Dabei und nicht dabei – ein skeptischer Sympathisant

Frankfurter Rundschau ProjektDabei und nicht dabei – ein skeptischer Sympathisant

Von Gerhard Dotzauer

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November 1967: Das Volkstheater Rostock ist anlässlich des 50 Jahrestages der Großen sozialistischen Oktoberrevolution aus der DDR zu einer Tournee in die BRD gekommen und gastiert mit der Revue „50 Rote Nelken“ im großen Saal des Zoo-Gesellschaftshauses. Ich sitze mit einem Kommilitonen im Parterre, andere  sitzen auf der Galerie.  Als die Revue langsam zur affirmativen Panegyrik der gegenwärtigen sowjetischen Wirklichkeit verkommt, protestiert die SDS-durchwirkte studentische Galerie mit Zwischenrufen. Es kommt zu einem akustischen Tumult, und plötzlich zu zusätzlicher Unruhe in der ersten Reihe: Der Dramaturg der Volksbühne, der Schriftsteller Kurt Barthel oder KuBa, ist zusammengebrochen und wird hinausgetragen. Nach dieser Zwangspause geht die Revue süßlich operettenhaft weiter und schließlich im Zuschauerlärm unter. Danach heftige Diskussionen im Foyer mit den noch verbotenen Kommunisten, gestandenen Männern, die die Welt nicht mehr verstehen, sie hatten hier die NPD am Werk gesehen und  müssen jetzt bemerken, dass sie nicht von Rechten, sondern von Leuten pfeifend kritisiert worden, die sich als Linke verstehen. Am nächsten Morgen lese ich in der Frankfurter  Rundschau, KuBa sei einem Herzinfarkt erlegen. Ich erschrecke: Das, was ich bei politischen Konflikten mit meiner NS-Mutter immer fürchtete, ist nun einem veritablen Kommunisten, einem Volkskammerabgeordneten und Mitglied des Zentralkomitees der SED widerfahren. Er hat sich einem politischen Konflikt durch Sterben entzogen. Ein Freund aus der Ostberliner Theaterszene reagiert auf meinen Bericht über dieses Ereignis kalt: Das sei wohl die zwingende Reaktion eines Staatsschriftstellers gewesen, der zum ersten Mal einem freien Publikum begegnet sei.

 

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Im Februar 1968  auf der Fahrt zum West-Berliner Vietnam-Kongress stundenlanges Warten an der Grenzübergangsstelle Marienborn. Im Bus vertreiben wir uns die Zeit mit dem Absingen revolutionärer Lieder: Probe für die Demonstration am kommenden Sonntag. Der endlich in der Bustür auftauchende DDR-Grenzer versteht den Gesang als Provokation und brüllt preußisch, die Arme in die Hüften gestemmt: „Haltenses Maul!“ Und siehe da, das antiautoritäre Maul (auch meins) wird gehalten, und das die ganze Zeit, in der links und rechts der Transit-Autobahn der reale Sozialismus sich unter der im Osten aufgehenden Sonne und im Frühnebel ausbreitet. Aber in West-Berlin am Kontrollpunkt Dreilinden werden wir vor den Kameras der westdeutschen Fernsehanstalten wieder laut, werden zu Fäuste reckenden, Fahnen schwenkenden protestierenden Sprechchören.

 

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Am Samstagnachmittag ist das  Audimax der TU überfüllt, Ich sitze mit einem Freund auf der Galerie, auf der Bühne sehen wir nach- und nebeneinander Rudi Dutschke, Gaston Salvatore, Erich Fried, Ernest Mandel, Bahman Nirumand, Peter Weiss, hinter ihnen ein riesiges Transparent:

„FÜR DEN SIEG DER VIETNAMESISCHEN REVOLUTION!

DIE PFLICHT JEDEN REVOLUTIONÄRS IST ES, DIE REVOLUTION ZU MACHEN.“

Da tritt ein Herr mit Scheitel und Aktentasche, im dezenten dunklen Anzug mit Krawatte auf und verkündet  geschäftsmäßig, dass seine juristischen Bemühungen vor dem Berliner Verwaltungsgericht insofern gefruchtet hätten, als die morgige Großdemonstration entgegen der Verbotsverfügung des Senats mit einigen wenigen Auflagen genehmigt worden sei. Hier hat die Revolution also einen kleinen Sieg über den bürgerlichen Staat errungen. Der beifallumrauschte Sieger ist Horst Mahler, er hat den Staat an dieser Stelle mit dessen eigenen Mitteln bezwungen. Nichts kündigt hier den späteren vollbärtigen RAF-Anwalt bzw. den noch späteren Rechtsextremisten an.

