Blogtalk: "Kampf der Kulturen"?

Wir Deutschen wurden vor einer Weile vor eine „nationale Aufgabe“ gestellt: Wir sollten gemeinschaftlich bestimmen, welche Künstlerin, welchen Künstler wir für Deutschland zum Eurovision Song Contest (ESC) nach Oslo schicken sollten. Lena Meyer-Landrut gewann. Unter jungen Leuten ist sie längst Kult, denn sie ist frisch, frech und authentisch. Doch die Begeisterung der Deutschen hielt sich während ihrer Kür zunächst zurück; erst als Lena in den Charts durchstartete, setzte ein Hype ein.

Wir wollen in diesem Blogtalk mit dem ESC-Experten Dr. Irving Wolther über den ESC, nationale Aufgaben, aber auch über die kulturellen und politischen Hintergründe und Unterschiede sprechen, die die verschiedenartigen Wahrnehmungen des ESC in den jeweiligen Kulturen und Nationen begründen. Natürlich wollen wir über den aktuellen Contest sprechen, der am 25. Mai mit dem ersten Halbfinale startet (Finale ist am 29.5.), uns aber auch den Hintergründen der Veranstaltung widmen. Seitens der FR kommen die Fragen von Hans-Herrmann Kotte und Lutz Büge. 

Irving Wolther ist Jahrgang 1969 und gründete 1987 den deutschen ESC-Fanclub OGAE Germany. Er hat angewandte Sprach- und Kulturwissenschaften an den Universitäten Mainz und Genf sowie Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater Hannover studiert. Promotion 2006 mit “Kampf der Kulturen”. Diese Doktorarbeit wurde im Verlag Königshausen & Neumann 2006 veröffentlicht und ist die erste wissenschaftliche Gesamtdarstellung des ESC. Heute schreibt er u.a. für die Eurovisions-Seite des NDR.

Hans-Hermann Kotte und Lutz Büge von der FR haben eine Reihe von Fragen an Irving Wolther erarbeitet, aber generell kann hier jede/jeder mitreden und Fragen stellen. Ein Stück weit bieten wir Ihnen hier eine Zeitung zum Mitmachen an, denn aus diesem Blogtalk werde ich ein Interview extrahieren, das in der Print-FR erscheinen wird, voraussichtlich am 29. Mai, dem Tag des ESC-Finales. Darin werden die Namen der Teilnehmer auch veröffentlicht.

Wie ein Blogtalk technisch funktioniert, steht hier. Bitte schreiben Sie möglichst unter Ihrem Klarnamen. Beachten Sie auch die Blog-Regeln. Ich werde im Hintergrund bleiben, die Einhaltung der Regeln überwachen und auch darauf achten, dass Fragen möglichst nicht mehrfach gestellt werden.

Ich danke Irving Wolther für die Bereitschaft, an unserem Blogtalk teilzunehmen. Es kann losgehen!

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90 Kommentare zu “Blogtalk: "Kampf der Kulturen"?

  1. Guten Morgen, Herr Irving! Schön, dass Sie zu diesem Gespräch über den Eurovision Song Contest bereit sind.
    Sie wollten ja nach Oslo fahren bzw. wohl eher fliegen – sind Sie schon angekommen? Ist dort irgendwas von ESC-Fieber zu bemerken? Und überhaupt: Wie verrückt muss man eigentlich sein, schon gut zwei Wochen vor dem eigentlichen Contest anzureisen?

  2. Hallo und guten Morgen Herr Wolther – stecken Sie schon wieder in einer der Proben für die Halbfinals? Und – ist die Bühne eigentlich wieder so ein blinkendes Riesen-Ufo wie in Moskau?

    Fragt: Kotte von der FR

  3. Hallo Herr Büge, Hallo Herr Kotte,

    es gibt gute Gründe, schon zwei Wochen vor dem eigentlichen Wettbewerb im Gastgeberland zu sein. Heute ist der norwegische Nationalfeiertag und ich habe mir trotz aller ESC-Begeisterung eine kleine Auszeit gegönnt, um mich unter die in Nationaltracht gekleideten Osloer zu mischen und dem „Barnetog“ beizuwohnen. Eurovision Song Contest bedeutet ja immer auch, ein wenig in die Kultur eines Landes einzutauchen, in das man vielleicht nicht unbedingt spontan in Urlaub fahren würde.

    Ansonsten steht Oslo ganz im Zeichen des ESC und die Norweger sind perfekte Gastgeber. Alles funktioniert so reibungslos, dass es schon fast unheimlich ist. Gestern fanden die Proben der ersten Halbfinalisten statt, gerade stellt sich der belgische Sänger Tom Dice den nicht ganz so bohrenden Fragen der anwesenden Journalisten. Noch ist die Atmosphäre recht entspannt, denn von den über 2000 akkreditierten Pressevertretern sind erst etwa 10% angereist. Das ermöglicht allerdings interessante Hintergrundgespräche mit Künstlern und Delegationen, die mit jedem Tag schwieriger werden.

    @ Herr Kotte:
    Nein, die Veranstalter setzen in diesem Jahr nicht auf Gigantomanie (die Moskauer Bühne mit 30% des weltweit verfügbaren LED-Lichts lässt sich kaum überbieten), sondern auf Optimierung der Abläufe und ausgeklügelte Lichtregie. Auf Videoprojektionen wird völlig verzichtet. Auch sind bislang noch vergleichsweise wenige Props zum Einsatz gekommen. Man könnte sagen, dass der Wettbewerb sich wieder stärker auf Musik und Künstler konzentriert.

    Im Anschluss an die Mittagspause geht es gleich weiter mit den Proben von Griechenland. Traditionell wird der griechische Vertreter von einem Kameratross der heimischen Klatsch-und-Tratsch-Fernsehsender umringt. Jedem wird das Mikro unter die Nase gehalten, um die Meinung zu den Siegchancen des heimischen Beitrags zu erfragen. Negativ sollte man sich allerdings nicht äußern – man läuft sonst Gefahr zur nationalen Haßfigur aufgebaut zu werden.

  4. Verfolgen Sie ein neues wissenschaftliches Projekt? Ihre Doktorarbeit ist ja immerhin schon vier Jahre alt.

  5. An erster Stelle möchte ich, mit Verlaub, diese originelle Chat-Idee der FR loben. Die Bezeichnung „langsamer Chat“ — musikalisch: lento — ist aber etwas ungewöhnlich; warum nicht „allegro, ma non troppo“? 😉

    Stefan Raabs „TV total“ soll für eine Woche nach Oslo ziehen, auch ene gute Idee. Wie kommt das an? Machen auch andere so etwas?

    Betr. #4, comment-26370, Lutz Büge am 17.05.2010 11:10 — Sie, Herr Büge, meinen, es ist Zeit, seinen Dr.habil zu machen? 😉

  6. @ #4: Der Eurovision Song Contest ist als Thema wissenschaftlicher Forschung gerade erst entdeckt worden. Zwar wurden in der Vergangenheit immer wieder einzelne Teilaspekte der Veranstaltung untersucht (am ausführlichsten sicherlich die Wertung, da sie eine Fülle statistischer Auswertungen gestattet), doch bis zu „Kampf der Kulturen“ wurde niemals der Versuch einer wissenschaftlichen Gesamtdarstellung des Phänomens Eurovision Song Contest unternommen.
    Meine Doktorarbeit ist als Basis für weiterführende Forschungen konzipiert, die ich im Rahmen meiner zeitlichen und finanziellen Kapazitäten auch kontinuierlich fortführe. Nach einer ersten internationalen Tagung zum Thema im griechischen Volos 2008 wird an der Universität Oslo das erste Symposium des Eurovision Research Networks (ERN) stattfinden, wo meine internationalen Kollegen und ich die Schwerpunkte unserer künftigen Forschungsarbeit diskutieren werden.
    An der Hochschule für Musik und Theater Hannover wird in Sachen ESC weiterhin fleißig geforscht. Erst letztes Jahr konnten wir nachweisen, dass das Phänomen der „Nachbarschaftswertung“ keineswegs auf den osteuropäischen Raum beschränkt und auch nicht auf obskure politische Gründe zurückzuführen ist. Für die Habilitation gibt es also noch reichlich thematischen Spielraum. Allerdings konzentriere ich mich gegenwärtig auf den neuen Popmusikwettbewerb der HMTH, in dem Studenten aus den Bereichen Medienmanagement, JazzRockPop, PR und Multimedia lernen, wie man Musikwettbewerbe organisiert. Ein spannendes Projekt, das mittlerweile ins dritte Jahr geht (www.hoeren2010.de).

  7. Ich bin ein ausgewiesener Trash-Fan und finde dieses Jahr Beiträge wie den niederländischen oder den slowenischen sehr süß. Siegen möchte ich sie allerdings nicht sehen. Ansonsten bietet der ESC für jeden etwas: fetzige Popsongs, todtraurige Balladen, Ethnopop. Wie bewerten Sie diesen ESC-Jahrgang? Haben Sie einen Favoriten? Hat Lena Ihrer Meinung nach Chancen?

  8. Ich würde gerade die beiden Beiträge aus Slowenien und den Niederlanden nicht als Trash bezeichnen. Das niederländische Publikum hat nun einmal eine Vorliebe für den Schlager traditioneller Machart, Gruppen wie die George Baker Selection oder BZN haben diese Musik ja auch in englischer Sprache zu internationalem Erfolg gebracht. Und es war von vornherein abzusehen, dass ein Oberkrainer-Song in der slowenischen Vorentscheidung die Herzen der heimischen Zuschauer im Sturm erobern würde, da diese Musikrichtung auch beim jungen Publikum große Beliebtheit genießt. Europäische Mehrheiten dürften sich für diese typisch nationalen Phänomene jedoch wohl nicht finden lassen.
    Die Qualität des ESC-Jahrgangs 2010 ist recht gut, die Vielzahl balladesker Stücke lässt allerdings beim erstmaligen Hören eine gewisse Langeweile aufkommen. In diesem eher getragenen Feld sind wir mit unserer flotten Popnummer sehr gut aufgestellt. Allerdings dürfen wir nicht ausblenden, dass das Probenmarathon viel Kraft kostet und es enorme Anstrengung kostet, die Leistungskurve bis zum Samstagabend auf hohem Niveau zu halten. Außerdem steht noch nicht fest, welche Songs unmittelbar vor und nach uns starten, was ebenfalls Einfluss auf die Zuschauerentscheidung haben kann. Viele Unwägbarkeiten, aber das ist ja das Spannende am ESC.

  9. Herr Wolther, der Titel Ihrer Doktorarbeit lautet „Kampf der Kulturen“. Samuel Huntington lässt grüßen, oder?

  10. Guten Tag,

    ich habe dieses Jahr, beim Hören der Songs, die starke Vermutung, daß man auf bereits bekannte Hitgrößen zurückgreift (Rihanna, Kate Nash, Lilly Allen, Shania Twain, Timberland usw.).
    Damit geht man wohl auf „Nummer Sicher“ und versucht junge Leute zum ESC zurück zu holen.
    Vor ein paar Jahren noch hätte man Songs disqualifiziert, weil abgekupfert. Ist man da heutzutage großzügiger?
    Was ich (und viele meiner Freunde) schade finde ist, daß nicht mehr live Musik gemacht wird. Hatte das nicht in früheren Jahren großen Einfluß auf den Siegertitel?

