Franz Müntefering ist zurückgetreten. Aus privaten Gründen. Seine Frau hat gerade die fünfte schwere Krebsoperation hinter sich, und er will nun bei ihr sein. Nach Schröder war er die prägende Figur der deutschen Sozialademokratie der vergangenen zehn Jahre. Gerade zwei Wochen ist es her, dass er den Genossen auf dem SPD-Parteitag zurückrief, es sei noch was da, er sei noch nicht ausgetrocknet. Und jetzt? Er hat anscheinend nicht vor, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen; er bleibt Bundestagsabgeordneter. Die Tatsache, dass er nun zunächst keine Rücksichten mehr nehmen muss, nutzte er bereits zu deutlicher Kritik an Bundeskanzlerin Merkel, aber auch an der SPD-Zentrale.
Unter den FR-Leserinnen und -Lesern ist Müntefering nicht unumstritten. Hans-Dieter Seidensticker aus Bielefeld etwa meint:
„Endlich ist er weg. Er hat es allen engagierten Linken in der BRD schwer genug gemacht. Er tut mir kein bisschen leid. Wie kann man als Vollprofi der Sache seiner eigenen Partei nur auf eine solche Weise schaden?! Die SPD wird er nicht mehr retten. Diese wird sich erst wieder fangen, wenn sie konsequent sozialdemokratische Politik macht. Weg mit den Bertelsmännern, Neocons und Seeheimer Schwachköpfen. Her mit Politikern, die auch für Linke wählbar sind!“
Jürgen Böck aus Wasserburg hingegen:
„Der Lotse geht von Bord. Aus welchen Gründen auch immer Zuchtmeister Franz die Brücke verlassen hat, so ist dieser Schritt für die SPD doch ein scharfer Einschnitt: In einem Moment, wo die Partei vom Heimweh nach dem Sozialstaat Bonner Prägung überwältigt und den Sirenenklängen der Linkspartei zugänglicher wird, gibt der Mann auf, der allein sie vor den Klippen hätte bewahren können.“
Ähnlich Stefan Schanz aus Frankfurt:
„Franz Müntefering war der letzte Stabilisator und das einzige Verbindungsglied der großen Koalition. Durch seinen Rücktritt ist die Regierung aus CDU und SPD nun endgültig nicht mehr handlungsfähig. Doch gerade jetzt braucht Deutschland eine regierungsfähige Koalition. Der gerade begonnene Aufschwung muss durch weitere Reformen abgesichert werden. Jetzt müssen die Weichen für die Zukunft unseres Landes in einer globalisierten Welt gestellt werden. Eine große Koalition, welche noch zwei Jahre lang mit aller Macht versucht, an der Macht zu bleiben, verwaltet mehr als dass sie gestaltet. Dies kann sich unser Land nicht leisten.
Beide Koalitionspartner betonen immer wieder, dass sie nur das Wohl unseres Landes und deren Bewohner im Sinn haben. Dann ist es jetzt an der Zeit, wieder Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen und den schönen Worten Taten folgen zu lassen.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel, entscheiden Sie sich jetzt für das Wohl unseres Landes. Gehen Sie jetzt den einzig richtigen Weg. Machen Sie den Weg frei für Neuwahlen. Jetzt!“
„Der Lotse geht von Bord“ ist doch der Titel einer bekannten Karikatur die die Abdankung Bismarks beschreibt (?). Auch wenn ich Münte nicht sonderlich mochte, ihn mit einem Sozialistenverfolger zu vergleichen geht einen Schritt zu weit.
@Eman
Sehr guter Einwand.
Hat mich schon damals geärgert, als derselbe Vergleich bei Helmut Schmidt gezogen wurde.
Müntes Hauptproblem war und ist seine Eitelkeit. So war es bei seinem Rücktritt vom Posten des SPD-Parteivorsitzes. So war es auch diesmal. Er liebte auch teamorientiertes Denken wenig, redete nur gelegentlich mit einigen, nie mit allen in der Partei. Er konnte halt nur klare Kante, wie jemand aus der Fraktion sagte. Und er zeigte dies in der letzten Zeit besonders in Medieninterviews und -auftritten, die der SPD außerordentlich geschadet haben. Ein kompetenter Vollblutprofi hätte solch kapitalen Böcke nie geschossen. Schade eigentlich!