Mitten zwischen die Referate, Solidaritätserklärungen und Diskussionen in hochtheoretischer polit-soziologisch-philosophischer Diktion stürmt  H.J.Krahl zum Rednerpult und verkündet endlich etwas ersehnt Praktisches, einen weiteren großartigen militärischen Erfolg der FNL, der nationalen Befreiungsfront Süd-Vietnams,  in der Tet-Offensive. Prasselnder Beifall und begeistertes HoHoChiMinh-Staccato. Mein Freund ist enttäuscht, ja verärgert. Er ist Arzt und aus humanitären Gründen für die Beendigung des Krieges in Vietnam, nicht  aber für den Sieg des Vietcong. Hat er nicht gewusst, wohin er fährt? Er fühlt sich im falschen Film. Ich mich nicht.

 

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Dennoch geht er am Sonntagmittag mit mir zur Demonstration und Abschlusskundgebung. Auf dem Weg dorthin in der Nähe des Savignyplatzes beschimpfen uns drei Westberliner und versuchen, mir mein Vietcong-Button vom Anorak zu reißen. Wir überzeugen sie (ich weiß nicht mehr wie), von mir abzulassen, und können uns unbeschädigt unter die Demonstranten mischen, geraten in einen Pulk von Menschen, die Schilder mit sich führen, auf denen sie sich dazu bekennen, SPD-Mitglieder zu sein: Ein Protest gegen den SPD-geführten Berliner Senat und den Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz, die zusammen mit den Berliner Springerzeitungen gegen diesen Kongress und diese Demonstration und gegen die Studentenbewegung überhaupt mobilisiert haben. Am Donnerstag darauf finde ich mich hinter Harry Ristock, der Leitfigur dieser Gruppe, auf dem Titelblatt des „Spiegels“ , allerdings so verdeckt, dass nur ich mich erkenne oder auch nur zu erkennen meine. Ist das symptomatisch für meine Einstellung? Dabei sein, aber doch nicht ganz, auch nicht bei den Radikalen, sondern nur bei der SPD, und selbst das nur durch Zufall.

 

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Zur Schlusskundgebung hat sich vor der Deutschen Oper eine riesige Menschenmenge versammelt, die auf die Reden ebenso reagiert wie am Tag zuvor im Audimax, mit Beifall, HoChiMinh-Rufen und Sprechchören. Hinter uns ein riesiger Kran. Was auf ihm geschieht, lenkt uns von den Reden ab. Männer im Blaumann und mit Bauarbeiterhelmen klettern bis zur Spitze des Auslegers und hissen dort unter dem Beifall der Massen eine große rote Fahne. Das Proletariat zeigt also seine Solidarität mit dem vietnamesischen Volk und mit uns Demonstranten –  bis diese Helden sich als offensichtlich verblendete Westberliner Kleinbürger demaskieren und die Fahne anzünden. Nur mit Mühe können die Redner einige Kundgebungsteilnehmer daran hindern, gegen diese faschistischen  Provokateure handgreiflich zu werden. Während noch die Fahnenasche herabrieselt und brennende Fahnenfetzen herabschweben, ruft der Trotzkist Ernest Mandel  ins  Mikrofon, der Tag werde kommen, an dem über Berlin die rote Fahne wehen werde. Ich blicke nach Osten in Richtung Brandenburger Tor und erinnere mich an das schon kanonische Pressebild, das zeigt, wie am 17. Juni 1953 Aufständische dort angesichts sowjetischer Panzer die rote Fahne herunterholen. Ich frage mich, woher Mandel seine rote Hoffnung nimmt, zumal in einer Stadt, über deren einen Hälfte schon die rote Fahne weht. Und ich sehe jenseits der Sektorengrenze den hohen Schaft des noch unfertigen Ost-Berliner Fernsehturms, auf  dessen Kugel in Zukunft bei Sonnenschein ein großes glänzendes Kreuz zu sehen sein wird.

