Steuerdebatte die 3774ste. Diesmal aus philosophischer Sicht. Der Philosoph Peter Sloterdijk plädierte in einem laaaaangen „Welt“-Interview (in diesem Zusammenhang interessant wird das Interview in der zweiten Hälfte): „Wir leben in einem real existierenden Semisozialismus.“ Zugleich erkennt er eine „fiskalische Kleptokratie“, in der der Staat sich die Mittel aneigne, die er braucht, um seine Aufgaben anständig zu erfüllen, und möchte „die methodisch herbeigeführte Dunkelheit des deutschen Steuersystems mit einem radikal aufklärerischen Schnitt überwinden“. Zu diesem Zweck schlägt er ein Gedankenexperiment vor: „Wie wäre es, wenn jede Form von Zwangsbesteuerung verschwände und das ganze System auf ein ziviles Spendenwesen umgestellt würde? Die Bürger müssten dann so viel Elan der Selbstentäußerung entwickeln, wie nötig wäre, um auf freiwilliger Basis die gleichen Beträge aufzubringen, die jetzt auf der Grundlage von Zwangsbesteuerung zusammenkommen. Ich gehe so weit zu behaupten, dass es wirkliche Staatsbürger erst geben kann, wenn alle erzwungenen Steuern abgeschafft und durch Spenden an das Gemeinwesen ersetzt sind.“ So, glaubt Sloterdijk, lasse sich die „Umwandlung der Bürger von mystifizierten Steueruntertanen in selbstbewusste Sponsoren der Allgemeinheit“ erreichen.
Da passt es, dass FR-Autor Franz Sommerfeld nach den Wahlen „einen grundlegenden Umschwung des geistigen Klimas im Lande“ erkennt: „74 Prozent der Bürger halten nach der jüngsten Emnid-Umfrage die geplante Senkung der Einkommenssteuer für richtig und fordern weitere Schritte.“ Weiter: „Sloterdijk geht es vielmehr darum, die ethischen Grundlagen des modernen Steuerstaates zu hinterfragen: Wie hoch darf der Staatsanteil sein? Woran wird er gemessen? Was ist sozial gerecht? Muss man sich guter Bezahlung für gute Leistung genieren, weil eine Reihe von Investmentbankern jedes Maß verloren hat? (…) 17 Prozent der unter Dreißigjährigen haben bei der Bundestagswahl liberal gewählt. Ein genauerer Blick in die Untersuchungen zur Wahl zeigt zudem, dass hier keine Generation kaltherziger Neoliberaler heranwächst, sondern junge, durchaus sozial eingestellte Pragmatiker, wenig ideologisch gesteuert und natürlich ökologisch verantwortungsbewusst. Vielleicht lassen sie sich als ’neue Sozialliberale‘ charakterisieren, auch wenn der Begriff geschichtlich besetzt ist.“
Neue Sozialliberale – dieser Begriff ruft die FR-Leser auf den Plan. So meint Wolfgang Fladung aus Bad Camberg:
„Da feiern sie wieder Urständ, die preußischen Junker, und Sommerfeld hält ihnen die Steigbügel zum neoliberalen Ross. Genauso abwegig wie Sloterdijks Annahme (oder eher Wunschdenken?), die Steuereinnahmen würden geradezu sprudeln, wenn die Leistungsträgerelite von der Steuerzahl-Muss-Option auf die „Kann-Option“ umschalten könnte, ist die Annahme, der Stolz über die eigene Großzügigkeit würde als vorauseilende Beschämung wegen potenzieller eigener Knausrigkeit dann zu höheren Steuereinnahmen führen. Wer hat denn in den letzten Jahren systematisch Steuervermeidung, um nicht zu sagen, politisch nicht sanktionierte Steuerhinterziehung mit Hilfe Schweizer Banken, Liechtensteiner Stiftungen und obskuren Briefkastenfirmen in der Karibik betrieben? Stolz war man dann allerdings, darüber, den Staat so wunderbar um Steuern beschissen zu haben, sich künstlich auf das Steuerniveau von Geringverdienern heruntergerechnet zu haben und dann womöglich noch mehr oder weniger direkte Subventionen als indirekte Belohnung für die eigene Schläue kassiert zu haben. Stolz war man auch, möglichst viele Billiglöhner und Geringverdiener zu beschäftigen, ihnen die Schuld am eigenen Schicksal einzureden und ihnen die immer enger geschnürten „Reform“-Agenda-Zwangsjacken als gut fürs eigene Wohl und Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze verkauft zu haben.
An das soziale Gewissen der alten und neuen Leistungsträger zu appellieren, wäre so, als würde man einem Hund eine Wurst hinhalten und erwarten, dass er nur ein kleines Stück abbeißt.“
Johannes Krämer aus Frankfurt:
„Man muss Herrn Sommerfeld und Herrn Sloterdijk unbedingt beipflichten, dass ‚der Geist der Zeit neue Signale sendet‘. Denn eine staatliche Transferleistung zugunsten einiger sonst kollabierter Großbanken in einer Größenordnung des Gesamtsteueraufkommens eines Fiskaljahres hat es in der BRD noch niemals gegeben.
Es sollte jeder der ‚Intellektuellen und Kreativen‘ bei seiner vierteljährlichen Umsatzsteuervorauszahlung bedenken, dass sein schwer verdientes Geld demnächst weniger nichtsnutzigen Hartz-IV-Schmarotzern als vielmehr redlich und eifrig wirkenden Spitzenbankern zugutekommt, die sich um die deutsche Wirtschaft wahrlich verdient gemacht haben.
Alternativ könnte man allerdings die Steuerpflicht überhaupt ganz streichen und, frei nach Sloterdijk, alle richtig vermögenden Deutschen dazu aufrufen, eben diesen unglücklichen Bankern freiwillig mindestens 100 Milliarden Euro zu spenden, so dass sie, frisch gestärkt, neue und vielversprechende Finanzprodukte auf den Markt werfen könnten, wiederum zum Wohle aller! Damit hätten wir dann die materielle Voraussetzung für einen „grundlegenden Umschwung des geistigen Klimas im Lande“. Denn wenn schon von einer Solidarität der Habenichtse in der Debatte nichts zu hören und zu spüren ist, könnten doch die Besitzenden mit gutem Beispiel vorangehen, mit Hans Werner Sinn und Peter Sloterdijk an der Spitze, denn die Claqueure des Kapitals sind rätselhafterweise schon immer schlauer als die Kapitalisten selbst gewesen und im Werfen von gewitzten Nebelkerzen einfach unschlagbar.
Die vehemente Verteidigung der Kapitalanhäufung und die unverblümte Forderung nach Abbau des Sozialstaats gerieren sich jetzt als neue soziale oder politische Philosophie, aber dies ist, wie man bei Marx (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, S.843 ff.) nachlesen kann, ein uralter Hut, es ist bloß wieder der alte Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit, diesmal Arbeit in Form der industriellen Reservearmee und schließlich des klassischen Lumpenproletariats.“
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:
„Die von Sloterdijk angestoßene Debatte über den ausgeuferten Steuer- und Abgabenstaat hat zu einer Fülle öffentlicher Einlassungen geführt. Zuletzt hat sich der Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhof dahingehend geäußert, dass ein Verzicht auf gesetzliche Zwangsabgaben völlig abwegig sei und der Staat erpressbar würde, wenn er nur auf freiwillige Geldzuwendungen vermögender Personen angewiesen wäre. Die Sozialstaatsidee ist nun einmal im Grundgesetz verankert und strahlt überall in unser Gemeinwesen aus – man denke an den Länderfinanzausgleich, den Solidaritätszuschlag und die vielen sozial begründeten staatlichen Ausgleichsleistungen. Viele Mitbürger gehen aber so weit, den Begriff der ’sozialen Gerechtigkeit‘ gänzlich aus der deutschen Sprache eliminieren zu wollen, weil er ‚Opium für das Volk‘ sei.
