Die Hamburger SPD darf einen „Erdrutsch-Sieg“ feiern, schrieb die FR. (Zur Wortwahl sei auf den dritten Leserbrief unten verwiesen.) Inhaltlich gibt es zu diesem Wahlsieg vieles zu sagen. Erstens wird damit das Superwahljahr eingeläutet: Sechs weitere Landtagswahlen werden folgen. Die SPD konnte sich keinen besseren Start in dieses Wahljahr wünschen – absolute Mehrheit in Hamburg! Am 20. März wird der Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt, eine Woche später die von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Später im Jahr folgen noch Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
Doch es seien Zweifel daran gestattet, ob die SPD ihren Hamburg-Schwung auf die nächsten Wahlen übertragen kann, denn – zweitens – die Bürgerschaftswahl war doch sehr von Hamburger Themen wie der Elbvertiefung und kostenlosen Kitas geprägt. Dazu kam eine sehr schwache CDU mit einem blassen Kandidaten, während die SPD mit Strahlemann Olaf „Scholzomat“ Scholz einen starken Kandidaten ins Rennen schickte. Hätte auch keiner gedacht, der das Auftreten des früheren Bundesarbeitsministers noch ein bisschen im Gedächtnis hat, oder? Aber Hamburg ist eben eigen. Ein bisschen spröde, bieder und weltoffen zugleich – der Kandidat passte zur Stadt. Als Bundesminister war er ja nicht der schlechteste. Mal sehen, was er als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg wuppt. Ist ja nicht so, dass die Stadt keine Probleme hätte.
Hamburg rieb sich die Augen, als Ole von Beust die erste schwarz-grüne Koalition auf Länderebene einging. Das war vielen Hamburgern wohl einen Tick zu schillernd. Mit einem schwulen Bürgermeister konnten die Hamburger gut leben; sowas interessiert dort kaum. Aber schwarz-grün? Dieses Experiment stand und fiel mit der Person von Beusts. Mit seinem konservativeren Nachfolger Ahlhorst war das Scheitern programmiert. Die Grünen ließen die Koalition platzen, und damit war dieses Modell auch für die Bundesebene beerdigt. Jetzt bloß keine Experimente mehr! Das dürfte der dritte – und eben spezifisch hamburgische – Grund für den klaren SPD-Erfolg gewesen sein: Wir wollen klare Verhältnisse. Da konnte Scholz umso mehr überzeugen, als er mit einem Kurs antrat, der wohl irgendwie als mittig zu bezeichnen ist. Man hörte diesen Spruch während des Wahlabends immer wieder: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Gerhard Schröder ließ grüßen. Es scheint aber was dran zu sein. Scholz konnte mit einem Wahlprogramm punkten, dass Schwerpunkte auf Wirtschaft und Soziales legte.
Dazu lasse ich Rasmus Ph. Helt aus Hamburg sprechen:
„Die SPD tut gut daran, den Paukenschlag aus Hamburg nicht zu hoch zu bewerten. Denn obwohl die Partei einen sehr guten Wahlkampf geführt hat, indem sie sowohl bei den wirtschaftlichen als auch sozialen Themen kompetent in Erscheinung trat, basiert kein geringer Anteil am Erfolg auf dem desaströsen Auftreten der CDU, die die vollkommen falschen Themen besetzt hat, etwa den, ausgerechnet in einer Wirtschaftskrise mit innerer Sicherheit für sich zu werben. Was nicht nur die unterschwellige Botschaft in sich trägt, den wirklichen Herausforderungen wie der Stärkung des Zusammenhalts der Gesellschaft keine gesonderte Beachtung zu schenken. Viele Menschen müssen denken, mit ihren Problemen von den Christdemokraten alleingelassen zu werden. Weshalb von dieser Abstimmung das klare Signal ausgeht, dass Wahlen in den nächsten Jahren nur noch über soziale Glaubwürdigkeit zu gewinnen sind!“
