Herzlich willkommen zum
Postfach vom 23. November 2016
Ich bringe hier Leserbriefe, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Mehr über die Hintergründe? –> HIER. Anfangs wie immer ein kleiner Überblick.
- In Sachen Bürgerbeteiligung passiert auf kommunaler Ebene mehr, als viele Menschen wissen. Konrad Mohrmann aus Frankfurt hat Kritik an einem solchen Fall in Frankfurt, den er als „Show-Veranstaltung“ bezeichnet.
- Winfried Kallabis aus Dieburg kritisiert das „Linken-Bashing“ in den Medien, auch in der FR. Daran, dass Rot-Rot-Grün vor drei Jahren nicht zustande kam, sei nicht die Linke, sondern SPD-Chef Sigmar Gabriel schuld.
- „Irgendwie ist der Morgen orientierungslos“, klagt Margarete Herrig aus Winningen. „Die Zeit wurde heute Nacht eine Stunde zurückgestellt, so dass nichts mehr passt in der ‚neuen‘ Zeit. Mein Rhythmus ist verwirrt.“ Was sie dagegen unternimmt, lesen Sie ebenso im neuen Postfach wie
- die Kritik von Robert Maxeiner aus Frankfurt an den „Rückkehrzentren“ für Flüchtlinge in Entwicklungsländern.
- Auch Leserbrief-Vielschreiber Sigurd Schmidt ist wieder im Postfach vertreten: Er schlägt „eine Art liberale Bürgerversammlung in Sachen EU“ vor, um den Staatenbund wieder in die Spur zu bringen.
Auch mitreden im FR-Blog ist Bürgerbeteiligung! Diskutieren Sie mit. Auf geht’s!
Abgespeist mit einer teuren Show
Zu: „Stillstand bei Bauprojekten„, FR-online vom 13. Oktober
„Schon bei der Planungswerkstatt 2013 wurden Stimmen laut, dass es sich bei den Plänen nur um eine Maßnahme handelt, die Bürger zu beruhigen, für eine Durchsetzung fehlt die Rechtsverbindlichkeit dieser „lieben“ Pläne. Nur ein Bruchteil dieser „Showpläne“ wird von der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt überhaupt beschlossen, um der Verwaltung die notwendige Verbindlichkeit zu geben, z.B. um Mittel im Haushaltsplan bewilligt zu bekommen. Ob die Politik auf die „Handlungsempfehlungen“ überhaupt zurückgreift, hat sich daher in der Vergangenheit nicht bestätigt. Und wenn nach Gellert alles im soliden Zustand ist, warum dann überhaupt diese „Show“ und was haben die Gebäude der Praunheimer Werkstätten mit der Planung zu tun? Ein Bebauungsplan für das Areal wurde von der Verwaltung abgelehnt, den die Bürger damals forderten.
Wer hat nun davon profitiert? Die Politiker, wie sie glauben, nicht; denn ihnen glaubt nun sowieso in Praunheim niemand mehr. Die Verwaltung hat keinen verbindlichen Handlungsauftrag. Ein Planungsbüro hat daran verdient. Das ist alles.
Hoffentlich lernt der neue Dezernent daraus, diese „Show“-Veranstaltungen aufzugeben und das Geld für Bebauungspläne auszugeben. Die muss die Politik beschließen und nicht mehr die Bürger mit einer teuren Show abspeisen, für die sie ihre Zeit opfern.“
Konrad Mohrmann, Frankfurt
Das beliebte Linken-Bashing in den Medien
Zu: „Ungeliebtes Rot-Rot-Grün„, FR-online vom 29. Oktober
„Was mir nicht gefällt an dem Kommentar, der zunächst die (Un-) Wahrscheinlichkeit benennt, dass es nach der nächsten Bundestagswahl zu einer rot-rot-grünen Koalition kommt, ist Folgendes: Er stimmt wieder in den Chor derer ein, die mit Vorliebe der Linkspartei die Regierungsfähigkeit absprechen. Auch wenn es seit einiger Zeit in der FR etwas sachlicher zugeht, war „Linken-Bashing“ oder gar die Verteufelung der Linkspartei in den Medien an der Tagesordnung, und die seinerzeit noch „SPD-lastige“ FR hat dabei oft mitgemacht! Niemand sprach doch z.B. den Grünen die Regierungsfähigkeit ab, wenn es Querelen an der Parteispitze gab, und der aktuelle Dissens zwischen der CDU und ihrer „Schwesterpartei“ CSU ist doch weitaus gravierender!