Was an der Debatte befremdet, sind die zu rigiden und verabsolutierenden Ansichten. Es fällt auch auf, dass jene, die vom kleptokratischen Staat mit 50 Prozent Gesamtabgabenlast sprechen, niemals sagen, welche Positionen aus den großen Haushaltsblöcken von Sozialem und Militär gestrichen werden sollen. Fordert irgendjemand ernsthaft, dass die Bundesrepublik wie Costa Rica gänzlich auf Militär verzichtet? Sollen die seit Bismarck immer weiter ausgebauten sozialen Sicherungssysteme geschliffen werden? Will und kann der Staat darauf verzichten, mit Steuern und Steuererleichterungen die Wirtschaftsgesellschaft indirekt zu lenken, z.B. im Hinblick auf ökologische Erfordernisse?
Was fehlt, ist eine Generalinventur des gesamten Abgabenwesens, der die Staatsaufgaben sowie die bisher für erforderlich erachteten Transferleistungen gegenüberzustellen wären. Sich in Allgemeinheiten der Beschimpfung des Wohlfahrtsstaates zu ergehen, bringt uns nicht weiter.“
Heinz Markert aus Frankfurt:
„Der Philosoph Sloterdijk hat nur ein gescheites Werk geschrieben: ‚Im selben Boot, Versuch über die Hyperpolitik‘, im übrigen lümmelt er sich als ein den Realien enthobener und emanzipierter Professor. Ich rate ihm, sich auch mal einen dicken Stapel Wirtschaftsliteratur zuzulegen und noch mal die Schulbank der Realschule zu drücken.
Fragwürdig sind stets Leute, die aus erhebenden Theoriegebäuden die Gesellschaft neu erfinden wollen.
Es könnte ihm zu denken geben, dass Kohl einst auch abgewählt wurde, weil die Formel Steuern und Abgaben runter, liberalisierter Arbeitsmarkt: bringt Wachstum und Beschäftigung – im Gefolge des Lambsdorff-Papiers von 1981 – nicht den gewünschten Erfolg zeitigte. Ich erinnere mich an einen damaligen Auszubildenden, der von diesem Mantra genug hatte und mithin für Kohls Abwahl sorgte. SPD und Grüne haben aber nach Maßgabe des neoklassischen Dogmas ab 1998 munter weitergewurstelt und sind grandios mit ihrem kümmerlichen Ansatz gescheitert. ‚Wirtschaftsfreundliche Politik ist das Ende der Marktwirtschaft (Heiner Flassbeck, aus: ‚Gescheitert‘, S. 250).
Privilegien, Vorteile, Vergünstigungen werden von den Unternehmen abgebucht und mitgenommen, aber keine einzige Investition dadurch getätigt, kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Sie gewöhnen sich nur daran und verlangen immer mehr. Nicht mehr Arbeit und Zukunftsinvestitionen sind das Ziel, sondern Plazierung der Gelder am Finanzmarkt. Lidl macht seine Haupteinnahme, indem es Zahlungen, die Lieferanten zustehen, am Kapitalmarkt parkt.
Nicht wirklich alle Hartz-IV-Empfänger sind minder qualifiziert. Auch höher Qualifizierte verlieren Arbeit, werden dann aber ausgegrenzt und abgeschrieben. Nicht wenige dürften überqualifiziert sein, werden in den Firmen hingegen kritisch gesehen, z.B. weil an einer Stelle eine Eitelkeit oder Egomanie berührt ist oder berührt werden könnte. Der Erfinder hat seine Schuldigkeit getan, der Erfinder kann gehen.
Es gehören nicht wenige der belobten neuen Selbständigen potentiell dem Prekariat an. Ein freiberuflich angestellter, i.e. Freelancer (in EDV) ist mir bekannt, der sich dereinst durch Börsengeschäfte einen Kapitalstock schuf, vielleicht nicht sorgsam damit verfuhr, von der Finanzkrise erwischt wurde und wohl auch finanzielle Fehlentscheidungen traf (außerdem gekündigt wurde) – und jetzt von Hartz-IV lebt. Da kommt noch einiges auf uns zu. Unternehmen hatten Vorteile (Arbeitgeberanteil eingespart), der Sozialstaat muss für die Folgen einstehen.
Wann aber investiert ein Unternehmen, schafft Arbeitsplätze? Na, wenn es Aufträge, Nachfrage nach Gütern erwarten kann. Die Binnenwirtschaft, ja die Binnen-Gesellschaft wurden aber in einem jahrelangen Prozess niedergerungen, niedergeknüppelt, Arbeitende wurden schlecht gemacht, schlecht geredet, Menschen wurden zu Unpersonen gestempelt, als Kranke gar waren sie grad gänzlich fragwürdig, wurden zu diebischen Kostgängern im sonst effizienten Reich der Großen, Reichen und Mächtigen herabgestuft. Prekäre Beschäftigungen breiteten sich aus.
Durch den weltwirtschaftlichen Boom ab 2005 – Merkel konnte Schröder auf genial einfache Weise beerben – war die Finanzierung der Sozialsysteme unvermittelt als Thema wieder zurückgetreten, denn die Beiträge sprudelten. Trotzdem wurde der Gesundheitsfond gebastelt. Als der Export-Boom vorbei war und die Finanzkrise zuschlug, waren Beitrags- und Einnahmeausfälle die Konsequenz, da die Sorge um die Binnenkonjunktur, das Binnen-Leben vorher wie nachher kein Thema waren, denn Politik förderte und fördert stur nur ihre Klientel (oder die, die sie dafür zu halten sich entschlossen hat).
Existenz eines Prekariats ja oder nein?: gleichgültig, denn die Wirtschaftspolitik der letzten 25 Jahre war falsch.“
Also ich dachte, die Sloterdijk- Debatte wäre nun endlich ums Eck. Nach diesem FAZ-Text, der mich zwar nicht zu einer schriftlichen Erwiderung, dafür aber zu einem inneren wütenden Monolog veranlasst hatte-mehrere Haltestellen lang, in dem ich angewidert in die Dunkelheit starrte und sogar gelobte, „Die Kritik der zynischen Vernunft“ aus meinem Gedächtnis zu löschen, da sich offenbar der Autor auf seine darin geäußerten Gedanken auch nicht mehr besinnen konnte. Ja, endlich ums Eck- nach ein, zwei Zeit-Erwiderungen. Nach mehreren FAZ-Erwiderungen, als Erwiderung auf die Erwiderungen in der ZEIT. Nach einer weiteren Erwiderung wiederum in der Zeit bezugnehmend auf die FAZ-Erwiderungen. O je! Und nachdem jeder Philosoph, Literaturtheoretiker, Soziologe und Journalist und ich weiß nicht wer noch in diesem Land irgendwo eine Erwiderung geschrieben hatte, folgte schlussendlich eine Erwiderung in der FAZ aus steuertheoretischer Sicht von Paul Kirchhof, den ich zwar nicht leiden kann, der aber zu meiner Freude zumindest die wesentlichen Thesen Sloterdijks lässig entkräftete und als das darstellte was sie sind, nämlich Quark. Nun erzählt Sloterdijk der Welt den ganzen Käse wohl noch mal-und das auch noch in in der „Welt“. Und jetzt frage ich mich: Was um Himmels Willen soll man denn darauf noch erwidern?