Lothar Barop aus Wedel meint zum Abschneiden der Grünen:
„Erst einmal herzlichen Glückwunsch an die SPD und Olaf Scholz, ich wünsche ihm und der Partei von ganzem Herzen viel Erfolg. Zu den Grünen: Wie die einstige Bürgerbewegung und heute grüne Partei sich von ihren hehren Zielen entfernt hat, zeigen ihre Vorzeigeprojekte Stadtbahn und Schulreform. Die Ideen, so richtig sie auch vielleicht sind, wurden dem Wahlvolk von oben herab verordnet, statt den Dialog an der Basis zu beginnen und dann die Umsetzung einzuleiten, der umgekehrte Weg, und das von den Grünen. Wo war sie, die viel geforderte Bürgernähe und -beteiligung? Gerade in der Schulpolitik hat das viel Schaden in Hamburg verursacht und gute Ansätze auf lange Zeit diskreditiert. Für mich die richtige Konsequenz, dass die SPD nun in die Verantwortung gewählt wurde.“
Dr. Martin Steinmetz aus Berlin:
„Was verstehen Sie unter einem „Erdrutschsieg“? Das Wort – im journalistischen Wortgebrauch leider gängig – müsste mal in die Liste der „Wortblödigkeiten“ aufgenommen werden: In diversen Sportarten kann man in der Tat zum Sieg rutschen. Im Politjargon mag es auch angehen, von erdrutschartigen Verlusten zu reden. Da man bei einem Wahlsieg vom Anwachsen der Stimmen ausgeht, passt das Bild vom „Erdrutsch“ hier überhaupt nicht: „Haushoher Erdrutsch reißt SPD aus dem Oppositionstal auf den Regierungsgipfel“ – alles klar?“
Scholz hat die alte SPD-Tradtion der HH-Sozis erfolgreich aufgenommen- konservativ-mittig.
Und sofort geben Viele wieder das übliche Geschwätz wieder, Wahlen würden automatisch mittig gewonnen, die so etwas sagen , meinen damit zumeist eine höchst marktradikale Mitte, es gibt regionale Unterschiede und die Mitte kann dann entscheidend sein ,wenn sie mit guten Inhalten gefüllt .
Hier nochmal das amtliche vorläufige Wahlergebnis:
SPD – 28,0% der Wahlberechtigten
CDU – 12,7% der Wahlberechtigten
Grüne – 6,5% der Wahlberechtigten
FDP – 3,9% der Wahlberechtigten
Linke – 3,7% der Wahlberechtigten
unentschieden/anderweitig beschäftigt/o.ä. – 42,2% der W.
2008 lag die SPD bei 21,7% der damals Wahlberechtigten, macht einen Zugewinn von 6,3% der Wahlberechtigten. Ob man einen solchen Zugewinn einen „Erdrutsch“ nennen kann… Auf die Stimmen bezogen, die die SPD so üblicherweise bekommt, vielleicht… auf alle Wahlberechtigten bezogen, eher nicht.
Jeder einzelne Wähler wählt aus den unterschiedlichsten Motiven eine Partei oder wählt nicht. Das Ganze ist immer mehr eine Frage von Glaubwürdigkeit. Ich glaube das immer noch viele Leute enttäuscht sind wie sehr die Regierung Schröder auf Umverteilung von Unten nach Oben gesetzt hat. Dazu muss man nur die Stichworte Hartz und Spitzensteuersatz sagen. Die jetzt nachfolgende Regierung macht reine Lobbypolitik was man an Schlagworten wie Hotelmehrwertsteuer, private Krankenversicherung und Laufzeitverlängerung erkennen kann. Jetzt hat jeder die Möglichkeit zu sagen ich wähle das kleinere Übel oder ich gehe gar nicht zur Wahl. Immer mehr machen letzteres. H.Scholz ist es in Hamburg gelungen eine Gruppe von Wählern davon zu überzeugen das er das alles was ich vorne geschrieben habe nicht tut und die Stadt volkswirtschaftlich führen will. Darin liegt die Chance der SPD. Sie muss die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und aufzeigen das sie nicht so eine reine Lobbypolitik wie die derzeitige Regierung betreiben wird, dann kann sie auch wieder an die Macht im Bund kommen.
