Man kann von der Debatte über Enteignung von Wohnungskonzernen wie der Deutsche Wohnen halten, was man will: Sie zeigt auf, dass sich der gesellschaftliche Diskurs gerade verändert. „Vor zehn Jahren war neoliberales Denken absolut dominant. Marktglaube, Sparpolitik, Sozialabbau“, schreibt Autor Richard Meng in seiner Kolumne „Effekt ohne Projekt„. Es hat damals, als viele Städte ihre kommunalen Wohnungen an die Konzerne verkauften, um ihre Haushalte zu entlasten oder zu sanieren, gewiss die eine oder andere Demonstration und Diskussion gegeben, aber die Lufthoheit über alle dem hatte der Glauben daran, dass die Märkte alles besser können als der Staat. Das Zauberwort lautete „Privatisierung“. Damals wäre es kaum möglich gewesen, mit einem Konzept wie Enteignung eine Diskussion zu dominieren. Heute jedoch diskutiert Deutschland ernsthaft darüber, ob Enteignungen, besser eigentlich: Rückkäufe, nicht vielleicht doch ein probates Mittel gegen steigende Mieten ist. Da mag der Söder Markus, der in Bayern Ministerpräsident ist, von „Sozialismus“ schimpfen – das Wort Enteignung ist in der Welt.
Autorin Katja Berlin entgegnet Söder in ihrer Kolumne „Aufregerthema gesucht„: „Es geht ja in der jetzigen Diskussion noch nicht einmal ums Enteignen, das Wort ist nur viel schmissiger. Es geht um die ebenfalls im Grundgesetz genannte Vergesellschaftung, die auch nur bei entsprechenden Entschädigungszahlungen möglich wäre. Das klingt dann doch alles schon nicht mehr ganz so marxistisch.“ Und sie hält Söder und den Seinen den Spiegel vor: Wenn unter einem der Grundstücke von Deutsche Wohnen ein Kohlevorkommen gefunden würde, dann wäre Enteignung keine Frage. Es tut sich was im ideologischen Gebälk dieses Landes. Erste Anzeichen dafür zeigen sich, dass der Neoliberalismus seine Blütezeit hinter sich haben könnte.
Leserbriefe
Carsten Dietrich Brink aus Gauting:
„Das Lamento aus CDU, CSU und FDP zeigt, dass das Thema Berechtigung hat! Mir fällt spontan der Spruch von den getroffenen Hunden ein. Zurück zur Sachlichkeit. Ich meine: Enteignung bringt keine neuen und preiswerte Wohnungen. Dann frage ich mich, was läuft falsch in diesem Lande?
Die gleichwertige Entwicklung der Regionen ist aus den Fugen geraten! Die Wohnungsprobleme konzentrieren sich auf Zentren wie München, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart, Köln und jetzt auch Berlin, während man anderenorts, beispielsweise in Zwickau und in Görlitz in die dunklen Fensterhöhlen verfallender Mietshäuser schauen kann.
Die von CDU und CSU angebotenen „Hilfen“ nutzen nur den Immobilieneigentümern. Wohngeld, Mietzuschuss usw. sind nur Durchlaufposten bei den berechtigten Menschen, letztendlich stärken sie die Einnahmen der Vermieter!
Der deutsche Immobilienmarkt ist intransparent und fördert Spekulation und Geldwäsche! Wir brauchen endlich Gesetze, die die wirklichen Besitzer hinter Firmengespinsten offenlegen!
Leerstände in Problemregionen müssen sanktionierbar werden, wenn nötig durch Zwangsverwaltung und Enteignung!