  11. @ #9: Ich muss zugeben, dass ich den Titel meiner Doktorarbeit bewusst an Huntigton angelehnt habe. In der öffentlichen Diskussion wurden seine Theorien allerdings in unzulässiger Weise auf die Konfrontation zwischen orientalischer und abendländischer Kultur reduziert. In unserer globalisierten Welt vergessen wir allzu leicht, welche Vielfalt von Kulturen direkt vor unserer eigenen Haustür liegt. Seit 50 Jahren bietet der Eurovision Song Contest dieser Vielfalt von Kulturen die Möglichkeit, friedlich miteinander zu konkurrieren.
    Ist er aber deswegen schon ein ‚Kampf der Kulturen‘? Ich denke ja. Denn es geht dabei vor allem um Ansehen: das Ansehen der teilnehmenden Künstler, das Ansehen des Gastgeberlandes, das Ansehen der nationalen Fernsehanstalten. Das (Pseudo-)Medienereignis ESC hat im Laufe seines Bestehens ein identifikatorisches Potenzial entwickelt, das ihm eine herausragende Bedeutung für die national-kulturelle Repräsentation vieler beteiligter Länder einräumt – und damit unmittelbar an nationalen und kulturellen Identitäten
    rührt.

    @ Herr Dicken: Der Rückgriff auf bekannte Hitgrößen ist kein neues Phänomen und stellt die Grundlage für die Entstehung lokaler Musikrichtungen dar. Die Verarbeitung der internationalen musikalischen Einflüsse vollzieht sich dabei nach den Erkenntnissen des amerikanischen Anthropologen Edward Larkey in vier Schritten: Konsum, Imitation der importierten Musik durch lokale
    Künstler, De-Anglifizierung und schließlich Re-Ethnifizierung. In dem letzten
    Schritt verschmilzt das internationale Repertoire mit lokalen Traditionen, wodurch
    neue Genres mit unterschiedlichsten Inspirationsquellen entstehen.
    Der ESC ist – sehr zur Überraschung seiner Kritiker – ein Programm mit vergleichsweise jugendlichem Publikum. Das Durchschnittsalter der Zuschauer liegt bei Anfang 30 (im Vergleich dazu das Durchschnittsalter der ARD-Zuschauer: 59).
    Wegen Abkupferns wurde übrigens noch niemand disqualifiziert. Alleiniges Kriterium für eine Disqualifikation ist die Vorveröffentlichung, da Plagiatsvorwürfe meist nicht bis zum eigentlichen Wettbewerb eindeutig geklärt werden können.
    Mit der Livemusik gebe ich Ihnen recht, ein Orchester sorgt meist für volleren Klang (beim Festival von San Remo kommt es noch heute zum Einsatz) und für exotische Instrumente und Sounds musste man auch vorher auf Backing-Tapes ausweichen. Die Kosten waren für die Abschaffung ausschlaggebend. Nach Auskunft der Verantwortlichen stellte das Orchester in früheren Jahren einen sechsstelligen Kostenfaktor dar. Allerdings wurden in der Vergangenheit viele hervorragende Songs durch das Orchester massakriert, weil Musiker Einsätze verpassten oder einfach nur schlecht waren.

  12. Ich dachte mir schon, dass Sie den Titel nicht ohne Anspielung gedacht haben. Bleiben wir mal bei Huntington. Er schreibt in seinem umstrittenen Buch, dessen Titel allerdings unzureichend übersetzt ist, über kulturelle Konflikte und ihre Bedeutung für die Identitätsstiftung: „Für Menschen, die ihre Identität suchen und ihre Ethnizität neu erfinden, sind Feinde unabdingbar, und die potenziell gefährlichsten Feindschaften begegnen uns an den Bruchlinien zwischen den großen Kulturen der Welt (…) Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.“ Sie sagen, dass man das auf den ESC übertragen kann. Erfahren wir Deutschen so, wer wir nicht sind? Wir sind z.B. keine Russen, deren Siegfixiertheit etwas Verbissenes hat. Wir Deutschen sind ja nicht siegfixiert. Und Österreicher wollen wir erst recht nicht sein, denn die geben uns bösartigerweise so gut wie nie Punkte.

  13. @ Lutz Büge,

    ich glaube nicht, daß internationale Spiele dieser Art deswegen bestehen, sozusagen nachgefragt werden, weil sie den Menschen Möglichkeiten geben, sich von anderen abzugrenzen. Sondern ich denke eher (wie ich das im Blogtalk-Vorbereitungsthread schon angedeutet habe), daß die Abgrenzung sowieso schon da ist, auch ohne diese Spiele, und durch sie weder verringert noch verstärkt wird. Spiele dieser Art sind ehedem als ritualisiertes Ausleben von Aggressionen zwischen getrennten Gruppen entstanden, als unblutige Konfliktbewältigung. Dabei kann es sich um konkrete Auseinandersetzungen handeln, wie etwa bei Eskimos, wo in solchen Fällen die Gegner einander zu Gesangsduellen herausfordern, bei denen abwechselnd Spottverse gesungen werden, wobei am Ende das Publikum entscheidet, wer gewonnen hat. Es kann sich aber auch um das ständig latente aggressive Spannungsverhältnis zwischen „uns“ und „den anderen“ handeln, welches auch anlaßfrei vorhanden ist, das durch solche Spiele abgebaut wird. Ob das für den ESC als fernen Urenkel einstiger Aggressionsabbaurituale letztendlich ganz konkret noch der Fall ist, daß mehr Antagonismus abgebaut wird als aufgebaut, müsste man mal prüfen… es naturwissenschaftlich einwandfrei zu untersuchen dürfte allerdings recht schwierig und teuer sein. Käme man zu entsprechenden Ergebnissen, die ich vermute, dann wäre es naheliegend, künftig einen Teil des Verteidigungshaushaltes für die Finanzierung solcher internationalen Spiele auszugeben.

    Die große andere Produktion der EBU, die leider inzwischen eingestellt ist, hat ja stammesgeschichtlich die gleichen Wurzeln, obwohl sie auf dem gegenseitigen Messen nicht der Gesangskünste, sondern der Geschicklichkeit basierte: Spiel ohne Grenzen.

  14. Zitat aus dem anderen Thread:

    „So langsam interessiert es mich schon, wo das politische im ESC ist, denn der Versuch, allen zu gefallen, dazu eine minimierte kulturelle Identität und noch dazu eine Aussage zu transportieren und sich dann als “Sieger” zu feiern hat schon was Verqueres.“

  15. @Lutz Büge #12

    Huntington: (…) Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.“

    Ein ausgesprochen ärmliches Konzept von Identität.

  16. [Krampf der Kulturen] Huntingtons Titel war „Clash of…“, dabei ist „clash“ als Zusammentreffen oder Aufeinanderprallen zu verstehen. Gut, daß hier Klärendes und Verständigung-Stiftendes beigetragen wurde. Irgendwie denke ich auch an Titel wie „… Meistersänger …“ oder „… Sängerkrieg …“ — da ließe sich m.E. eine nützliche Brücke zum ESC bauen.

    Betr. #11, comment-26380, Dr. Irving Wolther am 17.05.2010 18:18
    „‚Kampf der Kulturen‘? Ich denke ja.“ — Die Ausführung zu Ihrem Titel finde ich richtig, Sie stellen die ESC als einen Wettbewerb dar, so muß das auch sein und dazu paßt auch der olympische Spruch „Dabei sein ist alles“.

    Betr. #12, comment-26385, Lutz Büge am 17.05.2010 20:20
    „Titel allerdings unzureichend übersetzt“ — Die Anmerkung ist m.E. auch wegen seiner Seltenheit (wenige sagen oder wissen es) grüßenswert, denn eine Falschübersetzung hat nicht selten Konflikte ausgelöst.

  17. Zum ESC kann man auch mal eine neue Übersetzung von „Clash of Civilizations“ bringen, es gibt ja bisher einfach auch zu wenige…

    to clash: [in der Musik] nicht harmonieren

    „Musikalische Disharmonie der Kulturen“, hmmm… bei aller Kritik am ESC, soweit würde ich nicht gehen. 😉

  18. Guten Morgen aus Oslo!

    Wie schön, dass die Diskussion jetzt richtig in Gang kommt.

    Nun, auch wenn ich mich mit dem Titel meiner Arbeit an Huntington angelehnt habe und mit vielen seiner Thesen gerade im Hinblick auf die Distinktivitätstheorie teile, würde ich „das Andere“ nicht unbedingt als feindlich definieren. Leider besteht die Tendenz dazu, der selbst konstruierten Identität eine Überlegenheit über anderen Identitäten hinzuzudichten.

    Übertragen auf den Eurovision Song Contest erleben wir Jahr für Jahr, wie die Bemühungen einzelner Nationen um national-kulturelle Selbstdarstellung ins Lächerliche gezogen werden. Wenn dann die Angehörigen einander nahestehender Kulturkreise den Beiträgen Punkte geben, die wir als minderwertig definieren (Stichwort: russischer Nuttenpop), werden gleich wieder Stereoptype aus dem Kalten Krieg bemüht und eine osteuropäische Punkteverschwörung gewittert. Dahinter steckt, dass wir diesen Ländern eine unbeeinflusste individuelle Geschmacksfindung absprechen, weil wir ihnen vorwerfen, schlechte Demokraten zu sein. Erstaunlicherweise sogar den Griechen, denen wir die Demokratie erst zu verdanken haben. Aber das steht auf einem anderen Blatt…

    @ Paul Ney: Das mit der falschen Übersetzung stimmt sicherlich, allerdings ist es nicht nur eine Frage des Denotats, sondern auch des Konnotats, wie ein solches Schlagwort interpretiert wird. Selbst ein so harmloser Wettbewerb wie der ESC besitzt das Potenzial für handgreifliche Auseinandersetzungen, wenn die unterschiedlichen Kulturen „clashen“. So geschehen 2007, als Schweizer Fans türkische Journalisten angriffen, weil sich die Schweiz nicht für das Finale qualifiziert hatte, die Türkei aber schon. Die Fußball-WM-Qualifikation mit umgekehrten Vorzeichen, sozusagen.

  19. Den „russischen Nuttenpop“ lieferte zuletzt eher die Ukraine, aber das ist ja eh dasselbe – für uns. Gleichzeitig kann Deutschland eine Dita von Teese auf die Bühne schicken …Und wenn wir dann sehen, dass Svetlana Loboda den 12. Platz macht und unser schöner Oscar trotz Dita nur den 20., wir also sehen müssen, dass „die Russen“ den „Nuttenpop“ einfach besser können, dann konstruieren wir eben eine Ostverschwörung.

    Sind wir Deutschen also gegen den Osten? Sind wir gar nicht so lieb, wie wir gern wahrgenommen werden wollen? Denn eigentlich wollen wir ja liebgehabt werden, nicht wahr? Das ist wohl auch der Grund dafür, dass wir über Jahre hinweg eher schwache Beiträge zum Contest geschickt haben: Wir wollten den anderen den Vortritt lassen. Natürlich nur, und da sind wir bei der national-kulturellen Identität, um hintenrum über sie zu schimpfen.

