrdienst „auf einer Arschbacke“ absitzen konnten – der Arbeitseinsatz war, wie gesagt, nicht gerade auf Effizienz gebürstet.
Neben diesen militärischen und wirtschaftlichen Erwägungen ist bei der Wehrpflicht aber immer auch nach ethischen und rechtlichen Grundsätzen zu fragen. Welches Recht hat eine Gesellschaft, ihre Bürger zum Dienst in einer Armee zu zwingen, der ihre Hauptaufgabe – die Landesverteidigung – vor über 20 Jahren im Wesentlichen abhanden gekommen ist und die sich nun aufgrund geostrategischer Erwägungen an Regimestürzen am anderen Ende der Welt beteiligt? Mit welchem Recht kann der Staat die Grundrechte eines jungen Menschen so beschneiden, wenn wir (um es in den Worten von Volker Pispers auszudrücken) nicht mehr nur uns beschützen oder auch nur das was uns gehört (unser Land), sondern das, was wir gerne hätten (Ressourcen)? Bei unserem neuen militärischen Paradigma fällt der Zwang zum Dienst an der Waffe eben in eine ganz andere ethische Kategorie.
Abschließen möchte ich noch ein paar Bemerkungen zum „Verankerungs-Argument“ machen, demzufolge die Wehrpflicht die Armee in der Gesellschaft verankert, dadurch die Demokratie stabilisiert und das Abgleiten in eine Diktatur verhindert und im konkreten Fall der Weimarer Republik auch verhindert hätte. Ich halte das für eine steile These, über die abschließend zu urteilen Historikern vorbehalten sein sollte. Meine Laien-Einschätzung dazu: die Weimarer Republik wurde nicht von einer Berufsarmee gestürzt, und sie wäre von einer Wehrpflichtigenarmee auch kaum gerettet worden. Der primäre Zusammenhang zwischen Regierungsform und Form der Armee ist meines Erachtens ein anderer: autoritäre Regime tun sich besonders leicht mit der Beschneidung von Grundrechten und haben eine besondere Vorliebe für die Wehrpflicht.
Bei aller Kompliziertheit der politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik war die Reichswehr damals kein Faktor, dem die Demokratie wichtig gewesen waere. Letztlich standen die Sozialdemokraten und andere Demokraten damals bei der Verteidigung der Demokratie nicht nur wegen der Reichswehr auf verlorenem Posten.
Die Wehrpflichtigenarmee war in den Fünfziger Jahren durchaus eine nachvollziehbare Reaktion auf diese deutsche Vergangenheit.
Der Wegfall der Bedrohung durch den Ostblock Anfang der Neunziger Jahre hat offensichtlich zur Schwächung des Gedankens der Wehrpflichtigenarmee geführt.
Der Weg in Richtung einer Freiwiligenarmee birgt m.E. für unsere Demokratie grosse Risiken, wenn deren neue Einsatzgebiete eine Ausgestaltung möglich machen, die mit Text und Intention unseres Grundgesetzes nicht vollständig vereinbar ist.
Zum Glück leben wir in einer Zeit des knappen Geldes. Die große Deutsche Aufrüstung wird uns niemand finanzieren. Da wir auch eine sehr ineffiziente Armee haben,ich glaube gelesen zu haben 114 Angestellte auf einen Kampfsoldaten, geht von selbiger wohl keine allzugroße Gefahr aus. Die sind ausreichend mit sich selbst beschäftigt.Da trifft der alte Beamtenwitz in erschreckender Weise zu der sagt: Nimm ein großes Haus und setze 100 Beamte rein mit genügent Papier und Schreibwaren Was passiert nach einem Jahr? Sie brauchen mehr Leute.
Lieber Herr Gabel,
eine Ausgestaltung der Armee, die „mit Text und Intention unseres Grundgesetzes nicht vollständig vereinbar ist“, wird durch die Wehrpflicht – wie in meinem obigen Beitrag gezeigt – leider nicht verhindert.