Sorgen sollten jedenfalls die Nichtwähler machen. Was immer sie für Gründe auch haben mögen, sie schädigen damit Demogratie und Freiheit.
Wenn sie wenigstens „ungültig“ gewählt hätten, um ihren Unmut kundzutun. das wäre noch eine klare Entscheidung gewesen.
Anderenorts lassen sich Menschen, für die Forderung nach Freiheit und Wahlen zusammenschießen.
Sind wirklich schon fast die Hälfte unserer Bevölkerung zu träge, zu satt, zu gleichgültig?
zu @ maderholz
Ich kenne einige Nichtwähler die sehr politische Menschen sind. Persöhnlich zähle ich mich nicht dazu, aber ich bin auch schon zur Wahl gegangen und habe bei einer Bürgermeisterwahl bewußt ungültig gewählt. Da das noch mehr Leute gemacht haben war ich dann ganz gespannt wie dieses Verhalten in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Es ist wahrgenommen worden und zwar mit der Kernaussage das bei dieser Wahl besonders viele zu doof waren einen Stimmzettel auszufüllen. Das werde ich sicher nicht mehr machen. In ein paar Wochen steht in Hessen eine Komunalwahl an bei der ich mich noch nicht entschieden habe was ich tun werde. Eigentlich gibt es für mich gute Gründe jede der Alternativen nicht zu wählen. Das Spiel mit dem kleinsten Übel funktioniert nicht immer. Deshalb habe ich auch Verständnis wenn Leute sagen das Ganze ist inzwischen doch eh eine korrupte Lachnummer für die ich keine Zeit verschwende. Wenn Politik nicht Glaubwürdigkeit zurück gewinnt ist auf Dauer unsere Demokratie wirklich in Gefahr
@ Hans,
leider kann ich erst heute noch etwas dazu sagen.
Gerade die in Hessen anstehenden Kommunal- und Kreistagswahlen Wahlen lassen es zu, durch kumulieren und panaschieren einzelnen Personen mehr Stimmen zu geben, quer durch verschiedene Parteien. Sogar streichen ist erlaubt. Da kann es schon mal passieren, dass eine „im Volk“ beliebte Person, welche von den Parteien auf weniger aussichtsreichen Platz gestellt wurde, plötzlich mit vorne liegt…
Es macht natürlich etwas Mühe, aber noch mehr Wahlfreiheit geht wirklich nicht.
Allerdings sollte man genau zählen, um die zulässige Gesamtzahl der Kreuzchen nicht zu überschreiten.
Doch über 86% der Wähler waren bei den letzten Wahlen nicht bereit, sich dieser Wahlmöglichkeit zu bedienen.
Um nicht in den Verdacht zu geraten, zu dumm zum Wählen zu sein, sorgt das Wort „ungültig“, schräg über den Wahlzettel geschrieben, für Klarheit.
Es gibt Musterzettel zum informieren. Dann gibt es noch die Briefwahl – gemütlich zu Hause ausfüllen –
da fallen doch Ausreden für’s Nichtwählen schwer. 😉
zu @ maderholz
Dann macht man das alles was Sie so toll beschrieben haben. Vor ein paar Jahren hätte ich das noch genau so gesehen. Deshalb war ich damals der Meinung keine Parteien mehr zu wählen sondern meine Stimmen nur noch Personen zu geben denen ich eine eigene Meinung zutraue. Das habe ich dann getan und die letzten Jahre zusehen dürfen wie diese Leute dann im Rahmen des Fraktionszwangs für mich unverständliche Entscheidungen mitgetragen haben.
@ Hans,
Gut, ich gebe zu, dass die von Ihnen geschilderten Fälle zutreffen und dann auch persönliche Enttäuschungen nach sich ziehen.
Aber stellen wir mal die Frage anders:
Welches Wahlsystem wäre besser ?
Unsere Demokratie lebt von freien Wahlen. Durch nicht wählen gehen verbessert sich jedenfalls nichts.
Die Demokratie wird damit nicht gerettet. Es wird weiter regiert, dann meist von denen, die der Nichtwähler absolut nicht wollte.