  20. Hallo und guten Morgen Herr Wolther,

    apropos „osteuropäische Punkteverschwörung“. In der Boulevardpresse war in den vergangenen Jahren von der osteuropäischen „Punkte-Mafia“ die Rede, angeblich würden sich die
    östlichen Länder gegenseitig die Punkte zuschieben, so wurde geklagt.
    Der Westen hätte keine Chance mehr. Ist an solchen Verschwörungstheorien
    was dran? Sie, Herr Wolther, haben in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass manche benachbarten Länder sich
    keineswegs nur aus politisch-historischen Gründen Punkte geben, sondern
    weil es in Europa „Geschmacksinseln“ gibt. Nennen Sie uns doch bitte ein paar Beispiele für solche „Geschmacksinseln“…

  21. Nun, ich will mir nicht anmaßen ein Psychogramm der Deutschen zu zeichnen. Sicher ist allerdings, dass wir über viele Jahre ein gebrochenes Verhältnis zu Patriotismus und Nationalstolz hatten – was sich bei einem Wettbewerb wie dem ESC, der in weiten Teilen auf diesen Elementen basiert, entsprechend problematisch gestaltete. Die Wahl des Vertreters beim Eurovision Song Contest zu einer „nationalen Aufgabe“ zu machen, wäre in Deutschland bis vor wenigen Jahren ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Über Jahrzehnte waren die beteiligten Akteure mit der Konstruktion eines Deutschlandbildes beschäftigt, das im günstigsten Fall keine Antipathien erzeugen sollte. Der Bann scheint in diesem Jahr erstmals gebrochen – Lena Meyer-Landrut stellt Deutschland nicht dar, sondern vor.

    @ Herr Kotte: Dass die vermeintliche Osteuropa-Verschwörung eine der Nachwehen des Kalten Krieges ist, habe ich zuvor ja bereits angedeutet. Der „Westen“ unterstellt dem „Osten“ aufgrund seiner politischen Vergangenheit mangelndes Demokratiebewusstsein. Punkte würden aufgrund obskurer politischer Seilschaften hin- und hergereicht – und der „Westen“ habe dabei das Nachsehen. Dass diese Verschwörungstheorien auch innerhalb der Fernsehanstalten auf fruchtbaren Boden fallen, zeigt sich in der Wiedereinführung der Jurys, die man erst 2004 endgültig abgeschafft hatte. Sie sollen das „undemokratische“ Abstimmungsverhalten der Zuschauer relativieren. Dass die Jurys seit Beginn des Wettbewerbs 1956 wegen Bestechungs- und Schiebungsvorwürfen im Kreuzfeuer der Kritik standen, wird dabei geflissentlich verschwiegen.

    Dabei lässt sich relativ leicht nachweisen, dass die Wertung weniger von politischen als von geographischen und kulturellen Aspekten bestimmt wird. Ein einfaches Beispiel: Stellen wir uns vor, dass Estland und Frankreich das gleiche Lied im Rennen hätten, vorgetragen von dem selben Interpreten in der gleichen Qualität. Unsere Aufmerksamkeit wäre deutlich stärker auf den Beitrag Frankreichs gerichtet. Sollte uns dieses Lied dann auch noch gefallen, bekäme Frankreich automatisch mehr Anrufe als Estland. Ähnlich funktioniert es mit der so genannten Nachbarschaftswertung. Selbstverständlich achtet ein serbischer Zuschauer stärker auf den Song aus Kroatien – zumal die Chancen gut stehen, dass der kroatische Sänger auch in Serbien ein Star ist. Solche Popkulturellen Schnittmengen haben wir in Westeuropa nicht. Wer kennt hierzulande schon die aktuellen Stars aus den Niederlanden? Oder aus Dänemark? Selbst die französischen Künstler sind eher etwas für Eingeweihte.

    Eine aktuelle Studie, die ich mit Dominique Mayr, Student an der Hochschule für Musik und Theater Hannover durchgeführt habe, zeigt deutlich, dass sich hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens Geschmacksinseln in Europa identifizieren lassen. Das betrifft den ex-jugoslawischen Raum (ohne Slowenien) ebenso wie die baltischen Staaten, die skandinavischen Staaten, aber auch die iberische Halbinsel und die britischen Inseln. Gerade Deutschland zeigt mit der Schweiz und Österreich auffällige Ähnlichkeiten bei der Abstimmung – wir stimmen vielleicht nicht füreinander, aber wir bevorzugen bzw. meiden bei der Wertung die gleichen Länder.

    Ein besonderes Problem stellt das so genannte „Diaspora-Voting“ dar: Migrantengruppen beeinflussen das Abstimmungsverhalten in einzelnen Ländern signifikant (die immer wieder monierten 12 Punkte für die Türkei aus Deutschland zum Beispiel). Dass Migranten allerdings aus nationalistischem Reflex automatisch für ihr Ursprungsland anrufen, egal wie schlecht Beitrag und Performance auch sein mögen, ist pure Unterstellung. Wer in einem bestimmten Kulturkreis groß geworden ist, wird die Musik aus diesem Kulturkreis sicherlich positiver bewerten als ein Außenstehender. Und wenn der Song wirklich grottig ist, wird man sich dafür schämen und nicht dafür anrufen. Die Türkei erhielt für einen schwachen Song 2002 auch schon 0 Punkte aus Deutschland.

  22. Steigen wir mal in die Details ein und fassen uns an die eigene Nasenspitze. Wir, Kotte und Büge, haben ja brav unsere Vaterlandspflicht getan und bei der Lösung der „nationalen Aufgabe“ geholfen, zu der Stefan Raab und der NDR den Vorentscheid für Oslo erklärt hatten. Die Deutschen insgesamt waren viel weniger patriotisch als wir, die Einschaltquoten von „Unser Star für Oslo“ blieben hinter den Erwartungen zurück. Warum mögen sich die Deutschen für den ESC nicht gern „nationalisieren“ lassen, anders als im Fußball oder im Griechenland-Bashing?

  23. Nun, es ist ja nicht damit getan, die x-te Castingshow aus dem Boden zu stampfen und zu behaupten, das Ganze habe nun eine nationale Dimension. Die Quotenhektik der Fernsehverantwortlichen hat schon so mancher guten Sendung den Hals gebrochen, die nicht die Möglichkeit erhielt, sich über einen längeren Zeitraum zu etablieren.

    Der Eurovision Song Contest ist ein Format, das sich seit 1956 entwickeln konnte und über die Jahre Teil des nationalen Kollektivbewusstseins geworden ist. Dennoch ist es in Deutschland nicht gelungen, die nationale Vorentscheidung zu einem Großereignis wie dem schwedischen Melodifestival aufzubauen. Der ESC war aber gerade in den Jahren im Gespräch, in denen eine gewisse Kontinuität bei der nationalen Vorauswahl zu spüren war: zwischen 1979 und 1985 unter der Federführung des Bayerischen Rundfunks (der ab 1986 das Konzept änderte). Die Bemühungen des NDR trugen nach zwei Jahren Orientierungsphase 1998 erste Früchte mit Guildo Horn (der als Galionsfigur der Spaßgesellschaft ein idealer Botschafter des deutschen Zeitgeists war), um dann wegen der Konkurrenz Stefan Raabs mit dem Bundesvision Song Contest einen schmerzhaften Quotentod zu sterben. „Unser Star für…“ braucht vielleicht einfach ein bisschen Anlaufzeit, um sich als nationale Aufgabe auch langfristig quotentechnisch durchzusetzen.

  24. Die deutsche eher unterdurchschnittliche Siegfixierung beim internationalem Kräftemessen dieser Art könnte eine deutsche Bewältigungsstrategie für 1945 sein. Sieg über andere erscheint eher peinlich, vielleicht sogar zu verachten, denn erstens wäre ein Sieg damals ja sowieso eine Niederlage gewesen, bzw. die Niederlage war der eigentliche Sieg, und zweitens kann man, voll der Siegesverachtung, nicht wieder so enttäuscht werden, wenn er ausbleibt. Erringt man ihn eher zufällig dennoch, kann man sich ja trotzdem freuen, ein kleines bischen jedenfalls, bloß nicht übertreiben!

    Ansonsten ist Kräftemessen ja allgemein etwas für die Jungen, die mit Biss, die noch was erreichen wollen. Die Deutschen hingegen mutieren von der Mentalität her wohl mehr und mehr zum Alten, der in Ruhe und Frieden seine Tage ausleben will, dessen Hauptsorge die Konservierung seines Wohlstands ist. Alte dieser Art stehen schmunzelnd daneben, wenn die jungen Hitzköpfigen ihre Kräfte messen… mitmachen? Na gut, wenn man genötigt wird, man will ja kein Spaßverderber sein. Mit dem Herzen ist man nicht dabei, going through the motions. Auch bei Spiel ohne Grenzen, der anderen großen EBU-Produktion, war Deutschland einer der Ersten, der mangels Interesse ausstieg.

    Am Rande: Das schlimmste Griechenland-Bashing, daß ich je hörte, kam von konservativer Seite in den USA… einen nationalen Hintergrund konnte ich nicht entdecken. Es geht also auch ohne. Hier war Auslöser eher eine Art Kapitalismus vs. Sozialismus-Denken.

  25. „Unser Star für Oslo“ war eine Casting-Show. Gibt es dieses Konzept auch in anderen Ländern?

    USFO folgte einer für den ESC-Vorentscheid ungewohnten Strategie: Erst musste eine Künstlerin ihre Fähigkeiten beweisen, dann wurde das Lied ausgewählt, mit dem sie in Oslo antreten soll. Bisher wurden dem Publikum bei den deutschen Vorentscheiden immer fertige „Produkte“ vorgelegt. Es ist also nix mit der Kontinuität des Vorentscheids, die Sie in Ihrer Doktorarbeit fordern und die Sie für die Jahre 1979-85 beobachtet haben. Die Veranstalter versuchten es immer wieder mit neuen Konzepten. 2009 verzichtete man sogar ganz auf den Vorentscheid und setzte der uninteressierten Öffentlichkeit einfach ein fertiges Menü vor. Wie kommentieren Sie dieses Herumlaborieren – auch vor dem Hintergrund der deutschen „Erfolge“ der letzten Jahre?

  26. Oh Gott, „unsere Lena“ wurde heute von der Bild-Zeitung schon wieder zur sicheren Siegerin ausgerufen. Weil sie in einer Google-Liste vorne liegt. Was ist eigentlich von solchen Voraussagen zu halten?
    Fragt sich: Kotte

  27. Ich lese dieses Blog nur hin und wieder, weil hier zu viel geschwallt wird, finde ich. Aber jetzt muss ich mal was sagen, hier wird ja auch wieder viel Unsinn verbreitet, wenn ich mir das durchlese. Z.B. Kommentar Nr. 10, von wegen Abkupfern. Stimmt doch nicht. Das manches klingt wie schon mal gehört bestreite ich ja nicht, das gilt dieses jahr besonders für den norwegischen Song, der ist ganz einfach ein Armutszeugnis. Aber dann gibt es so viel anderes. Nehmt mal das hier, bulgarischer Beitrag 2007, ganz starke Nummer und wenn ich ehrlich bin mein alltime-favourite der letzten zehn Jahre. fünfter platz beim esc 2007

    http://www.youtube.com/watch?v=Lf9y5LDlgdE

    oder das hier. ganz andere richtung, trotzdem toll, 2003 zweiter Platz

    http://www.youtube.com/watch?v=WSaj6W6rlNc&feature=related

    unvergessen auch österreich 2003, alf poier, 6. platz

    http://www.youtube.com/watch?v=G-Qj5FVK5Cg

    und solche unangepassten Sachen haben wir beim ESC 2010 auch wieder. aber auch angepasste Scheiße, z.b. aus Weißrussland, wo man merkt, dass das Stück auf den Markt hin geschrieben ist

  28. Ach Kotte, bleibt doch auf dem Boden. Ich glaube nicht, dass Lena große chancen hat. Vielleicht macht sie einen dritten Platz, das wäre ja schon was. Sie ist ja auch süß. Und in Deutschland ist alles getan worden, damit die Einschaltquoten steigen, Lena war sogar in der blöden Maus-Sendung. Aber mein Favorit ist dieser hier

    http://www.youtube.com/watch?v=WBUHxPNQa1w

    read it from my lips

  29. Dem dänischen Song könnte schaden, daß er stellenweise ein wenig zu deutlich nach einem Police-Song klingt, der sich wegen völliger Übernudelung europaweit schon gründlich in allen Synapsen festgesetzt haben wird… und dann klingt es im Refrain auch noch sehr nach Abba… positiv fällt mir aber jedenfalls die angenehme Art und Weise des Vortrags auf, ohne Faxen, rumhampeln oder rumzappeln, der Song im Mittelpunkt.