Eine solche Ausgestaltung ist, wie oben beschrieben, beispielsweise auch dadurch möglich, dass man die Wehrpflichtigenarmee einfach in zwei Unter-Armeen aufteilt: eine mit Ausrüstung und Finanzmitteln unter- und mit Wehrpflichtigen überversorgte Verteidigungsarmee, sowie eine nur aus Freiwilligen bestehende, gut ausgestattete Interventionsarmee, welche die neuen Einsatzgebiete beackert. Genau so hat man es spätestens seit den 90er Jahren gemacht. Gefahr für die Demokratie hin oder her – an der Frage der Wehrpflicht hängt sie nicht.
Wer die Wehrpflicht als einen die Demokratie sichernden Faktor ansieht, sollte zwei Fragen schlüssig beantworten können: Warum sind Berufsarmeen in den westlichen Demokratien nie zur Gefahr für die demokratische Ordnung geworden? Und warum haben Diktaturen eine starke Neigung zu Wehrpflichtigenarmeen, vor denen sie (wenn von ihnen tatsächlich Demokratisierungstendenzen ausgingen) eigentlich Angst haben müssten?
Sehr geehrter Herr Gabler,
ist es nicht etwas fragwürdig Personal mit „immer neusten Hightech-Wafen“ in die Truppe zu locken?
Würde es nicht ausreichen der Truppe zuverlässig funktionierende und wirksame Waffen und Gerät mit ausreichend Munition zur Verfügung zu stellen?
Wären realitätsnähere „rules of engagement“ sowie das Bewußtsein um Handlungen in Kriegsgebieten nicht zweckmäßig?
Wer keine Toten will, darf sich auch nicht auf militärische Abenteuer einlassen!
Da wundert es nicht, wenn sich angesichts des permanenten Versagens der verantwortlichen politischen Klasse, niemand verheizen lassen will?
MfG Karl Müller
Lieber Herr Voeller,
Wehrpflicht in einer Demokratie ist sicherlich nicht dasselbe wie in einer Diktatur.
Für unsere Bundeswehr galt (in meiner Zeit als W18 und dann Z2 in den 60-er Jahren) und gilt (hoffentlich auch noch heute) das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ – wie man es bei einer freiheitlich demokratischen Grundordnung, wie sie das Grundgesetz definiert, erwarten kann. Dieses war und ist durch das Prinzip der „Inneren Führung“ sicherzustellen. Das zu überwachen war und ist übrigens wesentliche Aufgabe des Wehrbeauftragten. Wird es einen solchen nach Abschaffung der Wehrpflicht noch geben?
Dieses Leitbild und dieses Prinzip haben die Wehrpflichtigen im praktischen Dienst durchaus nicht immer vor – mehr oder weniger großen – Härten und Schikanen geschützt. Aber es bedeutet, dass sie eben nicht der unbegrenzten Gehorsamspflicht unterworfen sind wie Wehrpflichtige in einer Diktatur. Von ihnen kann man deshalb erwarten, dass sie sich nicht gegen ihre Landsleute instrumentieren oder gar einsetzen lassen, nur weil das vielleicht eine einflussreiche politische oder wirtschaftliche Elite so will. Solche Eliten, die ihre mit den Zielen unseres Gemeinwesens nicht kompatiblen Interessen beharrlich verfolgen, könnten das auch bei uns (besonders in Krisenzeiten) durchaus versuchen. Sie werden das eher nicht tun, wenn sie mit den o.g. Staatsbürgern in Uniform rechnen müssen.
Würden sich die Soldaten einer Freiwilligenarmee – ob es nur sie oder neben ihr noch eine Wehrpflichtigenarmee gäbe – auch als Staatbürger in Uniform verstehen und nicht gegen ihre Landsleute instrumentieren/einsetzen lassen? Ich möchte das nicht beschwören. In gefestigten Demokratien ist eine Freiwilligenarmee sicherlich weniger problematisch. In der öffentlichen Diskussion gibt es aber – nicht nur bei mir – die durchaus begründete Befürchtung, dass die Hinwendung zur Freiwilligenarmee zulasten des o.g. Leitbildes und Prinzips gehen wird.