Der Kommentar von Herrn Sommerfeld war sehr gut. Die Idee, nur auf der Ebene Zurwinkel/Ackermann würde die Zwangsenteignung namens Steuer nennenswerte Ausmaße annehmen, ist falsch, das nimmt schon weit unterhalb, und damit auch für größere Bevölkerungskreise, so drastische Ausmaße an, daß die Betroffenen mit der Akzeptanz der moralischen Rechtfertigung der Zwangsenteignung schwer zu kämpfen haben. Sommerfeld hat diese Gruppen ja benannt. Wer einfach nur von der „Gier“ dieser Personen schwadroniert, macht es sich wirklich zu einfach, und Herr Sommerfeld ist es hoch anzurechnen, daß er nicht auch in diese Kerbe schlägt, obwohl das heutzutage wirklich am einfachsten ist, (um Applaus zu bekommen).
@maat, das von Bronski gelinkte WELT-Interview war vom 12.7.2009. Daß es noch durchweg unberührt von dem ist, was Sloterdijk im Oktober/November entgegenet wurde, wird man entschuldigen müssen.
Ach Herr Wedell, ich empfehle Ihnen, sich erst mal auf den aktuellen Stand der Debatte zu begeben. Dann würden Sie vermutlich keine laue Sommerfeldsche Brühe loben, als handle es sich um ein Gourmetsüppchen. Pieksen Sie mal mit der Gabel rein – die Klößchen sind angeschimmelt. Mir vergeht da schlicht der Appetit.
@maat,
ich verstehe Sie ehrlich gesagt nicht. Daß die Steuereinnahmen sprudeln würden in einem System der Freiwilligkeit von heute auf morgen, das hat Sloterdijk nicht behauptet, auch wenn Fladung und andere ihm das unterstellen. Aber er hat gesagt, daß ein System der Freiwilligkeit einem des Zwangs vorzuziehen ist. Das gilt doch für jedes wünschbare Verhalten: Es über Einsicht und Freiwilligkeit herbeizuführen ist besser als es über Zwang herbeizuführen. Diese Grundidee Sloterdijks ist und bleibt richtig, da ist nichts angeschimmelt.
Peter Sloterdijks Welt-Beitrag habe ich zwar noch gar nicht gelesen, wird bald nachgeholt, aber manche Gedanken über die Zitate hätte ich schon.
„[…] real existierenden Semisozialismus.“ Versteht er sich nun als Optimist oder Pessimist?! (Das Glas-Beispiel: halb voll oder halb leer?) Ich selbst bin weder noch, sondern Realist 😉
“[…] Zwangsbesteuerung verschwände und das ganze System auf ein ziviles Spendenwesen umgestellt würde?“ Soll Leben & Arbeit der Politiker einschl. Parlamentarier von Lobbys abhängig sein? Soll die Spendenbüchse zum Marschgepäck der Soldaten gehören?
Ein sehr beachtenswertes Gespräch mit Richard von Weizsäcker hat die FR in der Ausgabe von 09.11.2009 protokolliert (ist schon im FR-Web zu haben). Zitat: „Auf wen bauen Sie denn in Deutschland, damit Vergleichbares verhindert wird? Auf die Demokratie und die lebhafte öffentliche Auseinandersetzung!“
Herr Wedell, natürlich ist ein System der Freiwilligkeit einem System des Zwangs vorzuziehen. Nur bleibt dies immer graue Theorie und völlig akademisch, weil es in der Praxis nicht funktioniert, also in Gruppen, Gemeinschaften oder Staaten, wenn es nicht auch Regeln gibt, d.h. Gesetze, Verordnungen, Bestimmungen, Anweisungen etc., welche das Gemeinwesen zusammenhalten.
Wie wollen Sie für Freiwilligkeit einen Grad festlegen, persönliche Einschätzung wofür und wieviel Steuern ich zahle? Halte ich Polizei für sinnvoll, das Techn. Hilfswerk aber für überflüssig?
Oder würden Sie im Straßenverkehr auf Freiwilligkeit plädieren, ob ich jetzt mit 100 oder 30 dürch die Fußgängerzone brettere? Als Berufstätiger würde ich auch gerne meine Arbeitszeit individuell gestalten und morgens länger schlafen, muß mich aber auch hier anpassen. Und wenn ich mit meiner Frau essen gehe, kann ich mit dem Wirt schlecht über den Essenspreis verhandeln (auch wenn dies einige Lokale jetzt als Gag anbieten). Man könnte auch sagen: die Möglichkeit zur Freiwilligkeit ist nur möglich, wenn sich eine Gemeinschaft vorher darüber verständigt hat, unter welchen Regeln diese ausgeübt werden kann. Eigentlich wärmt hier Sloterdijk nur die Suppe auf, die Friedrich August von Hayek (mit falscher Berufung auf Adam Smith gemeinsam mit Milton Friedman) als neoliberaler Posaunenengel rausgepustet hat.
Wie sieht es mit der „Freiwilligkeit“ von Hartz-IV-Empfängern aus, einen Arbeitsplatz oder auch nur einen 1-Euro-Job anzunehmen, ohne dafür mit Sanktionen, also Leistungsminderung oder -streichung bestraft zu werden? Wenn ich als kommunalpolitisch interessierter Mensch in einen 1-€-Job gepresst werde, und weiß 100%ig, das dieser Job einen frühere reguläre Stelle ersetzt, kann ich mich trotzdem nicht weigern, diesen anzunehmen. Übrigens zahlen Hartz-IV-Empfänger keine Steuern, werden aber z.B. durch die Anrechnung des Kindergeldes auf die Leistungen des Staates bestraft. Und wenn Sie als Hartz-IV-er dauerhaft Medikamente benötigen, die nicht der Verschreibungs-pflicht unterliegen, können sie wählen zwischen Brot, warmer Wohnung oder Medikamenten. Alles freiwillig natürlich!
Wenn Sie abends in der S-Bahn sitzen und im Abteil sind junge Herren, die gerade von Alkoholeinfluß und Testosteron-Schüben geplagt sind, und die zunehmend, sicherlich freiwillig, Ihnen auf die Pelle rücken, können Sie sich freiwillig mit diesen anlegen oder freiwillig an der nächsten Station aussteigen, und auf die nächste Bahn warten, in der Hoffnung, das die jungen Herren nicht auch aussteigen. Aber Sie können natürlich auch an deren Einsicht appellieren, na dann viel Spaß!
Möglicherweise ist Sloterdijk auch nur Angler, und hat aus seinem (abgesicherten und finanziell gut gepolsterten) Elfenbeinturm heraus die Angel ausgeworfen, um zu sehen, wieviele professorale und journalistische Fische auf seine Provokation anbeißen. Er hätte damit vielleicht warten sollen bis Rosenmontag, duffdäh, duffdäh, duffdäh, Narhallemarsch!
