Vom kürzlich beendeten CDU-Bundesparteitag gehen widersprüchliche Signale aus. Einerseits wurde Parteichefin Angela Merkel im Amt bestätigt — mit dem zweitschlechtesten Ergebnis ihrer Laufbahn (89,5 Prozent). Andererseits wurden Dinge beschlossen, die für jeden erkennbar nicht auf der Linie Merkels liegen. Die CDU möchte offenbar wieder konservativer werden und nach rechts rücken. Anders ist der Parteitagsbeschluss, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen, kaum zu verstehen. Bis 2014 mussten sich junge Menschen von z.B. deutschtürkischer Abstammung mit Erreichen der Volljährigkeit entscheiden, ob sie die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft annehmen wollen. Seit 2014 können sie beide behalten. Mit diesem Kompromiss der großen Koalition wurde ein Integrationshindernis beseitigt, das der CDU-Parteitag nun wieder errichten möchte. Merkel, die auch zur Kanzlerkandidatin gewählt wurde, hat schon erkennen lassen, dass nicht alles, was ein Parteitag beschließt, Gesetz wird. Mit anderen Worten: Die CDU und ihre Kanzlerkandidatin sind sich nicht einig.

merkel-beim-parteitagÄhnliches gilt für das Burkaverbot, das eigentlich keine realpolitische Relevanz hat, da es in Deutschland kaum Burkaträgerinnen gibt. Die Aufregung über die Vollverschleierung steht in keinem Maßstab zur realen Bedeutung des Themas. Der Verdacht ist erlaubt, dass es sich um eine emotional aufgeladene Debatte handelt, in der es in Wirklichkeit um etwas geht, was im Vordergrund kaum offen verhandelt wird: das Verhältnis der „Biodeutschen“ zu den in Deutschland lebenden Muslimen. Offenbar wird die Vollverschleierung von vielen „Biodeutschen“ als Provokation verstanden — sonderbarerweise und gerade auch von solchen, die ansonsten nicht im Verdacht stehen, sich besonders für Frauenrechte engagiert zu haben. Auch Merkel fordert nun ein Burka-Verbot, wo immer das rechtlich möglich ist. „Bei uns heißt es: Gesicht zeigen, deswegen ist die Vollverschleierung nicht angebracht“, sagte sie. Vermutlich weiß die Kanzlerin, dass ein solches Burkaverbot rechtlich nicht durchzusetzen sein wird.

Der Parteitag war unterm Strich ein Dämpfer für die Kandidatin. Die Partei steht nicht einig hinter Merkel. Sie hat es mit gleich zwei Kräften zu tun, welche die CDU wieder nach rechts zu ziehen versuchen: mit der Seehofer-CSU und mit den Populisten von der AfD, die den Konservativen im Nacken sitzen. Die Signale, die vom Parteitag ausgehen, deuten darauf hin, dass der nächste Bundestagswahlkampf ein Lagerwahlkampf wird. Die Frage ist jedoch: Mit wem will diese nun wieder konservativere CDU ihre Vorstellungen politisch umsetzen? Denn dass es für eine absolute CDU-Mehrheit reichen könnte, glaubt derzeit wohl niemand. In den Umfragen liegt die CDU zurzeit zwischen 34 und 36 Prozent — erstaunlich genug angesichts der Tatsache, dass Merkel im Grunde für nichts anderes steht als für ein „Weiter so“. Mit den neu-alten konservativen Tönen isoliert sich diese CDU im Parteienspektrum.

Für den Wahlkampf kann das nicht schaden. Konsens und Kompromiss war gestern. Morgen aber gibt es endlich wieder Debatten — jedenfalls dann, wenn die SPD die Zeichen der Zeit erkennt und wieder in ihre Rolle als originärer Gegner der Konservativen findet. Zurzeit bringt es Rot-Grün-Rot in den Umfragen nur auf CDU-Höhe, aber das mag sich ändern.