Die aufgezählten Punkte sind jene, die mir spontan einfallen. Nun möchte ich aber auch Vorschläge zur Behebung der Probleme machen. In der frühen Nachkriegszeit gab es in vielen Städten Fördermodelle, die bei Inanspruchnahme im Gegenzug eine Sozialbindung des Wohnraumes verursachten. Hier kommen die Zuschussgelder wirklich den Mietern und nicht den Vermietern zugute. Mir fehlen Fördermodelle für Wohngenossenschaften, Modelle hierfür kennen wir aus der Weimarer Republik und aus Österreich (speziell Wien). Ich kann mir vorstellen, dass das Überangebot an Luxuswohnungen durch eine Luxussteuer gebremst werden könnte. Der Bau neuer Wohnungen könnte auch dadurch verbilligt werden, dass die Städte Bauland nur auf Erbpacht abgäben. Langfristig sind die Bundesländer und die Bundesregierung dafür verantwortlich, dass die jetzt unterentwickelten Regionen attraktiver werden. Mir war zum Kotzen zumute, als ich las, dass den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer im Zusammenhang mit dem Abbau der Braunkohlewirtschaft nur der Schrei nach mehr Bundesgeld einfiel! Von Zukunftsprojekten mit Perspektive war nichts zu lesen! Es ist zukunftsweisende Industriepolitik gefordert. Kennen unsere Länderregierungen, auch die im Westen, das Potential ihrer Bevölkerungen? Industriefirmen und Startups müssen auch gedrängt werden, in die Regionen zu gehen, die nicht überhitzt sind.
Die Entwicklung der Oberpfalz in Bayern zeigt, dass so etwas möglich ist! Regionale Strukturentwicklung ist vordringliche Aufgabe der Politik, egal welcher Parteifarbe! Jemand, der den Wohnraum vieler tausend Bürger an dubiose Privatfirmen verscherbelt hat, sollte eher stillschweigen, statt dummdreist von „Sozialismus“ zu schwafeln. Ganz zu schweigen von einem blau-gelben Papagei in modischem Outfit. Ich rufe den beiden zu: nachdenken macht attraktiv, dummquatschen macht hässlich!“
Roland Klose aus Bad Fredeburg:
„Saturdays For Future? Ja – für bezahlbaren Wohnraum in Berlin und in ganz Deutschland. Denn, die Politik mit ihren sog. Mietpreisbremsen I und II hat total versagt. Die Mieten steigen nämlich schon jahrelang weitaus höher als die Löhne. Dabei ist das Recht auf bezahlbaren Wohnraum wie das Recht auf Sicherheit ein Grundbedürfnis der Menschen. Wir brauchen deshalb keinen Mietwahnsinn, keinen Mietwucher, keine Mietspekulanten und keine Miethaie, weil bezahlbarer Wohnraum nicht zum börsenorientierten Instrument einer asozialen Marktwirtschaft verkommen darf. Darum ist ein Volksentscheid, die Deutsche Wohnen zu enteignen, notwendig, um die Spekulanten abzuschrecken und in die Schranken zu verweisen.
Enteignung allein reicht aber nicht aus, damit die Wohnsituation in Berlin und Deutschland entscheidend reguliert und entspannt werden kann. Dafür brauchen wir unbedingt gesetzliche Miethöchstpreise pro m2 in Kalt und in Warm für ganz Deutschland, die nicht überschritten werden dürfen. Und zwar unterschiedlich gesetzlich festgelegt für die Kategorien Dörfer, Kleinstädte, mittlere Städte und Großstädte. Dabei sollte es keine Rolle spielen, ob es sich dabei um einen Altbau, Neubau oder einen renovierten und gedämmten Altbau handelt, da der Vermieter jedweden Aufwand laut § 21 EStG – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung – ohnehin einkommensteuermindernd absetzen kann.