Fangen wir doch mit der Freiwilligkeit bei der Kirchensteuer an. Mal sehen, ob die Kirchen das finanziell überleben…
@W. Fladung,
keine Minute brauchen wir darüber zu diskutieren, daß eine sofortige Umsetzung der Idee der „gebenden Hand“ nicht möglich ist. Philosophen denken aber wohl in größeren Zusammenhängen, betrachten nicht nur den Menschen, wie er gerade ist, sondern sie loten auch aus, wie er auch stattdessen sein könnte. Zugegeben, eine Gesellschaft, in der der Egoismus fröhliche Urständ feiert, in der kaum einer sich um seinen Nächsten kümmert, weil sich um den zu kümmern ja Aufgabe des Staates ist, ist der denkbar schlechteste Ausgangspunkt, um in Verhältnisse zu wechseln, in denen das ganz anders ist.
Wenn also Steuerexperten sich bemüßigt fühlen, auf Sloterdijk einzugehen, und man dem eine Bedeutung beimisst, finde ich das einigermaßen lächerlich. Es müssten Geschichtswissenschaftler und Verhaltensbiologen, ganz besonders letztere, sein, die man zu diesem Thema anhören müsste.
Es wird ständig von allen möglichen Instanzen gefordert, in längeren Zeiträumen zu denken, tut es mal einer, wird er prompt angegiftet, weil er gerade eben so fern der Gegenwart denkt.
@Max Wedell
Also Herr Wedell, hätte Sloterdijk in längeren Zeiträumen gedacht, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass sein hohes Gehalt, das er jeden Monat als verbeamteter Professor und Rektor einer Hochschule aus Steuergeldern erhält, vermutlich nicht auf seinem Konto erschiene, wenn die Gut-, Besser-und Bestverdienenden in diesem Land die Staatskasse auf freiwilliger Basis zu füllen gedächten. Im Übrigen ist die Idee der Steuern damit zu begründen, dass der Staat z.B. für die Infrastruktur (Straßen, Schulen etc.) sorgt, auf die jeder, der hier lebt zwar gerne zurückgreift, den Kostenfaktor aber unter Umständen vergisst, insbesondere nachdem er –z.B. durch ein ausgiebiges Studium- zu Wohlstand gelangt ist. Eine freiwillige Abgabe würde bedeuten, dass diese Leistungen vom Staat wahlweise verhandelt oder erbettelt werden müssten (gegen welche Gegenleistung?), was den Staat in ein Abhängigkeitsverhältnis brächte. Wenn Sie dahin wollen bitte sehr- ich nicht! Sloterdijks Erguss in der FAZ war im Gegensatz zu anderen seiner Texte nicht philosophischer Natur. Ich persönlich benötige für diese Lektüre auch nicht die Hilfe eines Geschichtswissenschaftlers oder Verhaltensbiologen. Der gesunde Menschenverstand reicht völlig aus, um seine Thesen zurückzuweisen. Bedauerlicherweise hat unser Philosoph in vielen FAZ-Leserbriefen Zustimmung erhalten. Offenbar haben sich vor allem Professoren angesprochen gefühlt, deren Kommentare sich im Übrigen auch weder philosophisch noch in irgendeiner Form utopisch –visionär ausnehmen. Der Tenor lautete natürlich wie folgend: Ach, wie gerne würde ich mit Liebe über die Hälfte meines satten Professorengehalts der Allgemeinheit spenden, wenn man mich nur ließe. Daher-Oh, weh- rege ich mich auch so voller Leidenschaft über unser Steuersystem auf, da es mich zu dem zwingt, was ich am Liebsten freiwillig täte, nämlich ein guter, ein besserer oder ein allerbester Mensch zu werden (Um nicht zu sagen ein GUTMENSCH, Herr Wedell!)
@ 8 Wedell Max
Ach, Herr Max, auch dieser Vorgang ist gar nicht so kompliziert … zumindest für das ritualisierte Gutsein.;-) Was dieser Sloterdijk in die Welt hinaus philosophiert ist bestenfalls Unsinn. Richtig hingeschaut ist es sogar gegen die größte zivilisatorische Errungenschaft dieses Landes, das Grundgesetz, gerichtet. Was dieser, koste es was es wolle, ins Rampenlicht drängende Zeitgeistdampfplauderer zum Ausdruck bringt, ist faktisch ein Rückfall ins Mittelalter. Barmherzigkeit und Gnade sollen demnach vor dem Grundgesetz rangieren. Gem. Grundgesetz hat jeder Mensch z.B. einen ANSPRUCH auf ein würdevolles Leben, ist also in diesem Zusammenhang ausdrücklich NICHT auf Gnade und Barmherzigkeit angewiesen. Und das ist auch sehr gut so, zumal Barmherzigkeit ohnehin nur auf freiwilliger Basis funktioniert. Die unantastbare Würde des Menschen, die Festschreibung der Sozialstaatlichkeit, überhaupt die ersten 19 Artikel des GG, in Verbindung mit der Rechtsordnung, garantieren ein vernünftiges menschliches Miteinander, obwohl sich das GG immer öfters gegen Anschläge, insbesondere aus der Regierungspolitik, wehren muss. In jedem Fall kann sich jeder Mensch darauf berufen. Dagegen sind die sloterdijkschen Thesen, höflich ausgedrückt, Kokolores. Das Grundgesetz ist die stärkste Waffe der Schwachen. Teilen Sie das doch bitte diesem Schmalspurphilosophen mit, sofern Sie dazu die Gelegenheit haben. Danke.
Übrigens, der Kommentar @ 6 von Herrn Wolfgang Fladung bringt den Sachverhalt, durch hervorragend anschauliche Beispiele, mitten aus dem Leben gegriffen, optimal auf den Punkt. Dem schließe ich mich mit großer Freude, ja, sogar mit Begeisterung an.
mfg
Jutta Rydzewski
# 10 – Vielen Dank, Jutta Rydzewski, für das Feedback. Freut mich immer, wenn ich Bestätigung erhalte, das nicht ich im Elfenbeinturm sitze.
Mit anderen Worten, der Mensch tut nur das, was er sollte, indem man einen Polizisten hinter ihn stellt oder mit dem Polizisten droht. Nun gut, wenn das die allgemeine Meinung hier ist, kann ich dagegen natürlich kaum anstinken.
Lustig finde ich, diese pesimistischen Ansichten gerade aus der politischen Richtung zu hören, wo man beim Thema Bürgergeld der Ansicht ist, daß gerade dann, wenn der Zwang zur Arbeit wegfällt, der Wille zur Arbeit, auch gerade zur unentgeltlichen Arbeit geradezu aufblühen wird. Ich sehe da einen Widerspruch. Steuerabgaben sind de facto unentgeltliche Arbeit, müssen aber irgendwie erzwungen werden, aber die unentgeltliche Arbeit, die wir nach Abschaffung des Zwangs zur Arbeit und Einführung des Bürgergelds unbedingt brauchen, werden alle natürlich bereit sein zu leisten.
Man dreht sich sein Menschenbild halt immer gern so, wie’s gerade passt.
# 13 – BvG: Da ich nicht so häufig hier blogge, und im Hebel-Blog eigentlich nicht in Erscheinung trete, würde mich sehr interessieren, was Sie an dem Beitrag von Frau Rydzewski auszusetzen haben. Und dies nicht nur, weil sich diese zu meinem Beitrag geäußert hat. Also bitte – Butter bei die Fische!
@14
da stimme ich Ihnen zu, Herr Fladung.
@ all
Der ursprünglich als # 13 erschienene Kommentar wurde gelöscht. Bitte keine Beleidigungen in diesem Blog!
Der Frage, was an den Beiträgen von Jutta Rydzewski auszusetzen sein soll, schließe ich mich allerdings an, BvG!