Achtung: Ich bitte erneut darum, in diesem Thread ausschließlich die Signale des CDU-Parteitags und ihre Bedeutung für den beginnenden Wahlkampf zu diskutieren, nicht aber die Situation der SPD. Dafür gibt es diesen Thread –> HIER. Auch zum Thema Abschiebung, die ebenfalls in Essen diskutiert wurde, mache ich einen eigenen Thread auf –> HIER.

fr-balkenLeserbriefe

Manfred Kirsch aus Neuwied meint:

„Die Tatsache, dass sich die CDU für eine weitere Verschärfung des Asylrechts, gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und für eine „deutsche Leitkultur“ ausspricht macht sehr deutlich, dass sich die CDU an ihrer Schwesterpartei CSU orientiert und wie weit die AfD mit ihren fremdenfeindlichen Parolen schon Einfluss auf die führende Regierungspartei genommen hat. Die Union betet jetzt in ihrer Gesamtheit die markigen rechten Sprüche von Pegida und AfD wieder nach und merkt dabei offensichtlich gar nicht, wie sehr sie die viel beschworene Gemeinsamkeit der Demokraten verlässt. Sie befördert damit einen die Demokratie abbauenden Zeitgeist, der in seiner Populärfassung mit „Hängt die Verräter“ und „Merkel muss weg“ gegen die eigene Kanzlerin und gerade wiedergewählte Parteivorsitzende Angela Merkel gerichtet ist. Aus der Bundeskanzlerin, die zumindest offiziell für ein „freundliches Gesicht“ und Willkommenskultur stand scheint wieder die strukturkonservative rückwärtsgewandte Verteidigerin ungerechter und zutiefst unchristlicher Zustände zu werden. Das ist alles natürlich nicht im eigentlichen Sinne „konservativ“ sondern schlicht und ergreifend reaktionär. Damit findet die Union wieder zu ihrer in weiten Bereichen menschenfeindlichen, weil ungerechten und vor allen Dingen auch neoliberalen Politik zurück, wie wir sie während der vergangenen Jahrzehnte kannten. SPD, Grüne und Linke sollten jetzt einen Lagerwahlkampf nutzen, um für eine besseres Gesellschaftsmodell zu werben. Bei der kommenden Bundestagswahl geht es in der Tat um den Erhalt einer weltoffenen demokratischen Kultur in dieser Republik.“

Rainer Ebert aus Houston (USA):

„Unter heftigem Beifall hat Angela Merkel am vergangen Mittwoch beim CDU-Parteitag in Essen ein Verbot der Vollverschleierung gefordert, „wo immer das rechtlich möglich ist.“ Diese Forderung wurde dann auch so von der CDU beschlossen.
Abgesehen davon, dass es in Deutschland praktisch keine vollverschleierten Frauen gibt und es sich deshalb um eine reine Symboldebatte handelt, ist die Forderung nach einem Verbot von Burka und Niqab strategisch falsch. Rechtspopulisten wie die AfD bekämpft man mit einem überzeugenden Eintreten für freiheitliche Werte, nicht mit mehr Populismus und dadurch, dass man deren Positionen legitimiert. Sie ist darüber hinaus sachlich unbegründet.
Die Vollverschleierung gehöre nicht zu unserer Kultur. Das mag sein, kann aber an sich kein Grund für ein Verbot sein, da indische Restaurants und Hip-Hop sonst auch verboten werden müssten. Es ist auch wahr, dass das Gesicht eine wichtige Rolle in der zwischenmenschlichen Kommunikation spielt, aber zu einer offenen Gesellschaft gehört auch das Recht des Einzelnen, nicht oder nur begrenzt teilzunehmen. Weiter wird oft angeführt, dass manche Frauen, die sich vollverschleiern, dazu gezwungen werden. Das ist erstens bereits jetzt ungesetzlich und strafbar und zweitens würde ein Verbot der Vollverschleierung für diese Frauen wahrscheinlicher Hausarrest als mehr Freiheit bedeuten. Die Frauen hingegen, die sich selbstbestimmt für die Vollverschleierung entschieden haben, stünden vor der Wahl, sich dem staatlichen Kleidungsdiktat zu beugen, oder zu riskieren, dass sie von echten oder Möchtegernpolizisten angegangen werden. Schließlich wird noch manchmal behauptet, dass Vollverschleierung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nicht toleriert werden kann. Tatsächlich haben im Jahr 2010 zwei in Burkas gekleidete Männer ein Postfiliale in einem Pariser Vorort ausgeraubt. Auch Sprengstoff und Waffen könnte man unter einer Burka verstecken (obwohl mir ein solcher Fall aus Deutschland nicht bekannt ist). Es lässt sich aber nichts unter einer Burka verstecken, das man nicht auch in einem Rucksack verstecken kann und wer ein Postfiliale oder eine Bank überfällt schert sich offensichtlich sowieso nicht um gesetzliche Verbote.
Es gibt viele gute Gründe, der Burka und dem Niqab kritisch gegenüberzustehen, Vollverschleierungsverbote aber, wie sie in anderen europäischen Ländern bereits Realität sind, entsprechen keinem realen Sicherheitsbedürfnis, untergraben die Rechte von Frauen, die die Burka freiwillig tragen, tragen wenig zum Schutz derer bei, die zum Tragen der Burka gezwungen werden, widersprechen der liberalen Tradition Europas, stärken Rechtspopulisten, verhärten Vorurteile gegenüber Musliminnen und Muslimen und erschweren das friedliche Zusammenleben.“

