30 Jahre Mauerfall – ein Ereignis, das angemessen gewürdigt werden will. Dieser 9. November 1989 hat Deutschland in Ost und West verändert. Noch immer ist nicht zusammengewachsen, was angeblich zusammengehört, wie Willy Brandt damals sagte. Es ist schön, dass die Deutschen diesen Tag feiern können, und das Ende des totalitären Regimes in der DDR ist zweifellos ein Grund zum Feiern. Aber zur Analyse gehört auch das Faktum, dass das Land heute tiefer gespalten ist als je zuvor. Das zeigt sich nicht nur an den wirtschaftlichen oder sozialen Kennziffern, die bei dieser Rechnung meist aufgefahren werden – also beispielsweise die Höhe der Renten in Ost und West -, sondern es zeigt sich auch in der politischen Kultur. Viele Ostdeutsche haben kein Problem damit, eine rechtsradikale Partei zu wählen, deren Protagonisten offen Faschisten genannt werden dürfen. Deren Politiker gefallen sich schon mal darin, die Demokratie abschaffen zu wollen. Man wird aufpassen müssen: Selbst dadurch, dass diese Antidemokraten demokratisch gewählt wurden, werden sie nicht zwangsläufig zu Demokraten! Auch das gehört zur Würdigung der deutschen Einheit, die am 9. November 1989 dank der an der Mauer feiernden Menschen Gestalt annahm. Und das heißt: Erinnern allein reicht nicht.
Der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl von der CDU, hat damals beherzt zugegriffen. Den Ostdeutschen wurde eine völlig andere politische Kultur übergestülpt, und zugleich wurde ihr Land wirtschaftlich umgekrempelt und ruiniert in einem Prozess, den Naomi Klein für Länder wie Chile und Russland beschrieben und als „Schockstrategie“ bezeichnet hat. Radikale Privatisierungen und der Abbau des Sozialstaats sind die Kennzeichen dieser Strategie, in deren Gefolge es, historisch gesehen, fast gesetzmäßig zu sozialen Verwerfungen kam. Die Schockstrategie fördert die Entstehung tiefer Gräben in den Gesellschaften, die von ihr betroffen sind, und eine der Folgen kann politische Radikalisierung von abgehängten Teilen der Bevölkerung sein. Chile und Russland haben auf diese Probleme unterschiedliche Antworten zu geben versucht. Chile scheint damit vorübergehend gescheitert zu sein, wie die derzeitigen Auseinandersetzungen im Land zeigen; es musste gar den prestigeträchtigen UN-Umweltgipfel absagen, weil die Sicherheit angeblich nicht zu gewährleisten war. In Russland hat der neoliberale Kahlschlag der Jelzin-Zeit die erneute Ausbreitung eines russischen Nationalismus gefördert. Der gewählte Autokrat Wladimir Putin versteht es bislang ausgesprochen geschickt, auf dieser Klaviatur zu spielen.
Das Gesicht dieses beispiellosen Ausverkaufs Ostdeutschlands war die Treuhand. Sie hat es geschafft, fast aus dem Stand heraus Hassobjekt der Ostdeutschen zu werden anstelle von Stasi und Erich Mielke. Inzwischen ist die Treuhand abgewickelt, steht aber immer noch in der Kritik. Im Grunde hat die Aufarbeitung erst begonnen. Auch dies ist eine Facette deutscher Einheit nach 30 Jahren. Haben wir zu lange auf die „blühenden Landschaften“ des Einheitskanzlers gewartet? Statt Wohlstand in Frieden haben wir nun wachsende politische Radikalisierung. Vielleicht wäre es besser gewesen, einen Nachfolgestaat der DDR einen eigenen Weg gehen zu lassen. Dann hätte es zwei deutsche Staaten gegeben. Wäre das so schlimm gewesen? Für den Einheitskanzler offenbar schon. Helmut Kohl war herausragender Protagonist einer CDU, die in 40 Jahren Bundesrepublik immer am Ziel der Wiedervereinigung festgehalten hat. Aus ideologischen Gründen. Sobald es möglich war, die DDR dem verhassten „Sozialismus“ im Dunstkreis der Sowjetunion zu entreißen, hat Helmut Kohl gehandelt und Tatsachen geschaffen. Das war durchaus eine politische Leistung. Mit den Folgen werden wir uns, fürchte ich, noch Jahrzehnte quälen müssen.