# 12 – Max Wedell: Nein, ich drehe mir mein Menschenbild nicht so, wie es mir paßt, sondern wie es der Realität um mich herum seit Jahrzehnten entspricht. Und diese funktioniert nicht nach dem Prinzip „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, sondern eher, (sorry, Wolf) nach dem Wolfsprinzip. Kennen Sie Artikel 14, Absatz II, unseres wunderschönen GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“.
Hätten die Väter unseres Grundgesetzes hier etwas anderes im Sinne gehabt, hieße es dann wohl eher „kann“. Es heißt ja auch „Du sollst nicht töten“. Und jedwedes Einkommen ist natürlich auch Eigentum, dessen Gebrauch eben durch Steuern dem Gemeinwohl dienen soll.
Mit ihrem Verweis auf das Bürgergeld (so heißt es nur bei der FDP, ich nenne es „bedingungsloses Grundeinkommen“, weil Bürgergeld ein Etikettenschwindel ohne Gleichen ist) setzt auch dieses, genauso wie alle staatlichen Leistungen, egal ob Sozialhilfe, ALG II, Rente, Pensionen, Überbrückungsgelder, Kindergeld, Wohngeld etc. zur Finanzierung die vorherige Zahlung von Steuern voraus. Das sich bis jetzt die eher der Steuervermeidung zuneigenden Leistungsträger an der Finanzierung staatlicher Leistungen mit Freude und Stolz beteiligt hätten, kann wohl niemand behaupten. Mit Zynismus könnte man auch sagen: Auch Steuervermeidung ist die von Sloterdijk empfohlene persönliche freiheitliche Entscheidung. Der Stolz über das Austricksen des Finanzamtes kommt dann ganz von selbst.
Übrigens hat ein normaler Lohnabhängiger keine Wahlmöglichkeit, weil seine Lohnsteuer – die Steuer übrigens, welche das Einkommensteueraufkommen bei weitem übersteigt – direkt vom Arbeitgeber abgezogen und abgeführt wird.
Herr Fladung,
zunächst einmal sind Geringverdiener, die kaum oder keine Steuern zahlen, fein raus, was die Anklage der Steuervermeidung angeht. Ich kann keinen Widerwillen dagegen haben, daß der Staat kein Geld von mir will. Eine Steuer von Null kann man nicht noch geringer wünschen. Es ist doch klar, daß der Widerwillen nur mit der Höhe des Einkommens und damit der Steuern ansteigen kann. Wir sollten also mal diesen unschönen Ton der Gehässigkeit aus der Diskussion lassen, diese ständigen unterschwelligen Gier-Vorwürfe, als gingen Leistungsfähigkeit und Charakterdefekt notwendig Hand in Hand. Daß jemand, der keine Steuern zahlt, und daher auch keine hinterziehen kann, wegen der nicht stattgefundenen Steuerhinterziehung natürlich auch keinen besonders „gierigen“ Eindruck macht, ist ja wohl klar. Nach den persönlichen Erfahrungen, die ich mit Menschen gemacht habe, die am unteren Rand der Gesellschaft sich befinden, und deren Bereitschaft, für andere mal kleine Opfer zu bringen (nicht finanzieller Natur), so würde ich persönlich übrigens zur Einschätzung kommen, daß, wenn man das Personal einfach wechselte, d.h. die jetzige Leistungsträgerschicht gegen die Vorgenannten, man sich nicht wundern sollte, wenn es zu einer Vervielfachung von Steuervermeidung käme. Aber wie gesagt, persönliche Erfahrungen, die man sicher nicht verallgemeinern kann, und auch nur am Rande bemerkt. Ich möchte nicht wissen, wieviele, die eifrig über Gier lamentieren, dies nur mangels Gelegenheiten tun, die eigene Gier auszuleben, und in einer ganz anderen Situation, in der bei Ihnen persönlich plötzlich die Steuerzahlungen weit über 50% lägen (Einkommenssteuer & Umsatzsteuer), ein ganz anderes Lied über die Gier singen würden… nämlich das der Gier des Umverteilungsstaats.
Es ist doch Unsinn, unseren Staat als Umverteilungsstaat von unten nach oben zu sehen, nur weil die Zahl der Armen zunimmt. Im Gegenteil, je mehr Arme wir haben, desto mehr Geld muß von oben nach unten verteilt werden, denn das steht ja auch im Grundgesetz, daß das so sein muß, danke für den Hinweis. Und genau das sagen auch die Zahlen, jedes Jahr muß der Staat mehr Geld einkassieren, um es von oben nach unten zu verteilen. Und dieses Umverteilungssystem von oben nach unten, bzw. von tätig nach untätig, z.B. im Rentenfall, ist an ihrer Grenze angelangt. Es werden sich aber die Anforderungen an die Umverteilungsmaschine noch weiter erhöhen, wir stehen ja erst am Anfang einer schlimmen demografischen Entwicklung hin zu mehr „Untätigkeit“ (= Alte), an Entwicklungen hin zu weniger Alleinstellung und damit Erträgen am Weltmarkt, mit weiterem Armenwachstum durch weiteren, unverminderten Ansturm der Armen der Welt auf die Wunderregion Europa, und mit einer Elitenabwanderung, die momentan noch unscheinbar ist, von der aber abzusehen sein wird, daß sie sich noch drastisch entwickeln wird.
Ein „Weiter so wie bisher!“ wäre fatal, aber ein „Noch mehr Umverteilung von oben nach unten!“ ist geradezu kriminell. Es setzt das Wirtschaftssystem aufs Spiel.
Die vernünftigen Politiker in der SPD haben diese Sachlage begriffen. Sie haben mit der Agenda 2010 ein paar Jahre Katastrophenaufschub bewirkt. Daß aber gerade diejenigen, denen es eh ganz recht wäre, ein anderes System zu haben, nämlich ein sozialistisches nach den Vorstellungen vom Sozialismus, die man auch in der DDR hatte, daß denjenigen ein Zusammenkrachen unseres Systems gar nicht mal so unrecht wäre, erklärt deren unverantwortliche Forderungen nach noch mehr Umverteilung von oben nach unten. Wenns klappt, na dann ist ja gut, den Armen ist geholfen, wenns nicht klappt, auch gut, auf den Ruinen kann man ja was besseres, was sozialistisches bauen.
Zurück zu Sloterdijk, und den Leistungsträgern: „Im finanztheoretischen Jargon heißen Leistungsträger die 25 Millionen Steueraktiven, die vorläufig noch damit einverstanden sind, in Deutschland zu leben, und aus deren Einkommen sowie aus den davon abzuführenden Abgaben praktisch alles stammt, was die 82-Millionen-Population des Landes am Leben hält.“
Sloterdijk macht deutlich, daß es seine Grenzen haben wird, diesen Menschen, die den Laden in Schwung halten, jährlich mehr und mehr Belastung aufzuhalsen, und ihnen dann noch, wenn sie ganz zart protestieren, wüste Beschimpfungen entgegenzurufen, sie sollten mal ihre Gier zügeln usw… Wer die Party schmeißt, den sollte man nicht über die Maßen schikanieren. Einen anderen gibt es nämlich nicht, der die Party stattdessen schmeißen wird.
Nehmen wir mal einen Wohlhabenden, ein typisches Mittelschichtengehalt, gar nicht mal einen Spitzenverdiener:
ca. 50000 Euro Einkommen
24% Steuern
16% Kranken/Pflegevers.
17% Rentenversicherung
2% Arbeitslosenvers.