Auch der Bau von zusätzlichen Häusern und Wohnungen ist nicht die alleinige Lösung. Denn, die klimaschädliche Zementproduktion verursacht 8% der weltweiten CO2-Emissionen. Vielmehr müssen die vielen leerstehenden Häuser und Wohnungen unbedingt renoviert und für die Vermietung freigegeben werden. Damit das geschieht, sollten diese Häuser von Aktivisten beschlagnahmt und besetzt werden. Es muss vor allem viel mehr Druck auf die Politik ausgeübt werden, um unsere sog. Volksvertreter in Zeiten von Wahlen zum Handeln zu zwingen: durch Demos, durch das Besetzen von Häusern und Sit-ins und Übernachtungen von obdachlosen und wohnungslosen Menschen vor dem Berliner Reichstag, dem Bundeskanzlerinamt und vor dem Schloss Bellevue. Alle Macht dem Volke. WIR sind das Volk.“
Werner Runde aus Mönkeberg:
„Warum stellt niemand die einfache Frage, wie viel neue Wohnungen die Privatisierung durch Enteignung von Staatseigentum gebracht hat? Keine einzige neue Wohnung wurde deswegen gebaut, es gab nur Mieterhöhungen. Diese Scheindebatte über Enteignungen spielt denen in die Karten, die eine echte Diskussion über Grundstücksspekulation, Bodenpreise und andere Gründe verhindern wollen. Die Hauptstadt Wien hat gezeigt, dass Wohnungsmarkt auch sozial gerecht funktioniert, wenn der politische Wille vorhanden ist.“
Wie Werner Runde richtig schreibt, waren die Mega-Privatisierungen Enteignungen des Vermögens des Volkes. Es waren Enteignungen zu Lasten unserer Gesellschaft zugunsten einiger Profitjäger.
Ebenso ist es in der Folgezeit geschehen, dass manche Wohnungseigentümer, insbesondere Gesellschaften wie KKR oder Venovia ihre Mieter dergestalt enteignen, dass sie Ihnen deren mühsam erarbeitetes Geld durch überhöhte Mieten ohne angemessene Gegenleistung aus der Tasche ziehen. Dabei dient eine solche Enteignung weder dem Wohl der Allgemeinheit noch ist sie durch das Grundgesetz gedeckt.
Seit Wochen ärgere ich mich über eine emotionale, nicht auf Fakten basierende Diskussion in den Medien zum Thema Mietpreisinflation bzw. Enteignung von Immobilienkonzernen.
Fakt 1: Die Mietpreisinflation in Deutschland liegt unter der Inflationsrate in Deutschland (2017 Mietpreisinflation 1,4 Prozent, allgemeine Inflationsrate 1,8 Prozent). Fakt 2: Die durchschnittliche Wohnfläche pro Bundesbürger ist seit 2011 von 46,1 auf 46,5 Quadratmeter gestiegen. Fakt 3: Es gibt wohl in ganz Europa keine Großstadt, wo man so billig wohnen kann wie in Berlin. Die Mieten in London sind sicherlich drei- bis viermal so hoch wie in Berlin, ohne dass das Einkommen entsprechend höher ist.
Statt dankbar zu sein, so günstig in einer Weltstadt und einer der aktuell beliebtesten Städte der Welt zu wohnen, sollen jetzt die Wohnungskonzerne enteignet werden, um dem Land Berlin, das seit Jahren überfordert ist, kommunale Aufgaben zur Zufriedenheit der Bürger auszuführen, das Management und die Vermietung dieser Wohnungen zu übertragen. Gibt es wirklich Leute, die glauben, dass das Land Berlin, das unfähig ist, einen Flughafen zu bauen, besser als die Immobilienkonzerne Wohnungen managen könnte?
Wie viele neue Wohnungen entstehen denn mit einer Enteignung ?
Und wenn das aktuell äußerst niedrige Berliner Mietpreisniveau eingefroren wird, wird es noch mehr Menschen geben, die nach Berlin ziehen wollen. Es gibt schon heute 1,5 Millionen leere Wohnungen in Deutschland, und sollte es falsche Preisanreize geben,wird es demnächst noch mehr leere Wohnungen abseits der Ballungsgebiete geben.
Richtig ist es wohl doch eher, dass der Preisabstand zwischen attraktiven großstädtischen Wohnungen und Wohnungen außerhalb der Großstädte größer wird um mehr Menschen aus den Großstädten zu locken.
