Was tun gegen das Erstarken rechtsextremer Strömungen in Deutschland und gegen Antisemitismus? Ein Weg könnte mehr bzw. bessere politische Bildung sein. Darauf – so verstehe ich ihn – zielte der Chef des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, mit seinem Vorschlag, verpflichtende Besuche von Konzentrationslagern in die Schullehrpläne aufzunehmen. Besuche an authentischen Orten könnten die Geschichte begreifbarer werden lassen, hatte er dem MDR gesagt. Er halte „solche Besuche auch für Schüler mit Migrationshintergrund, also deren Vorfahren nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun hatten, für sinnvoll.“ In einer solchen Gedenkstätte werde „sichtbar, wohin die Diskriminierung und Verfolgung einer Minderheit im Extremfall führen kann“.
Das klingt im ersten Moment einleuchtend. Auf den zweiten Blick scheint jedoch durch, wie deutsch dieser Vorstoß nun wieder ist. Pflichten und Zwänge, das fällt uns Deutschen gern als erstes ein, wenn wir einen Missstand wahrgenommen haben wollen, nicht aber Überzeugung und Vernunft. Es ist ja nicht so, dass es solche Besuche nicht gibt. Als ich vor rund zehn Jahren in Auschwitz war (zum ersten und bisher einzigen Mal), waren mehrere Schulklassen – nicht nur aus Deutschland – auf dem Gelände unterwegs. Diesen Ort zu erleben, ist in der Tat eine Erfahrung. Sie kann allerdings auch überfordern. Sensible Menschen sollten sich gut überlegen, ob sie sich das antun, denn das Grauen der Vernichtung von Menschenleben am Fließband ist dort nicht nur fassbar, sondern körperlich spürbar. Was Ralf Isaacsohn, der Ehrenvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Leipzig sagte, stimmt natürlich: „Freiwillig haben ja manche Scheu davor, das zu sehen oder zu erleben.“ Sie könnten gute Gründe dafür haben, nicht wahr?
Leserbriefe
Ernst Richter aus Wetzlar meint:
„Ich finde, die so geführte Debatte geht an dem Wesentlichen vorbei. Gerade in Zeiten, wo die Rehabilitierung des Völkischen gefordert wird (Frauke Petry), bedarf es einer Offensive, die den nachwachsenden Generationen verdeutlicht, was mit der völkischen Ideologie der Nazis verbunden war / ist. Wenn z.B. Wolfgang Benz erklärte: „Alles, was Pflicht ist, ist deshalb nicht automatisch wirkungsvoll“, kann man ihm entgegenhalten: Nicht alles, was Pflicht ist, ist automatisch nicht wirkungsvoll. Keiner der in diesem Artikel Zitierten würde fordern, die Schulpflicht abzuschaffen, obwohl das in der Schule vermittelte Pensum oftmals an den Köpfen der Schülerinnen und Schüler vorbeigeht, statt in die Köpfe. Das ist bei Mathe und Chemie nicht anders als bei der politische Bildung.
Es muss um die Verpflichtung gehen, die Aufarbeitung des NS-Staates so zu gestalten, dass er die Jugendlichen erreicht. Gedenkstättenbesuche sind hierbei ein wichtiges Element. Man sollte zur Kenntnis nehmen, dass sich die didaktischen Konzepte in den Gedenkstätten in den vergangen 25 Jahren erheblich verbessert haben. Aber die besten Gedenkstättenkonzepte bleiben wirkungslos, wenn die besuchenden Schülergruppen zur Erreichung eines Lernpensums an diesen Stätten des Grauens einfach nur abgegeben werden. Der Faschismus fand eben nicht nur in Auschwitz, Majdanek oder Buchenwald statt, sondern im eigenen Wohn- bzw. Schulort. Wolfgang Thierses Wunsch, den Besuch authentischer „Orte der Unmenschlichkeit und des Rassismus“ in Lehrplänen aufzunehmen, ist richtig und beinhaltet mehr als den verpflichtenden Besuch von ehemaligen Konzentrationslagern. Der Gedenk- und Erinnerungsorte gibt es viele, direkt im Lebens- und Lernumfeld der Jugendlichen. Schulen und Lehrkräfte allerdings hierfür lokale Angebote der außerschulischen Bildung wie z.B. antifaschistische Stadtführungen, Begehungen zu den Stolpersteinen und / oder Konzepte für die Aufarbeitung der eigenen Schulgeschichte zwischen 1933 – 1945 mit den Schülerinnen und Schülern. In diesem Kontext macht der Vorschlag des Zentralrats der Juden durchaus Sinn.“
Dietmut Thilenius aus Bad Soden hingegen begrüßt den Vorschlag:
„!Für Schüler ab 14 Jahren halte ich es für wichtig, dass sie KZ-Geschichte vor Ort erfahren. Der begleitende Erwachsene muss einen Besuch mit den Schülern vorbereiten und gegebenenfalls einem Schüler von einem Besuch abraten oder bei einem Besuch ihm beistehen, wenn es für diesen zu viel ist. Das geschichtliche Weitergeben von Verbrechen im eigenen Volk ist wichtig zur Warnung vor dem Abrutschen in Unmenschlichkeit in einer Gemeinschaft. Schüler wissen, dass dies geschehen kann und man muss mit ihnen über Verhaltensmöglichkeiten sprechen. Mitmenschlichkeit muss gelehrt und vorgelebt werden. Die NS-Propaganda zur Vernichtung von Mitmenschen ermöglichte den Holocaust. Wir müssen entgegensteuern mit geeigneter Erinnerung. Das erfordert persönlichen Einsatz.“
Birgid Oertel aus Hattersheim meint:
„Die Antwort kann nur Nein lauten; ich habe vor zehn Jahren Schüler in der Gedenkstätte Auschwitz aus einem Land erlebt, wo solche Besuche in der 6. Klasse Pflicht sind. Sie liefen völlig orientierungslos durch diese Gedenkstätte.