übrig bleiben: 41%
Ist es ein Wunder, wenn so jemand FDP wählt? Ist jemand, den solche persönlichen Zahlen unzufrieden machen, etwa unverschämt gierig? Muß man solchen Personen vorwerfen, sie wären Teil einer Umverteilungsmaschinerie zu Ihren Gunsten? Klasse, das Geld wird zu Ihnen umverteilt, aber es ist nichts vom Geld zu sehen. Toll!
Sorry, das Wort xy hatte ich nicht als Beleidigung angesehen.
Was mich gestört hat war der provozierende Ton, den Jutta gegenüber Max angelegt hat womit sie ihn erst aus der Kinderstube gejagt hat, deren Fehlen sie später beklagte.
Den laden in -Schwung halten seit Jahren zunehmend die Kleinverdiener. Tatsächlich ist die Umschichtung der lasten von oben nach unten seit zig jahren im Gange. Und auch die Leute, die keine stuern mehr zhalen über ihrwe Löhne und Gehälter zahlen saftigst über die Mehrwertsteuer, die dreisterweise auch noch von rotschwarz massiv erhöht wurde. Deshalb ist tatsächlich sehr die Frage, wer hier eigentlich die Party schmeißt.
Übrigens meine ich, daß ich die obige Milchjungenrechnung schon mal vor einiger Zeit gesehen und sehr eloquent widerlegt gesehen habe. Wer war’s? Bitte alte Antwort noch mal anschließen!
Max Wedell hat in seinem Rechenbeispiel bei den Sozialabgaben zwar ein bisschen zu hoch gegriffen, weil er weder Arbeitgeberanteile abgerechnet noch die Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung berücksichtigt hat, aber eine Milchmädchenrechung würde ich das ganze denn doch nicht nennen.
Immerhin liegt die Steuer- und Abgabenlast für einen Ledigen mit 50.000 Jahreseinkommen doch bei satten 44 %. D.h.. von seinem knapp 4.200 Euro hohen Monatsbrutto bleiben nicht mal ganz 2.350 Euro mehr übrig. Schon bitter irgendwie. Besonders wenn man dann noch bedenkt, was ein junger Mensch heute so alles mitbringen muss, wenn er sich einen derartig gut bezahlten Job ergattern will: 5-6 Jahre Studium, Auslandsaufenthalt, Supernoten, gradliniger Lebenslauf, soft skills und möglichst noch soziales Engagement. So jemandem kann ich es wirklich nicht verdenken, wenn er in die Schweiz zieht, wo ihm ein gutes Drittel mehr Netto vom Brutto bleibt, die Bahn tadellos funktioniert, die Straßen super sind und die Polizei auch gut vertreten ist.
@BvG, danke für die Unterstützung. Die Kinderstube zu vergessen war dennoch mein Fehler, denn in der Welt der Blogkommentare gibt es bei Licht betrachtet doch nichts, was solcher Aufregung wert wäre.
@Anna,
ich habe zum Einkommen hier die Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen gerechnet, obwohl das nicht üblich ist, da haben Sie recht. Es sind aber Leistungen, die auschließlich dem Arbeitnehmer zugutekommen, und wieso soll eine monatliche Leistung des Arbeitgebers, die ausschließlich dem Arbeitnehmer zugutekommt, nicht in der Summe der anderen Leistungen geführt werden, die ausschließlich dem Arbeitgeber zugutekommen, und die man Einkommen nennt? Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Arbeitgeberanteil, den der Arbeitgeber der Krankenkasse überweist, und dessen alleiniger Nutznießer der Versicherte ist, und dem Arbeitnehmeranteil, den der Arbeitgeber ebenfalls einbehält und der Krankenkasse überweist, dessen alleiniger Nutznießer ebenfalls der Versicherte ist. Der Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung berechtigt jedenfalls nicht im Geringsten den Arbeitgeber, im Krankheitsfall Leistungen zu beziehen. Den Arbeitnehmer schon.
Basis der Berechnung war also eine Person mit einem monatlichen Bruttogehalt von ca. 3400 Euro, und ein solches Bruttogehalt liegt auch unterhalb jeglicher Beitragsbemessungsgrenzen, die deswegen nicht berücksichtigt wurden.
Mir waren die wahren, nicht die durch Weglassen bestimmter Zahlungen geschönten Zahlen zu den Sozialversicherungen wichtig. Die Umverteilung von oben nach unten gibt es ja nicht nur über die Steuern. Der Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung beinhaltet auch eine Umverteilungskomponente zugunsten von Geringverdienern und beitragsfrei Versicherten. Wohlgemerkt, ich kritisiere hier nicht eine Umverteilung von Gesunden zu Kranken, denn die ist ja wohl der Sinn eines solchen Systems. Auch an der Umverteilung von oben nach unten, die Fakt ist, kritisiere ich in erster Linie und vor allem, daß viele sie so hartnäckig verleugnen, und erst in zweiter Linie ihr Ausmaß.
P.S. @Anna,
Von ihren 2350 Euro bitte noch 7% bis 19% Umsatzsteuer abziehen. Damit können auch Sie in Ihrer Rechnung bequem die 50%-Marke knacken.
Also Herr Wedell, Ihre Zahlenakrobatik in Ehren, aber einem Faktencheck würden Ihre Zahlen nicht standhalten können. Ist doch auch völlig unnötig, die Abgaben fernab jeglicher Realität noch höher rechnen zu wollen als sie ohnehin sind.
Mich stört wie gesagt vor allem das Ausmaß der Abgaben. Irgendwas macht unsere Politik doch falsch, wenn nicht nur ein beträchtlicher Anteil des monatlichen Verdienstes an den Staat abgeführt werden muss, sondern zusätzlich noch unzählig viele weitere verschiedene Steuern (Energiesteuern, Versicherungssteuer, Zinsabschlagssteuer, Grunderwerbsteuer, Grundsteuer etc. pp), erhoben werden und trotzdem an allen Ecken und Enden Notstand herrscht.
Eine freiwillige Abgabenregelung für die „Leistungsträger“ a la Sloterdijk ist aber ganz sicher kein geeigneter Lösungsansatz – das hätte ja nur noch mehr Notstand und noch höhere Belastungen für die breite Masse zur Folge.
@ 17 Wedell Max
Es würde sicher zu weit gehen, wenn ich den aus dem FDP-Phrasenschrank stammenden „Modellrechnungen“ andere gegenüberstellen würde. Die Westerwelles werden ohnehin so langsam aber sicher auf den Boden der Realitäten zurückfinden müssen, sie tun es ja auch bereits. Nachdem nun die Ämter und Würden verteilt sind, bedauern drei Prozent ihre Wahlentscheidung zugunsten der FDP bereits schon wieder. Nach dem lustigen Theater der letzten Wochen, wollte die FDP ja schon den Eindruck erwecken: Wir sind nicht nur Freiheitsstatue sondern wir sind Deutschland.;-) Die Stunden der Wahrheit rücken immer näher, Herr Max, das weiß auch Herr Westerwelle. Bald wird viel Feuer unterm Dach sein, und die üblichen Phrasen eignen sich immer weniger als Löschmittel. Ich gehe davon aus, dass bei zukünftigen Wahlen die 5% Hürde wieder der natürliche Begleiter der Westerwelles sein wird.;-) Doch damit genug über die „FDP-Philosophien“, zumal wir hier in der Hauptsache den völlig verkorksten und abgedrehten Philosophen, namens Sloterdijk, abzuarbeiten haben.;-)
Zunächst eine Passage aus Ihrer Verlautbarung, die mich doch tatsächlich fast über meiner Tastatur haben zusammenbrechen lassen.