Tatsache ist auch, dass es nur mit einer stärkeren Linkspartei eine Chance gibt, dass es in Deutschland zu einer wirklichen Politikänderung kommt. Vor drei Jahren wäre das sehr wohl möglich gewesen und war von vielen gewünscht, insbesondere auch bei großen Teilen der SPD-Basis, doch hatte Sigmar Gabriel dementgegen die GroKo durchgesetzt, um weiter eine konzernfreundliche Politik machen zu können. Wenn wirklich Rot-Rot-Grün damals nicht gewollt war bzw. jetzt sein wird, wie Herr Bommarius anmerkt, stellt sich die Frage, was das beliebte Linken-“Bashing“ und langjährige Verteufeln durch die Medien damit zu tun hat!
Nochmals gesagt: Einzig die Linkspartei steht derzeit glaubwürdig für eine grundsätzlich andere Politik, bei der nicht die Konzerne das Sagen haben. Auch das Durchwinken von Ceta durch Herrn Gabriel zeigt doch dessen Orientierung an Konzerninteressen!“
Winfried Kallabis, Dieburg
Die wichtigste Zeit, der Augenblick
Seit dem 30.10.2016 befinden wir uns wieder in der Winterzeit
„Irgendwie ist der Morgen orientierungslos. Die Zeit wurde heute Nacht eine Stunde zurückgestellt, so dass nichts mehr passt in der „neuen“ Zeit. Mein Rhythmus ist verwirrt, da er sich noch an der „alten“ Zeit orientiert.
Aber wie verrückt ist das denn: „alte“ und „neue“ Zeit zu sagen, als ob „Zeit“ ein Objekt, ein Ding wäre, das Verschleiß unterliegt, sich abnutzt, kaputt geht und darum wieder repariert werden kann.
„Vergangene“ und „zukünftige“ Zeit wäre vielleicht besser zu sagen. Obwohl dann die wichtigste Zeit fehlt: der Augenblick! Braucht dieser Augenblick eine messbare Einheit? Zum Erleben sicher nicht. Da ist er einfach da und will gespürt, gerochen, geschmeckt, getastet und gehört werden und im Inneren Erleben verankert werden.
Nur wenn ich dann auf ihn zurückblicke, brauche ich eine Einordnung in einen Zusammenhang. Allerdings muss dieser nicht messbar sein, sondern kann aus eigenen Maßstäben bestehen und sich an eigenen Werten oder Anknüpfungspunkten orientieren. Erst, wenn ich von ihm, diesem besonderen Augenblick, anderen Menschen erzähle, wird eine Maßeinheit sinnvoll. Dadurch ermögliche ich ihnen, diesen Augenblick in ihr System einzugliedern oder mit eigenen Erfahrungen vergleichen zu können.
Vielleicht wird dadurch deutlich, dass der Moment, in dem ich mich gerade befinde, nicht von der „Zeit“ als Maßeinheit geprägt wird. Dies wird in der heutigen „Zeit“ zu oft vergessen. Dennoch spüren immer mehr Menschen eine Sehnsucht nach diesem Erfüllt-sein im Augenblick, dem eine ungeheure Kraft innewohnt. Durch die Rückbindung an alle Sinne ist ein wahrhaft erfülltes Leben, unabhängig vom „Zeitgeist“, erst möglich.
Als Hoffnung für alle: es ist erlernbar und leb-bar. Machen Sie jetzt, in diesem Moment, den Anfang und riechen, schmecken, spüren, tasten und hören Sie Ihren Augenblick!“
Margarete Herrig, Winningen
Es geht darum, den Migrationsdruck zu reduzieren
Fluchtursachen: „Armut und Terror im Blick“, FR-online vom 9. Oktober
„Eine wirkliche Hilfe kann oder darf es offenbar für die Menschen in Afrikas ärmsten Regionen nicht geben. Vielmehr geht es darum, den ,Migrationsdruck‘ (Entwicklungshilfeminister Müller) zu reduzieren, indem sog. Rückkehrzentren eingerichtet werden sollen, um Flüchtlinge zur Umkehr zu bewegen. Die Menschen selbst bekommen natürlich nichts, damit unsere sich ewig zu kurz gekommenen fühlenden Schreihälse aus der rechtsradikalen Ecke nicht wieder toben, und die Betroffenen sich möglichst nicht wirtschaftlich unabhängiger machen, das würde unsere Bänker und Spekulanten empfindlich stören. Damit, wie unsere Kanzlerin großspurig verkündet, „Mali seine Zukunft selbst in die Hand nehmen“ könne, werden Gelder zur Beratung von Polizei und Grenzschutz und zur wirtschaftlichen Entwicklung investiert, die wohl, wie üblich, zu großen Teilen in den Taschen von einflussreichen Eliten verschwinden. So bleibt Afrikas Not im Blick, die Menschen halten sich von Europa fern und lassen sich weiter im eigenen Land, möglichst von europäischen Konzernen ausbeuten.“
Robert Maxeiner, Frankfurt
Es bedarf immer der Einzelfallprüfung
Kindeswohl: „Ein älterer Partner ist okay„, FR-online vom
„Die recht ausführliche Berichterstattung der FR zu einem familienrechtlichen Urteil des Brandenburgischen OLG, wonach eine 14/15Jährige zu ihrem 46 Jahre alten, angeheirateten, Onkel eine umfassende Liebesbeziehung unterhalten kann, wird in der deutschen Öffentlichkeit einige Aufmerksamkeit finden! Das OLG hat das Wohl der jungen Frau vor das Elternrecht gestellt.