Besuche in einer Gedenkstätte sollten aber nicht die Ausnahme sondern die Regel sein. Schulleitungen müssen deshalb ihr Kollegium anhalten, unsere junge Generation an unsere „dunkle Vergangenheit“ heranzuführen. Das kann mit einem Besuch in einer Gedenkstätte verbunden sein, z. B. wie im Artikel dargestellt in Hadamar. Einblicke sind aber auch über andere Friedensprojekte, wie die der KZ-Gedenkstätte in Mörfelden-Walldorf (Margit-Horváth-Stiftung), möglich.
Dazu braucht es eine Übersicht über die geschichtsträchtigen Orte wie es sie in den Niederlanden gibt: Eine Radwegekarte zeigt alle Orte auf, an denen die Nazis ihr Unwesen getrieben haben (www. liberationroute.de). Solche Übersichten unterstützen auch Lehrkräfte bei ihrer Arbeit zur Begleitung der Jugendlichen in einer demokratischen Gesellschaft.
Europa ist hart erkämpft worden, z. B. auch an Omaha-Beach in der Normandie. Bei einem Besuch dort, reibt man sich verwundert die Augen: Man trifft Amerikaner, Kanadier, Engländer, Franzosen – oft mit ihren Enkelkindern – aber Deutsche? Die sucht man dort fast vergeblich.
Hier sollte ein europäisches Austauschprogramm aufgelegt werden, das junge Menschen aus Europa an Orten wie diesen zusammenführt und sie an unsere gemeinsame Geschichte heranführt. Eine lebendige Diskussion mit der heranwachsenden Generation zu unserer Geschichte wäre ein wirksames Konzept gegen die wachsende rechte Szene und für Europa. Auch die Integration der zugewanderten Jungendlichen aus nichtdemokratischen Ländern könnte mit solchen Aktivitäten eher gelingen.“
Diskussion: frblog.de/verpflichtend
Der verpflichtende Besuch von KZ-Gedenkstätten wird meiner Meinung nach nicht zu dem gewünschten Ergebnis bei vielen jungen Menschen führen, so grausam und unmenschlich das Vorgehen der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie auch gewesen ist. Der zeitliche Abstand zu dieser deutschen Katastrofe ist meines Erachtens zu groß, als dass sich junge Menschen von heute im Schulalter davon beeinflussen und beeindrucken lassen, wie es wünschenswert wäre.
Für mich selbst hat diese Zeit zeitlebens traumatische Auswirkungen, musste ich doch im Alter von ca 16 Jahren erkennen, dass mein Vater in diese Maschinerie eingebunden war und 1946 deshalb hingerichtet wurde. Meine Mutter und auch die Familie sprach nach dem Krieg in meiner Gegenwart nie über dieses Thema, meine 7 Jahre ältere ältere Schwester hat als Schulkind vieles davon mitbekommen, hat später aber außer Andeutungen kaum etwas berichtet, angeblich hatte sie damit abgeschlossen. Tatsächlich war sie auf Grund dessen, womit sie teilweise konfrontiert war, für „den Rest ihres Lebens“ g(b)eschädigt.
Unsere Familie lebte nahe dem Konzentrationslager, von dem mein Vater stellvertretender Kommandant war. Von mir hielt man das fern, ich weiß inzwischen, dass es vielen Kindern in ähnlicher Situation genauso erging.
Wie gesagt, davon war mir kaum etwas bekannt und ich glaubte bis in die 50er Jahre, mein Vater sei im Krieg gefallen.
Ich wünschte auch, die Jugendlichen von heute würden das Entsetzen empfinden, das ich damals empfand als man uns in der Schule im Alter von 11 und 12 Jahren die produzierten Filme zeigte, die bei der Befreiung verschiedener Lager entstanden, aber dies war damals noch jüngste Geschichte.
Der Besuch des Holocaust-Denkmals in Berlin und des darunter befindlichen Dokumentationszentrums entlässt einen aber auch noch heute zutiefst beschämt und erschüttert ob dessen, was Nazi-Deutschland den ihm unliebsamen Teilen der europäischen Völker angetan hat.
Ob aber, wie gesagt der Besuch von KZ-Gedenkstätten bei jungen Menschen von heute solches Empfinden auslöst bezweifle ich, ohne dass ich es als Vorwurf an die junge Generation gewertet sehen möchte.
Deshalb glaube ich, dass Frau Oertel aus Hattersheim Recht hat mit ihrer Meinung. Dennoch muss man Leuten wie AfD-Höcke entschieden entgegentreten, keine Relativierungen zulassen und das was damals geschehen ist, immer wieder anprangern, verurteilen und verbinden mit dem Appell „NIE WIEDER“.
Eine Verpflichtung für Schüler ist ein Schritt, der unabsehbare Folgen haben kann. Selbst ich als Erwachsene hatte jahrelang mit Albträumen zu kämpfen. Es ist so entsetzlich, dass sie die Kinder und das sind sie noch, gleich zur Therapie anmelden können.
Ganz zu schweigen davon, dass diese Massnahme nicht das Problem, dass wir mit Menschen wie Herrn Höcke und leider vielen, vielen Anderen der gleichen Denkungsweise haben, nicht lösen wird.
Was mich aber wirklich kolossal aufregt ist die Tatsache, dass unsere Politik der AfD den Boden bereitet hat, und wie es aussieht, auch in einer Jamaika-Koalition, weiter bereiten wird.
Wo fällt denn das Gedankengut der AfD auf fruchtbarsten Boden, bei den Ausgegrenzten.
Ich habe nach der Wahl nicht ein Wort von Frau Merkel zu diesem Sachverhalt gehört.
Sie mag vielleicht die mächtigste Frau der Welt sein, sie setzt aber ihre Macht nicht zum Wohle aller Bürger dieses Staates ein.
Die Kurzsichtigkeit derer, die sie gewählt haben ist gleichfalls zum kotzen. In dem sie auf ein weiter so gesetzt haben und einfach nicht sehen wollen, dass die Politik von Frau Merkel immer mehr Menschen ins Abseits bringt und damit sukzessive in die Arme der AfD treibt.
Glaubt denn wirklich jemand der heute noch auf der Sonnenseite unterwegs ist, dass der Einzug der AfD in den Bundestag und eine weitere Verbreitung des braunen Gedankengutes, keine Auswirkungen auch auf sie haben wird?
Dass es überhaupt passiert ist, ist schon eine Beschädigung dieses Landes.