Es gibt nur wenige Menschen im Ausland , die nachvollziehen können, das ein Mieter in Deutschland eine Wohnung mit Kündigungsfrist kündigen kann, ein Vermieter aber nicht.
Das deutsche Mietrecht ist so unattraktiv für viele Investoren geworden, das über Jahre zu wenig gebaut wurde. Auch heute erleiden 30% aller Vermieter Verluste mit ihren fremdvermieteten Wohnungen. Und die aktuelle Diskussion wird sicherlich nicht helfen, Investoren zum Wohnungsbau zu animieren.
Diese Meinung mag zwar nicht sehr populär sein, aber eine Diskussion sollte schon auf Basis von Fakten geführt werden und nicht emotional bzw anhand einzelner Fälle wo es in der Tat zu überzogenen Mieterhöhungen gekommen sein mag.
Nur deswegen gleich zweistellige Milliardenbeträge aufwenden um Wohnungskonzerne zu enteignen und nicht eine einzige Wohnungen zu schaffen kann sicherlich nicht die Lösung sein.
Im übrigen hat ein rot regierter Senat die Wohnungen in Berlin Anfang des 21.Jahrhunderts billig verscherbelt. Wenn ein wieder rot geführter Senat diese jetzt zu den höchsten Preisen aller Zeiten zurück erwerben wird ist es wohl nicht schwer zu prognostizieren, das auch das wieder falsch sein wird.
Sicher ist, dass es bei diesem Thema um bezahlbaren Wohnraum geht. Das ist unbestritten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Enteignung dazu der richtige Ansatz ist. Die Enteignung sehe ich hingegen als eine Maßnahme, mit der Politiker etwas zurückdrehen wollen, was die Politik vor Jahren vermasselt hat. Vor dem Hintergrund klammer Kassen haben die Kommunen die Wohnungen an Gesellschaften verkauft. Das waren weitestgehend Wohnungen, die gefördert wurden oder weniger wohlhabenden Bürgern günstig vermietet wurden. Die Gesellschaften müssen natürlich Gewinn machen und können nicht wie eine Kommune Wohnraum fördern.
Was soll die Enteignung nun bringen? Den von den Kommunen verkauften Wohnraum mit einer Maßnahme, die mehr als fraglich ist, wieder unter kommunale Kontrolle bringen? Da ist Enteignung der falsche Weg. Vielmehr sollten die Politiker eingestehen, dass ein Fehler gemacht wurde. Als Folge sind nun die Politik und die Kommunen in der Pflicht, den Wohnraum zurückzukaufen, um bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stellen zu können.
Den durch die Wertsteigerungen damit entstehende Verlust muss man halt tragen. Das gehört als Konsequenz zu Fehlentscheidungen.
Mit den Wertsteigerungen von Grundstücken und Wohnungen werden steuerfrei viele Milliarden Euro verdient. Diese Gewinne gehören versteuert und das Geld in den sozialen Wohnungsbau investiert. Enteignungen sind blanker Aktionismus um von dem offensichtlich Notwendigem abzulenken.
@ hans
Dershalb ist auch eine grundsätzliche Reform der Grundsteuer wichtig.
Das Thema ist für mich ein Aufreger. Die Forderung nach Enteignung unterschreibe ich aus vollem Herzen. Als Drohkulisse, denn ich glaube nicht, dass sie sich durchsetzen lässt, Aber es ist doch ein Unding, dass man mit Wohnungen spekulieren darf ebensowenig wie mit anderen Lebens wichtigen Gütern. Hier klafft eine Gesetzeslücke. Ich könnte mich ja persönlich freuen, denn ich bin Mitbesitzerin eines Mehrfamilienhauses in Berlin (in gefragtester Lage) das von 1992 bis heute eine (spekulative) Wertsteigerung erlebt hat, die durch seine Substanz ganz und gar nicht gerechtfertigt ist. Wir haben das Haus mit Hilfe einer Förderung durch den Berliner Senat und durch Eigenarbeit instandgesetzt und modernisiert. Die Mieten blieben 20 Jahre gebunden, die Bindung ist seit zwei oder drei Jahren abgelaufen. Die Instandsetzung und Modernisierung ist inzwischen aber auch schon in die Jahre gekommen. Wie bei einem alten Auto muss man ständig nachbessern. Das Haus selber ist also nicht „wertvoller“ geworden. Wenn wir die Mieten weiterhin kostendeckend erhalten wollen, müssen alle Kosten eingerechnet werden, natürlich auch die Grundsteuer, die auf die Mieter umverteilt wird. Deren Bewertung habe ich noch nie verstanden und die neuen Vorschläge von Herrn Scholz verstehe ich auch nicht.
