Ach herrje, das Bundesarbeitsgericht widerspricht sich selbst! Erst 2003 hatte es mit einem Urteil gegen eine Lagerarbeiterin die harten Urteile vieler Gerichte in Sachen „Kündigung wegen Bagatelldelikt“ ermöglicht. Jetzt kassierte es die Entscheidung eines Berliner Arbeitsgerichts gegen „Emmely“: Abmahnung hätte genügt! Das haben die Blog-User damals, als wir über das Berliner Urteil diskutierten, mehrheitlich auch so gesehen. „Emmely“, Deutschlands wohl berühmteste Kassiererin, hatte Kaisers 31 Jahre lang gut gedient. Dann soll sie zwei Pfandbons, die verloren herumlagen, an sich genommen und für sich eingelöst haben, Wert: 1,30 Euro. Ergebnis: fristlose Kündigung. Eine Welle der Empörung war die Folge, der Verlust jeden Maßstabs wurde beklagt. Nun wurde der Maßstab wiedergefunden, denn „Emmely“ hat sich durchgesetzt. Jetzt muss sie wieder eingestellt werden. Ein Grund für sie zu jubeln, denn: „Die Kasse ist mein Leben.“ Viel Spaß, Emmely! Und Glückwunsch!
Es ist natürlich nichts Neues, dass hohe Gerichte eigene Rechtsprechung korrigieren. Die Auslegung von Gesetzen, auch des Grundgesetzes, muss dem Wertewandel in der Gesellschaft Rechnung tragen. Ein Beispiel: die Familie. Familie ist heutzutage nicht mehr ausschließlich da, wo verheiratete Eltern mit Kindern sind. Sie ist heute da, wo Erwachsene in Fürsorgegemeinschaft mit Kindern leben. Das können auch Alleinerziehende sein. So gesehen müsste das BAG-Urteil von 2003, wo eine Lagerarbeiterin rausgeschmissen wurde, weil sie beschädigte Flachmänner, die nicht mehr hätten verkauft werden können, an sich genommen hatte, ebenso für einen bestimmten Zeitgeist stehen wie das jetzige Urteil. Übersetzen wir mal das Urteil von 2003 in Klarsprech: Arbeitnehmer sind der letzte Dreck, zumindest die ganz kleinen unter ihnen, von denen gibt es sowieso genug, sie sind leicht ersetzbar, und sie sollen sich bloß nicht trauen, ihren Arbeitgeber zu „schädigen“, denn dann zählt selbst jahrzehntelange vertrauensvolle Zusammenarbeit nix mehr – dann ist Schluss! Und das aktuelle Urteil: Selbst kleine Arbeitnehmer haben Rechte, und man möge doch bitte sorgsam aufwiegen, ob ein minimales Vergehen wirklich gleich harte Schritte nach sich ziehen müsse; selbst Arbeitgeber dürfen sich nicht alles erlauben.
Ein Wertewandel? Ja, was ist Arbeitskraft wert? Was ist ein gutes Betriebsklima wert? Was ist menschlicher Umgang miteinander wert? Was sind Maßstäbe wert? Und was sind BAG-Urteile wert?
Herbert Danz aus Steinau meint:
„Einer der wichtigsten Grungsätze der Juristerei ist der Grundsatz der Verhältnismaßigkeit. Sollten wir den nun auch noch über Bord werfen, stehen uns kuriose Zeiten ins Haus. Dann darf der Gastwirt von uns eine Gebühr erheben, weil wir sein gutes Essen gerochen haben. Die Bank oder das Hotel können uns für das Durchqueren des Foyers eine Bodenabnutzungsgebühr aufhalsen. Der Chef kann uns eine Eintrittsgebühr für die Firma abverlangen. Die Richterin kann entlassen werden, weil sie vor dem Betreten des Gerichtssaales ihre Hare gekämmt hat u.ä.
Wir haben doch schon das Verbot von Wucher bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht. Die Sittenwidrigkeit gibt es nicht mehr. Die Mogelpackungen sind gradezu grotesk. Wenn in einen Waschmittelkarton 12 kg passen würde und nur noch 3,51 kg drin sind, ist das früher bestraft worden. Winkeladvokaten haben eine große Zukunft vor sich.“
Hans-Joachim Schmidt aus Heusweiler:
„Ja, die Emmely: ‚Vor einem Jahr noch … hat sie kaum ein Wort herausgebracht. Inzwischen redet sie wie eine Funktionärin‘, z.B. davon, ‚dass die Reichen immer verschont würden, während die Armen weiter an den Abgrund gedrängt würden…‘ Jedenfalls trägt der Artikel eine Menge zur Klärung bei, z. B. zur immer dringlicher werdenden Frage: Wo kommen all die Funktionäre her? Führt der Karriereweg zunehmend über die Diebstahl-Schiene in Verbindung mit DDR-Vergangenheit?
Ja, die Funktionäre: Auch nachdem sie vierzig Jahre lang über ihre Verhältnisse gelebt haben, wie Merkel, Köhler & Westerwelle jüngst enthüllten, sind sie um keinen Preis zu einem Schuldeingeständnis zu bewegen. Im Gegenteil – diese Ewiggestrigen entblöden sich nicht, ihrerseits unsere Leistungsträger zu beschimpfen und sogar Emmely zu unterstützen auf ihrem Marsch zurück an die Kasse – unser aller Kasse!“
Der größte Irrtum aus juristischer Sicht ist, dass allenthalben behautptet wird, das BAg habe seine Rechtsprechung geändert. Das trifft nicht zu (s. http://www.reuter-arbeitsrecht.de/grundsatzliches/letzter-akt-bei-emmely.html). Die Entscheidung fußt auf der Interessenabwägung (vulgo „Verhätnismäßigkeit“). Da gilt notwendig „2 Richter, 3 Meinungen“ – das kann leider auch gar nicht anders sein, denn für eine Abwägung lassen sich verbindliche Grundsätze nicht bis ins letzte Datail aufstellen. Das BAG nur die Betriebszugehörigkeit anders gewichtet als die Vorinstanzen. Die Pressemitteilung läßt keinen Zweifel, dass man nach wie vor beim Klau eines einzigen Euro mit der Kündigung rechnen muss. Der Fall „Emmely“ lag etwas anders, weil z.B. die Pfandbons kein Eigentum des Arbeitgebers waren. Das hindert jetzt niemanden daran, fälschlich von einer „Wende“ zu reden und wird leider auch manche Arbeitsrichter verunsichern.
Ja, aus juristischer Sicht. Man muss wohl Spezialist sein,was? Und was kümmert es das Gericht, was das gemeine Volk von ihm denkt? da sagt es einmal hü und beim anderen mal sagt es hott. Muss das Gericht wohl an seiner Außenwahrnehmung arbeiten