Es ist mir egal, dass wir in Europa mit dem Erstarken der Nationalisten nicht alleine sind.
Es wäre durch eine kluge, alle Menschen in diesem Staat einbindende Politik möglich gewesen, die Situation die wir heute haben zu verhindern.
Als Ersatz für diese Form von Politik, die nicht geleistet wird, soll dann auf staatlich verordnete Traumatisierung von Kindern gesetzt werden, quasi als Prävention.
Sorry, das ist wirklich krank.
Dokumente eigener Betroffenheit wie die von Fritz S. können einem nahe gehen.
Ich habe selbst eine Frau erlebt, die vor anderen bekannte, Tochter eines Nazi-Führers aus dem Bunker zu sein. Die ihr eigenes Ich nicht mehr ertragen, ihr Aussehen völlig verändert hatte, um nicht permanent daran erinnert werden zu müssen. Und die, unter Tränen, äußerte, dass sie ihr Leben lang die Frage gequält habe, ob sie ihren Vater eigentlich lieben dürfe.
Belege, dass Schuld zwar nicht vererbt wird, Schuldbewusstsein aber weiter reicht und sich nicht einfach abschütteln lässt.
Die Vermutung von Fritz S., dass das Problem im „zeitlichen Abstand“ begründet liege, erscheint mir aber doch zu äußerlich. Die Ursache dürfte eher sein, dass solches Schuldbewusstsein zwar weiterhin – bewusst oder unbewusst – vorhanden ist, die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, aber abnimmt. Begründet vor allem durch nationalistische Gegenbewegungen.
Natürlich sind sich auch Höcke, Petry und Co. der Problematik bewusst. Sie lassen diese aber nicht an sich heran. Sie tun genau das, was wir 68er unseren Eltern vorgeworfen haben: Sie verdrängen mit aller Macht gesellschaftlich verankerte Erinnerungen, welche ihr gewünschtes Selbstbild stören. Daher auch die Aggressivität von Nationalisten.
Ich sehe Nationalismus heute vor allem als heuchlerisches System zur Bestätigung des eingebildeten Selbstbilds, geprägt von selektiver Wahrnehmung und Verdrängung. Das, da zu echter Auseinandersetzung nicht bereit, eben auch ein verfälschtes Geschichtsbild benötigt. Was in besonderem Maße die jüngere deutsche Geschichte betrifft.
Bereitschaft zur Auseinandersetzung lässt sich freilich nicht erzwingen. Der Vorschlag des Zentralrats der Juden zum verpflichtenden Besuch von Konzentrationslagern setzt daher an der falschen Stelle an.
Voraussetzung ist zunächst einmal die ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst, den eigenen Bedingungen und Bedürfnissen, sowie den ideologischen Verdrehungen, die solches zu verhindern suchen. Solche Auseinandersetzung kann rational befördert werden, Betroffenheit dagegen nicht.
Ich habe selbst vier KZ-Besuche mit Schülern und Schülerinnen (13-14 J.) in Sachsenhausen durchgeführt, dazu auch mit Wärtern in Theresienstadt und Auschwitz gesprochen. Obwohl in keinem der Fälle verpflichtend, haben alle Besuche die erwartete Betroffenheit und Nachdenklichkeit bewirkt. Natürlich mit entsprechender Vor- und Nachbereitung (eingebettet z.B. in eine Unterrichtsreihe zu Jugendliteratur zur NS-Zeit mit aktiven Beiträgen aller).
Entscheidend ist die Sensibilität im Umgang mit der Thematik und die Glaubwürdigkeit der Vermittlung. Dazu ein Beispiel.
Eine der Führungen wurde von einem Mann geleitet, der selbst als Häftling in Sachsenhausen eingesessen hatte. Zu DDR-Zeiten verurteilt wegen NS-Zugehörigkeit als Jugendlicher. Er sah dies als gerechte Sühne an, wich keiner Frage aus.
Solche Zeitzeugen wird man freilich heutzutage nur noch wenige finden. Doch die von ihm verkörperte ehrliche Auseinandersetzung lässt sich auch bei entsprechendem Umgang mit Dokumenten erreichen.
An Herrn Engelmann,
es ist tatsächlich so, dass man sich die Frage stellt, kann man seinen Vater eigentlich lieben, wie es die von Ihnen angesprochene Frau ebenfalls tat. Ich habe keine Erinnerung an ihn, er wurde im Frühjahr 1946 verhaftet, bevor ich 3 Jahre alt war, sein Prozess und die nachfolgende Execution war dann im November 1946. Aber das weiß ich nur aus Internetrecherchen. Aber die Albträume kommen unausweichlich. Meine Mutter verstarb viel zu jung im Januar1966, ich war damals 22 Jahre alt und wollte in all den Jahren zuvor nicht die Fragen stellen, die bei ihr vermutlich nur für Aufwühlung gesorgt hätten.
Den angeführten zeitlichen Abstand beziehe ich auf die Jugendlichen von heute, von denen wohl ein großer Teil dabei nicht die Betroffenheit empfindet, die diese Thematik eigentlich erfordert. Aber bei mehr als 70 vergangenen Jahren erwarte ich diese auch nicht. Ich wiederhole mich hier, ich weiß…..
Dabei erinnere ich mich daran, dass in jungen Jahren vergangene Jahre als eine ganz andere Zeitdimension empfunden wird, als wenn man im Alter fortgeschritten ist.
Was für das Verhältnis zum Vater angeht, so halte ich manchmal „Zwiesprache“
mit ihm, um „herauszufinden“, wie es zu dieser seiner Biografie kommen konnte, denn ich glaube man beschließt ja nicht einfach „jetzt werd‘ ich Nazischerge und beteilige mich am Völkermord“. Oder vielleicht doch?? Eine Antwort fand ich bis heute nicht..
Hallo, Fritz S.,
danke für Ihre ehrlichen Hinweise.
Bez. der abschließenden Frage, wie es zu einer Nazi-Biografie kommen konnte, könnten für Sie die Aufzeichnungen des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß von Interesse sein, die anhand der Verhöre im Gefängnis 1945/46 entstanden. Ich habe Auszüge davon immer bei den KZ-Besuchen mit Schülern besprochen.
