Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll
Von Jörg Harraschain
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Auch ich habe die Studentenbewegung aktiv in Frankfurt erlebt und bin durch sie und mit ihr politisiert worden. Am 02. Juni 1967 wurde bei der Berliner Demonstration gegen den Schah von Persien ´Reza Pahlavi´ der Student Benno Ohnesorge von Karl-Heinz Kurras, einem Polizeibeamten, der auch Stasi-Spitzel war, erschossen. Das Foto, auf dem sterbende Student von einer Kommilitonin betreut wurde, ging um die Presse. Wir Studenten, die sich mit den Befreiungsbewegungen der 3. Welt solidarisierten, wurden insbesondere von der Springer-Presse als Staatsfeind Nr. 1 gebrandmarkt. Bei vielen Leuten galt es schon als unanständig, wenn man es gewagt hatte, zu protestieren. Wir versuchten u.a. an der Hauptwache so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Heiße Diskussionsgruppen bildeten sich, wobei man feststellen musste, dass das Austauschen von Argumenten meist in Beschimpfungen bestand, die wir uns anhören mussten. Ich habe damals einen Leserbrief an die Zeit geschrieben, um zu zeigen, womit wir uns auseinandersetzen mussten. Der Brief wurde abgedruckt. (Siehe Anlage!) Es sind alles unveränderte Originalzitate! Heute weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll.
Hier eine kleine Auswahl von „Argumenten“, mit denen wir uns auseinandersetzen mussten:
„Schaffen Sie erst mal etwas, dann dürfen Sie auch mit uns diskutieren!“
„Ach hern Se doch uff, die Studenten sind alles Kommunisten.“
„Da, ich les das nicht, ich hab ´ne andere Meinung!“
„Wenn ein ausländisches Herrscherpaar kommt, ist das unanständig, zu protestieren.“
„Geht doch nach Persien und protestiert dort – aber lasst uns in Ruhe!“
„Warum protestieren Sie denn nicht gegen die Sexualität?“
„Es sind zu wenige Studenten erschossen worden.“
„Was habt ihr nur gegen Springer? Der ist doch demokratisch zur Macht gekommen.“
„Ein Student hat sich um seine Bücher zu kümmern – und sonst um gar nichts.“
„Wir leben im Wohlstand und lassen uns das Erreichte von niemanden nehmen. Auch von den Studenten nicht!“
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Der Autor
Jörg Harraschain, geboren 1942, hat in Frankfurt studiert und hat mit dem Diplom Volkswirt abgeschlossen.
Er arbeitete als Gymnasiallehrer nach Zusatzprüfungen mit den Fächern Deutsch und Gesellschaftslehre
an einer integrierten Gesamtschule. Er konnte nicht mehr SDS -Mitglied werden,
da die Organisation zu diesem Zeitpunkt im Auflösen begriffen war.
Er sympathisierte mit dem KBW, ehe er sich 1983 den GRÜNEN anschloss,
dessen Mitglied er noch immer ist. Er arbeitete über 20 Jahre im Ortsbeirat 3 Frankfurt-Nordend
und wurde auch dessen Ortsvorsteher. Als engagierter Bürger setzt er sich für seinen Stadtteil ein
und gründete 2004 die Arbeitsgemeinschaft „Kunst im Nordend“, die er noch immer leitet.
Für sein Engagement hat er mehrere Preise bekommen.
Bild: Rolf Oeser