Zitat:
„Die vernünftigen Politiker in der SPD haben diese Sachlage begriffen. Sie haben mit der Agenda 2010 ein paar Jahre Katastrophenaufschub bewirkt.“
Realitätsferner geht es ja wohl nicht. Das könnte ja von Müntefering höchst persönlich stammen, der Gott sei es gelobt, in wenigen Tagen endgültig in der Versenkung verschwunden sein wird. Die „vernünftigen“ Politiker, wie Sie das nennen (dabei denken Sie wohl u.a. an Schröder, Clement, Steinmeier, Müntefering), haben es fast geschafft, die gute, alte Tante vollständig zu ruinieren. Diese so genannten SPD-ler haben in der Tat die Katastrophe bewirkt, dass die alte Tante ca. die Hälfte ihrer Wähler und Mitglieder verloren hat. Aus der ehemals stolzen Sozialdemokratie eines Willy Brandts, einst auch auf Länderebene sehr stark mit vielen Ministerpräsidenten vertreten, ist eine abgehalfterte, offenbar fremd bestimmte, ihrer Wurzeln und Seele beraubte, lediglich noch als Unionsanhängsel dahin siechende Fataldemokratie geworden. Es ist schon tragisch, dass eine Handvoll Karrieristen und Lobbyisten, die sich in Führungspositionen regelrecht eingeschlichen hatten, diese Partei an den Rand ihrer Existenz gebracht haben. Es war ein großes Glück für die so genannte SPD, endlich und Gott sei Dank in der Opposition gelandet zu sein. Allerdings ist es schon fast wieder tragisch, dass sich gerade Steinmeier, einer der Hauptverantwortlichen für den unglaublichen Niedergang der SPD, noch am Abend der größten Wahlkatastrophe, selbst zum Chef der Fraktion gekürt hat. Ähnlich war es bei der Ausrufung der Kanzlerkandidatur, als er sich ebenfalls selbst ausgerufen hat. Natürlich wollte dieser „Volkstribun“ auch Parteichef werden, was letztlich aber nicht mehr durchzusetzen war. Herr Gabriel gehört zwar auch zu der Agenda-Gang, scheint mir aber zumindest das kleinere Übel zu sein. Und Sie, Herr Max, sprechen allen Ernstes von den vernünftigen Politikern in der SPD. Übrigens, die „Vernünftigen“ könnten immer noch die Totengräber sein, denn die SPD ist noch lange nicht übern Berg.
Was nun diesen Sloterdijk anbelangt, so verweise ich, weil es sonst hier wohl zu umfänglich wird, auf den Kommentar von Stephan Hebel: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/2070241_Sloterdijk-Debatte-Die-Buerger-und-ihr-Recht.html. Wenn Sie noch mehr an „Würdigung“ über den Fatal-Philosophen Sloterdijk haben möchten, empfehle ich http://www.zeit.de/2009/40/Sloterdijk-Blasen. Dort erfahren Sie dann wie Axel Honneth, Professor für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, über seinen schnatternden Kollegen denkt. Übrigens, beide Herren, sowohl Herr Hebel als auch Herr Honneth, beleuchten den „Vortrag“ des Herrn Sloterdijk u.a. auch unter den Bedingungen der bestehenden Rechtsordnung, in Sonderheit des Sozialstaatlichkeitsgebots gem. Grundgesetz. Also exakt dem Aspekt, dem ich mich unter @10 auch zugewandt hatte. Ich halte den Zeitgeistbrei des Herrn Sloterdijk auch für verfassungsrechtlich sehr bedenklich, und eher ins Mittelalter passend. Allerdings sollte man/frau diesen Quacksalber auch wiederum nicht zu ernst nehmen. Aber leider finden diese Quacksalber, die sich auch ständig zu vermehren scheinen, immer wieder mediale Plattformen, für ihre Quacksalberei. Und genau das kommt ihrer Eitelkeit als auch eingebildeten Wichtigkeit so entgegen. Darum geht es diesen Sloterdijks, Sarrazins, Broders, Barings, Miegels usw. usw.. Die Liste ließe sich erheblich verlängern. Aber das habe ich ja bereits an anderer Stelle getan, wie Sie wissen.
mfg
Jutta Rydzewski
PS: Was nun das Steuerrecht anbelangt, so bin auch ich der Auffassung, dass es sich dabei eher um ein Steuer(UN)recht handelt. Dem ist aber nicht mit billiger Wahlkampfrhetorik, auch nicht mit sehr zweifelhaften „Modellrechnungen“, und schon gar nicht mit der Sloterdijksschen Quacksalberei abzuhelfen, sondern das geht nur, wenn dafür der seriöse und ernsthafte politische Willen vorhanden ist. Und den sehe ich weit und breit nicht.
@Anna,
ich habe aus verschiedenen Gründen bei meinem Arbeitgeber eine Phase unbezahlten Urlaubs beantragt und genehmigt bekommen. Der Arbeitgeber zahlt jetzt NICHTS. Merkwürdigerweise möchte jetzt die Krankenkasse von MIR einen Betrag, der doppelt so hoch ist, wie der, der sonst auf meinem Gehaltszettel stand. Ich habe ihnen gesagt, daß das „einem Faktencheck nicht standhält“, den Krankenkassenbeitrag „fernab jeglicher Realität höherrechnen zu wollen“, aber das hat die leider überhaupt nicht beeindruckt, ich muß den doppelten Beitrag blechen. Deswegen bin ich der Meinung, daß das, was ich jetzt selber bezahlen muß, auch vorher, als es IN GÄNZE meine Arbeitgeber bezahlte, zu meinem Einkommen gehörte, und nicht willkürliche nur Teile davon.
Sie verwechseln das wahrscheinlich mit so etwas wie „verfügbarem“ Einkommen. Aber auch da verstünde ich Ihre Einwände nicht, denn weder der Arbeitgeberanteil noch der Arbeitnehmeranteil sind für mich verfügbar, sondern ausschließlich für die Krankenkasse verfügbar, und zwar für die Versicherung MEINER Person.
Den Arbeitgeberanteil für MEINE Versicherung für MEINEN Krankheitsfall nicht zu meinem Einkommen rechnen zu wollen, aber den Solidaritätsbeitrag, über den ich auch persönlich auch nicht direkt verfügen kann, sondern der wer weiß wohin wandert, aber jedenfalls vermutlich nicht für mich als „Wessi“ bestimmt ist, das halte ICH für absurd und fern jeglicher Realität.
Ansonsten besteht ja zumindest zwischen uns Übereinstimmung… der Staat fasst jedes Jahr mehr und mehr Geld an, aber der scheinbare Mangel wird immer größer. Teils weil echter Mangel größer wird (siehe Demografie), teils, weil politisch inszeniertes Mangelgeschrei immer lauter wird. Das ist ja z.B. die Hauptbeschäftigung der Partei der LINKEN, Mangelgeschrei anzuheizen.
Die peinlichen Auslassungen Axel Honneths, die in weiten Teilen aus Beschimpfungen der Person Sloterdijks bestanden, brauche ich nicht nochmal zu lesen, die habe ich schon damals in der gedruckten ZEIT gelesen.