Weil nach Auflösung des Ostblocks das zentrale Element des Verteidigungsauftrages der Bundeswehr wohl entfallen ist und manchen politischen Kräften die allgemein akzeptierten Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen nicht genügen, wird nach immer spezielleren Aufträgen gesucht, welche die Bundeswehr in die Nähe von einflussreichen Interessensgruppen bringen können. Eine Folge davon könnte es dann auch sein, dass diese versuchen, eine Freiwilligenarmee für ihre Zwecke zu instrumentieren.
Noch etwas: Kann man die Aussage, dass Berufsarmeen in den westlichen Demokratien nie zur Gefahr für die demokratische Ordnung geworden seien, so stehen lassen? Sie können auch unterhalb der Schwelle des Umsturzes bzw. Putsches – zumindest temporär – negativen Einfluss auf diese Ordnung ausüben oder diese gar verändern. So ist z.B. das Thema Guantanamo in den USA noch nicht ausgestanden.
Lieber Herr Gabel,
es stimmt, dass „Wehrpflicht in einer Demokratie .. nicht dasselbe wie in einer Diktatur“ ist. Nur folgen daraus eben keine Vorzüge der Wehrpflicht gegenüber einer Berufsarmee, sondern nur Vorzüge der Demokratie gegenüber einer Diktatur.
Was Sie im Folgenden über Staatsbürger in Uniform, innere Führung und den Wehrbeauftragten schreiben, spricht sehr für diese Leitbilder, Prinzipien und Institutionen. Die sind nicht unauflöslich mit der Wehrpflicht verbunden. Ob es den Wehrbeauftragten nach Abschaffung der Wehrpflicht noch geben wird, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich denke schon, aber wenn nicht, ist das womöglich ein politischer Fehler, aber keine mit der Abschaffung der Wehrpflicht verbundene Zwangsläufigkeit.
Mit Ihrer Sorge um die Ausgestaltung der Bundeswehr liegen sie goldrichtig und hätten damit vor über zehn Jahren schon richtig gelegen – trotz Wehrpflicht. Wer mal glaubte, die Wehrpflicht würde den Ausbau auch nur eines Teils der Armee zu einer willigen Interventionsarmee verhindern, ist durch die Entwicklung der letzten zwölf Jahre widerlegt worden.
Mit Ihrer Frage, ob „sich die Soldaten einer Freiwilligenarmee – ob es nur sie oder neben ihr noch eine Wehrpflichtigenarmee gäbe – … nicht gegen ihre Landsleute instrumentieren/einsetzen lassen?“ kommen Sie viele Jahre zu spät, da der Aufbau der Freiwilligenarmee „Krisenreaktionskräfte“ parallel zur Wehrpflichtigenarmee „Hauptverteidigungskräfte“ schon längst abgeschlossen ist. Wenn es aber die Freiwilligenarmee innerhalb der Bundeswehr schon längst gibt, die sich Ihrer Meinung nach eher gegen eigene Landsleute instrumentieren ließe, hat Ihre Frage für die Abschaffung der Wehrpflicht gar keine Relevanz mehr.
Die Hoffnung auf Demokratiesicherung durch Wehrpflicht ist ein Hoffen auf eine völlig ungeeignete Zweck-Mittel-Beziehung. Die Armee ist immer nur ein Instrument der Politik, ihre Form und Struktur gestalten sich nach den politischen Vorgaben, Zielen und Strategien, kurz: die Struktur folgt der Strategie. Ihr Versuch, diese Beziehung umzukehren und durch die Vorgabe einer bestimmten Form der Armee den Weg zur Verfolgung bestimmter politischer Zwecke zu versperren, ist zum Scheitern verurteilt. Denn wenn die Wehrpflicht wirklich ein Hindernis bei der Verfolgung bestimmter politischer Zwecke wäre (was ich nicht so sehe), würde sie, wenn sich die entsprechenden Zwecke in der politischen Arena erstmal durchgesetzt haben, über kurz oder lang sowieso aus dem Weg geräumt.