Über Fraktionszwang ließe sich streiten. Von Fall zu Fall. Meistens ist er aber angebracht. Sonst könnten knappe Regierungs-Mehrheiten nichts mehr durchetzen.
Der Wahlzettel zur Frankfurter Kommunalwahl ist 62 x 118 cm groß und muss 4x gefaltet werden, um auf DIN A4-Format gebracht zu werden. Sie können 93 Kandidaten verwursten, will sagen: 93 Stimmen verteilen.
Der Wahlzettel für die Ortsbeiräte hat für den Ortsbezirk 2 eine Größe von 30 x 83 cm und muss 2x gefaltet werden. Sie können 19 Stimmen verteilen.
Dazu kommt der Stimmzettel zur Volksabstimmung über die Schuldenbremse.
Der Jurist nennt das wohl „summum ius summa iniuria“- je mehr man dem Einzelfall gerecht werden will/soll, desto ungerechter wird das System als Ganzes. [1] Oder um es mit Mephistopheles zu sagen: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“.
Viel Spaß beim Warten im Wahllokal, wenn gewissenhafte Wähler dreimal durchzählen müssen, ob sie auch ja nicht eine 94. Stimme abgegeben haben!
Wie man an dieser Kumulierungs-/Panaschierungs-/Streichungsgeschichte sehen kann, ist das Wahlsystem ja durchaus änderbar.
Warum sollte auf den Wahlzetteln nicht ein Feld vorhanden sein: „Ich entscheide mich bewusst gegen alle diese Kandidaten“ oder „Mir ist die ganze Sache eigentlich ziemlich wurscht“?
So wie es eine Zulassungshürde gibt, könnte es auch eine Auszählungshürde geben: wenn ein bestimmtes Quorum an ungültigen Stimmen erreicht oder ein bestimmtes Quorum an Wahlbeteiligung nicht erreicht ist, ist die Wahl ungültig.
Man könnte die Wahlkampfkostenerstattung oder die Diäten der Parlamentarier oder die Anzahl der zu vergebenden Sitze an den Prozentanteil der abgegebenen (oder der gültigen) Stimmen koppeln. Ach, da könnte man sich vieles vorstellen.
Man könnte auch z.B. 10 zentrale Themen festlegen, zu denen sich die Parteien verbindlich äussern müssten. Neben der Listen- und der Personenwahl wäre als dritte Möglichkeit auf dem Stimmzettel die Themenwahl:
„Ich bin
* für die Privatisierung der Bahn,
* für die Privatisierung der Energieversorgung,
* für die Privatisierung der Wasserversorgung,
* für die Verlängerung der AKW-Laufzeiten,
* für eine effektive Beschneidung des Einflusses von Banken und multinationalen Konzernen,
* für eine ungesteuerte Einwanderung,
* für weitere Einschränkungen der Bürgerrechte,
* für 30 Liter Freibier pro Jahr für alle,
* für eine aktive Sterbehilfe,
* für eine Frauen-/Männer-/Migranten-/Ossi-/Brillenträger-/Radfahrer-/Afro-Deutsche-/Rothaarigen-/EsoterikerInnen- Quote,
* für das Wahlrecht ab der Einschulung,
* für eine allgemeine Wehrpflicht und Kampfeinsätze (auch von Rekruten) der Bundeswehr überall auf der Welt,
* für die konsequente Trennung von Kirche(n) und Staat,
* für einen BPD (Bundespflichtdienst) für alle, die nicht zum Wehrdienst eingezogen werden können,
* für freie Fahrt für freie Bürger (Aufhebung jeglichen Tempolimits),
* ….“
Dass Ihre Meinung zum Fraktionszwang grundgesetzwidrig ist (Art 38 Abs.1 GG „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“, Hervorhebung von mir), ist Ihnen schon klar, oder?
[1] http://www.zeno.org/Kirchner-Michaelis-1907/A/Summum+ius,+summa+iniuria
@ Schnippsel,
ich lese Ihre überspiitzten Formulierungen gerne, stimme ihren Inhalten auch überwiegend zu.
In Ihrem obigen Text ist es gar nicht so einfach, Satire von Ernst zu unterscheiden.