  30. Hallo aus Oslo!

    Entschuldigung für die späte Rückmeldung. Es gabe heute Morgen eine Menge zu tun. Nicht so ungeduldig, Herr Büge… 🙂

    Zur Casting-Frage: Das Casting-Konzept wird schon seit einigen Jahren mit großem nationalen und sehr bescheidenem internationalem Erfolg gefahren. Im Vereinigten Königreich und den Niederlanden wurden die Teilnehmer dieses Jahres ebenfalls durch ein Casting ermittelt – hier stand die Komposition allerdings bereits im Vorfeld fest und stammte von namhaften Komponisten wie Pete Waterman bzw. Pierre Kartner (alias Vadder Abraham). Wenn das Soundmaterial allerdings nicht international konkurrenzfähig ist, nutzt der größte Hype nichts.

    Von Bild-Zeitungs-Prognosen sollte man sich in jedem Fall nicht irre machen lassen. Angesichts der Blockadepolitik, die Raab gegenüber der Bild fährt, muss die Redaktion nach jedem Strohhalm greifen, um die Berichterstattung über unsere „Volks-Lena“ am Laufen zu halten.

    Was die Orientierungsfindung des NDR in Sachen Vorentscheidung angeht, spielen hier natürlich Quotenerwägungen eine wichtige Rolle. Zudem gab es in den vergangenen Jahren einige Personalbewegungen bei den zuständigen Abteilungen, sodass keine so klare Linie gefahren werden konnte wie noch unter Dr. Jürgen Meier-Beer. Wenn Lena sich in Oslo wacker schlägt, dürften wir das Showkonzept von USFO wohl noch einige Jahre sehen.

    @ Herr Dehnerle: Ich teile Ihren Geschmack in Bezug auf die Perlen der vergangenen Jahre, mit Dänemark kann ich allerdings wenig anfangen. Der Komponist Thomas G:son ist ein schwedischer Söldner, der in Ralph-Siegel-Manier schon eine Reihe von Ländern mit seinen Kompositionen beglückt hat. Mir ist das Ganze zu stromlinienförmig. Abgesehen davon würde ich keine Vergleiche zu ABBA ziehen, eher zu dem schwedischen Mainstream-Schlager, der sicher in großen Teilen von ABBA inspiriert ist, die musikalische Qualität der Gruppe jedoch niemals erreichen konnte.

  31. Warum hat es so lange gedauert, bis der NDR sich zu einer Kooperation mit den Privaten durchgerungen hat? Der Vorschlag lag seit zehn Jahren auf dem Tisch.

    Die Kehrseite der Medaille: Stefan Raab ist jetzt der große Strippenzieher im deutschen ESC-Hintergrund. Aber darf man sich so von einer Person abhängig machen?

  32. Lieber Dr. Irving Wolther,

    hört sich diese ganze Diskussion nicht an, wie etwas, das schon mal da gewesen ist. Der ESC ist vielleicht nur abgekupfert worden von
    dem Sängerkrieg der Heidehasen des deutschen Autors und Dichters James Krüss (1926-1997)

    Inhalt

    „Bei den Heidehasen soll, wie jedes Jahr, der beste Sänger im Rahmen eines Wettstreits gekürt werden. Doch dieses Mal winkt ein besonderer Preis: Die Prinzessin, Tochter von König Lamprecht dem Siebenten, gebührt dem Sieger zur Frau. Ein aussichtsreicher Kandidat ist der junge Hase Lodengrün. Aber Direktor Wackelohr und der Minister für Hasengesang versuchen, dessen Sieg mit allen Mitteln zu verhindern. Sie verstellen die Sonnenuhr von Lodengrün, damit dieser aufgrund seiner Verspätung vom Wettbewerb ausgeschlossen wird. Otto Lampe, der Neffe der Nachbarin, hört das Verschwörungsgespräch mit und informiert Lodengrün. Dieser schafft es gerade noch rechtzeitig zum Sängerkrieg und siegt mit seinem Lied über das Komplott. Wackelohr und der Minister fliehen außer Landes.“
    Könnten Sie nicht darüber grenzenlos, sozusagen mit bash, clash, mash, trash fashonable weiter forschen?

    Es grüßt der Hase aus der Heide!

  33. @ Heidehase

    Ich hatte in meiner Einleitung darum gebeten, hier bitte nur unter Klarnamen zu posten, allein schon aus Gründen der Höflichkeit Dr. Wolther gegenüber. Sie sind mir zwar bekannt, aber möchten Sie nicht bitte doch unter Ihrem richtigen Namen hier einbringen?

    Außerdem: Satirische Beiträge sind zwar nett, aber wir wollen uns doch etwas ernsthafter mit dem Thema befassen.

  34. Die Bild-Zeitungs-Prognose war gar keine, sondern eine weitergereichte Google-Prognose. Die fand ich deswegen interessant, weil sie die einzelnen Beiträge gar nicht analysiert, denn der Google-Roboter, der sie erstellt, hat ja gar keine Ohren. Stattdessen nimmt man das Google-Suchverhalten anderer als Indikator… was natürlich zweifelhaft ist… allein schon deswegen, weil gerade Lachnummern, die keiner wählen würde, hohe Suchergebnisse erzielen können… von unterschiedlichen Anbindungen ans Internet in den verschiedenen Ländern und damit einer mehr als zweifelhafte Repräsentativität mal ganz abgesehen.

    Die ansonsten üblichen Vorhersagen werden nicht von Menschen gemacht, die das diverse Musikverständnis Europas komplett mit sich im Gehirnkastl herumtragen, sondern nur das eigene sowie ANSICHTEN über das Musikempfinden anderer. Ansichten, die auch nur, wenn überhaupt, Ausschnitte der Realität sind, Ansichten, die auch falsch sein können. Das bedeutet nicht, daß man so nicht auch Glückstreffer landen kann. Auch jemand, der nicht das geringste übers Wetter weiß, kann das morgige vorhersagen und dabei mal richtig liegen.

    Nicht zuletzt ist die Unvorhersagbarkeit und das Staunen über das Ergebnis ja der eigentliche Reiz des Events.

    Nachdem ich die prinzipielle Möglichkeit der Vorhersage derart demontiert habe, muß ich jetzt natürlich den Beitrag bringen, der meiner Meinung nach garantiert gewinnen wird:

    Portugal

    (wenn beim Vortrag nicht wieder einer der beiden Protagonisten, der Pianist, mitten im Song einfach davonläuft, wie beim Vorentscheid geschehen).

  35. P.S. Wer bestimmt eigentlich die Reihenfolge der Auftritte? Irgendwo las ich z.B. die Ansicht, daß der Beitrag Portugals, der eher still ist, nach dem Ruumms-Bumms-Song aus Griechenland womöglich untergehen würde. Das wäre natürlich schade. Wer bestimmt hier und nach welchen Kriterien, daß keiner durch abträgliche Stimmungen, die der Vorgängersong vielleicht verursacht, benachteiligt wird?

  36. @ Max

    Vielleicht darf ich die Frage nach der Reihenfolge anstelle von Dr. Wolther beantworten? Damit wir mit den Fragen weiterkommen … 😉

    Die Reihenfolge wird ausgelost. Die Reihenfolge im Finale kann daher erst nach den Semifinals festgelegt werden. Auf sowas wie „abträgliche Stimmungen, die der Vorgängersong vielleicht verursacht“, wird dabei keine Rücksicht genommen. Mit diesem Problem muss jeder Teilnehmer allein fertigwerden. Portugal dürfte es mit dem Start nach Griechenland aber leichter haben, sich positiv abzuheben, als Griechenland, das nach einer fetzigen Tanznummer aus Albanien startet. Ob Portugal sich aber im Halbfinale überhaupt durchsetzt, bezweifle ich. Es gibt in diesem ESC-Jahrgang viele solcher langsamen, traurigen Nummern.

    Fürs Finale gesetzt sind bisher nur die „Big4“ und das Siegerland Norwegen. Diese fünf müssen nicht durch die Semifinals.

  37. Danke Herr Büge für die Erläuterung der Auslosung. Zur Illustration: Patricia Kaas wurde im vergangenen Jahr Opfer des Lospechs, als ihre favorisierte Ballade am Ende einer endlos scheinenden Reihe langsamer Beiträge nur noch blassen Glanz verströmen konnte.

    Bezüglich der Möglichkeit von Vorhersagen teile ich die Meinung von Herrn Wedell: Die Einflussfaktoren alleine auf die Performance sind schier unüberschaubar. Ganz zu schweigen von den Einflussfaktoren auf die Wahrnehmungsbereitschaft der Zuschauer und Juroren. Das macht letztlich den Reiz der Veranstaltung aus. Problematisch wird nur, wenn versucht wird, das Unvorhersehbare durch Verschwörungstheorien zu erklären.

    Bezüglich der Kooperation mit den Privaten: Ich denke das ist ein öffentlich-rechtliches Problem, denn viele Argumentationsketten in Bezug auf die Gebührenfinanzierung basieren ja auf der Polarität zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Fernsehen. Eine allzu enge Kooperation könnte diesem Gegensatz (und damit der Gebührenfinanzierung) langfristig die Grundlage entziehen. Sich von Stefan Raab abhängig zu machen halte ich für ebenso problematisch wie das Ralph-Siegel-Monopol der 1980er Jahre.

  38. Danke, Herr Wolther. Gleich die nächste Frage:

    Die Deutschen sehen den ESC vielfach immer noch als „Schlager Grand Prix“, obwohl dort, von Ausnahmen abgesehen (letzter deutscher „Schlager“-Beitrag war der von Michelle, beim aktuellen ESC spielt der holländische Beitrag in dieser Liga), schon lange keine Schlager mehr dargeboten werden. Eher bietet der ESC einen Querschnitt durch die europäische Popmusik in ihren jeweiligen kulturellen Kontexten. Warum sitzt das Etikett „Schlager Grand Prix“ so fest?

  39. Nun, in Deutschland bevorzugte man in den frühen Jahren des Wettbewerbs die französische Bezeichnung Grand Prix Eurovision de la Chanson, weil „Chanson“ Anspruch implizierte, mit dem man sich gerne schmücken wurde. Nur war die deutschsprachige Unterhaltungsmusik in dieser Zeit eben gleichbedeutend mit Schlager. Der Schlagerbegriff hat sich allerdings in den Jahren sehr gewandelt – zunächst ein allgemeiner Begriff für kommerzielle Musik, dann gleichbedeutend mit deutschsprachiger Unterhaltungsmusik und schließlich Synonym für billig produzierte Musik mit schlechten Texten. Und der Song Contest ist dadurch ins gleiche Fahrwasser geraten.

  40. Und das unausrottbar, wie es scheint. Selbst Max Wedell, der hier mitspricht, brachte diesen Begriff in unserer Vordiskussion nochmals.

    Der Contest wirkt in der öffentlichen Meinung nicht gerade als Ausdruck von Hochkultur. Was müsste getan werden, um sein Image zu verbessern? Maulkorb-Erlass für die Feuilletons, die über Jahre hinweg konstant lästern und den „Schlagerwettbewerb“ als trutschig und spießig verspotten?

