Ich erinnere mich an einen Leserbrief, der ziemlich frühzeitig darauf hinwies, dass Christian Wulff sein MP-Amt niederlegen müsste, ehe er sich zum Bundespräsidenten wählen lassen kann. Genau das ist jetzt ein Problem, denn das will er nicht. Das Grundgesetz schreibt vor, dass der Bundespräsident „weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören darf“. Doch sobald Wulff die Wahl annähme, wäre er im Amt – und gleichzeitig Ministerpräsident in Niedersachsen. Aber wozu haben wir Juristen? Die haben nämlich eine Hinterzimmerstrategie entwickelt, von der Holger Schmale in der FR berichtet: Und zwar ist es Usus, den Bewerbern das Wahlergebnis informell mitzuteilen, bevor es der Bundestagspräsident offiziell bekannt gibt. Geschähe dies in einem etwas abseits gelegenen Raum des Reichstags, so würde sich ein schmales Zeitfenster öffnen.
Schmale schreibt: „Im Fall seiner Wahl würde Wulff den ebenfalls in die Bundesversammlung entsandten niedersächsischen Landtagspräsidenten, seinen Parteifreund Hermann Dinkla, zu sich bitten und ihm ein vorbereitetes Schreiben überreichen, in dem er den Rücktritt als Ministerpräsident und sein Ausscheiden aus der Landesregierung erklärt. Wenn Bundestagspräsident Norbert Lammert wenige Minuten später vor der Bundesversammlung Wulff fragen würde: ‚Nehmen Sie die Wahl an?‘, könnte der befreit von allen Ämtern antworten: ‚Ja, Herr Präsident.‘ Allerdings hält die niedersächsische Landesverfassung noch einen kleinen Fallstrick bereit: Die Mitglieder der Landesregierung sind im Falle ihres Rücktritts verpflichtet, die Geschäfte bis zu deren Übernahme durch einen Nachfolger weiterzuführen.“
Jürgen Dietze aus Melbeck meint, es ist noch schwieriger:
„Nein – Herr Wulff kann als Ministerpräsident eines Landes nicht so einfach mit einer Erklärung aus dem Amt scheiden: Er bleibt so lange Ministerpräsident – geschäftsführend –, bis ein neuer Ministerpräsident im Amt, also durch das Landesparlament gewählt ist (Art. 33 Nds. Verfassung). Vorher ist und bleibt er Ministerpräsident. Da kann er erklären, was er möchte, es reicht für ein Ausscheiden nicht aus. Diese Besonderheit gilt für den Ministerpräsidenten, der sich nicht so einfach aus seinem Amt soll entfernen können – mit einer schlichten Erklärung.“
Ansonsten gibt’s von den FR-Lesern auf die Nuss. Werner Deuß aus Köln meint:
„Als halbherzig, amtsbesessen und feige muss man Christian Wulffs geplante Vorgehensweise bezeichnen, wie er dem Konflikt begegnen will, bei der Wahl zum Bundespräsidenten kein aktuelles Regierungsamt innehaben zu dürfen. Mit seiner angeblich couragierten Kandidatur „gauckelt“ er dem Publikum einen Hochseilakt vor, ohne zu sagen, dass Netz und doppelter Boden insgeheim längst bereitet sind. Hinzu kommt eine juristische Trickserei, die den Sinn des Gesetzes völlig unterläuft und Berlusconi alle Ehre machen würde. In seinem Vorgehen offenbart sich eben nicht ein rückhaltloses Bekenntnis zum höchsten Amt im Staate, sondern ein banales politisches Kalkül: Entweder Bundespräsident oder weiterhin Ministerpräsident. Hauptsache: Präsident! Wulff reiht sich damit ein in die politische Kaste der „Schattenparker und Warmduscher“.
Bei Christian Wulff stellt sich daher die Frage, ob man seinen Amtseid zum Bundespräsidenten wirklich ernst und wörtlich nehmen müsste – oder auch darin wieder eine „fall back option“ verborgen sein könnte.“
Karsten Neumann aus Nürnberg:
„Juristische Tricks, das ist alles, was diese Regierungskoalitionäre draufhaben, die ständig in nervtötender und demokratiefeindlicher Manier den Rechtsstaat betonen und deren ganzes politisches Bewusstsein und Handeln dann aus solchen Tricks besteht. Es müssen endlich wieder Menschen an die Macht, die mit allen Vor- und Nachteilen aus Überzeugung für ihre Sache einstehen. Dieses unverhohlene Taktieren widert mich an!“
Herr Wulff, als Kitt für eine dahinsiechende Koalition ausgeguckt, repräsentiert von Anfang an die Spaltung der Nation und ihre Auslieferung an kleinkarierte parteitaktische Spielchen. Schon die beschämenden Umstände seiner Nominierung werfen die Frage auf, wie er denn, als koalitionärer Antikandidat gegen den Wunsch nach einem parteiübergreifenden Präsidenten aus dem Volk und für das Volk, jemals Präsident aller Deutscher werden wollte.
Er, der ja einen sicheren – und, wie er behauptet, ihn erfüllenden – Spitzenjob innehat, zeigte auch nicht die Größe, gut gemeinten Ratschlägen zu folgen und einem Kandidaten Vortritt zu lassen, der den Voraussetzungen und Erwartungen für dieses höchste Amt offensichtlich weit besser entspricht.
Die Kandidatur mit Rückversicherung und mit Hilfe juristischer Tricksereien rundet dieses Bild nun ab. Es belegt, dass es Herrn Wulff tatsächlich nicht um die Aufgabe, sondern um den Posten geht, und zeigt, in welchem Maße er – auch in seiner Persönlichkeit – deckungsgleich ist mit dem Erscheinungsbild der dahinsiechenden „Wunschkoalition“. Er hat sich in meinen Augen selbst disqualifiziert.
Glauben Frau Merkel und die Koalitionäre ernsthaft, mit einer solchen Schmierenkomödie ums höchste Staatsamt ließen sich die tiefen Risse kitten, mit einer Verlängerung der Agonie könne man eine Krise bestehen, ließen sich harte Sparbeschlüsse absichern, die allen voran den sozial Schwächsten im Land Opfer zur Schonung von Mövenpick-Klientel und marktgläubigen Ideologen abverlangen?
Berlusconi lässt grüßen!
Das ich mich mal irgendwo für Herrn Wulff Stelliung beziehen muss. Das Wahlgesetz zur Bundespräsidentenwahl schreibt in § 9 Abs 4 folgendes vor: (4) Der Präsident des Bundestages teilt dem Gewählten die Wahl mit und fordert ihn auf, ihm binnen zwei Tagen zu erklären, ob er die Wahl annimmt. Gibt der Gewählte innerhalb dieser Frist keine Erklärung ab, so gilt die Wahl als abgelehnt. Somit kann auch Herr Wulff durchaus am 30. Juni gewählt werden und hat dann bis zum 2. Juni Zeit zu erklären, ob er die Wahl annimmt. In dieser Zeit kann der NdS-Landtag einen neuen Mininisterpräsidenten wählen. Die o.g. schmale Zeitfenster ist also keines.
Ein Problem besteht allerdings darin, dass für den NdS-Landtag in dieser Woche bis jetzt kein Sitzungstermin einberaumt worden ist. Ob das darauf schließen laässt, dass die ?DU Wulff schon abgeschrieben hat?