Der Zug ist nicht nur abgefahren
Beim Lesen „meiner“ Tageszeitung habe ich mich heute – wahrscheinlich altersbedingt – gedanklich am stärksten mit dem Bericht über das Römerberg-Gespräch befasst. Dabei kam – wie könnte es anders sein – wieder die Erinnerung an die für mich heute wie damals (ich war 52 Jahre alt) – absolut unverständliche, ja irrationale „Entscheidung“ unserer angeblich christlich geführten Regierung hoch, dass das Volk der ohne Blutvergießen untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik gezwungen wurde, der Bundesrepublik Deutschland beizutreten, d.h. sich ihr ohne wenn und aber zu unterwerfen. Dass dieser Vorgang nicht ohne Folgen im Bewusstsein oder Unterbewusstsein der Betroffenen geblieben ist, kann keinen vernünftigen Meschen wundern.
Dass Herr Kohl und seine Trabanten zu dem – hier in Betracht stehenden – nach meiner Ansicht
bestgeeigneten Zeitpunkt auch verhindert haben, unser Grundgesetz – das ohnehin in manchen Artikeln schon reformbedürftig war – im beiderseitigen Einvernehmen (d.h. auf gleicher „Augenhöhe“) der Wiedervereinigung folgend sinnvoll anzupassen oder noch besser, eine neue gemeinsame Verfassung zu schaffen, hat selbstverständlich – zurückhaltend ausgedrückt – nicht den besten Eindruck bei den Betroffenen hinterlassen und wirkt ganz sicher unterschwellig auch heute noch nach.
Dass die überheblichen Wessis danach noch viele – weitestgehend vom Kapitalismus geprägten Fehler und Mängel- im politischen und wirtschaftlichen Bereich zu verantworten haben oder hätten, muss hier eigentlich nicht mehr besonders betont werden. Da ist wohl der Zug nicht nur bereits abgefahren, sondern im Tunnel der christlichen Gegenwart verschwunden bzw. untergegangen.
Helmut Seipp, Hofheim
Was im Gedenken immer noch fehlt
Sicherlich war die Zeit der innerdeutschen Grenze ein schwarzes Kapitel in der deutschen Historie. Man sollte nie vergessen, daß physische Grenzen nicht nur Länder in territorialer Hinsicht trennen, hier werden auch Menschen, Familien und auch Schicksale voneinander getrennt. Was allerdings bedauerlich ist und einer nicht-objektiven Geschichtsschreibung entspricht, daß die Ursache nicht in der Politik des Sozialismus und der Politik der DDR entspringt sondern hier sollte viel mehr erwähnt werden, daß der Hauptverursacher die deutsche Geschichte vor 1961 und vor 1945 ist. Es war die Regierung des deutschen Reiches mit seinem Vernichtungskrieg gegen die geschundene Sowjetunion und Polen und Deutschland war in diesem Krieg unterlegen. Was bedauerlich ist, daß der damalige Bundeskanzler Adenauer sowie die erhebliche Menge an Rest – Nazis innerhalb der CDU in einer recht überheblichen Art und Weise Stalin gegenüber trat. Es gehört zu einer korrekten Geschichtsschreibung, dies in die Feiern des Mauerfalls einfließen zu lassen und der betroffenen Nachkriegs – Generation vor Augen zu führen und dies zum Instrument zu machen, um gegen den neu aufflammenden Neo – Faschismus vorzugehen. Ebenso sollte dem aufflammenden Neo-Nationalismus klar gemacht werden, daß deren Politik schon einal die Ursache für Krieg und Vertreibung sowie einer erheblichen Flüchtlingswelle war. Die Flucht und Verteibung nach dem II. Weltkrieg waren einzig und alleine die Folge der Politik des Nachlaufens der eigenen Nationalflagge und des dazugehörigen Nationalismus in zu hoher Dosierung.