  41. Danke für die Aufklärung.

    Sich von einem Produzenten abhängig zu machen ist natürlich wirklich problematisch, Raab konnte es aber vielleicht deshalb zum Strippenzieher bringen, weil er, verglichen mit anderen, mit Wadde hadde und Piep Piep Piep (für deutsche Verhältnisse) recht erfolgreich war.

    Mir stellt sich die Frage, wieso will jemand hier überhaupt Strippenzieher sein? Kann man denn mit Teinahme oder gar Gewinn Geld machen? DSDS z.B. ist doch wohl auch nicht dazu da, um am Ende mit Künstlern und deren Songs Geld zu verdienen, sondern um mit einer serienmäßig ausgestrahlten TV-Sendung Geld zu machen. Meine Fragen an Sie, Herr Wolther: Wurden denn durch den ESC schon nachhaltige Karrieren (national oder international) von Newcomern gestartet (jenseits von One Hit Wondern) bzw. wie oft ist das der Fall? Wie ist überhaupt das Verhältnis „Neulinge“ (z.B. Meyer-Landrut) vs. „Arrivierte“ (sie nannten Kaas) unter den Teilnehmern? Und nicht zuletzt… ich habe noch nie am Televoting teilgenommen, aber ich denke mal, das wird den Abstimmenden Geld kosten… fließt dieses Geld ausschließlich den Telekommunikationsunternehmen zu, oder kriegen die Veranstalter da auch was ab, oder gar die Künstler?

  42. Nein, Kritik ist ja auch hilfreich, um das Selbstbild entsprechend zu korrigieren. Das Feuilleton sollte sich höchstens mal fragen, wie denn der Anspruch an die eigene Arbeit aussieht, wenn man immer die gleichen ausgelutschten Klischees bemüht, statt sich mit der Veranstaltung und ihren Hintergründen intelligent und kritisch auseinanderzusetzen.

    Solange Deutschland konsequent erfolglos bleibt, ist das Schlechtreden des Wettbewerbs doch ein nahe liegender Reflex. Das läuft auch in anderen Ländern so. Von daher sollten wir am 29. Mai fest die Daumen drücken – für Lena und die Zukunft des ESC in Deutschland.

  43. Da Sie gerade Lena ansprechen: Viele junge Leute springen auf das Lena-Phänomen an. Lena ist frech, gibt sich ungebändigt, wirkt authentisch, macht ihr eigenes Ding, sie singt sogar Englisch auf die Weise, die ihr gefällt und die eine Größe wie Marius Müller-Westernhagen zu dem lustigen Lob veranlasste: Sie spreche ausgezeichnet Englisch. Lena ist ein Phänomen für die jungen Leute, und an den jungen Leuten kommt heute kein Medium, das langfristig Bestand haben möchte, vorbei. Beobachten Sie eine Veränderung der Wahrnehmung des ESC, auch durch die Medien?

  44. @ Lutz,

    wenn ich mal eine Image-Verbesserungsmaßnahme nennen darf, die mir auffiel: Die EBU organisiert „Flashmobs“ in verschiedenen europäischen Großstädten, bei denen dann tüchtig mitgetanzt werden kann. Auch wenn natürlich ein eingefleischter Flashmobber (für den es trotz allem Spaß immer auch etwas irgendwie Subversives haben muß und daher nicht etwas von Konzernen o.ä. Veranstaltetes sein kann) die Nase rümpfen wird, wird schon klar, wen man damit ansprechen möchte, nämlich ein eher jüngeres, internetaffines Publikum (Organisation findet über Facebook statt), und was man bewirken will… nämlich das ESC als etwas durchaus Hippes darzustellen. Die ESC-Organisatoren gehören jedenfalls mit zu den Ersten, die solche Aktionen zum eignen Nutzen einsetzen wollen, vielleicht beeindruckt von der Reklame der Telekom in verschiedenen Ländern und ihrem Erfolg (Stichwort: Gesangshalle Bahnhof).

    Ich bin mir nicht sicher, ob mit „ausgezeichnetes Englisch“ der Meyer-Landrut nicht die Tatsache gemeint ist, daß sie einen ziemlichen Cockney-Unterschichten-Tonfall spricht. Der ist natürlich ein Stückweit sogar in England cool, aber könnte man eigentlich einem Engländer, der heftig berlinert, ein exzellentes Deutsch attestieren? Wäre sie jedenfalls BBC-Nachrichtensprecherin, würde es wohl reichlich Protestbriefe hageln. Ihr Gesangsstil mag für junge Leute auch irgendwie neu klingen, die kennen ja Roxy Music nicht mehr.

  45. P.S. Eine Ergänzung zu M-L. Ihr Cockney- bzw. „popular London“-Akzent ist ja schon eine Maßnahme durch sie selber, sich vom Schlager-Mief-Image abzusetzen. Dieser Akzent wird nämlich in der Musik recht deutlich mit Punk in Verbindung gesetzt (dort singt man in GB durchgängig in diesem Dialekt und beweist die für die Glaubwürdigkeit unbedingt notwendige Unterschichtenherkunft damit), und Punk hat nun mal einen hohen Coolness-Faktor bei Jugendlichen. Ob sie das bewußt macht, oder einfach nur ihre eigenen Vorbilder imitiert, sei mal dahingestellt.

  46. Oh Gott, Portugal? Die letzten zwei Beiträge waren ja ganz gut und haben sich auch gut platziert für portugiesische verhältnisse, aber der aktuelle … Ich schweige lieber.

    Frage an Herrn Wolther: Hab ich das richtig gelesen, wurde das Abstimmungsverfahren jetzt wieder geändert? Ich las, dass die Punktvergabe der Länder beim jetzigen ESC nur noch zu 50 % aus Televoting kommen soll. die anderen 50 % kommen von einer Jury. Was soll denn das?

  47. Guten Morgen,

    Zu Lenas vieldiskutiertem Englisch hat der Journalist Mark Espiner, der laut eigenen Angaben in London und Berlin lebt und u.a. für den „Guardian“ schreibt, bei „Spiegel Online“ übrigens polemisch folgendes angemerkt:

    Ganz im Gegensatz zu ihren eingefleischten Fans, die behaupten, ihr Akzent sei brillant, muss ich allerdings sagen: Lenas Englisch klingt wirklich, wirklich seltsam. Ihre Versuche, die von ihren Helden Adele und Amy Winehouse geliebte Straßensprache Londons zu übernehmen (die selbst wiederum ein Hybrid aus US-Slang, jamaikanischer Gangstersprache und dem Dialekt des East End ist), enden damit, dass sie sich anhört wie ein schwedischer Sprachtherapeut, der Ali G. imitiert.

    Lenas Akzent ist kein Mockney, also vorgetäuschter Londoner Arbeiterklassen-Cockney, den man zum Beispiel dem Blur-Sänger Damon Albarn vorgeworfen hat. Noch ist es das voll ausgeprägte „Jafakean“, das künstliche Jamaikanisch, das man oft als den bevorzugten Slang jener Schüler, die gern so klingen wollen, als kämen sie von der Straße, auf den Oberdecks der Londoner Busse hört.

    Lena bedient sich in ihrem Sprachmix bei beidem und fügt einen Schuss seltsamer Euromischung hinzu, vermutlich etwas von ihrem Hannoverdeutsch, und etwas, das sich anhört wie Skandinavisch. Das Skandinavische immerhin könnte ein ausgeklügelter Plan sein, um die Osloer Massen für sich zu gewinnen. (Ende des Zitats)

    Keine Ahnung, ob sich eine Längere Debatte über Lenas Englisch lohnt, aber lustige Bemerkungen über die eigenartigen Akzente und Betonungen der englisch singenden ESC-Teilnehmer gehören ja längst zur Folklore des Wettbewerbs, oder? Manche Sänger, egal ob aus Nord, Süd, Ost oder West, fordern den Spott ja wirklich heraus.

    Man sollte die Sache aber bloß nicht bierernst nehmen, zwischendurch ein bisschen kichern und ansonsten der phonetischen Vielfalt ihren Lauf lassen. New Yorker Taxifahrer kümmern sich auch nicht drum – Hauptsache man versteht sich.

    Ach ja, eine Frage an Herrn Wolther noch:

    Deutschland hat in den vergangenen Jahren nur sehr wenig Punkte bekommen. Dass ein deutscher Beitrag unter die ersten drei kam, liegt schon fast zehn Jahre zurück (Sürpriz mit einem deutsch-türkisch inspirierten Song). Warum hat Deutschland in Gesangeuropa eigentlich so wenig Freunde? Liegt es hauptsächlich an den Weltkriegen und daran, dass wir so ein ökonomisch dominanter Koloss sind?

    Gruss von: Kotte

  48. Guten Morgen aus Oslo,

    wieder eine interessante Wendung, die unsere Diskussion genommen hat. Fangen wir mal bei der Medienwahrnehmung an: Gewiss hat Lena in Deutschland eine intensivere Auseinandersetzung mit dem ESC und den übrigen Teilnehmern ausgelöst. Allerdings sehe ich nach den ersten Proben der 34 Semifinalteilnehmer noch immer keinen Vertreter der großen deutschen Medien vor Ort – das kann auf die horrenden Preise in Oslo zurückzuführen sein, dürfte aber wohl eher etwas mit der Fixierung auf unseren eigenen Beitrag zu tun haben. Eine wirkliche Veränderung der Medienwahrnehmung würde in meinen Augen beinhalten, die Berichterstattung auch umfangreich auf die anderen Teilnehmer auszudehnen. Die großen skandinavischen Tageszeitungen bringen jeden Tag mehrseitige Sonderbeilagen zum Eurovision Song Contest und auch die türkische Tageszeitung Hürriyet hat einen Vertreter vor Ort, der jeden Tag aktuell berichtet. Davon sind wir noch weit entfernt. Zudem macht die Schwalbe Lena noch lange keinen Image-Sommer für den ESC.

    Dass mit Flashmobs und einer intensiven Einbeziehung der Onlinemedien ein jüngeres Publikum angesprochen werden soll, ist vor allem auf die Inititative der EBU zurückzuführen, die kontinuierlich an ihrer Außendarstellung arbeitet. Die Rechnung geht auf – der ESC zählt in allen Teilnehmerländern zu den öffentlich-rechtlichen Sendungen mit dem jüngsten Altersdurchschnitt.

    Zu Lenas Englisch: Wir sollten uns nicht in Details verbeißen. Im Zweifelsfall verstehen weder Zuschauer noch Juroren, was da überhaupt gesungen wird. Untersuchungen zeigen, dass selbst Briten von muttersprachlichen Texten beim ersten Anhören maximal 20% verstehen.

  49. Moin, Herr Wolther,

    ich möchte ein wenig auf die Identitätsfrage zurückkommen, die Ihnen ja, so habe ich jedenfalls Ihre Doktorarbeit verstanden, ebenfalls wichtig ist.

    Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind, sagt Huntington. Beim diesjährigen ESC sind wir gegen Aserbeidschan, denn die englischen Wettbüros signalisieren, dass Safura Lenas größte Konkurrentin ist. Auch so ein freches Mädchen, sogar noch jünger als Lena. Und aus einem vorwiegend islamischen Land. Bietet dieses Duell Projektionsfläche für die kulturellen Spannungen zwischen dem „Westen“ und „dem“ Islam?