Egal wer Sloterdijk wie kritisiert, die Basis seiner These bleibt für mich unberührt… die Möglichkeit, einen Sozialstaat zu haben, steht und fällt mit der Bereitschaft der Leistungsträger, zu diesem beizutragen. Auf das Grundgesetz sollte man sich dabei nicht zu sehr verlassen, denn es verbietet weder die Auswanderung (von Einzelpersonen oder Firmen) noch eine Entscheidung der persönlichen Leistungreduktion (So habe ich o.g. unbezahlten Urlaub auch deshalb beantragt, weil aufgrund bestimmter Umstände Arbeit für mich für diesen Zeitraum keinen Sinn macht; ihre Erträge würden in einem noch weit höheren Umfang als sonst, ohne diese Umstände, in die Umverteilung wandern).
@ 26 Wedell Max
„Egal wer Sloterdijk wie kritisiert, die Basis seiner These bleibt für mich unberührt… die Möglichkeit, einen Sozialstaat zu haben, steht und fällt mit der Bereitschaft der Leistungsträger, zu diesem beizutragen.“
Um Himmels Willen, welch ein Satz, Herr Max? 1) Wir haben nicht nur die Möglichkeit sondern:
Die Bundesrepublik IST ein demokratischer und SOZIALER Bundesstaat.
So steht es kurz und knackig im Grundgesetz (Art.20 Abs.1), und das ist auch sehr, sehr gut so.
2) Die Begrifflichkeit „Leistungsträger“ ist beliebig interpretierbar, und fällt deshalb als Argument aus. Wenn überhaupt zu diesem überstrapazierten Schlagwortesalat gegriffen wird, dann sollte das, um Missbrauch möglichst zu vermeiden, mit einem ganz konkreten Beispiel unterlegt werden, so wie ich es nachfolgend tue:
Eine Altenpflegerin, die für die Gesellschaft einen gar nicht hoch genug einzuschätzenden Dienst tut, dafür mehr als nur mies bezahlt wird, ist mit Fug und Recht als Leistungsträgerin zu bezeichnen. Dagegen ist z.B. ein Herr Zumwinkel (und es gibt eine Menge Zumwinkels), der den Hals nicht voll gekriegt hat, bis es sogar die zuständige Staatsanwaltschaft nicht mehr erträglich fand, sicherlich KEIN Leistungsträger, sondern ein Abzocker und damit sozial Schwacher. Der Unterschied zwischen den Beiden besteht u.a. darin, die Altenpflegerin wird gefeuert, weil sie ein paar Maultaschen, die für den Müll bestimmt waren, selbst verzehrt hat, während der Herr Zumwinkel sich noch 20 Millionen hat auszahlen lassen, und herrlich und in Freuden auf seinem Schloss lebt. Übrigens, wenn Sie möchten, werde ich Ihnen gerne weitere Beispiele über wirkliche und so genannte Leistungsträger aufzeigen.
Zitat:
„Auf das Grundgesetz sollte man sich dabei nicht zu sehr verlassen, denn es verbietet weder die Auswanderung (von Einzelpersonen oder Firmen) noch eine Entscheidung der persönlichen Leistungreduktion …“
Grundsätzlich verlasse ich mich sehr wohl auf das Grundgesetz, zumal es das beste Stück ist, was dieser Staat zu bieten hat. Hoffentlich knickt das BVerfG nie vor den Begehrlichkeiten der Politik ein, zumal gerade Regierungspolitik, in Sonderheit die beiden letzten Verfassungsminister, immer wieder versucht haben das GG zu schleifen. Von jedem Bürger wird völlig zu Recht Rechtstreue erwartet, während die Politik einen Anschlag nach dem anderen auf die Bibel der Nation, das Grundgesetz, unternommen hat.
Was nun die von Ihnen erwähnten Auswanderungen anbelangen, Herr Max, dazu sage ich nur: Reisende soll man nicht aufhalten. Und was Ihre so umfänglich beschriebene persönliche Situation betrifft, u.a. Ihr unbezahlter Urlaub, sind Sie mir nicht böse, Herr Max, schon alleine wegen fehlender Nachprüfbarkeit macht die Beschäftigung damit keinen Sinn. Dennoch wünsche ich Ihnen natürlich gute Erholung.
mfg
Jutta Rydzewski
Wohin der Egoismus führt werden wir ja wohl noch in diesem Jahre sehen. Die Metapher „Arbeit muss sich lohnen“ führt, zuende gedacht, zum Ergebnis, dass sich jeder suizidieren muss, der den Ansprüchen dieser Gesellschaft nicht entspricht.
@Werner Thiele-Schlesinger
„dass sich jeder suizidieren muss, der den Ansprüchen dieser Gesellschaft nicht entspricht.“
Ich mache mir langsam Sorgen um Sie, wenn sie dauernd sowas schreiben.
In der heutigen FR geht ja die Diskussion weiter, mit dem Artikel von Berthold Vogel: Stärkung des Kommunalen als Aufgabe.
In diesem Artikel liefert Vogel die Meisterleistung, Sloterdijks Forderung nach mehr freiwilliger Solidarität in der Gesellschaft als „halbgebildet“ zu verunglimpfen, um dann als zentrale Antwort auf die angebliche Krise des Kapitalismus… ein Mehr an Solidarität zu empfehlen, über eine „Neubelebung der Idee des Gemeinwohls“. Mit anderen Worten, er fordert genau das, was, wenn Sloterdijk es fordert, als idiotisch bezeichnet wird.
Warum wird es bei Sloterdijk als idiotisch bezeichnet? Nun, in den Entgegnungen hier und anderswo wurde das ja klar genug gemacht: die Menschen sind zu freiwilliger Gemeinwohlachtung ja gar nicht fähig, sie müssen gezwungen werden, das Gemeinwohl zu achten, was man dann „Gemeinwohlverpflichtung“ nennt, und wer murrt, dem liest man das Grundgesetz vor.
Da dieser Zwang (für Vogel wohl ebenso wie für Sloterdijk) unbefriedigend ist bzw. die erzwungene Gemeinwohlverpflichtung ja Status Quo, schweift Vogel in seiner Suche nach Stellen, an denen Veränderung möglich ist, zwischen dem ganz Großen (Europa) und dem ganz Kleinen (dem Kommunalen). Daß er dann eigentlich nur im Kleinen, im Kommunalen, fündig wird, ist keine Überraschung. Er erklärt es nicht, sondern beschreibt es nur so: „Und finden wir nicht auch in den lokalen Strukturen am ehesten die Bereitschaft zur bürgerschaftlichen Wohlfahrtsverantwortung?“
Die Erklärung möchte ich nachliefern: Schon seit jeher war die Bereitschaft des Menschen, anderen zu helfen, mehr oder minder geknüpft an die Bedingung, den Anderen, dem man hilft, persönlich zu kennen, oder zumindest von den Verhältnissen und Umständen, in denen die Solidaritätsbedürftigen leben, durch persönliche Anschauung Kenntnis erlangt zu haben. Nicht zuletzt um auch das Ausmaß der notwendigen Solidarität abschätzen zu können. Dem Menschen ist nicht nur eine außerordentliche Fähigkeit zum Mitgefühl mit dem Anderen gegeben, sondern auch ein enormes Potential des Mißmuts, wenn er sich ausgenutzt fühlt. Eine Zwischenüberschrift des Artikels bringt dies auf den Punkt:
Wer bereit ist, Steuern zu zahlen, möchte wissen, wofür er die Abgaben entrichtet
Bzw. wer Solidarität entwickelt, möchte wissen, Solidarität wem gegenüber?
Und da ist „das Kommunale“, da muß ich Vogel zustimmen, der geeignetere Rahmen als „Europa“, allen Segnungen der Informationsgesellschaft zum Trotz.