Hier ein Auszug des Wikipedia-Artikels:
„Das Paradoxe an Höß war nach Ansicht Martin Broszats, dass er nicht der sadistische, rohe und brutale Massenmörder war. Vielmehr war er eher durchschnittlich, kleinbürgerlich, keineswegs bösartig, mit vielen Sekundärtugenden wie Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein und Naturverbundenheit ausgestattet. Diese Qualitäten bewahrten ihn nicht vor Inhumanität, Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und einer totalen Ausblendung jeglicher Moral und Ethik. Er stellte sein Pflichtbewusstsein und seine Sorgfalt in einer pervertierten Art und Weise in den Dienst der Massenmörder.“
Diese Einschätzung stimmt auch mit These von der „Banalität des Bösen“ von Hannah Arendt überein, die sie als Beobachterin des Eichmann-Prozesses gewann.
Hier der bibliografische Hinweis:– Rudolf Höß, Aufzeichnungen, abgedruckt in: Martin Broszat: Kommandant in Auschwitz. 14. durchgesehene Auflage. München 1994, ISBN 3-423-30127-9
Vielleicht ist inzwischen der Moment gekommen, die Diskussion auf das eigentliche Thema zurückzuführen und meine persönliche „Leidensgeschichte“ beiseite zu legen. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, dass mein Beitrag in Richtung Individualisierung geführt hat. Doch besonders möchte ich Werner Engelmann herzlich danken, dass er sich so einfühlend äußerte und unterstützend einwirkte.
Bei Allen, die sich zum Diskussionspunkt äußerten, war herauszulesen, dass das Geschehene nie vergessen werden darf. Und wenn der Besuch von Jugendlichen in den jetzt zu Gedenkstätten eingerichteten Konzentrationslagern dazu führt, dass eine solche Einstellung entsteht, bin ich selbstverständlich dafür. Nach Diskussion mit meiner Frau, die ebenfalls stark für solche Besuche -mit begleitender Vor- und Nachbearbeitung- eintritt, ließ ich mich überzeugen und verlor meine Skepsis. Vielleicht tat ich den jungen Menschen Unrecht als ich vermutete, dieser Teil deutscher Geschichte löste
heute nur noch geringe Emotionen aus.
Für eine sehr gute Initiative halte ich die Aktion der Stolpersteine und finde es
befremdlich, dass eine Stadt wie München -wie m.E. auch einige wenige andere- das Verlegen solch kleiner Gedenkstätten nicht zulässt.
Hier ein Nachtrag zu „Stolpersteine in München“ :
Die Stadtverwaltung lässt das Verlegen nur auf öffentlichem Gelände nicht zu,
auf Privatgrundstücken werden jedoch eifreulich viele Steine gesetzt.
Mir ist das zu kurz und zu eng gedacht. Wo ist der Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus? In der Definition der Nazis, las ich heute, kam die Rasse Juden nicht vor, da sie nicht als Menschen betrachtet wurden. Diejenigen, die als einer Rasse zugehörig betrachtet wurden, durften, da der Arier überlegen war aus ihrer Sicht, beherrscht werden.
Für mich ist das eigentliche Problem der Rassismus. Widerlegt ist durch die Wissenschaft, dass es so etwas wie Rasse überhaupt gibt. Die genetischen Merkmale aller Menschen auf dieser Welt sind sich so ähnlich, dass der Begriff Rasse überflüssig ist.
Wir unterscheiden uns durch Kultur, Religion und nationale Zugehörigkeit. Nicht in unserem Menschsein. Also etwas, was wir selbst geschaffen haben um einen Namen für unser Bedürfniss zu haben, irgendwo dazuzugehören.
Warum sich aber aus diesem Bedürfniss ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Kulturen ableitet, verstehe ich nicht.
Ich kann verstehen, dass „man“ sich ausgeschlossen fühlen kann, übrigens in beide Richtungen, sowohl die Mehrheit zur Minderheit als auch umgekehrt.
Was ich mich im Zusammenhang damit auch frage ist, ob ein mehr als ein Nebeneinander, was den Kern unseres Zugehörigkeitsgefühl betrifft, überhaupt möglich ist.
Gibt es überhaupt eine Chance, dass wir jemals an den Punkt kommen an dem wir uns über unser Menschsein definieren und nicht über unsere Zugehörigkeit zu ….? Bzw. diese Zugehörigkeit einen anderen Stellenwert gewinnt, als bereichernd und nicht als trennend.
Wir benutzen Nationalität und Religion als Waffe, als Mauer.
Nur weil wir uns irgendwo dazugehörig fühlen müssen? Ist unsere Identität eine Nation oder Religion die wir über Alles stellen?
Das eine ist zufällig, das andere nicht bewiesen.
Ich möchte gerne zur Ausgangsfrage zurückkehren.
Heute hörte ich in hr-Info ein eindrucksvolles Interview mit Trude Simonsohn, die mit 96 Jahren immer noch in Schulklassen über ihre Erlebnisse als Zeitzeugin des Holocaust redet.
Natürlich muss die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit verpflichtend in der Schule stattfinden! Wo sonst?
Die Art der Berichterstattung und z.T. auch die Argumentation hier im Blog irritieren mich manchmal.
Josef Schuster hat in dem hr-Beitrag noch mal darauf hingewiesen, dass seine Aussage verkürzt dargestellt wurde, und dass er natürlich nicht einen ritualisierten, sinnentleerten Gedenkstättentourismus meint, sondern eine ehrliche Auseinandersetzung.
Wenn Schüler orientierungslos durch eine Gedenkstätte laufen, wie Frau Oertel beschreibt, sagt das lediglich etwas über die Qualität der Vorbereitung und das Engagement der Lehrerin/des Lehrers aus. Auf keinen Fall sollte man aus diesem Grund Gedenkstättenbesuche unterlassen!
Und natürlich verstört der Besuch einer Gedenkstätte nachhaltig – das soll er auch. Gedenkstätten waren Orte des Grauens, und wenn beim Besuch eines solchen Ortes in uns ein Echo dessen widerhallt, was den Menschen, die dort ermordet und gequält wurden, an Schrecklichem geschah, dann ist das gut so.