 

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Abmarsch von der Kundgebung: Die Demonstranten rennen auf Kreuzungen zu, kauern sich dort plötzlich hin, stehen wieder auf, hüpfen eine Strecke, bleiben stehen und gehen ruhig weiter, bis sie wieder losrennen usw. Diese Demonstrationsform ertrage ich nur widerwillig. Was hat sie mit dem tödlichen Ernst des Vietnamkriegs und der katastrophalen Lage des vietnamesischen Volkes zu tun? Gegen wen richtet sich diese Springprozession, zeigt sich darin, dass es hier vor allem darum geht,  konformistische Bürger pubertär zu provozieren, nicht aber um Politik oder gar um Revolution? Was hätten Lenin oder Luxemburg zu diesem fröhlichen Unfug gesagt? Waren da die Schwabinger Krawalle von 1962 nicht ehrlicher? Kamen die doch ohne politische Verbrämung aus! Ich schere aus und werde zum Zuschauer. Im Heimfahrtbus versuche ich darüber zu sprechen, stoße aber auf Unverständnis und Ablehnung: Die Revolution müsse auch Spaß machen, oder sei ich einer von diesen drögen autoritären moskauhörigen Orthodoxen? War auch ich im falschen Film?

 

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Dotzauer 1Mai 1968: Warum fahre ich nicht nach Prag, obwohl ich die Entwicklung in der ČSSR mit heißem Herzen verfolge? Ich bin in Frankfurt zu sehr beschäftigt: Neue Freundin, neues Zimmer im neuen Studentenheim, Examensvorbereitung, Demonstrationen, Uni-Besetzung. Immerhin: Ich kaufe regelmäßig an der Bockenheimer Warte die Prager Volkszeitung, ein Wochenblatt, das sich an die kleine Minderheit der in der ČSSR zurückgebliebenen Deutschen und an das deutschsprachige Ausland wendet. Einmal werde ich von einem Kommilitonen dafür beschimpft. Warum ich denn dieses „Revisionistenblatt“ läse und nicht etwa die der verbotenen KPD nahestehende Deutsche Volkszeitung.

Gerhard Dotzauer
im Jahr 1970.
Bild: privat.

 

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In einer Veranstaltung der August-Bebel-Gesellschaft, einer anscheinend geduldeten Nachfolgeorganisation der KPD und einer Vorgängerorganisation der DKP, höre ich im Volksbildungsheim die Reden von auf dem Podium versammelten westdeutschen und DDR-Kommunisten gegen die Politik der KPČ, die unter der Führung von Dubček den deutschen Revanchisten ein offenes Tor biete. Eine alte Frau neben mir hat sich das alles  ruhig, ja scheinbar schlafend angehört. Nun steht sie auf und spricht hellwach:  Dafür habe sie doch als Sozialistin und Antifaschistin in der Emigration und nach dem Krieg nicht gekämpft, dass eine demokratische kommunistische Bewegung von immer noch stalinistischen Parteien bekämpft und mit Gewaltmaßnahmen bedroht werde. Sie wird niedergeschrieen, verlässt erhobenen Hauptes den Saal. Ich indes bleibe sitzen und  höre mir weiter die Hetzreden an.

 

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Als am 21. August 1968 nicht die Bundeswehr, sondern die Rote Armee und die mit ihr verbündeten Armeen des Warschauer Paktes in die ČSSR einmarschieren und das demokratisierende Regime Dubčeks beseitigen, demonstriere ich am nächsten Tag mit tausenden anderer auf dem Römerberg  gegen diese Invasion. Als wir am Ende der Manifestation in antisowjetischer und prosozialistischer Absicht die Internationale anstimmen, bricht das parteiübergreifende Demonstrationsbüdnis auseinander: Ein CDU-Redner wendet sich scharf gegen diese, wie er sagt, kommunistische Provokation. Wir lassen ihn stehen und ziehen in einem mächtigen Demonstrationszug über die Friedensbrücke zur sowjetischen Militärmission bei der US-Armee nach Niederrad. Dort steht US-Militärpolizei und schützt das Gebäude, kann oder will aber nicht verhindern, dass wir in das Gelände eindringen. Zum ersten (und einzigen Mal) werde ich zu einem Hausfriedensbrecher , ja fast Hausbesetzer. Dabei weiß ich doch, das wird nutzlos sein.  Ost-Berlin 1953, Budapest 1956: Historisch informierte Erinnerung macht nüchtern, resignativ.