Joachim Kretschmann aus Villingen-Schwenningen:

„Ob ein hier geborenes Kind neben der deutschen auch die Staatsbürgerschaft der Eltern erhält, sollte allein von der Bereitschaft der dortigen Regierung abhängen, wer hier geboren wurde, hat als Geburtsrecht einen Anspruch auf den deutschen Pass. Wenn z.B. ein türkischstämmiger Junge in Deutschland das Licht der Welt erblickt, so pupst er in deutsche Windeln, trägt Kleidung oder fährt ein Fahrrad aus deutschem Handel und trägt zum Wohle aller bei. Ob er später mit Erdogan sympathisiert, hängt nicht vom Pass ab, und dass ausländische Politiker hier nicht so einfach Wahlkampf betreiben können, hat die Verbannung Erdogans auf eine Videoleinwand gezeigt. Die Junge Union sollte sich mit dem deutschen Handwerk unterhalten, denn händeringend Azubis zu suchen, diesen jedoch nach der Ausbildung den deutschen Pass vorzuenthalten, ist nicht nur unmoralisch, sondern ökonomisch betrachtet ein Unding. Dass junge Leute mit Migrationshintergrund zudem Botschafter Deutschlands sind und die sooft gelobten deutschen Werte in die Herkunftländer ihrer Vorfahren tragen, sollte nicht unterschätzt werden. Die Jungen Union sollte daher auf den Kurs ihrer Parteivorsitzenden einschwenken und die Brausetüte der Diskussion um den Doppelpass ganz schnell entsorgen, bevor der Inhalt unkontrolliert zu schäumen beginnt und den gesamten Wahlkampf verklebt!“

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4 Kommentare zu “Die Union betet AfD-Sprüche nach

  1. Wer behauptet, der Niqab (weniger die Burka) habe nicht längst begonnen, in unseren Alltag vorzudringen, lebt fernab von deutschen Großstädten. Erst gestern beobachtete mein Mann beim Frankfurter TÜV eine zum Islam konvertierte „biodeutsche“ Frau im Niqab, die sich zur theoretischen Fahrprüfung eingefunden hatte. Sie erklärte sich zur Identifizierung durch eine weibliche Angestellte bereit. So weit, so gut, auch wenn das nächste Problem entsteht, wenn sie noch einmal auf die Toilette muss. Wird sie dann von der weiblichen Amtsperson begleitet oder kommt es zu einer neuerlichen Identifizierung?
    Wie die betroffene Fahrschule während der praktischen Fahrstunden und der Prüfer bei der praktischen Prüfung mit dieser Vollverschleierten umgehen, konnte mein Mann nicht herausfinden. Es stellt sich doch die Frage: Kann man eine Person mit einem derart begrenzten Gesichtsfeld ans Steuer eines Autos lassen? Was geschieht, wenn sie auf der Straße von einem männlichen Polizisten angehalten wird und keine weibliche Amtsperson zur Identifizierung in der Nähe ist? Muss diese Frau dann auf die Wache beordert werden? Das alles führt doch zu grotesken Situationen. Bewohner und Amtspersonen des hinteren Vogelsbergs werden mit solchen Fragen wahrscheinlich so schnell nicht konfrontiert; wir Frankfurter durchaus.

  2. Zur doppelten Staatsbürgerschaft:

    Wie bereits aus Bronskis Einleitung erkennbar, zielt der CDU-Parteitagsbeschluss zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft (auf Antrag der Jungen Union) gezielt auf eine bestimmte Community: in Deutschland geborene Jugendliche türkischer Herkunft. Nun ist es eindeutig, dass hier vor allem die Junge Union auf dem Weg der AfD wandelt, der da heißt: zurück zur „völkisch“ begriffen Nation (Petry) durch Eliminierung alles (vermeintlich) Fremden.
    Schüren von Fremdenhass liegt da in der Natur der Sache, ist nicht allein Privileg der AfD, wie die schändliche Anti-Doppelpass-Kampagne eines Roland Koch 1999 zeigte (initiiert von Schäuble und Stoiber). Wobei Antipathien gegen Fremde als Vehikel dienen, um gegen längst ansässige und integrierte Minderheiten vorzugehen. Mit solchen Feinheiten aber halten sich Parteigänger „völkischer“ Gesinnung nicht auf. So lautete denn auch die häufigste Frage bei der damaligen Koch-Kampagne: „Wo unterschreibt man hier gegen Ausländer?“