  50. Und nun zur Frage von Herrn Dehnerle: Die Wiedereinführung der Fachjury erfolgte letztes Jahr auf den Druck vieler westlicher Delegationen, die sich durch die Publikumswertung übervorteilt sahen. Ich stehe dem Ganzen recht kritisch gegenüber. Die Jury stand in früheren Zeiten immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik, vor allem im Hinblick auf Manipulations- und Bestechungsvorwürfe. Auch wenn damit argumentiert wird, dass die Fachjuroren aus der Musikbranche stammen und somit „objektive“ Kriterien an die Beiträge anlegen können, sind die Juryentscheidungen der Vorjahre nicht unbedingt besser nachvollziehbar als die Publikumsvoten. Eine ästhetisch fragwürdige Charlotte Perelli aus Schweden gegen den Publikumswunsch ins Finale zu hieven, spricht nicht für das Marktgespür der „Branchenexperten“.

    @ Herr Kotte: Stellt sich die Frage nach den Gründen für die schlechten Platzierungen wirklich?

    2000 Platz 5 mit Stefan Raab (für Wadde Hadde Dudde Da ein sehr, sehr ordentliches Ergebnis)
    2001 Platz 8 mit Michelle (für Wer Liebe lebt ein unerwartet guter Platz)
    2002 Platz 21 für Corinna May (für I can’t live without music – altbacken, geschrien, Kameraführung vermeidet Großaufnahmen der blinden Sängerin auf Wunsch des Teams)
    2003 Platz 11 für Lou (für Let’s get happy – noch altbackener, Botox-entstellte Sängerin ersingt uns unerwartet viele Punkte)
    2004 Platz 8 für Max (für Can’t wait until tonight – großer Hype in Deutschland aber unsichere Performance eines in Europa nicht mehrheitsfähigen Musikstils)
    2005 Platz 24 für Gracia (für Run and Hide, mit unterirdisch schlechter gesanglicher Leistung – warum sollen die Zuschauer dafür Telefongebühren ausgeben?)
    2006 Platz 14 für Texas Lightning (für No No Never – Kaktus, Country, typisch Deutsch? Der ESC ist ein Wettbewerb der Stereotype. Wir würden uns auch an den Kopf fassen, wenn die Türken plötzlich mit Baskenmütze und Baguette unter dem Arm um unsere Punkte buhlen würden)
    2007 Platz 19 für Roger Cicero (für Frauen regier’n die Welt – siehe 2006, Swing ist nur in den Ländern populär, die nach dem 2. Weltkrieg unter starkem US-amerikanischen Einfluss standen, also nicht in Ost- und Südosteuropa. Soll man dies den Leuten dort zum Vorwurf machen?)
    2008 Platz 23 für No Angels (für Disappear – ein letzter Versuch nach gescheitertem Comeback, technische Probleme und vielleicht auch Selbstüberschätzung münden in ein gesangliches Fiasko)
    2009 Platz 20 für Alex sings Oscar swings (für Miss Kiss Kiss Bang – schwaches Lied, das durch Busenexponat Dita von Teese versucht, osteuropäische Stimmen zu erheischen. Braucht niemand – nirgendwo!)

    Noch Fragen?

  51. @ Herr Büge: Die Polarität Westen-Islam existiert beim ESC nicht, dafür gibt es zu wenige islamische Länder im Wettbewerb. Aserbaidschan wird vor allem als Ex-Sowjetstaat gesehen, als „Böser Osten“, der sich mit seinem Ölreichtum den Sieg erkaufen will wie vermeintlich die Russen 2008 in Belgrad. Dabei ist Safura weit davon entfernt, ein „freches Mädchen“ wie Lena zu sein, sondern gibt sich ausgesprochen allürenhaft. Da fällt es nicht schwer, Feindbilder aufzubauen.

  52. Safura wird mit einer beispiellosen, fast aggressiven PR-Kampagne gepusht. Da tut jemand alles für den Sieg. Lena hingegen wird vorwiegend im Inland von Show zu Show herumgereicht, obwohl es doch eigentlich darum gehen müsste, sie einem europäischen Publikum bekannt zu machen. Es gibt zum Beispiel seit längerem eine Art Vor-ESC in den Niederlanden, bei dem viele ESC-Teilnehmer gesehen werden. Die Deutschen nicht. Warum hält man es nicht für wichtig, dort aufzutreten, während viele andere sich darum reißen? Wird die „nationale Aufgabe“ bereits als erledigt betrachtet? Oder was steckt dahinter?

  53. Safura ist ein Werkzeug, um den Song Contest nach Baku zu holen und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf ein Land zu lenken, für das noch nicht einmal ein vernünftiges Klischee existiert. Estland und die Ukraine haben von der Ausrichtung des ESC sehr profitiert und sich als attraktive Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorte präsentieren können. Der Nutzen für die Volkswirtschaft bewegt sich im achtstelligen Bereich. Einen entsprechenden Anreiz hat Deutschland natürlich nicht. Dazu kommt, dass Pro7 und Brainpool ihre Lena zunächst einmal für die Eigenpromotion einspannen wollen. Sie auch noch im Ausland herumzureichen würde bedeuten, der Zitrone den Saft auszupressen, bevor der Tee serviert ist.

  54. In diesem Zusammenhang interessiert uns die These Ihrer Doktorarbeit, dass die Politik in vielen anderen Ländern ein großes Interesse daran hat, dass ihr Land beim ESC gut dasteht. Sie weisen das für Länder nach, in denen die Sendeanstalten, die für die ESC-Teilnahme verantwortlich sind, von staatlicher Seite finanziert oder mitfinanziert werden. Anders also als in Deutschland; der NDR finanziert sich ja über Gebühren, die von den TV-Zuschauern eingezogen werden. Erläutern Sie uns diese These? Und welches Interesse verbinden diese Länder konkret mit ihrer ESC-Teilnahme?

  55. „…dass wir so ein ökonomisch dominanter Koloss sind…“

    Das wird uns sicher auch Stimmen kosten… und zwar ganz konkret, weil die Teilnahme am Finale ja eindeutig erkauft worden ist. Wir gehören zu den Finanziers, also wollen wir uns mit dem Plebs da in den Semifinalen nicht um die Finalteilnahme balgen… kann man niemandem verübeln, der es so negativ versteht. Es wäre in meinen Augen besser gewesen, wenn die Kosten auf alle Teilnehmer verteilt worden wären, prozentual nach Budgets der Sendeanstalten, und auch alle an den Semifinals hätten teilnehmen müssen.

    Litauen wird schon wissen, warum sie singen:

    No Sir we’re not equal no
    Though we are both from the EU

    „from the EU“ kann man auch gern mit „in the EBU“ austauschen.

  56. Das große ESC-Engagement vieler Fernsehanstalten, die durch staatliche Zuwendungen bzw. Zuwendungen politischer Parteien (mit-)finanziert werden, kann als staatlich unterstütztes
    Mittel interpretiert werden, nationale Identität zu fördern, da diese auf Grund der vergleichsweise kurzen Zeitspanne nationaler Souveränität in den osteuropäischen
    Staaten noch nicht in gleichem Maße ausgeprägt ist wie in den übrigen Ländern Europas. Es ist zwar nicht davon auszugehen,
    dass diese Fernsehanstalten ihren öffentlichen Auftrag auf Grund dieser Tatsache nicht unabhängig erfüllen können, allerdings dürfte diese Finanzierungsart die Förderung nationaler Identität und Kultur in den Programmen dieser Sender besonders begünstigen. Die Darstellung der nationalen Kultur wird von den Verantwortlichen der entsprechenden Länder fast durchweg als wesentlich Funktion ihrer Teilnahme genannt. Zudem ist das Interesse an einer Ausrichtung des ESC bei den fraglichen Fernsehanstalten besonders stark ausgeprägt. Sie sind dafür sogar dazu bereit, das Budget für ihr übriges Unterhaltungsprogramm zu kürzen und berichten in ihrem laufenden Programm umfangreicher über den ESC.

    Der Soziologe Reinhard Bendix definiert als einen wichtige Quelle für national-kulturelles Darstellungsbedürfnis den Unterschied zwischen sogenannten Vorreiter- und Nachzüglerländern. So können anhand des Grades ihrer Demokratisierung und ihrer Wirtschaftsstärke Vorreiterländer ausgemacht werden, denen es die weniger demokratischen und wirtschaftsstarken Länder gleichtun wollen. Das Bewusstsein der Rückständigkeit gegenüber den Vorreitern wird durch Betonung der eigenen Kultur abgemildert, weil diese als Quelle künftiger Stärke angesehen wird.

    Ein Ende des daraus resultierenden ‚Kampfes der Kulturen‘ ist nicht abzusehen, da die Aufteilung zwischen Vorreitern und Nachzüglern nicht statisch ist, sondern einem kontinuierlichen Wandlungsprozess unterliegt.

    @ Herr Wedell: Dass Deutschland als Wirtschaftsriese und Big-Four-Land Punkteeinbußen hinnehmen muss, weil die übrigen Länder neidisch auf uns sind, kann ich nicht bestätigen. Die Entscheidung für oder gegen einen Anruf fällt der Zuschauer eher aus dem Bauch heraus. Da wird sich das Griechenland-Bashing in den deutschen Medien sicherlich nachhaltiger auf die Bereitschaft der Griechen auswirken, für Lena anzurufen.

    Im Übrigen werden die Kosten tatsächlich prozentual nach den Budgets der Fernsehanstalten aufgeteilt – nach einem Punktesystem, das sich an den Zahlungen an die EBU allgemein bemisst. Dass es die Big Four gibt, hat außerdem auch etwas damit zu tun, dass die EBU nicht auf einen Schlag potenzielle 80 Millionen Zuschauer verlieren will, weil Deutschland nicht im Finale dabei ist.

  57. Demnach wäre gerade der aserbeidschanische Auftritt und die damit zusammenhängende PR-Kampagne ein aussagekräftiges Beispiel für Ihre Beobachtungen?

    Diese Länder sind also eher junge Staaten, die auf der Suche nach ihrer national-kulturellen Identität sind. Trotzdem schicken sie häufig Titel ins Rennen, die ohne „Folklore“, also traditionelle Elemente ihrer Landeskultur auskommen und auch nicht in der Landessprache gesungen werden. Dieses Jahr auch wieder, von Albanien bis Georgien, von Lettland bis Aserbaidschan. Wie tragen solche Beiträge trotzdem zur Bildung einer national-kulturellen Identität bei? Oder stellt die Wahlfreiheit bei der Sprache einen kulturellen Verlust dar?

  58. Der Verzicht auf folkloristische Elemente bedeutet nicht unbedingt ein Verzicht auf die eigene Identität. Dthnische und interkulturelle Unterschiede können sich trotz einer Teilnahme an der internationalen Popkultur zeigen, denn die internationale Szenerie der Popularmusik ist derart vielgestaltig, dass sich auch ethnische
    Distinktionen ihrer bedienen können. Das haben Dollase et. al in einer Studie zu musikalischen Präferenzen in multikulturellen Schulklassen herausgefunden. So hören die Rumänen beispielsweise deutlich mehr Dance-Musik als die Portugiesen, können sich mit dem entsprechenden Mainstream also auch in national-kultureller Hinsicht identifizieren.

    Georgien hat seine erste Teilnahme 2007 mit einer massiven Nation-Branding-Kampagne verknüpft, die sehr deutlich die Markenattribute „christlich“, „Säbeltanz“ und „Rotwein“ in den Köpfen der Berichterstatter verankern sollte. Jetzt geht es vor allem um einen Sieg, um den Wettbewerb nach Tiflis zu holen und seinen gesamten Repräsentationseinfluss für sich nutzbar zu machen. Die Wahlfreiheit der Sprache ist letztlich auch nur dem Siegeswillen geschuldet, weil man sich mit dem Englischen bessere Chancen ausrechnet. Mittlerweile haben aber viele Länder wieder davon Abstand genommen uns singen wieder in Landessprache. Einen Wettbewerbsvorteil bietet die englische Sprache nicht – statistisch liegt der Anteil von Liedern in Landessprache in den Top 5 sogar höher.