Die von Ihnen benannte Gefahr, dass die Einflussnahme durch „politische oder wirtschaftliche Eliten … die ihre mit den Zielen unseres Gemeinwesens nicht kompatiblen Interessen beharrlich verfolgen“ … „die Bundeswehr in die Nähe von einflussreichen Interessengruppen“ bringt, kann nur wirksam in der politischen Arena bekämpft werden. Die Folgen von Fehlentwicklungen, auch was Einsätze des Militärs betrifft, können ebenfalls nur dort verarbeitet werden. So wird es doch in den USA z.B. auch mit den Folgen von Guantanamo gemacht: es muss eine politisch und rechtlich gangbare Lösung her. Die Einführung der Wehrpflicht für präventive Zwecke als Folge von Guantanamo steht dort jedenfalls nicht zur Debatte (ein solcher Gedankengang würde dort wohl nur Gelächter hervorrufen) – kein Wunder, ging die Initiative für diese Fehlentwicklung doch von der politischen und nicht der militärischen Führung aus.
Im Übrigen: die Aussage, „dass Berufsarmeen in den westlichen Demokratien nie zur Gefahr für die demokratische Ordnung geworden seien“, kann man durchaus so stehen lassen, denn Umstürze und Putsche sind dafür ein sehr gutes Kriterium. Die haben sich Berufsarmeen nicht geleistet, was man von Wehrpflichtigenarmeen leider nicht sagen kann. Warum waren es Wehrpflichtigenarmeen, die bei mehreren Gelegenheiten in der Geschichte mit Militärputschen aus veritablen Demokratien schlimme Diktaturen gemacht haben, so zum Beispiel beim Obristen-Putsch in Griechenland 1967, beim Sturz der Regierung Salvador Allendes in Chile 1973 oder bei der Installation der argentinischen Junta unter Videla im Jahre 1976?
Lieber Herr Voeller,
Sie weisen darauf hin, dass die Bundeswehr seit dem Wegfall der Bedrohung aus dem Osten allmählich von einer Wehrpflichtigenarmee zu einer Freiwilligenarmee transformiert worden ist. Hier stellt sich die Frage, ob das Ziel dieses Prozesses der Mehrheit unserer Bevölkerung immer klar gewesen ist. Vielleicht wäre dieser Prozess andernfalls am öffentlichen Widerstand gescheitert. Hat die allmähliche und von der Mehrheit unserer Bevölkerung nicht wahrgenommene oder nicht verstandene Transformation von einer Wehrpflichtigenarmee zu einer Freiwilligenarmee Ähnlichkeiten mit der Vorgeschichte von Stuttgart 21, wegen welcher heute der Vorwurf erhoben wird, dass die Öffentlichkeit durch einen intransparenten Prozess getäuscht wurde? Ein solches Taktieren von Interessensgruppen und Politik wäre mit den Prinzipien einer Demokratie nicht vereinbar.
Die Erkenntnis „Die Armee ist immer nur ein Instrument der Politik“ ist aus demokratischer Sicht eher unproblematisch, wenn man sich unter „der Politik“ die von den Wählern legitimierten Abgeordneten und die von diesen gewählte Regierung vorstellen und unterstellen kann, dass diese auch das Sagen haben. Aber ist das wirklich im ausreichenden Maße der Fall? Die gegenwärtige Weltfinanzkrise zeigt z.B., dass nationale Regierungen sich letztlich den globalen Finanzmärkten unterordnen und von diesen zu schwerwiegenden Entscheidungen treiben lassen. Es bleibt zu hoffen, dass daraus nicht Rahmenbedingungen oder gar Aufgaben für unsere Armee entstehen, die aus Sicht unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung abzulehnen sind.
Die von Ihnen im letzten Absatz Ihres Beitrages angesprochenen Putsche waren sicherlich nur möglich, weil in diesen Armeen das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und das Prinzip der Inneren Führung nicht galten. In diesen Armeen war eben eine Verweigerung des Gehorsams gegenüber rechtswidrigen Befehlen nicht möglich.
Aus den USA hört man immer wieder, dass die Rekruten dort exzessiv zu blindem Gehorsam gedrillt werden. Das relativiert für mich die Bedeutung von Gelächtern ihrer Militärs oder ihrer Politiker doch erheblich.