Ich denke, nach einer guten Vorbereitung im Unterricht können Jugendliche auch entscheiden, ob sie an dem Besuch teilnehmen oder vor der Gedenkstätte auf die anderen warten wollen. Gute Lehrer können damit umgehen.
Das, was Frau Simonsohn macht – in einen Dialog treten, weit ab von Mahnmalen und Gedenksteinen die menschlichen und emotionalen Dimensionen zu schildern, halte ich für eine sehr wichtige Arbeit.
Die Versuche, Interviews mit Überlebenden zu filmen und so für die Nachwelt zu erhalten, halte ich für äußerst notwendig, und ich hoffe, dass sich daraus eine neue Erinnerungskultur entwickeln kann.
Und nach der Auseinandersetzung auf dieser sehr persönlichen Ebene sollte dann natürlich auch eine Gedenkstätte besucht werden, nach ausführlicher und fundierter Vorbereitung und in Begleitung einer Schulsozialarbeiterin oder Fachpersonal mit ähnlicher Qualifikation.
@ Anna Hartl
Ihre Gleichsetzung von Antisemitismus und Rassismus greift zu kurz. Zwar ist (fast) jeder Rassist auch Antisemit, nicht jeder Antisemit ist aber Rassist. Das ändert nichts daran, dass der Antisemitismus der Nazis rassistisch begründet war. Es ist mir schleierhaft, wie Sie zu der Behauptung kommen, die Nazis hätten Juden nicht als „Rasse“ betrachtet.
@ Anne Rumpf
Danke für Ihren Beitrag, der auch meinen Erfahrungen und Einschätzungen entspricht. Ergänzend halte ich wie Josef Schuster „solche Besuche auch für Schüler mit Migrationshintergrund, deren Vorfahren also nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun hatten, für sinnvoll.“ Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit dient doch nicht der Buße für Schuld (wie es Rechtsradikale behaupten und mache in der AfD andeuten), sondern soll, um nochmals Schuster zu zitieren, sichtbar machen, „wohin die Diskriminierung und Verfolgung einer Minderheit im Extremfall führen kann“. Hinzu kommt, dass der weit verbreitete Antisemitismus in Osteuropa, der Türkei und den arabischen Ländern, wo ein Großteil der Migranten herkommen, sich aus den gleichen Quellen wie der der Nazis speist, wie es die zahlreichen Ausgaben der (von der zaristischen Ochranka produzierten) „Protokolle der Weisen von Zion“ und von Hitlers „Mein Kampf“ in diesen Ländern belegen. Die KZ-Gedenkstätten zeigen außerdem auch, wohin Homophobie und die Ideologie der nationalen Überlegenheit (die in den genannten Regionen ebenfalls verbreitet sind) führen kann. Wer lernt, sich mit der NS-Vergangenheit Deutschland auseinanderzusetzen, wird auch sensibilisiert für die vergangenen und gegenwärtigen Minderheitenverfolgungen im eigenen Herkunftsland.
@JaM
Habe die Definition der Nazis auf die Schnelle nicht wiedergefunden. Wenn ich mich recht erinnere, war es unter Zukunft braucht Erinnerung. Da stand in einem Beitrag, dass Juden als Untermenschen betrachtet wurden und nicht als Rasse.
Ihrer Unterscheidung kann ich nicht folgen. Bezieht sich der Antisemitismus nun auf die „Rasse“ oder nicht? Dann ist es auch Rassismus.
@ Anne Rumpf
Wenn Sie von einer Verpflichtung zum Besuch einer Gedenkstätte sprechen meinen Sie staatlich verordneten Zwang!?
Ihrer Begründung kann ich folgen, dem Mittel in keinster Weise.
@ Anna Hartl
Es führt vom Thema weg, Ihnen hier die Rassentheorien der Nazis oder die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Antisemitismus und Rassismus zu erklären. Stalins Antisemitismus war nicht rassistisch, Hitlers schon.
Gerne beantworte ich Ihre Frage an Anne Rumpf: Ja, es geht hier um staatlich verordneten Zwang, genannt Schulpflicht bzw. die Vorgabe verbindlicher Lehrpläne für Schulen. Diese sehen verpflichtenden Unterricht über die NS-Zeit und in einigen Bundesländern (in Bayern z.B. für Gymnasien und Realschulen) auch verpflichtende Besuche von NS-Gedenkstätten vor, die pädagogisch vorbereitet, begleitet und nachgearbeitet werden. Die Forderung von Josef Schuster ist, dies auf alle Bundesländer und alle Schultypen (als auch für Haupt- und Berufsschulen) auszudehnen.
@ JaM
Der Schulpflicht-Zwang sagt aber nichts über die Qualität der verpflichtenden Veranstaltung aus, noch über den Effekt oder die Folgen.
Selbst in der AfD wird es Mitglieder geben, die diesen Unterricht über die NS-Zeit durchlaufen haben. Mit welchem Effekt?
Auch ich empfinde verordnete KZ-Besuche als problematisch. Nicht jede(r) Jugendliche verkraftet eine solche unmittelbare Konfrontation seelisch, und zudem besteht die Gefahr, Schuldgefühle hervorzurufen, so wie die Nachkriegsgeneration, der ich angehöre, sie mit sich herumschleppte.
Wir mussten in der Schule mit 14-15 Jahren den Film von der Befreiung von Auschwitz anschauen. Ich hatte danach wochenlang Alpträume.
Oder es kann passieren, dass junge Menschen, um sich den Schrecken vom Leib zu halten, mit Abwehr reagieren, was ihrem Lernprozess alles andere als förderlich ist.
Deshalb plädiere ich für Besuche, die sich aus der Arbeit der jeweiligen Lerngruppe ergeben und von dieser gewünscht werden.