  59. [E*C, Eurovision *Contest] Ich möchte mal auch die Frage nach Darstellung & Gestaltung stellen. Der ESC war (& ist) nicht immer ein Wettbewerb von Solo-Darsteller/inne/n, oft wird der/die Solist/in von eigenen Instrumentalisten und auch von Tänzern begleitet, also eine Mini-Show oder -Revue. Wo sind die Grenzen und wo werden sie fixiert (Satzung?)? Sollte man nicht auch einen Eurovision Tiny Show Contest (ETSC) einführen?!

  60. Andererseits muss es dann doch verwundern, dass ein Land wie Griechenland, das mit internationalen Beiträgen zuletzt oft gut platziert war, plötzlich wieder mit etwas eher Traditionellem ankommt. Abgesehen davon, dass die Griechen angesichts ihrer Haushaltskrise nicht daran interessiert sein können, den Contest zu gewinnen – wie kommt das? Ähnliches lässt sich ja auch beispielsweise für die Beiträge aus Slowenien, Serbien oder Finnland sagen.

  61. Nun, in Anlehnung an die These meiner Doktorarbeit würde ich sagen, dass vor dem Hintergrund der Finanzkrise dem einen oder anderen Land metaphorisch der Angstschweiß des eigenen sozialen Abstiegs im Gesicht steht… Und wenn der Nachzüglerstatus dräut, kann eine Rückbesinnung auf die nationale Kultur als Quelle künftiger Prosperität nur von Nutzen sein.

  62. Demnach geht es Deutschland also glänzend, da wir einen internationalen Beitrag wie „Satellite“ ins Rennen schicken?

  63. @ Dr. Irving Wolther,

    in allen Quellen, die ich zur Frage Big 4 und wieso gibt es sie überhaupt fand, wird immer „große Geldgeber“ genannt. Sie bringen jetzt den Aspekt, daß es hier auch um die Zuschauer geht. Daher noch einmal meine Frage von weiter oben: Wieviel Geld fließt, wenn überhaupt, aus den Einnahmen übers Televoting zu den Veranstaltern? Wenn das nennenswerte Beträge sind, so ist dann ja auch klar, warum die potentiellen Zuschauer in D, GB, F und ESP so wichtig sind… der „große Geldgeber“ ist dann der Zuschauer (ist er ja sowieso, nicht nur der große, sondern der einzige, jedenfalls in D: 1. GEZ 2. evtl. Televoting 3. Kauf ESC-Compilations).

  64. Deutschland ist in Sachen Eurovision Song Contest in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall. Wenn es darum geht, sich auf seine kulturellen Wurzeln zu besinnen, tut man sich in Deutschland aufgrund der spezifischen historischen Situation schwer, Nationalkultur ohne ideologische Vorbelastung zu konstruieren. Folklore und Volkstümelei werden schnell in ein und dieselbe Schublade gesteckt und mit einer bestimmten Gesinnung gleichgesetzt. Die Diskussion um Lena Meyer-Landrut als bürgerlichem Gegenentwurf zu den Proletenhelden von DSDS stellt aber sehr wohl eine aus bildungsbürgerlicher Sicht ungewohnte Auseinandersetzung mit dem deutschen Selbstverständnis in Sachen Unterhaltungskultur dar. Und das Bildungsbürgertum gilt als Trägerschicht für Nationalkultur. Lena wurde als deutscher Repräsentantin die Absolution erteilt. Insofern ist ihr Beitrag sehr national.

    @ Herr Wedell: Sie legen den Finger in eine ganz offensichtliche Wunde. Natürlich wird die Veranstaltung durch Televotingeinnahmen rückfinanziert. Die ARD langt da noch vergleichsweise bescheiden zu, in anderen Ländern stellt dies einen wesentlich wichtigeren Finanzierungsbeitrag dar. Die Änderung der Regeln dahingehend, dass von nun an ab dem ersten Beitrag angerufen werden darf, ist ganz offensichtlich als Mittel zur Einnahmenmaximierung zu verstehen – auch auf Wunsch kleinerer Fernsehanstalten, die unter der Finanzkrise besonders stark zu leiden haben. Nach Auskunft der EBU gab es 2009 über 10 Millionen Anrufe. Eine gewisse finanzielle Entlastung ist daher zu erwarten. Besonders üppig wurden die norwegischen Gebührenzahler zur Finanzierung des ESC zur Kasse gebeten: Ganze 13 Euro werden pro Monat zusätzlich fällig.

  65. Der ESC wurde aus verschiedenen Motiven geschaffen. Einmal sollte er die Verbreitung des Fernsehens fördern, aber vor allem diente er anfangs der EBU zur Selbstlegitimierung, wie Sie in Ihrer Doktorarbeit schreiben: Die EBU brauchte ein gemeinsames Großprojekt der beteiligten Sender, um ihr Anliegen, also Zusammenarbeit und Austausch von Programmteilen, voranzubringen. Spielt der Contest immer noch diese Rolle für die EBU?

    Als große Geldgeber für den ESC sind Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien immer qualifiziert. Ist das nicht ungerecht, vor allem wenn man sieht, mit welcher Geringschätzung diese Länder größtenteils an den Contest herangehen? Gibt es Kritik aus Osteuropa an der Macht der vier „Großen“?

  66. Nur 10 Mio. Anrufe, das ist aber interessant, ich hätte da weit mehr erwartet. Sollte der Dieter das lesen, wird er womöglich in schallendes Gelächter ausbrechen.

  67. Guten Morgen – zuletzt war hier ja viel von den „großen Vier“ (Frankreich, Großbritannien, Spanien, Deutschland) die Rede, die eine Menge Geld für den ESC geben und die deshalb gesetzt sind, sich also nicht für das Finale qualifizieren müssen. Ist das nicht sogar ein Nachteil? Denn die „Großen“ treten nur ja nur einmal vor das europäische TV-Publikum, während die Qualifikanten ja zwei Auftritte haben, sich mit ihrem Lied also „doppelt“ präsentieren können…

    Fragt: Kotte

  68. Moin Kotte, guten Morgen Herr Wolther,

    und hier kommt auch noch was von mir. Meine letzten Fragen stelle ich en bloc, weil heute ja der letzte Tag unseres Blogtalks ist. Ich versichere Ihnen, Herr Wolther, dass mein Informationsbedürfnis damit längst noch nicht erschöpft ist, aber damit würde ich es dann gut sein lassen. 😉

    Hier die Fragen:

    1. Direkte politische Aussagen sind beim ESC verpönt. So wurde der georgische Beitrag im vergangenen Jahr disqualifiziert, weil er sich gegen den russischen Premier Putin richtete. Unterschwellige politische Botschaften haben dagegen durchaus Chancen – in diesem Jahr übt der litauische Song Kritik an der westeuropäischen Arroganz gegenüber Osteuropa. Wie politisch dürfen ESC-Songs sein?

    2. Inwiefern beeinflussen politische Dauerkonflikte – Stichworte Balkan, Kaukasus, Nahost – den Wettbewerb?

    3. Ein weiteres kompliziertes Thema im Umfeld des ESC können wir hier jetzt nur noch anreißen: die Musikindustrie und ihr wenig ausgeprägtes Interesse am ESC – was sicher damit zu tun hat, dass sie glaubt, mit ESC-Titeln nicht genug verdienen zu können. In Ihrer Doktorarbeit, Herr Wolther, zeigen Sie aber auf, dass der mangelnde Erfolg von ESC-Siegertiteln außerhalb ihrer Heimatländer ganz wesentlich damit zu tun hat, dass die Musikindustrie sich dieser Titel nicht oder nur verzögert annahm, d.h. sie war an diesen Titeln höchstens marginal interessiert. Nun ändern sich die Rahmenbedingungen für die Musikindustrie derzeit so schnell wie noch nie. Herkömmliche Tonträger wie CDs verlieren an Bedeutung, Downloads nehmen stark zu. Das vereinfacht die Vertriebswege: Statt lange auf die Veröffentlichung des ESC-Siegerlieds auf CD warten zu müssen, können solche Stücke jetzt sofort mühelos heruntergeladen werden. Bei iTunes beispielsweise sind längst alle ESC-Stücke des Jahrgangs 2010 für 1 bis 1,30 Euro pro Song erhältlich. Hat die Musikindustrie wieder mal einen Trend verschlafen? Können ESC-Teilnehmer künftig viel leichter Hits auch auf europäischer Ebene landen? Müsste das Interesse der Musikindustrie am ESC nicht schlagartig wachsen?

    4. Jetzt haben wir so viel über Politik und Gegensätze gesprochen, dabei ist der ESC doch eigentlich ein Wettbewerb, der vor allem eines erreicht: Er vereint einen Haufen Zuschauer vor dem TV. Es sollen 100 Millionen sein, die am 29. Mai eine Art europäischer Pop-Nation bilden. Ein erheblicher Beitrag zum europäischen Zusammenwachsen, oder?

    5.Nach diesem Gespräch fühlt sich meine national-kulturelle Identität erheblich gestärkt an. Herr Wolther, der ESC ist auch ein Anlass zum Feiern. Ich habe daher für den 29. abends Freunde eingeladen. Sie dort in Oslo haben diese Möglichkeit nicht. Werden Sie am 29.5. also ganz früh schlafen gehen?

  69. Guten Morgen aus Oslo!

    Der Eurovision Song Contest spielt noch immer eine wichtige Rolle für die EBU. Für die Eurovision, den Fernsehprogrammaustausch der EBU, ist er fast schon Synonym geworden. Auch wenn gerade Nachrichtensendungen und Sportübertragungen ohne die EBU nicht oder nur schwer zu realisieren wären, ist sie in der Öffentlichkeit so gut wir überhaupt nicht präsent. Entsprechend ist der ESC das wichtiste Aushängeschild der Organisation. Ein EBU-Verantwortlicher sagte in den 1990ern einmal im Vertrauen: „Wir würden den ESC ja gerne loswerden, aber wir können nicht.“
    Mittlerweile hat das Programm ja eine Verjüngungskur durchlaufen und bietet über die Visitenkartenfunktion einen echten Mehrwert. Der konzertierte Einsatz modernster Techniken dient vor allem dazu die private Konkurrenz in ihre Schranken zu weisen: Seht her, das können nur die öffentlich-rechtlichen!

    Die Sache mit den Big Four ist natürlich ungerecht, die Kritik der anderen Länder hält sich allerdings in Grenzen, da das geliebte Programm ohne den Finanzierungsbeitrag der „Großen“ nur schwer zu stemmen ist.
    Der Vorteil der Halbfinalteilnehmer lässt sich nicht genau beziffern. Zwar sind seit Einführung der Halbfinals immer nur Halbfinalteilnehmer auf den vorderen Rängen gelandet, doch die Qualität der „Big Four“-Beiträge war auch nicht dazu angetan, einen Punkteregen auszulösen. Außerdem ist die Zusammensetzung der Zuschauerschaft bei den Halbfinalsendungen in vielen Ländern anders als beim Finale. Länder, die schon im Halbfinale ausscheiden, sind viel stärker dem Diaspora-Voting unterworfen, da das Finale ohne eigenen Beitrag unattraktiv wird. Das hat sich in der Vergangenheit sehr deutlich in den Niederlanden und Belgien gezeigt, wo mangels eigenen Finalbeitrags vor allem die dort ansässigen Minderheitengruppen den Beitrag ihres jeweiligen Herkunftslandes goutierten.

