Es gibt Fragen, die würde ich mir normalerweise nie stellen. Die kommen mir erst in den Sinn, wenn ich Leserpost lese und mit anderen Sichtweisen und Perspektiven konfrontiert werde. So wie heute zum Beispiel durch eine Mail von Stefan Engel aus Bebra. Herr Engel kritisiert einen Text von Petra Mies mit der Überschrift „Endstation Bebra“:
„Darin malen Sie ein Bild von meiner Heimatstadt, das man, wenn man von außen blickt, wenig Zeit hat und dann auch noch zum falschen Zeitpunkt hier ist, durchaus als zutreffend bezeichnen kann.“ Doch „ich als Bebraner habe es satt, meine Stadt als Zerrspiegel einer missratenen Politik auf der einen, eines vollkommen unverantwortlichen Managements auf der anderen Seite zu sehen!“
Da gehe ich doch gleich mal hoch in den fünften Stock, direkt zu Petra Mies, die natürlich ahnt, das eine Leserkritik auf sie zukommt, als sie mich sieht. Aber normalerweise haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Redaktion ein offenes Ohr für mich, auch wenn sie meistens sehr beschäftigt sind. Petra Mies hat gerade den Telefonhörer aufgelegt.
Zugegeben sei zunächst, dass Bebra selbst ein anderes Bild von sich zeichnet, als Petra Mies es in ihrem Text tut. Aber sie hatte ja auch kein Stadtporträt im Sinn, wie es vielleicht auf den Reiseseiten zu lesen gewesen wäre. Sie wollte vielmehr eine Skizze der Situation der „Unterschicht“ in einer hessischen Kleinstadt zeichnen. Wo wir doch gerade eine Unterschicht-Debatte in Deutschland haben.
„Bebra taugt offensichtlich wunderbar dazu, ein nationales schlechtes Gewissen von sich und den Problemen in der eigenen Stadt weg auf einen Flecken im ’nordhessischen Niemandsland‘ zu projizieren“, schreibt Herr Engel weiter. „Warum nicht Kassel? Warum nicht Darmstadt, Gießen, Melsungen, Borken?“
Auf diese Frage weiß ich nicht so richtig Antwort, Herr Engel. Aber Petra Mies hat sicher Recht, wenn sie sagt: Irgendeine Stadt hätte es in jedem Fall getroffen. Und dass deren Bewohnerinnen und Bewohnern das Ergebnis der Recherche nicht immer gefallen hätte, liegt in der Natur der Sache. Dann wäre ähnliche Kritik wie die von Herrn Engel aus Kassel, Darmstadt, Gießen, Melsungen oder Borken über uns hereingebrochen.
Doch es geht uns ja gar nicht darum, eine Stadt schlecht zu machen. Es geht um die Situation in dieser Stadt, die vielleicht typisch ist für die Situation solcher Städte überhaupt. Eine Situation, die wiederum etwas aussagt über die Verfassung dieses Landes. Über ostdeutsche Städte hat man in dieser Hinsicht ja schließlich auch eine Menge gelesen.
Aber ich will noch mal Herrn Engel zu Wort kommen lassen:
„Dass Bebra seit einiger Zeit versucht, sich gegen alle Widrigkeiten von außen selbst aus dem Sumpf zu ziehen, wird von Ihnen, Frau Mies, nur am Rande vermerkt. Richtig und zutreffend ist, dass Bebra zweimal in Folge den Wettbewerb „Ab in die Mitte“ gewonnen hat – und wir haben kein Marketingbüro für die Konzepte bezahlt! Eine Bürgerinitiative befasst sich in vielfältiger Hinsicht mit dem Leben in unserer Stadt: Spielplätze werden gebaut, Sportspiele durchgeführt, Feste gefeiert – alles Hand un Hand über Partei-, Anschauungs- und Nationalitätengrenzen hinweg. Eine Nachbargemeinde holte sich einen externen ‚Stadtmarketingexperten‘, nur um verzweifelt festzustellen: ‚Die in Bebra haben das auch alleine geschafft. Man kann von Bebra lernen!'“
Damit wären der Reportage von Petra Mies dann wohl ein paar interessante Facetten hinzugefügt.
Schön wäre es, wenn die FR nicht nur Ja- und Schön-Sager-Leserbriefe abdrucken würde. Immerhin wurde der Leserbrief von Stefan Engel hier im blog aufgegriffen… aber die anderen … wo sind die… ???