Verhängnisvoll ist der Bodenwert der Grundstücke, der ständig weiter in die Höhe getrieben wird, so dass Spekulanten Grundstücke oder Häuser aufkaufen, um sie dann leer stehen zu lassen oder sie nicht zu bebauen, in der Hoffnung, dass der Bodenwert in begehrten Gegenden weiter steigt. Hier muss die Politik Grenzen setzen. Ein weiterer Punkt sind Energiemaßnahmen. So ein Berliner Altbau mit seinen dicken Mauern braucht keine zusätzliche Dämmung. Man kann sie aber zum Vorwand nehmen ganz legal, um sie teuer auf die Mieter umzulegen, die sich dagegen gar nicht wehren können. Das können viele nicht bezahlen.
Eigentlich haben wir ein sehr gutes Mieterschutzgesetz, aber es gibt dennoch zu viele Schlupflöcher, um Mieter rauszuekeln oder bei Umgehung der Auflagen, die Mieter mit einer Abfindung raus zu kaufen, So verlieren die Städte allmählich ihre soziale Durchmischung, die ich für unsere Gesellschaft für sehr wichtig erachte. Die Gentrifizierung unserer Städte wird schlimme soziale Folgen haben. Die Banlieues sind ein abschreckendes Beispiel.
Pardon, das war etwas weitschweifig.
@ Dirk Griesmeyer:
Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen haben. Ich habe andere gefunden. Z. B. sind die Mieten in Berlin in den Jahren 2013-2018 um 52% gestiegen. Vermutlich kommt man auf Ihre 1,4% bei Betrachtung von Gesamtdeutschland, also unter Einschluss von ländlichen Gebieten in den neuen Ländern.
Gebaut wird seit einigen Jahren in sehr hohem Umfang, aber eben nicht in bezahlbarem Rahmen. Wer z. B. im Rhein-Main-Gebiet (keineswegs direkt in Frankfurt) eine neu gebaute Eigentumswohnung erwirbt, bezahlt dafür incl. Nebenkosten schnell mehr als 3.800,-€/qm. Daraus ergibt sich bei erwarteter Verzinsung von etwa 3,5% (im Moment ganz gut,aber in fünf Jahren?) eine qm-Miete von ca. 12,- Euro/Monat. 60 qm kosten somit kalt 720,-€ kalt. Da muss schon das Einkommen stimmen. Diese Preise basieren nicht zuletzt auf spekulativen Ursachen.
Was Enteignungen angeht, vor allem in Berlin. Natürlich schafft das keine einzige neue Wohnung. Aber zumindest theoretisch würde das die Mietpreise unter Kontrolle bringen. Die Fehler aber, das haben Sie Recht, wurden vor längerer Zeit begangen, indem städtische Wohnungen geradezu verscherbelt wurden. Aber Konzerne wie Vonovia nutzen ihre Marktmacht gnadenlos aus, z. B. dadurch, dass sie eigene Hausmeisterfirmen einsetzen und auch hier die eigenen Taschen füllen.
Es gibt in D keine den Metropolen London oder Paris vergleichbare Städte. Also macht Ihr Vergleich keinen Sinn (London hat drei- viermal so viele Einwohner wie Berlin).