 

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Blockade Bockenheimer MiquelalleeIrgendwann im Sommersemester 1968: Tach-in in der Mertonstraße zwischen Hauptgebäude und Studentenhaus. Es geht um die drohenden Notstandsgesetze. Es wird eine Forderung an die Hessische Landesregierung beschlossen, die heute zu einer Kabinettssitzung zusammengetreten ist. Zur kämpferischen Unterstützung dieser Forderung soll die Kreuzung Bockenheimer Landstraße / Senckenberganlage  blockiert werden.

Die Blockade
Bild: privat

Die Massen bewegen sich sofort dorthin in Richtung Mensa und Unibibliothek. Ich aber glaube nicht, dass der zu erwartende Ärger der durch die Blockade gebremsten Autofahrer die Landesregierung dazu bewegen wird, sich im Bundesrat gegen die Notstandgesetze zu stellen, und bitte ums Wort. Das wird mir gewährt. Als ich allerdings meine abwiegelnde Meinung zum Besten gebe und vorschlagen will, dass man nach Ablehnung unserer Forderungen durch die Landesregierung immer noch aktiv werden könne, werden mir die Lautsprecher mitten im Satz abgestellt. Der zukünftige Geschäftsführer einer linken Buchhandlung in der Goethestraße, der biedere Genosse T., hat den Schalter umgelegt und der Konterrevolution akustische Kraft genommen.

Am nächsten Tag wird an derselben Stelle ein RCDS-ler dies als Beleg für die stalinistischen Tendenzen in der Studentenbewegung hinstellen. Und ich entblöde mich nicht, diesen christdemokratischen Anschlag auf die Bewegung öffentlich zurückzuweisen und Selbstkritik zu üben. Dabei hatte er ja Recht. Ich höre meine  Stimme verzerrt und fremd über den Platz schallen und bin froh, als ich vom provisorischen Sprecher-Podest heruntergeklettert bin. Sofort werde  ich von Mitstudenten gefragt, warum ich klein beigegeben habe. Ja warum? Wollte ich nicht in die Falle des Beifalls von der falschen Seite geraten, wollte ich keinesfalls aus der Bewegung ausgestoßen werden, zu der ich ja kaum gehörte?

 

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Auf der Wiese zwischen Philosophikum und Studentenhaus ein politisches Seminar mit Krahl. In Erinnerung bleibt mir sein Postulat, dass ausschließlich jene das Recht auf politische Führung bzw. Selbstbestimmung besitzen dürften, die wirklich aufgeklärt und wirklich politisiert seien. Mir wird übel. Stellt hier eine sich für aufgeklärt politisiert haltende Elite den Anspruch auf die Macht, will Krahl statt der Diktatur des Proletariats, die zumindest dem Anspruch nach die Diktatur der Mehrheit wäre, eine jakobinische Diktatur der Wissenden, die die Unwissenden erziehen muss und darf. Sprechen hier Robespierre und Lenin? Nein, es ist ein gegenwärtiger deutscher Soziologie- und Philosophiestudent, dem die Geschichte der französischen und der russischen Revolution und ihrer Formen und Folgen bekannt sein müssen. Ich versuche nicht, dagegen zu sprechen, könnte seiner geschliffenen Rhetorik auch nichts entgegenhalten, und bleibe unzufrieden und skeptisch.

 