@ Anna Hartl, Brigitte Ernst
Kennen Sie die pädagogischen Konzepte für Schulklassenführungen in den KZ-Gedenkstätten? Sie arbeiten weder mit Horrorbildern noch mit Erzeugung von Schuldgefühlen. Ansonsten kann ich nur darauf verweisen, was Anne Rumpf schon geschrieben hat: „Ich denke, nach einer guten Vorbereitung im Unterricht können Jugendliche auch entscheiden, ob sie an dem Besuch teilnehmen oder vor der Gedenkstätte auf die anderen warten wollen. Gute Lehrer können damit umgehen.“
Als man uns in der Schulzeit die entsprechenden Filme zeigte -wie gesagt,ich war noch keine 13 Jahre alt- gab es die Fragestellung Horrorbilder oder nicht überhaupt nicht. Uns wurde die Realität vorgeführt und die war entsetzlich, unglaublich, mehr als verstörend und wie bei Frau Brigitte Ernst Alpträume erzeugend. Ob sie bei Allen die damit konfrontiert wurden die gewünschte (lebenslang heilsame) Wirkung erzeugte, ich weiß es nicht.
Auf keinen Fall gab es ausreichende Vor- und Nachbereitung bzw. Aufarbeitung.
Diese Erfahrung machten wohl Menschen aus allen Ländern der damaligen Bundesrepublik, ich weiß es aus Gesprächen mit Leuten meiner Generation, in denen dies thematisiert wurde.
@ JaM
Wenn es bei dieser Freiwilligkeit bleibt, habe ich nichts dagegen einzuwenden.
Und zu den Schuldgefühlen: Die Enkel- und Urenkelgeneration ist wahrscheinlich davor gefeit. Ich selbst habe mein Leben lang Probleme damit gehabt, zum Tätervolk zu gehören. Die Schuldgefühle musste man mir nicht einreden, die hatte ich von allein.
@ Brigitte Ernst
Die emotionale Betroffenheit unserer Generation ist angesichts der monströsen Verbrechen der Nazis, die unsere Eltern auf der einen Seite aktiv bzw. durch Passivität begangen haben und auf der anderen Seite erleiden mussten, mehr als verständlich. Die jahrzehntelange Realität beiden deutschen Staaten war aber das Verleugnen und Verdrängen sowie die völlig unzureichende strafrechtliche Ahndung der Untaten. Jörg Friedrich nannte es 1984 „Die kalte Amnestie“, Ralph Giordano 1987 „Die zweite Schuld“. Die „dritte Schuld“ des Vergessens darf sich die deutsche Gesellschaft nicht auch noch aufladen.
@JaM
Sie sprechen von der Schuld des Vergessens und bewegen sich damit in genau dem Terminus der Abwehr erzeugt. Klingt in diesem Zusammenhang zu sehr nach Erbschuld.
Mein Eindruck ist nicht, dass Deutschland vergisst. Wir leben mit diesem Wissen.
Selbst die die leugnen wissen darum.
Was mich persönlich interessiert ist der Nährboden auf dem sich Antisemitismus und Rassismus ausbreiten.
Ein Schlag ins Gesicht war für mich die Reaktion auf das mutige Handeln des Mädchens, dass für einen Mitschüler eingetreten ist und von einem AfD Politiker als Denunziantin bezeichnet wurde.
Wie breitet sich eine „Haltung“ wie diese aus?
Werden diese Gedanken von Generation zu Generation weitergegeben?
Wie ist es überhaupt möglich, mit dem Wissen von heute, immer noch diesen Hass zu nähren?
Ist dies der sogenannte Rassenhass?
Der Nationalitätenwahn?
Wie dem begegnen?
Für Viele dürfte es ein „Tiefschlag“ gewesen sein sein, die AfD und das damit verbundene Denken in den Bundestag einziehen zu sehen.
Ich dachte daran, das Land zu verlassen oder „irgendwo“ in den Wald zu ziehen, damit ich nicht indirekt über die Steuern die ich zahle, diese Partei auch noch finanziere.
Die Ohnmacht der Demokratie?
@ Anna Hartl
Der Gedanke an eine „Erbschuld“ ist mir fremd (genauso wie die christliche „Erbsünde“). Schuld kann man nur durch ein eigenes Handeln oder Unterlassen auf sich laden. Unabhängig davon, was unsere Eltern und Großeltern getan oder erlitten haben (oder gänzlich unbeteiligt waren), sind wir dafür verantwortlich, dass die NS-Verbrechen nicht vergessen werden.
Leider entspricht es nicht der Realität, wenn Sie schreiben: „Mein Eindruck ist nicht, dass Deutschland vergisst. Wir leben mit diesem Wissen.“ Laut einer Forsa-Umfrage können 21 Prozent der 18- bis 30-jährigen den Begriff Auschwitz nicht einordnen (siehe http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-01/umfrage-auschwitz). Laut einer Repräsentativen Umfrage der Körber-Stiftung wissen nur 59 Prozent der befragten Schüler, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis im Zweiten Weltkrieg war. Bei den 14- bis 16-Jährigen sind es sogar nur 47 Prozent (siehe https://www.koerber-stiftung.de/fileadmin/user_upload/koerber-stiftung/redaktion/handlungsfeld_internationale-verstaendigung/pdf/2017/Ergebnisse_forsa-Umfrage_Geschichtsunterricht_Koerber-Stiftung.pdf).
@ JaM
Wenn der Geschichts- und Sozialkundeunterricht nicht völlig versagt hat, müssten alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland die Judenverfolgung und den Holocaust ausführlich bearbeitet haben. Darüber, ob sie die Namen der Vernichtungslager kennen müssen, kann man geteilter Meinung sein. Es kommt darauf an, zu wissen, was geschehen ist. An welchem Ort genau diese Verbrechen begangen wurden, halte ich da für sekundär.
Ihre Ansicht, dass wir als Deutsche eine besondere Verantwortung tragen, aufzuklären und gegen eine Wiederholung solcher Untaten zu kämpfen, teile ich.
Nein, die NS-Verbrechen dürfen wir nicht vergessen und müssen wir weitergeben an unsere nachfolgenden Generationen. Vor allem sollten sie uns allen aber eine Weisung sein, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Die versteckte oder offene Verherrlichung dieser Zeit, die wieder verstärkt sichtbar wird, sehe ich mit großer Besorgnis. Die 68er Lehrer*innen , die mit Sendungsbewusstsein ins Lehramt gegangen sind, waren leider nicht immer begabte Pädagogen.
Und auch heute wird es von der Persönlichkeit der Lehrkraft abhängen, wie diese Verbrechen vermittelt werden, Wie ein Björn Höcke diese schlimme Zeit im Geschichtsunterricht behandelt, möchte ich mir gar nicht vorstellen.