Ich kenne das Mietrecht in europäischen Nachbarländern nicht. Unseres ist in Teilen sicherlich nicht sehr attraktiv für Investoren. Merkwürdiger Weise wird trotzdem viel gebaut. So schlimm kann es also nicht sein.
Wohnen, vor allem bezahlbares, ist ein essentielles Bedürfnis. Dem muss auch durch staatliche Aktivität, also sozialem Wohnungsbau, Rechnung getragen werden. Spekulativen Investitionen ist Einhalt zu gebieten, z. B. durch eine Grundsteuer C.
Den Verfechtern einer Enteignung der Wohnungskonzerne wird von ihren Kritikern gebetsmühlenartig entgegengehalten: „Enteignung schafft keine einzige Wohnung“. Das spricht für mangelndes Problembewusstsein. Denn so richtig es ist, dass mehr bezahlbare Wohnungen gebaut werden müssen, so ist das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage nur ein Teil des Problems.
Das lässt sich am Beispiel der Mieterverdrängung durch Gentrifizierung veranschaulichen: Die Betroffenen haben ja eine Wohnung, und die Gentrifizierer ebenfalls. Wohnungsnot entsteht hier nicht durch Mangel, sondern durch die Ausübung von Marktmacht. Dass die Vertreiber eine Wohnung frei machen und damit auch das Angebot vergrößern – der sog. „Sickereffekt“ – hilft den vertriebenen Mietern in Berlin nicht. Diese haben nichts davon, wenn beispielsweise eine Wohnung in Stuttgart frei wird, die häufig für die Betroffenen gar nicht bezahlbar wäre.
Was hier sichtbar wird, ist ein strukturelles Versagen des privaten, von Renditezielen gesteuerten Wohnungsmarkts, der in Mangellagen durch asymmetrische Machtverhältnisse gekennzeichnet ist. Der renommierte Ökonom Erich Preiser sprach seinerzeit, auf den Arbeitsmarkt bezogen, von einem „Quasimonopol „der Besitzenden“. Diese Betrachtungsweise lässt sich auch auf den Woihnungsmarkt übertragen. Marktregulierungen wie die Mietpreisbremse laufen weitgehend ins Leere; denn der Wohnungssuchende, der den Mut hat, bei Verhandlungen nach der Beachtung der Mietpreisbremse zu fragen, dürfte die Wohnung wohl nicht bekommen, da Schlange stehende Konkurrenten den Zuschlag erhalten werden, die sich den Machtverhältnissen beugen.
Der Bau von mehr Sozialwohnungen ist zwar als Sofortmaßnahme notwendig, verpufft aber langfristig, wenn die Wohnungen wieder aus der Bindung fallen. Ein ungelöstes Problem sind hier die Fehlbelegungen, wenn Mieter im Lauf der Zeit die Einkommensgrenzen überschreiten, die Wohnung aber nicht frei machen, wenn sie keine neue bezahlbare Wohnung finden.
Zur Lösung des Problems bietet sich hauptsächlich an, bezahlbaren Wohnraum vor allem in Ballungsgebieten, den Gesetzen vermachteter Märkte durch eine umfassende Wiederbelebung des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus zu entziehen, Hierzu gehören Neubau ebenso wie Instrumente zur Kommunalisierung und Rekommunalisierung von Grundstücken und Wohnungsbeständen. begleitet von entsprechender regulierender Stadtplanung. Das viel zitierte Beispiel der Stadt Wien ist richtungsweisend. Stattdessen haben Länder und Kommunen in der Vergangenheit mit Privatisierungen von Grundstücken und Wohnungen wohnungspolitische Todsünden begangen. Der Schalter muss dringend umgelegt werden.