    Um den Vorgang zu verstehen, bedarf es vor allem der Klärung einer Frage: Woher kommen die Agressionen gegen diese Minderheit im eigenen Land? Ich versuche, dies am Fall der eigenen Familie zu klären.
    Bis 1970 erhielt in Deutschland bei Eheschließung die ausländische Frau auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Meine Hochzeit mit meiner französischen Frau 1971 kam dazu einige Monate zu spät: Aus Gründen der „Gleichberechtigung“ war diese Regelung kurz davor abschafft worden. Anders für unsere Kinder, die seit Geburt die deutsche und französische Staatsbürgerschaft besitzen. Sich gleichermaßen sicher hier wie dort zu bewegen, das jeweils Verbindende zu suchen, ist für alle längst zur Selbstveständlichkeit geworden: Ergebnis nicht eines „Bekenntnisses“ zur einen oder anderen Nation, sondern einer gelebten Realität. (So etwa initierte unser Sohn (als „PS-activiste“) einen regelmäßigen Kulturauschtausch zwischen Paris 12e und Berlin-Mitte.)
    Während der Koch-Kampagne 1999 schrieb ich Wolfgang Schäuble (damals Innenminister) einen Protest-Brief und erhielt auch Antwort. Kernsatz der von Ideologie strotzenden weitschweifenden Erklärung: Besitzer des „Doppelpasses“ seien geprägt durch „gespaltene Loyalität“. – Eine Ausdrucksweise, die sich der Definition von „Schizophrenie“ in der Psychiatrie als „gespaltener Persönlichkeit“ annähert.
    Zur Begrifflichkeit:
    „Loyalität“ ist Ausdruck „innerer Verbundenheit“ (Wikipedia), die ein Zusammenhalten (etwa in der Familie) auch bei Dissens gewährleistet. Loyalität ist auf psychologischer Ebene angesiedelt, entsteht aus langjähriger Erfahrung und Wertschätzung, bzw. einer besonderen Verpflichtung (z.B. gegenüber dem Dienstherrn).
    „Staatsbürgerschaft“ ist demgegenüber rein sachlich definiert anhand der „sich aus der Staatsangehörigkeit ergebenden Rechte und Pflichten einer natürlichen Person“. Psychologisierende Begrifflichkeit hat hier nichts verloren.

    Woher nun das Bestreben, Lebensverhältnisse und vielfältige Erfahrungen, die sich nicht auf enge ideologische Muster im „völkischen“ Sinn reduzieren lassen, mit dem Geruch des Pathologischen zu versehen?
    Menschen, die sich in verschiedenen nationalen oder kulturellen Umfeldern bewegen und damit zurecht kommen, wissen darauf eine Antwort. Desto klarer, je mehr sie es verstehen, aus der Erfahrung und Bewältigung von Widersprüchen, von scheinbar unvereinbaren „Kulturen“, die Fähigkeit zu autonomem, selbständigem Handeln entwickeln.
    So etwa Seyran Ates: „Für alle Menschen, die dafür kämpfen, selbstbestimmt und frei zu leben und zu lieben.“ (Widmung in: „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“).
    Eine bewundernswerte Fähigkeit, die zugleich zum Lieblingsthema „Angst“ führt, mit dem AfD und rechte Populisten ständig hausieren gehen. Denn solche geistige Autonomie macht auch Angst: vor allem denen, die einer geliehenen „Stärke“, aufbauend auf „nationaler Identität“, bedürfen, um eigene Ängste und Unfähigkeiten vor sich selbst zu kaschieren.
    Mit anderen Worten: Die Aggression gegen Menschen aus einem breiteren kulturellen Umfeld verweisen auf Minderwertigkeitskomplexe, die ihrerseits wieder aus einer (erzwungenen oder selbst gewählten) sozialen bzw. geistigen Enge entspringen. Das AfD-spezifische Oszellieren zwischen ungebremsten Hass-Ausbrüchen einerseits und Opfer-Attitüden andererseits spricht da Bände.

    Dass ausgerechnet die Jungen in der Union auf solche Strategien meinen einschwenken zu müssen, verheisst nichts Gutes für die Partei und vermutlich auch für das Land.