  70. „Alles hat ein Ende…“ — „weil heute ja der letzte Tag unseres Blogtalks ist.“, wie Herr Büge (#72, comment-26533, am 21.05.2010 10:35) uns darauf aufmerksam macht. Könnte denn die FR ein zweites Ende darauf legen, also noch eine Blogseite zum Abschluß des ESC?!

    Auch die Untersuchung der ESC-Debatte in Blogs und anderen Internetforen könnte einen ergiebigen Forschungsvorhaben darstellen. In diesem FR-Blog überwog bei weitem das Interesse an Wirtschaft & Politik (WiPo), die Kunst ist leider zu kurz gekommen.

    Übrigens, wer hat eigentlich das Wort „Eurovision“ (Zusammenlegung von Europa und Television?) erfunden?

  71. @ Paul Ney

    Wir hatten auch explizit nach den politischen und national-kulturellen Hintergründen gefragt, das war von Anfang an so kommuniziert worden.

    Zum Ergebnis des ESC machen wir ganz sicher eine Diskussion auf. Lutz Büge überlegt derzeit, ob er während der Austragung simultan bloggt.

  72. Zunächst einmal zur Frage von Herrn Ney: Der britische Journalist George Campey prägte den Begriff Eurovision bereits 1951 in einem Artikel des Londoner Evening Standard (Quelle: EBU).

    Und jetzt zum Fragenberg von Herrn Büge:

    1. Die EBU als Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten mit zum Teil großem staatlichen Einfluss verbietet im Reglement ausdrücklich poltische Statements: „The lyrics and/or performance of the songs shall not bring the Shows or the ESC as such into disrepute. No lyrics, speeches, gestures of a political or similar nature shall be permitted during the ESC. No swearing or other unacceptable language shall be allowed in the lyrics or in the performances of the songs. No commercial messages of any kind shall be allowed. A breach of this rule may result in disqualification.“
    Allerdings gibt es selbstverständlich viele Möglichkeiten, diesen Passus zu umgehen oder großzügig auszulegen. So durfte die ukrainische Teilnehmerin Verka Serduchka 2007 ungestraft „Lasha Tumbai“ singen. Dass die vorgeblich mongolische Titelzeile auf der Bühne wie „Russia Goodbye“ klang, ist reiner Zufall… Nicht zugelassen wurde hingegen der letztjährige georgische Beitrag „We don’t wanna put in“, der beim ESC in Moskau sicherlich für Ärger mit den Gastgebern gesorgt hätte. Der Text des diesjährigen litauischen Beitrags ist dagegen nicht konkret politisch, sondern eher sozialkritisch zu verstehen. Allerdings gab es seitens der EBU eine Prüfung des Textes, die aber positiv beschieden wurde.

  73. 2. Politische Dauerkonflikte haben natürlich auch Auswirkungen auf den Wettbewerb. Wenn sich Aserbaidschan beim armenischen Beitrag ausblendet und alle Zuschauer, die für den Song des verfeindeten Nachbarlands abgestimmt haben, zum polizeilichen Verhör lädt, hat das natürlich Sanktionen der EBU zur Folge. Wegen Israel nehmen andere teilnahmeberechtigte Staaten aus Nordafrika und dem Nahen Osten nicht am Wettbewerb teil. Die ex-jugoslawischen Staaten hingegen veranstalten separate Partys, beehren sich aber gegenseitig mit Auftritten ihrer Künstler. Hier steht die balkanische Feierfreude im Vordergrund.

    3. Die Musikindustrie schläft leider noch immer. Als Serbien 2007 den Wettbewerb gewann, titelte eine schwedische Tageszeitung „Der Flop“, weil keine schwedische Plattenfirma den Siegertitel „Molitva“ veröffentlichen wollte. Das Argument: Der Song ist so schlecht, dass keine Plattenfirma ihn will. Dass das Lied unmittelbar nach dem ESC auf Platz eins der Downloads hochgeschnellt war, interessierte nicht. Hier gibt es große Vorbehalte zwischen West- und Osteuropa. Da transnational nur nach dem Eine-Hand-wäscht-die-andere Prinzip vermarktet wird, kriegen osteuropäische Künstler in Westeuropa keinen Fuß auf den Boden, da der Westen an Veröffentlichungen im Wilden Osten mangels funktionierender Rechteverwertung kaum Interesse hat. Das Internet dürfte diesbezüglich erst langfristig positive Auswirkungen zeigen, wenn der Eiserne Vorhang in den Köpfen weggerostet ist.

  74. 4. Der Eurovision Song Contest basiert in weiten Teilen auf Faktoren national-kultureller Identifikation (mit dem eigenen Beitrag oder auch nur mit der Nation, für die er an den Start geht). Wenn man am Samstagabend (oder während der Halbfinalsendungen) vor dem Bildschirm sitzt, erlebt man darüber hinaus ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer riesigen Fernsehgemeinde (im letzten Jahr 124 Millionen Zuschauer), das der Veranstaltung einen fast ökumenischen Charakter verleiht. Insofern ist der Eurovision Song Contest ein wichtiges Instrument zur Festigung des europäischen Gedankens – weit über die jetzigen EU-Grenzen hinaus.

    5. Zugegeben, nach zwei Wochen Eurovisions-Overkill will ich am Samstagabend am liebsten meine Ruhe haben. Seit einigen Jahren kaufe ich auch keine Eintrittskarten mehr, denn die Songs kann ich nach den ganzen Proben nicht mehr hören und will eigentlich nur wissen, wer denn nun gewinnen wird. Den Samstagabend werde ich daher im Pressezentrum mit meinen Journalistenkollegen verbringen und sie bei ihrer Liveberichterstattung unterstützen.

    Ich kann jedem nur empfehlen, wie Herr Büge Freunde zu sich nach Hause einzuladen und den Wettbewerb gemeinsam zu schauen. Ich bedanke mich für den angenehmen Blogtalk und stehe für weitere Fragen gerne zur Verfügung.

    Herzliche Grüße,

    Dr. Irving Wolther

  75. Wunderbar, Herr Wolther, herzlichen Dank. Das war ein sehr interessantes Gespräch, aus dem Bronski sicher eine schöne Interview-Seite für die FR machen wird.

    Entschuldigen möchte ich mich noch für den großen Batzen an Fragen in Posting 72. Ich dachte halt, dass wir heute fertig werden sollten, nicht wahr? Dieser Blogtalk hat Ihnen ja schließlich Einiges abgefordert.

  76. Auch ich als Blogmaster möchte ein herzliches Dankeschön aussprechen, vor allem natürlich an Dr. Wolther gerichtet, aber auch an die mitredenden Blog-User. Ich finde, wir haben zusammen auf schöne Weise gezeigt, was Blogs leisten können, wenn sie kreativ genutzt werden.

    Die FR hat jetzt also keine Fragen mehr an Dr. Wolther, aber das heißt nicht, dass hier jetzt Schluss ist. Die Diskussion kann weitergehen. Es wurde ja schon Bedarf an einer Debatte über die Kunst beim ESC geäußert. Wenn Herr Wolther mitreden möchte, ist er natürlich sehr gern eingeladen.

  77. Hallo – auch ich als FR-Redakteur mit ESC-Faible möchte mich bei Irving Wolther sehr herzlich für seine ebenso interessanten wie amüsanten Antworten bedanken, die vor Hintergrundwissen nur so strotzten (12 Punkte!). Dankeschön, das war spannend zu lesen! Und Dank natürlich auch an alle Mitblogger!
    Herr Wolther, wir sehen uns in Oslo!
    Hans-Hermann Kotte

  78. Ein herzliches Dankeschön an Herrn Wolther für die Zurverfügungstellung seines Expertenwissens auch von meiner Seite. Genießen Sie noch die aufregenden Tage vor dem Event, sofern es die Arbeit zulässt. Mindestens einen gibt es hier, der sie ein wenig darum beneidet.

  79. Hatte gerade ein paar leute hier und wir haben das alles mal durchgehört. Bin mir nicht mehr so sicher, was mein früheres favourite betrifft. Dänemark, der Beitrag ist ja schon eher Grand Prix in dem Schlagersinn Kommentar 42 und 43. Hatte in der Runde auch bemerkt, dass Safura Allüren hat, zitierte Herrn Wolther. Aber das hat nichts geändert. Safura mochte keiner von meinen Freunden. Ist auch irgendwo doof, das Stück. Drip drop. Je mehr ich mich da reinhöre, desto mehr gefällt mir „What for“ aus Lettland.

  80. „What for“ könnte stark bei den weiblichen Anrufern punkten, ja, ja, wir haben doch alle irgendwie unsere Pawlowschen Reflexe… es wird wohl kaum eine Frau geben, die beim Fallen der Hosen und anschließendem Beingeschlenker nicht in Gelächter verfallen muß. Hinzu kommt die hohe musikalische Eingängigkeit. Auch von mir gute Chancen. Drip drop ist musikalisch irgendwie doof, da pflichte ich Ihnen völlig bei. Das muß aber noch nichts bedeuten.

    Die große Unbekannte ist ja auch ein wenig die Jury… wer sitzt da drin, welche Kriterien gelten, und nicht zuletzt welche persönlichen Geschmäcker sind da vorhanden?

  81. P.S. Sorry, verwechselte Lettland und Litauen… Kommando zurück… Puh, hoffentlich passiert uns das nicht… „Oh, ich habe die Schweiz mit Deutschland verwechselt“. 😀

  82. Den litauischen Beitrag mag ich gar nicht, auch wenn ich zugeben muss das er komplett aus dem Mainstream des Jahrgangs herausfällt. Aber das gilt für Lena ja auch. Also dürcke ich natürlich Lena die Daumen.

  83. Man wundert sich mal wieder, oder? Was hat Moldau im Finale zu suchen? Oder Weirussland? Mit Belgien, Serbien, Russland, Portugal und vor allem Island im Finale bin ich sehr einverstanden, Albanien ist auch okay. Bei Griechenland war es wohl vor allem die Show. Bosnien, na ja, Albanien, na ja. Der estnische Beitrag dagegen war wohl chancenlos. Gar nicht schad ist es um Mazedonien und Malta. Die Vorstellung war ja wohl nur peinlich. Und die Lettin hat ja entsetzlich gepatzt. Aber die Slowakei? Das ist doch schade. Die Slowakei hat wohl keine Freunde? Stattdessen diese Schnulze von Lukaschenkos Privatchor.

    Ich muss aber auch sagen, die Shows der Griechen udn der Isländerin haben mich beeindruckt. Nur vom Song her fand ich beide Stücke eher mittelmäßig. Es kommt halt doch sehr auf die Präsentation an.

  84. @ all

    Möchte nur kurz zu Protokoll geben, dass heute die Print-Version des Blogtalks in der FR ist. Eine ganze Seite war Platz dafür, trotzdem habe ich kaum die Hälfte der Aspekte abräumen können, die hier im Blogtalk eine Rolle gespielt haben. Ich hoffe, das Interview ist trotzdem lesenswert.

  85. [FR-Online] Soeben nachgesehen: [www fr-online.de/esc/] ist die ESC- & Lena-Portalseite der FR. Seite #43 (ganz) in der FR vom 29.05.2010 ist die — m.E. gute — Zusammenfassung dieses Blogtalks, den Link dazu habe ich noch nicht gefunden, vielleicht weiß Bronski. (Der/die Redakteur/in der Seite #43 ist nicht genannt worden.)

    Das Gesicht ist ein sehr wichtiges Kommunikationsorgan des Menschen, bei Manchen singt es mit 😉 Ich wünschte, die Schminke würde heute nicht übertreiben und sich zurückhalten… Viel Erfolg…

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