Stephan Hebel weist völlig zu Recht darauf hin, dass „bürgerliche Politik“ sich nicht durch die Abwesenheit von Enteignungen definieren lässt. In diesem Punkt liegt Markus Söder einmal wieder völlig daneben. Enteignungen nach Artikel 14 GG sind auch nicht nur eine theoretische Option der Väter und Mütter unseres Grundgesetzes, sondern gelebte Wirklichkeit unter allen bürgerlichen Regierungen bei der Realisierung von großen Infrastruktur- und Industrieprojekten (Neubau oder Erweiterung von Straßen, von Bahntrassen, Flughäfen, Kanälen, Kraftwerken, Lagern für Atommüll, Braunkohletagebau und vielem mehr). Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum dieses letztlich unverzichtbare Mittel zur Realisierung von Maßnahmen, die dem Gemeinwohl dienen, nicht auch zur Behebung von Wohnungsmangel in Ballungsgebieten herangezogen werden können soll.
Dass insbesondere Grund und Boden sowie Naturschätze nach Artikel 15 GG „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ überführt werden können, scheint mir zudem völlig richtig, weil es sich hierbei um keine produzierbaren Güter handelt, über deren Verwendung ein einzelner Besitzer in jedem Falle frei entscheiden kann. Denn diese Entscheidung stößt offensichtlich dort an ihre Grenze, wo die übrige Bevölkerung durch diese Entscheidung(en) in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird. Das aber kann bei bestehendem Wohnungsmangel und entsprechend explodierenden Mieten der Fall sein. Die Frage ist dann nicht, ob Enteignungen möglich sind, sondern ob sie sich zur Behebung des Mangels eignen.
Wenn nun die Vorsitzende der SPD, Andrea Nahles, flugs den Slogan der Immobilienlobby aufgreift, demzufolge Enteignungen keine einzige Wohnung schaffen würden, so ist das allerdings bedenklich. Betrüblich auch Stephan Hebels Kurzkommentar („das stimmt“), denn diese nur vordergründig plausible Behauptung stimmt eben nicht. Was wäre denn die Folge? Da die Wohnungsbaugesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen nach einer Enteignung zwar über keinen bzw. nur noch über einen Restbestand an Wohnungen sowie über die dafür erhaltene und nicht unerhebliche Entschädigung verfügen würden, würden sie mit Sicherheit dieses Kapital ihrem Auftrag und der Präferenz ihrer Anteilseigner gemäß wieder in den Wohnungsbau investieren. Was wäre damit gewonnen? Der neue Eigentümer der Bestandswohnungen, ein Wohnungsunternehmen in öffentlicher Hand, könnte auf Luxussanierungen und maximale Mietsteigerungen zur Erzielung hoher Profite verzichten, seinen Schwerpunkt auf den Erhalt des Bestandes legen und den Mieterinnen und Mietern den Verbleib in ihrem vertrauten Wohnumfeld ermöglichen. Die Anteilseigner der Immobilienunternehmen müssten sich bei ihren Neubauten voraussichtlich mit einer geringeren Profitrate begnügen, diese aber angesichts der relativ hohen Sicherheit der Anlage und fehlender Alternativen in Kauf nehmen. Finanzierbar wären die Entschädigungen durchaus aus den laufenden Mieteinnahmen in angemessenen Raten (das Kapital war ja auch zuvor in den Immobilien längerfristig gebunden).
Im Übrigen sind Enteignungen natürlich kein Allheilmittel und schon gar nicht die einzige jetzt notwendige Maßnahme, da ist Stephan Hebel wieder zuzustimmen. Verstärkter sozialer Wohnungsbau unter Aufhebung der zeitlichen Begrenzung der Mietpreisbindung (Beispiel Wien!) und Bekämpfung der Bodenspekulation sind schon lange überfällig (vgl. z.B. die Regierungserklärung Willy Brandts vom 28.10.1969). Und warum eigentlich nicht generell das Eigentum an Grund und Boden in öffentlicher Hand erhalten und ausbauen und die Nutzung lediglich zweckgebunden in Erbpacht vergeben? Bei entsprechend sorgfältig formulierten Pachtverträgen ließen sich Missstände durch Kündigungen schneller beheben, als es mit Enteignungsverfahren möglich ist. Die Lösungsansätze sind nicht neu, aber bisher viel zu selten angewendet!