Ich meine, dass die Orientierung am Leitbild des Staatsbürgers in Uniform sowie die Anwendung des mit diesem zusammenhängenden Prinzips der Inneren Führung in jeder Demokratie unverzichtbar sein sollten. Diese Orientierung bzw. diese Anwendung dürften in einer Wehrpflichtigenarmee eher und leichter möglich sein als in einer Freiwilligenarmee.
Lieber Herr Gabel,
ob der schleichende Umbau der Bundeswehr in den letzten zwei Jahrzehnten, der zu einer Dichotomie von Wehrplichtigen- und Freiwilligenarmee geführt hat, ein Vorgang war, über den die Bevölkerung stets im Bilde war, muss in der Tat bezweifelt werden. Dennoch oder gerade deshalb wird durch diesen Vorgang ja bewiesen, dass die Wehrpflicht – die ja in dieser Zeit ununterbrochen angewendet wurde – eben kein Garant dafür ist, dass fragwürdige militärpolitische Entwicklungen verunmöglicht werden. Sie kann dafür kein geeignetes Instrument sein, weil das Primat der Politik eben immer gilt (leider, manchmal), ganz unabhängig davon, ob es sich um eine Muster-Demokratie handelt, eine Formal-Demokratie mit starken Einflüssen von Gemeinwohl-schädlichen Partikularinteressen oder um eine Diktatur. Daraus folgt, dass Sie eine Verteidigung von Demokratie und einer dem Völkerrecht und dem Grundgesetz verpflichteten Militärpolitik in der politischen Arena bewerkstelligen müssen. Wenn Sie dort verlieren, rettet Sie auch die Wehrpflicht nicht mehr.
Um noch einmal auf die unzureichende Partizipation der Bevölkerung am oben angesprochenen Transformationsprozess zurückzukommen: ein naiver Glaube an das demokratiestabilisierende und militärpolitisch segensreiche Element der Wehrpflicht, dem Sie anhängen und das Wort reden, kann eine fatale Rückwirkung auf die politische Arena entfalten. Wenn nämlich viele Bürger daran glauben und sich darauf verlassen, dass in einer Wehrpflichtigenarmee schon alles zum Besten steht (was ja erwiesenermaßen nicht so ist), sehen sie auch kaum eine Notwendigkeit, in der politischen Sphäre auf zweifelhafte militärpolitische Entwicklungen zu achten und bekämpfen diese dann auch – wenn überhaupt – mit entsprechend geringerer Vehemenz. Wenn diese Leute dann erkennen, dass sie von den Wehrpflicht-Befürworten verschaukelt worden sind (ob absichtlich oder irrtümlich ist dann egal), ist es aber zu spät.
Ihre Hoffnung „dass .. nicht Rahmenbedingungen oder gar Aufgaben für unsere Armee entstehen, die aus Sicht unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung abzulehnen sind“ war vergebens – hat doch die „Partei des organisierten Menschenrechts-Bellizismus“ (Jürgen Rose über die Grünen) es in Kumpanei mit den Sozialdemokraten geschafft, Deutschland innerhalb von vier Jahren in drei völkerrechts- und grundgesetzwidrige Angriffskriege zu verwickeln. Politisch muss es jetzt darum gehen, verlorenes Land für eine grundgesetz- und völkerrechtstreue sowie zurückhaltende Militärpolitik zurückzugewinnen.
Die von mir angeführten Putsche von Wehrpflichtigenarmeen in Griechenland, Chile und Argentinien führen Sie darauf zurück, dass „eben eine Verweigerung des Gehorsams gegenüber rechtswidrigen Befehlen nicht möglich“ war. Ihre Behauptung ist mehr als zweifelhaft. Diese Länder waren, wie ich schon schrieb, veritable Demokratien als der jeweilige Putsch geplant und ausgeführt wurde. Ein Staat, der sich als Demokratie und Rechtsstaat selbst ernst nimmt, kann von seinen Soldaten die Befolgung von rechtswidrigen Befehlen aber gar nicht verlangen.