Jedenfalls ist Ihre Darstellung zur Lösung des Problems wenig hilfreich.
Sie hätten auch schreiben können : „Leute, beantragt Briefwahl, da erspart ihr euch viel Ärger.“
Zum Fraktionszwang :
Da werden wir ja nun schon über ein halbes Jahrhundert im Gegensatz zum Grundgesetz regiert! Na sowas!
Da passt doch auch gut die die Aussage in der Eidesformel: „…und Schaden vom deutschen Volke abzuwenden…“
Alles Lug und Betrug. Aber wir müssen damit leben – übrigens bisher ganz gut.
Tja, maderholz, jeder hat so seine Art, sich an diesem Blog zu beteiligen.
Ich selber leiste mir den Luxus, von Zeit zu Zeit wenigstens mal im Kopf etwas radikaler zu sein und den einen oder anderen eingefahrenen Weg zu verlassen. Manchmal bricht sich dabei halt eine gewisse satirische Ader Bahn. Ich sehe mich dabei nicht als wissenden Antwortgeber, sondern eher als suchenden Stichwortgeber.
Man könnte dazu auch den Herr Goethe zu Wort kommen lassen:
„Es bringt mir großen Vorteil, dass ich mit den anderen Arten zu denken etwas bekannter geworden bin, die ich, ob sie gleich nicht die meinigen werden können, dennoch als Supplement meiner Einseitigkeit zum praktischen Gebrauch äußerst bedarf.
Goethe, An F. H. Jacobi, 17.10.1796“
Ihrem Muster folgend hätte ich auch schreiben können: „Leute, setzt euch in der Zeit bis zur Wahl mit Bleistift und Radiergummi hin, füllt das Muster des Wahlscheins in Ruhe aus und nehmt es als eine Art Spickzettel mit, damit ihr die Wahlkabinen nicht so lange blockiert.“ Was glauben Sie übrigens wird passieren? Gute 90% der gültigen Stimmen werden das bisherige Prinzip der Erst- und Zweitstimme wiederholen, 10% werden sich mit dem Mischmasch herumschlagen.
Unabhängig davon halte ich es tatsächlich für durchaus überlegenswert, ob neben der Listen- und Personenwahl nicht eine Art Themenwahl als zusätzliche, quasi thematisch-plebiszitäre, Komponente eingeführt werden könnte/sollte.
Ich halte es ebenfalls für überlegenswert, „ungültige“ Stimmen als tatsächlich zu wertende Stimmen zu betrachten. Wie Sie selbst ja auch feststellen, sind diese Leute schließlich, im Gegensatz zu den Daheimbleibern, ins Wahllokal gegangen und haben ihre Stimme abgegeben. In welcher Form die Gewichtung zu erfolgen hat, kann man diskutieren.
Auch die Überlegungen, dass man die Parteien am besten an ihrem Geldbeutel packt, wenn die Politik- und/oder Politikerverdrossenheit über ein gewisses Maß hinausgeht, halte ich für bedenkenswert. Warum soll die Dotierung der Parteien und der Posteninhaber nicht mit einer Art „Erfolgsprämie“ ausgestattet sein, wenn sie es geschafft haben, viele Bürger an die Wahlurne zu bringen?
Wenn Menschen per Gesetz gezwungen werden sollen, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden, könnte man doch auch – wie in anderen Ländern – eine bußgeldbewehrte Wahlpflicht einführen. (Analog dazu könnte man mit Eintritt der Volljährigkeit auch gleich eine kirchensteuerrelevante Religionswahl verlangen.)
Ich halte es auch nicht für die Lösung die Parteienwahl immer komplizierter zu zu machen, zumal es überhaupt nichts bringt einzelne Personen zu wählen wenn die sich dann dem Fraktionszwang unterwerfen. Das ist dann letztlich auch eine Form der Wählertäuschung. Gegen die Politikverdrossenheit gibt es nur ein Mittel, nämlich dem Wähler Einfluss auf einzelne Sachfragen zu geben. Das führt zumindest auf kummunaler Ebene zu guten Ergebnissen. Ich habe auch schon in verschiedenen Bürgerinitiativen mitgewirkt, übrigens mit mehreren überzeugten Nichtwählern. Das, wenn immer mehr nicht zur Wahl gehen die Lobbygruppen immer stärker werden ist für mich einer der Hauptgründe wählen zu gehen. An eine 2/3 Mehrheit im Bundestag um eine wie auch immer augestaltete Art von Volksbegehren einzuführen glaube ich nicht da immer die gerade Regierenden das nicht wollen das ihnen das Volk rein redet. Deshalb sind es diese Leute die an diesem Problem schuld sind.