Georg Dovermann, Bonn
Ich bekam vom Mauerfall absolut nichts mit
Wie schön zu lesen, dass das Jahrhundertereignis auch an anderen komplett vorbeigegangen ist. Bei mir war große Sorge um meine Jüngste angesagt. Geboren Ende Juli 1989 bekam sie Keuchhusten, den die beiden Geschwister aus dem Kindergarten mitgebracht hatten. Für mein Baby bestand Lebensgefahr, wir mussten ins Krankenhaus. Im Vorbeigehen las ich ab und zu Schlagzeilen der BILD. Die hielt ich für die üblichen Übertreibungen. So bekam ich von der Nacht des Mauerfalls absolut nichts mit. Aus der Klinik fuhr ich am nächsten Morgen zur Arbeit. Ich war Dozentin und als ich bei meinen Studenten ankam, meinten die nur „Sie wollen doch wohl heute keinen Unterricht machen?“ Ich fragte verblüfft „Warum denn nicht“? Unglaublich für eine immer politisch hochgradig interessierte Politologin…
Gabriele Schreib, Strande
Trotzdem haben die deutsch-deutschen Sektkorken geknallt
30 Jahre danach, da dürfte wohl das „Begrüßungsgeld“ komplett ausgegen worden sein. Der „Mauerbau“, der geht nach dem deutsch-deutschen „Mauerfall“, ungebremst und irgendwie (nicht nur in den Köpfen) weiter, trotzdem haben die (deutsch-deutschen) Sektkorken laut geknallt. Die „Einheits-Party“ hat vorerst ausgefeiert, die Lichter bleiben an oder gehen (teilweise) wieder aus!
Klaus P. Jaworek, Büchenbach
Nachdenken über die Ursachen der Teilung
Danke für diese drei hervorragenden Artikel und das Interview mit O. Lafontaine. Zum historischen Aspekt bei Frau Charlotte Jahnz möchte ich die folgende Bemerkung machen: Im Vergleich zu Frankreich und England ist Deutschland eine sehr junge Nation. Anlässlich des siegreichen Kriegs gegen Frankreich 1871 zur Nation geworden, hat Deutschland sich im ersten Jahrhundert seines Lebens vor allem durch zwei Weltkriege bemerkbar gemacht. 1989 kam das erste positive Erreignis: die Wiedervereinigung! Da kann man erwarten dass das wiedervereinigte Volk über die Ursachen dieser Trennung nachdenkt , sich offiziell entschuldigt und zeigt, dass es anders kann als Menschen vergasen. Z.B. Völker respektieren: die Kurden, viele afrikanischen Völker, indem wir aufhören ihre Wirtschaft und Landwirtschaft mit unseren massiven und billigen Fleischexporten zu zerstören usw. An die Arbeit! Lasst Deutschland „great again“ werden!
Jacqueline Walter, Sinzheim
Neue Mauern wurden errichtet
Der Kampf zwischen politisch links und rechts wurde in der Geschichte immer mit großer Härte und Grausamkeit geführt. Weltkriege, mit Millionen von Toten. Umso erstaunlicher ist es doch was am Abend des 9. Novembers 1989 geschah, eine Verbrüderung und Verschwesterung, von Verwandten, aber auch von völlig unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen. Es einte in dieser Zeit ein Nenner, Humanität, diese Humanität wurde einer Ideologie vorangestellt. Gedacht war die Berliner Mauer als ein möglicher Auslöser für einen neuen Weltkrieg. Es entpuppte sich aber der Abend des 9. Novembers 1989 als ein Freudenfest.
Dreissig Jahre später sind die Dispute von links und rechts wieder provokativer und Tabu brechender, neue Mauern werden wieder errichtet. Schade, dass es der 9. November 1989 nicht zum Nationalfeiertag gebracht hat!