Wie man diese Zeit am eindringlichsten vermittelt, weiß ich nicht. Ich habe der Lehrerin meines Sohnes vor vielen Jahren das Buch „Damals war es Friedrich“, das ich für die Altersgruppe 5. oder 6. Klasse zur Lektüre empfohlen, nachdem ein Schüler ihrer Klasse ein Hakenkreuz an die Wandtafel gemalt hatte. Was hat sie daraus gemacht? Nichts Gutes. Sie hat daraus eine Leseübung gemacht und anschließend ein Diktat aus dem Buch schreiben lassen. So geht es sicher nicht.
Ob ich selber einen Besuch in Auschwitz aushalten würde, weiß ich nicht. Ich war in Sachsenhausen, ich habe Propagandafilme der Nazis gesehen, die das Untermenschentum der Juden im Warschauer Ghetto (sie leben wie die Tiere) zeigen sollten, die man der deutschen Bevölkerung dann doch nicht gezeigt hat, damit sie kein Mitleid bekommen. Denn dass das mal ihre Nachbarn waren, das wusste doch jeder.
Nein, das darf nicht in Vergessenheit geraten und es sollte uns für jede Menschenrechtsverletzung, so fern sie auch ist, sensibel machen. Denn sie geschieht leider noch überall in der Welt.
Hier wird der Einfluss, den Lehrkräfte auf die ethischen Maßstäbe ihrer Schülerinnen und Schüler ausüben können, manchmal überschätzt. Wenn im Elternhaus oder in der Peergroup antisemitische Töne laut werden, hat es die Schule schwer, dagegen anzusteuern, denn in der Pubertät sind es weniger die Lehrer, auf die junge Menschen hören, das darf man nicht vergessen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein sehr gelungenes Projekt der Bettinaschule, eines Gymnasiums im Frankfurter Westend, hinweisen. Diese Schule war vor dem Krieg ein Mädchen-Lyzeum, und da dieses Stadtviertel von vielen jüdischen Familien bewohnt wurde – dort befindet sich auch die unzerstörte Synagoge – besuchten auch viele jüdische Mädchen diese Einrichtung, wurden dann aber in den 30ern der Schule verwiesen.
In den 1980er Jahren rief eine Geschichtslehrerin der Bettinaschule eine AG ins Leben, die sich auf Spurensuche nach diesen vertriebenen Mädchen begab. Die meisten von ihnen hatten es in die Emigration geschafft, und es gelang, mit einigen Überlebenden in den USA und in Israel Kontakt aufzunehmen. Die Schicksale einzelner ehemaliger Schülerinnen wurden dokumentiert, es wurden Briefwechsel und Skype-Telefonate geführt und die Ergebnisse der übrigen Schulgemeinde zugänglich gemacht.
Der Höhepunkt dieser Aktion war die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Schulhof im Rahmen eines Festakts, zu dem noch eine mittlerweile sehr betagte ehemalige Schülerin, einige Nachkommen anderer der Schule verwiesener Jüdinnen sowie weitere Zeitzeugen anreisten. Das Monument, das heute auf dem Schulhof steht, entstand im Rahmen eines Wettberwerbs unter den Kunst-Leistungskursen der Schule. Es besteht aus einer abgebrochenen Mauer, in die die in Metallplättchen eingravierten Namen aller aus der Schule vertriebenen Schülerinnen eingelassen sind.
Auf ein in „politisch korrekten“ Kreisen gern verschwiegenes Problem möchte ich in diesem Zusammenhang aber auch hinweisen: Nicht nur in Kreisen von Pegida, AfD und der Neonazis feiert der Antisemitismus fröhliche Urständ, auch eine große Gruppe von Einwanderern aus arabischen und nordafrikanischen Ländern trägt aufgrund ihrer Sozialisation einen starken Judenhass nach Deutschland. Man muss das nicht so krass formulieren wie Karl Lagerfeld, aber z.B. in Frankreich sind es weniger Neonazis als vielmehr Zuwanderer aus den Maghrebstaaten und dem Nahen und Mittleren Osten, deren antisemitische Aktionen unter der jüdischen Bevölkerung bereits eine erhöhte Auswanderungsbereitschaft bewirkt haben.
Aufgrund der verstärkten Zuwanderung aus diesen Ländern werden die deutsche Schulen vor erhöhte Anforderungen beim Kampf gegen den Antisemitismus gestellt.
@ I. Werner
Es geht nicht unbedingt um den Besuch von Auschwitz oder anderer Vernichtungslager, sondern um den von KZ-Gedenkstätten in Deutschland.
Die von Ihnen erwähnten Aufnahmen aus dem Warschauer Ghetto, die Juden als Untermenschen zeigen sollen und mit Bildern von Ratten und anderer tierischen „Schädlingen“ geschnitten sind, enthält der 1940 produzierte NS-Propagandafilm „Der ewige Jude“, der überall im Reich und auch in den besetzten Ländern gezeigt wurde (für Frauen und Kinder in einer um absichtlich brutal dargestellten Szenen der Schächtung von Tieren gekürzt). Dass das gezeigte Elend im nennenswerten Umfang Mitleid bei der Bevölkerung geweckt hätte, ist mir aus der Literatur nicht bekannt. Die Straßenbahnfahrt durch das Warschauer Ghetto gehörte für Wehrmachtsangehörige und andere deutsche Besucher zum „touristischen“ Programm. Briefe und Tagebucheintragungen zeugen nicht davon, dass die sichtbar unmenschlichen Bedingungen zu Mitleid geführt hätten. Vielmehr fühlte sich die große Mehrheit der Gaffer in ihrem Judenhass bestätigt.
@ JaM, Anna Hartl
– „Ja, es geht hier um staatlich verordneten Zwang, genannt Schulpflicht bzw. die Vorgabe verbindlicher Lehrpläne für Schulen. Diese sehen verpflichtenden Unterricht über die NS-Zeit und in einigen Bundesländern (in Bayern z.B. für Gymnasien und Realschulen) auch verpflichtende Besuche von NS-Gedenkstätten vor.“
(JaM, 21. November 2017 um 19:22)
-„Der Schulpflicht-Zwang sagt aber nichts über die Qualität der verpflichtenden Veranstaltung aus, noch über den Effekt oder die Folgen.“
(Anna Hartl, 21. November 2017 um 21:55)
So gut gemeint der Vorschlag des Zentralrats gemeint sein mag, unterliegt er doch einem grundlegenden Missverständnis.