Wohl dem, der sich den Luxus leisten kann, mit geschraubten Goethe-Zitaten, die komplizierter klingen als es ein Wahlzettel je vermöchte, seine Mitleser zu erfreuen.
Ich komme als aufmerksamer Leser der FR auch so zurecht.;-).
Wem das Auswählen von Personen zu viel Mühe macht, der soll sein Kreuz eben oben einer Partei geben. Punkt.
Wer glaubt, ein besseres Wahlverfahren vorschagen zu können, darf das tun. Gibt bestimmt irgendwo eine Stelle, die solches annimmt.
Wer es wirklich ernst meint damit, trete in eine Partei ein, suche sich konform denkende Mitstreiter und setze sein Gesetz durch, idealerweise ohne Fraktionszwang. So einfach ist das.:-)
Ich verstehe es ja auch nicht, warum nur die unfähigen Leute in den „Regierungen“ sitzen, während sich die weitaus besseren in unzähligen Blogs abarbeiten müssen.
Es ist halt einfach und macht Spaß… 🙂
„Wem das Auswählen von Personen zu viel Mühe macht, der soll sein Kreuz eben oben einer Partei geben. Punkt.“
Sach ich doch! Den Rest könnte man mit Karl Marx als „Tant de bruit pour une omelette!“ („Soviel Lärm um einen Eierkuchen!“) bezeichnen.
In der BRD gilt Artikel 21 GG: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“
Staatsbürgerliches Engagement ist also bei weitem nicht auf die Mitarbeit in Parteien beschränkt. Andere Mitwirkungsmöglichkeiten bei der politischen Willensbildung sind z.B. Blogbeiträge, Leserbriefe, Bürgerinitiativen, Besuche von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, Teilnahme an Ortsbeiratssitzungen, Besuche von Elternabenden, Schreiben an Parteien oder einzelne Abgeordnete (Abgeordnetenwatch.de – das virtuelle Wählergedächtnis), die Unterzeichnung von E-Petitionen. Naja, auch das Networken bei Facebook oder sonstigen unzuverlässigen Datenkraken – aber ohne mich.
Meine Blogteilnahme ist tatsächlich die einfachste und spaßmachendste Art der Mitwirkung, deren sekundärer Zusatzgewinn darin besteht, dass sich manche Nachtschichten leichter überstehen lassen.
Mit sonntäglicher guter Laune gebe ich Ihnen ein Lachemännchen 🙂 zurück.
Danke Schnippsel. Ist ja prima, Demokratie gerettet!
Das Leben kann doch so schön und einfach sein…
Vielleicht sind ja die Batterien meines Ironiedetektors gekaputt, aber Ihren Beitrag #15 verstehe ich nicht.
Wenn Sie meinen, jemand, der – wie ich – durch „Blogbeiträge, Leserbriefe, Bürgerinitiativen, Besuche von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, Teilnahme an Ortsbeiratssitzungen, Besuche von Elternabenden, Schreiben an Parteien oder einzelne Abgeordnete …, die Unterzeichnung von E-Petitionen“ am politischen Leben seines Landes aktiv teilnimmt, mache es sich einfach – dann hauen Sie den Sack und meinen vielleicht den Esel.
Verstehe ich Sie richtig, dass nur Parteimitglieder legitimiert sind, sich als Demokraten bezeichnen zu dürfen? Wer sich ausserhalb von Parteien organisiert, ist ein „Wutbürger“ und a priori ohne staatsbürgerliche Legitimation? Die Begriffe „Parteiendiktatur“ u.ä. haben Sie schon mal gehört?