Die schlimme Putsch-Bilanz von Wehrpflichtigenarmeen auch in Demokratien überrascht deshalb nicht, weil die Vorstellung, dass die Wehrpflicht zur Verhütung von Umstürzen beiträgt, aus mehreren Gründen abwegig ist. Zum Einen gehen die meisten Putsche so schnell über die Bühne, dass der Einsatz von größeren Truppenteilen und damit auch von Wehrpflichtigen gar nicht nötig ist. Die Verschwörer müssen die Waffen nur kurz aufblitzen lassen und ihren Einsatzwillen demonstrieren (in Chile geschehen durch die Bombardierung der Moneda) sowie eine Handvoll Regierungsmitglieder festnehmen (oder umbringen). Die Wehrpflichtigen müssen davon gar nichts mitbekommen, können (wenn der Putsch in den späten Abend- oder frühen Morgenstunden ausgeführt wird) die kritische Phase sogar verschlafen, um am nächsten Tag in einer neuen politischen Ordnung aufzuwachen. Zudem muss der Wehrpflichtige, wenn er denn wirklich mit einem verbrecherischen Befehl konfrontiert wird, immer auch die möglicherweise kommende politische Ordnung in Betracht ziehen, in der er womöglich hart bestraft wird für die Nichtausführung eines Befehls, den er in der gewesenen Ordnung gar nicht hätte befolgen dürfen. Damit aber ist ein junger Wehrpflichtiger in der Regel hoffnungslos überfordert. Die ungleich größere politische, militärische, organisations- und Lebenserfahrung sowie das Vorgesetztenverhältnis und die Informationshoheit über die Dienstwege verleihen dem Offizierskorps eine Autorität, der Wehrpflichtige nicht gewachsen sein können. Wer wirklich glaubt, dass in einer solchen Situation nicht ausschließlich Angst über das Verhalten der untersten Hierarchiestufen entscheidet, überschätzt die persönliche Souveränität von überwiegend 18- bis 20-jährigen Wehrpflichtigen gegenüber der Armeeführung in einem Ausmaß, das man nur als grotesk bezeichnen kann.
Das Fazit der empirischen Erfahrung bleibt, dass in der Frage der Militärputsche Wehrpflichtigenarmeen eine viel verheerendere Bilanz haben als Berufsarmeen. Das gilt leider nicht nur in dieser Frage; auch die schlimmsten Eroberungs-, Vernichtungs-, Versklavungs- und sonstigen Raubkriege der jüngeren Geschichte wurden ganz überwiegend von Wehrpflichtigenarmeen geführt. Das ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass die jungen Menschen (die naturgemäß das Rekrutierungspotenzial der Streitkräfte darstellen) im Falle einer Freiwilligenarmee mit den Füßen über die Militärpolitik abstimmen können, wenn die Politik mit den Streitkräften zu viel Unfug treibt, der mit viel fremdem aber eben auch eigenem Blut bezahlt werden muss. Dadurch haben Freiwilligenarmeen ein Korrektiv, das Wehrpflichtigenarmeen fehlt.
Es war kein geringerer als der damalige Bundespräsident und ehemalige Bundesverfassungsrichter Roman Herzog, der schon 1995 mahnte: „Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Einschnitt in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein ewig gültiges Prinzip, sondern sie ist abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können.“
Äußere Sicherheit! Eine klare Ansage, aus der auch folgt: wolkige Verweise auf eine demokratiestabilisierende Funktion nach innen wären selbst dann unerheblich, wenn es diese Funktion wirklich gäbe. In Zeiten einer entspannten Sicherheitslage, in denen die Nuklearmächte und ihre engsten Bündnispartner untereinander sowieso zum Frieden „verdammt“ sind und in denen es keinen demographisch bedingten Expansionsdruck mehr gibt, hat die Wehrpflicht in einer Gesellschaft, die technologisch hoch gerüstet und in der Berufswelt hochgradig spezialisiert ist, die etwas auf ihre fortschrittliche rechtliche und politische Verfasstheit hält und die sich ihres hohen zivilisatorischen Entwicklungsstandes rühmt, keinen Platz mehr. Nein, Herr Gabel, die Zeiten der Wehrpflicht in Deutschland sind auf absehbare Zeit vorbei, wahrscheinlich sogar auf lange Sicht, in jedem Fall aber: zum Glück!