Es gibt 2 Argumente die immer wenn dieses Thema irgendwo aufgerufen wird fehlen. Man muss sie aber berücksichtigen wenn man die heutige Situation verstehen will. Das wichtigste ist das die Bürger der DDR in voller Absicht ihre Sparbücher gegen ihre Arbeitsplätze getauscht haben. Die Betriebe die von der Treuhand übernommen worden sind waren fast alle schon Pleite bevor die Treuhand angefangen hat. Durch den angenommenen politischen Wechselkurs wurden auch die Altschulden getauscht. Das konnte kaum ein Unternehmen verkraften diese neuen Schulden in DM. Man hätte wie nach dem Krieg im Westen wohl über eine Währungsreform nachdenken sollen. Dann währe die DDR Wirtschaft schuldenfrei in die Marktwirtschaft gestartet. Da hätten wohl auch nicht alle Firmen überlebt aber sicher mehr. Allerdings wären dann die Sparbücher auch weg gewesen.
Das zweite ist das Kohl alle Menschen über 50 in Rente geschickt und dabei mit Geld zugeschüttet hat. Damit hat er die Bundestagswahl 1990 gekauft. Das Menschen im Osten die heute die Hälfte an Rente bekommen sollen wie vor 20 Jahren ihre Mitbürger sich fragen ob sie im falschen Film sind kann ich sogar irgendwo verstehen. Da wird auch eine Grundrente nichts daran ändern. Ein Rentnerehepaar im Osten hat oder hatte deutlich höhere Renten als im Westen. Das ist gerade dabei sich zu ändern und ins Gegenteil zu verkehren. Im Link unten ist eine Tabelle mit der durchschnittlichen Rentenhöhe nach Bundesländern vor ca 10 Jahren. Vorher war der Unterschied wohl noch größer.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/laenderuebersicht-so-viel-rente-gibt-es-in-west-und-ost-a-709284.html
@ hans
Bitte stellen Sie künftig die Links selbst hier ein, nicht andauernd die Links mit Google-Suche, wie Sie es ständig machen. Ihnen als technikbegabtem Menschen müsste klar sein, wie man das macht, aber ich sag’s mal für alle, auch wennn die meisten anderen es beherrschen: Nachdem Sie per Google gesucht haben, klicken Sie in die Adresszeile der Ziel-Website, dann Strg und A, Strg und C und dann im Zielkommentar hier im FR-Blog Strg und V.
Danke. Bronski
Ich bin fassungslos ob des Leserbriefes von Herrn Seipp (der Zug ist nicht nur abgefahren). Dass das Volk der DDR gezwungen wurde, der BRD beizutreten. Anders herum, ich wurde gezwungen, für die DDR zu zahlen und den Verfall unserer Infrastruktur hinzunehmen.
Ich denke das was unten in dem Link steht verdeutlicht die Situation bei den Renten. Das die Menschen im Osten weniger Rente haben als im Westen ist relativ neu und dem geschuldet das die Einkommen die letzten Jahre niedrig waren. Die hohen Renten die ein Ehepaar früher früher im Osten immer hatte ist dem geschuldet das Frauen in der DDR eine völlig andere Erwerbsbiografie hatten als im Westen. Diese wurde von der Rentenversicherung anerkannt,, führte zu deutlich höheren Frauen und damit auch höheren Haushaltsrenten. Das sich das bei niedrigen Löhnen und hoher Arbeitslosigkeit ins
Gegenteil verkehrt hat den Menschen niemand gesagt und ist ein Grund für die Protestwähler das zu machen. Eine Grundrente die das ausgleicht kann wohl niemand bezahlen und ist dem Bürger im Westen, wenn er die Zusammenhänge kapiert, wohl kaum vermittelbar. Siehe den Beitrag von Thomas
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/rentner-im-osten-erst-gewinner-dann-verlierer/11974552.html
30 Jahre danach, da dürfte wohl das „Begrüßungsgeld“ komplett ausgegeben worden sein. Der „Mauerbau“, der geht nach dem deutsch-deutschen „Mauerfall“, ungebremst und irgendwie (nicht nur in den Köpfen) weiter, trotzdem haben die deutsch-deutschen Sektkorken laut geknallt. Die „Einheits-Party“ hat vorerst ausgefeiert, die Lichter bleiben an oder gehen (teilweise) wieder aus!