  3. Es zählt zum politischen Kalkül der CDU, auf Vorurteile in der Bevölkerung zu setzen, diese sogar herbeizureden, für sich zu instrumentalisieren und auf diese Weise ihr eigentliches Ziel (nämlich die Zementierung des Kapitalismus und die Rechtfertigung der Klassengesellschaft aus dem Geist eines verfälschten Christentums) zu verschleiern.

    Fünfzig Jahre, seit den frühen 60ern, war es ihr gleichgültig, nach welchen Vorstellungen sich die ins Land geholten muslimischen Türken entwickeln würden; lediglich integrieren sollten sie sich nach Möglichkeit nicht. Die Ghettobildung in vielen Städten hat die Staatspartei nicht zur Kenntnis genommen, hat bewusst weggesehen. Erst seit der fundamentalistische Islam zur politischen Ideologie einer Region wurde, die einen Platz am Tisch der Großen beansprucht (ohne dadurch Zugeständnisse an die Freiheit der Menschen machen zu wollen, im Gegenteil), befindet sie sich in einer verzwickten Lage.

    Denn der Islamismus zeigt sich in seinem Wesen ähnlich klerikal wie der Katholizismus, mit dem man eigentlich auf Du und Du ist (vorrangig im Münsterland, im Sauerland, am Niederrhein, in Osthessen, in Baden-Württemberg und in Bayern). Der Schriftsteller Heinrich Böll hat in vielen seiner Erzählungen das unheilvolle Bündnis der CDU/CSU mit reaktionären Katholiken beschrieben. Der typische CDU-Stammtisch ist in diesen Gebieten überwiegend katholisch, in Württemberg und im Bergischen Land auch evangelikal.

    Wer einmal versucht hat, mit Fundamentalisten gleich welcher Konfession ins Gespräch zu kommen, wird vermutlich festgestellt haben, dass man mit Scheinheiligen nicht reden kann. Doch wollte man ernsthaft die Begehrlichkeiten islamischer Heilsverkünder zurückweisen, müsste man gleichzeitig die Hegemonieansprüche konservativer Christen generell in Frage stellen, müsste man dem Neutralitätsgebot des Grundgesetzes endlich entsprechen. Doch das will man nicht. Deswegen beschränkt die CDU ihren Kreuzzug auf die Minderheit der Burka- und Niqabträgerinnen. Gegen Minderheiten ist man in dieser Partei traditionell eingestellt – ähnlich wie die Brüder und Schwestern im neu erwachenden braunen Lager.

    Nach meiner Meinung soll jeder seinen persönlichen Weg zur Seligkeit finden. Kirchen und Moscheen sind mir keine Ärgernisse, ich gehe nur nicht hinein. Doch auf den Straßen und Plätzen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Behörden, Schulen, Universitäten und Krankenhäusern möchte ich niemandem begegnen, der/die seine/ihre religiöse Überzeugung allzu deutlich, also demonstrativ, vor sich her bzw. am Körper trägt. Das akzeptiere ich genauso wenig wie Hakenkreuze, Eiserne Kreuze und den anderen Neonazi-Plunder. Die Entscheidung darüber, was allenfalls zu tolerieren und was nicht erlaubt ist, sollte anhand der Bestimmungen unserer Verfassungen von unabhängigen Gerichten gefällt werden. Aber nicht von Parteitagen, weder von solchen der CDU, der CSU noch der AfD.

  4. @ Karl Philipp Mertens

    „Denn der Islamismus zeigt sich in seinem Wesen ähnlich klerikal wie der Katholizismus…“

    Dem möchte ich widersprechen.
    Die deutschen Katholiken sind eine relativ einheitliche Gruppe, deren Mitglieder sich alle auf den Papst als Oberhaupt berufen und die Autorität der Bischöfe und Priester in Glaubensfragen mehr oder weniger anerkennen (die konservativen mehr, die liberalen weniger). Die Anhänger des Islam in Deutschland, die liberalen bis hin zu den Islamisten, sind in eine für Laien unüberschaubare Anzahl von Gruppierungen und Strömungen aufgespalten, und auch die Geistlichkeit unterscheidet sich in ihrer Religionsauffassung und ihrer Verfassungstreue erheblich voneinander.
    Abgesehen davon, dass Frauen in der katholischen Kirche vom Priesteramt ausgeschlossen sind, was meiner Ansicht nach gegen unsere Verfassung verstößt, vertritt heute die überwiegende Mehrheit der Katholiken verfassungskonforme Ansichten. Das gilt für Islamisten nicht. Vergleiche zwischen Islam und Christentum im Allgemeinen und dem Katholizismus im Besonderen hinken deshalb meist.

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