Nun kann beim Lesen des Beitrages der Eindruck entstehen, als ob deutsches Familienrecht ausländisches Familienrecht generell bricht. So einfach ist dies aber nicht. Es gibt sehr wohl – insbesondere bei zwischenstaatlichen Ehen –zwischenstaatliche Vereinbarungen, wie Familienbeziehungen im Einzelfall auch bei Konflikten um die Kinder rechtlich ausgeformt sind. Auch die Aussage, dass im Ausland nach dortigem Recht geschlossene Kinderehen in Deutschland einfach aufgehoben werden könnten, dürfte in dieser Schlichtheit nicht bestehen. Die deutsche Justiz kann solche Kinderehen für als wirkungslos vor deutschem Recht erkennen, aber nicht den Gründungsakt der „Ehe“ im Ausland nach dortigem Clanrecht oder etwa auf dem Boden des Korans für nichtig erklären.
Es ist einleuchtend, dass das numerische Alter einer jungen Frau nur als Richtgröße für eine Norm, aber nicht absolut gelten kann. Jugendliche sind nun einmal unterschiedlich reif. Es bedarf also – dies ist die zentrale Aussage des OLG Brandenburg – immer der Einzelfallprüfung, auch wenn die den meisten Eltern nicht einleuchten mag.“
Sigurd Schmidt, Bad Homburg
Eklatante Defizite der EU-Konstruktion
Weltlage: “ „Nach Brexit-Votum ein Déjà-vu“, FR-online vom 10. November
„Die gegenwärtige Weltbedrohungslage ist durch einige Hauptsymptome gekennzeichnet:
1) Terrorismus, Autoritarismus, Totalitarismus, Populismus treten in unterschiedlicher Form auf, bedrohen aber alle die Demokratie, die allerdings ihrerseits in sehr unterschiedlicher Weise gelebt wird.
2) Während die Hypermacht USA sich tendenziell von der Weltpolizistenrolle verabschiedet, formiert sich in der Russischen Föderation eine Art „Renaissance“ des Weltmachtanspruches.
3) Die europäische Kohäsion wird wegen aufkommender Re-Nationalisierung brüchig.
4) Die UNO wird mit einem völlig ineffizienten Sicherheitsrat ihrer ordnenden Rolle in der Welt des 21. Jh. in keiner Weise gerecht.
Der Brexit und die massiv aufkeimenden Populismen in Europa – ursprünglich angefeuert durch die SVP der Schweiz, die sich aber interessanterweise nicht als Verursacher des europäischen Populismus sieht – zwingen die heutige EU zu einer kritischen Bestandsaufnahme ihres Zustandes und ihrer geschichtlichen Berufung. Da ein an und für sich notwendiger Staatenkonvent nicht zustande kommt, sollte zumindest ein „Weißbuch “ über den Zustand der Europäischen Union verfasst werden. An diesem Weißbuch müssten die maßgeblichen Kommentatoren und Kritiker des EU-Projektes in allen (nun faktisch nur noch) 27 Staaten der EU mitarbeiten, die eine Art liberale Bürgerversammlung in Sachen EU bilden würden. Die EU-Kommission, das Straßburger Parlament und der EU-Ministerrat sind natürlich einzubinden, hätten aber keine direktive Funktion. Großbritannien kann – trotz Brexit-Absicht – konsultativ mitwirken, wenn das UK es denn will.
Es geht darum, die sogenannten positiven „acquis“ der EU wie auch eklatante Defizite der EU-Konstruktion einschließlich der Euro-Währungszone einander gegenüber zu stellen. Aus der Gesamtansicht dieser Gegenüberstellung wird sich ergeben, ob die EU nur in einem deutlich verkleinerten Anspruch der Kohäsion weiter existieren kann oder ob es doch Chancen für einen großen Wurf gibt.
Dieser große Wurf würde nicht über das Konzept einer Supra-EU laufen sondern eher darüber, daß sich vor allem Nachbarstaaten der EU untereinander zu Konföderationsgebilden zusammenschließen. Geschichtliches Beispiel sind die Benelux als ein Vorläufer der EU.
Zu berücksichtigen ist, wie der Soziologe Peter Wagner darlegt, daß im 21. Jahrhundert ein naiver Fortschrittsbegriff wegen Klimawandel, Ressourcen-Verknappung und der globalen sozialen Gerechtigkeitsproblematik ( siehe auch das Flüchtlingsdilemma) nicht mehr als Projektionsfläche der Zukunft gelten kann.“