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Jetzt ist die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität besetzt, sie gehört jetzt uns, ist eine politische Universität geworden. Ich stehe als Wachposten an einem Hintereingang Richtung Senckenbergmuseum, um  die Karl-Marx-Universität, so heißt sie jetzt, gegen feindliche Eindringlinge zu schützen, seien es  die Polizei oder konterrevolutionäre Studenten und Bürger. Da taucht H., ein alter Freund aus katholischen Pfadfinderzeiten auf. Er studiert Zahnmedizin und hat eigentlich im Uni-Hauptgebäude nichts zu tun, sein Studien- oder Arbeitsplatz liegt ja jenseits des  Mains im Carolinum. Nun will er aber sein Recht auf Zugang wahrnehmen und das ausgerechnet an dieser Stelle. Früher waren wir häufig zusammen, dann haben wir uns aus den Augen verloren, jetzt steht er deutlich auf der anderen Seite, ist Gegner, wenn nicht Feind. Ist er vielleicht sogar Mitglied einer schlagenden Verbindung. Wir sehen einander an, und jeder von uns weiß, was er tun muss, aber nicht, ob er es tun will und kann. Ich will mich keinesfalls mit ihm prügeln, seine Augen hingegen funkeln kampfeslustig. Politisch mit ihm zu argumentieren, ist in dem Moment unmöglich, ich müsste weiter, ja sehr weit ausholen, um ihn auch nur ansatzweise davon zu überzeugen, wie wichtig für Staat und Gesellschaft die Universität im Widerstand gegen beide sei. Ich appelliere stattdessen an unsere alte Freundschaft: Willst Du mir das wirklich antun, willst Du mich wirklich dazu bringen, meinen Auftrag zu sabotieren? Denn ich müsste Dich ja durchlassen, denn ich möchte mich mit Dir nicht prügeln. Das hat gewirkt, er ist abgedreht und hat wohl einen anderen Eingang gesucht. Dort ist er vielleicht auf einen standhafteren Kommilitonen gestoßen oder auf einen lässigeren. Übrig blieb mein Gefühl, dass ich die Karl-Marx-Universität nicht wirklich würde verteidigen wollen und können, Wenn ich schon bei unbewaffneten alten Bekannten Schwierigkeiten hatte, wie erst wenn die Polizei angerückt käme. Der Wachdienst und die Besetzung erschienen mir als kindliche Schimäre, als Theater, ja als Theaterprobe.

 

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In der Nachmittagssonne hatte eine vor allem studentische Menge die Kreuzung Eschersheimer Landstraße / Miquel-/Adickes-Allee blockiert, Daniel Cohn-Bendit stand neben dem PX auf dem Vordach der US-Post und hielt eine megaphonverstärkte packende Rede, an deren Inhalt ich mich aber nicht mehr erinnere. Wahrscheinlich ging es um den Vietnamkrieg und den US-Imperialismus. Der Standort der Demonstration jedenfalls spricht dafür. Die Rede gipfelte in dem Aufruf, in die Stadt zu ziehen, vielleicht zum Amerikahaus oder an die alte Oper oder auf den Römerberg oder zur Universität. Wir ziehen die Eschersheimer Straße hinunter, ich – in meiner Erinnerung – in der ersten Reihe. In einem breiten Strom, mit breiter Brust und offenem Hemd, fast schwebend. Wir kommen nicht als Eroberer, wir kommen als Befreier in eine zu befreiende Stadt. Leider fehlt das Volk, das uns am Straßenrand mit Jubel und mit Blumen überschüttet und als Befreier begrüßt. Stattdessen auf der Höhe Holzhausenstraße die erste Polizeikette. Da ist das Hochgefühl weg, ich bin auch nicht mehr in der ersten Reihe und meine Erinnerung verblasst gnädig.

 

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3Im Herbst 1968 unterziehe ich mich dem Ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern Deutsch und Geschichte.

Schließlich trete ich am  11. März 1969 als Referendar in den hessischen Schuldienst ein und leiste den Beamteneid gemäß § 47 HBG: „Ich schwöre, dass ich das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Landes Hessen sowie alle in Hessen geltenden Gesetze wahren und meine Pflichten gewissenhaft und unparteiisch erfüllen werde“.  Erlaubterweise  verzichte ich auf die Formel: „ so wahr mir Gott helfe.“

Hochzeit im Jahr 1970
auf dem Knüllköpfchen.
Bild: privat

Am Wäldchestag 1970 morgens um 8 Uhr heirate ich im Römer standesamtlich die Frau, die ich während einer Nikolausparty 1967 im Studentenheim kennengelernt habe. Im Juli 1970 heiraten wir dann auch noch kirchlich. Und heute sind wir bereits etwas mehr als 50 Jahre zusammen.

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Der Autor

Gerhard Dotzauer, Jahrgang 1943,
geboren in Eger (Cheb).
Studierte in Frankfurt und Tübingen
Deutsch, Geschichte und Politik
und war seit 1966 Lehrer in Frankfurt.
Gehört zu den Gründungsvätern
der Max-Beckmann-Schule und war in der
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
engagiert. 2014 gab er der FR ein
Interview zum Thema Koexistenz von Gymnasien und Gesmtschulen.
Dotzauer ist verheiratet.

 

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