Verstehe ich Sie richtig, dass „die Medien“ keine Rolle bei der politischen Willensbildung des Volkes spielen? Jegliche Energie, die jemand also in Leserbriefe o.ä. investiert, ist rausgeschmissen und verpufft sinnlos?
Verstehe ich Sie ausserdem richtig, dass ernsthafte politische Arbeit (zur Rettung der Demokratie, versteht sich!) keinen Spaß machen darf?
Der Vollständigkeit halber möchte ich auch noch darauf hinweisen, dass alle Orte, an denen sich Menschen versammeln und miteinander reden (oder heftig streiten) – auch die vielgeschmähten Stammtische – Orte der politischen Willensbildung sind.
Weder die Parteien, noch die Stammtische, noch die Blogger, noch die Medien, noch die Wutbürger, noch die Bildungsanstalten, noch all die anderen haben einen Alleinvertretungsanspruch im Hinblick auf die politische Meinungs- und Willensbildung – aber sie alle wirken daran mit. Und zwar indem sie Menschen ermutigen, sich zu Angelegenheiten des Gemeinwesens offen zu äußern.
Dass ich dazu aufgerufen hätte, nicht zur Wahl zu gehen und damit Ihrer Meinung nach Demokratie und Freiheit in Gefahr bringe, kann ich übrigens in keinem meiner Beiträge dieses Threads entdecken.
Dass hierzulande zumindest die Nichtwahl ebenfalls eine zulässige Wahlmöglichkeit bedeutet, ist möglicherweise bedauerlich oder gar gefährlich, aber eben zulässig. Auf die Nichtwähler einzudreschen, die ihr Recht auf Nichtwählen in Anspruch nehmen, halte ich – überspitzt gesagt – für undemokratisch. Es steht auch Ihnen frei, für eine Wahlpflicht einzutreten oder durch sonstige Aktivitäten für eine stärkere Wahlbeteiligung zu sorgen.
Was die „ungültigen Stimmen“ betrifft, haben Sie ja selbst bereits darauf hingewiesen, dass es sich dabei ebenfalls um durchaus zulässige Äußerungen handelt: „Wenn sie wenigstens “ungültig” gewählt hätten, um ihren Unmut kundzutun. das wäre noch eine klare Entscheidung gewesen.“ Zum Umgang mit diesen Stimmen bzw. diesem „Wählerpotential“ hatte ich einige gedankliche Anregungen gegeben.
@ schnippsel,
da vsrstehen Sie mich tatsächlich völlig falsch! Mit meinen zwei einfachen Sätzen wollte ich ausdrücken, dass wieder alles o.k. ist.
Ich hatte befürchtet, es würde versucht werden, ein längeres, haarspalterisches Streitgespräch zu führen.
Dafür bin ich nämlich nicht geeignet.
Ich stimme Ihren zuletzt gemachten Betrachtungen weitgehend zu, ich denke da doch ähnlich.
Ich bin zwar „links denkend“, aber nicht Mitglied einer Partei.
Nur zu den Nichtwählern bin ich anderer Meinung.
Sie schaden unserer Demokratie mehr als sie nützen.
Dass das Leben so schön sein kann, sollte zum Ausdruck bringen, dass ich mit Ihnen wieder übereinstimme. :-).
Uff! Da bin ja beruhigt. Zumindest ist es über meine provokanten Verzerrungen nun klar geworden.
Von den politischen Arschbackentheorien Rechts/Links halte ich nicht viel, und Sie selbst haben ja auch Anführungszeichen verwendet.
Was die Nichtwähler betrifft, schließe ich mich Ihrer oben gemachten Bemerkung „Anderenorts lassen sich Menschen für die Forderung nach Freiheit und Wahlen zusammenschießen.“ mit einiger Bitterkeit an. Es ist ja auch noch nicht allzu lange her, dass man in Teilen Deutschlands ebenfalls keine freien Wahlen hatte.
Das das Nichtwählen hierzulande aber zulässig ist, kann ich es niemand vorwerfen, wenn er davon Gebrauch macht. Darin sind wir uns nicht einig – aber das ist ja auch nicht unbedingt Ziel dieses Blogs.