Aufgabe von Lehrplänen ist, Lernziele (im weitesten Sinn) vorzugeben, hier also für angemessenen Umgang mit der Thematik des Nationalsozialismus zu sorgen. Darüber besteht hier kein Diskussionsbedarf.
Es ist aber nicht Aufgabe von Lehrplänen, Methoden der Vermittlung verbindlich vorzugeben. Dafür sind allein die entsprechenden Lehrkräfte zuständig und können es sinnvollerweise auch nur sein. Methodische Vorgaben können bestenfalls Vorschlagscharakter haben, sie sind niemals verbindlich.
Der Besuch von Konzentrationslagern fällt eindeutig in den Bereich der methodischen Vermittlung. Eine verbindliche Vorgabe ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil die Wahl der richtigen Methodik sowohl von den gegebenen Bedingungen und Möglichkeiten als auch von der Lerngruppe abhängt. Eine richtige Einschätzung ist nur in deren Kenntnis von den jeweiligen Lehrkräften, nicht aber allgemein möglich. So etwa spielt nicht nur das Alter, sondern auch etwa der Anteil von Migranten in der Lerngruppe eine große Rolle.
Ich stimme daher Anna Hartl eindeutig zu. Der Vorschlag des Zentralrats der Juden läuft Gefahr, eher das Gegenteil des Beabsichtigten zu bewirken.
Bei meinem ersten Besuch mit Schülern in Sachsenhausen Anfang der 80er Jahre wurde noch der russische Film gezeigt, der noch auf (bezogen auf im Nazismus sozialisierte Menschen vielleicht richtige) Schockwirkung ausgerichtet war. Nach heutigem Stand eine Methodik mit dem Holzhammer, die insbesondere bei jungen Leuten völlig anderer Herkunft und Sozialisation, bei denen unmittelbare Betroffenheit nicht mehr gegeben ist, verständliche Abwehrhaltung hervorruft.
Dies war schon bei dem „verordneten Antifaschismus“ zu DDR-Zeiten erkennbar, ist heute unter den Bedingungen sich ausbreitender rechtsnationaler Demagogie sogar noch problematischer.
Bei meinem Besuch bedurfte es einer sehr gründlichen Vorbereitung und einer Freistellung der Schüler von diesem Teil der Veranstaltung, um mögliche konträre Wirkungen – in meinem Fall erfolgreich – abzufangen.
Wenn offenbar heute ganz andere und glaubwürdigere Konzepte der Vermittlung vorliegen, dann ist es Aufgabe der jeweiligen Lehrkräfte, sich damit auseinanderzusetzen.
Der Zentralrat der Juden wäre daher, auch im eigenen Interesse, gut beraten, Kontakte zu Schulen herzustellen, Handreichungen und überzeugende Konzepte zur Verfügung zu stellen statt in die Lehrplankompetenz der Kultusministerien eingreifen zu wollen.
@ Werner Engelmann
Ihre sehr formalistische Argumentation zur Verbindlichkeit der Lehrpläne überrascht mich sehr. In Bayern bewirkt die (nachdrückliche) Empfehlung im Lehrplan (und entsprechende Fahrtzuschüsse der Landeszentrale für politische Bildung) dazu, dass fast alle Schüler weiterbildender Schulen eine KZ-Gedenkstätte besuchen, ohne dass dies unzulässig die pädagogische Freiheit der Lehrer unzumutbar einschränkt.
Gerade, weil die Begegnung von Schülern mit Zeitzeugen, deren Bedeutung hier mehrmals angesprochen wurde, nur noch kurze Zeit möglich ist, bekommt die Vermittlung authentischer Erfahrungen durch den Besuch von Gedenkstätten eine hohe Priorität. Dass die pädagogischen Konzepte seit Ihrem Besuch von Sachsenhausen Anfang der 90er Jahre weiter entwickelt wurden, können Sie sich durch eine Internetrecherche leicht überzeugen. Der von Brigitte Ernst zu Recht angesprochene unter einem Teil der Migranten grassierende Antisemitismus (der sich nicht auf Muslime beschränkt) ist ein weiterer Grund dafür, dem Thema NS-Zeit in der Schule mehr Aufmerksamkeit (und Mittel) zu widmen. Auch einen verstärkten Unterricht, nicht nur die Besuche der KZ-Gedenkstätten, hat Dr. Schuster gefordert.
Gänzlich irritierend finde ich Ihre abschließende Anmerkung: „Der Zentralrat der Juden wäre daher, auch im eigenen Interesse, gut beraten, Kontakte zu Schulen herzustellen, Handreichungen und überzeugende Konzepte zur Verfügung zu stellen statt in die Lehrplankompetenz der Kultusministerien eingreifen zu wollen.“ Offenbar ist Ihnen entgangen, dass die Forderungen von Dr. Schuster sich an die Kultusminister gerichtet haben, wozu der Zentralrat als ein Teil der deutschen Gesellschaft jedes Recht hat. Einen Eingriff in die Lehrplankompetenz sehe ich darin wirklich nicht. Was die Forderung betrifft, Kontakte zu Schulen herzustellen, scheinen Sie nicht zu wissen, wie intensiv jüdische Gemeinden bereits mit Schulen arbeiten. Handreichungen und überzeugende Konzepte müssen nicht erst erstellt werden, weil sie reichlich vorhanden sind und nur genutzt werden müssen.
@ JaM
Sie scheinen die Problematik nicht verstanden zu haben, die in Bedenken gegen obligatorischen Besuch von Gedenkstätten bestehen (nicht die obligatorische Behandlung des NS-Systems!).
Zunächst braucht wohl nicht betont zu werden, dass wir das gleiche Ziel verfolgen und dies (zumindest hier) keiner Erörterung bedarf.
„In Bayern bewirkt die (nachdrückliche) Empfehlung im Lehrplan (…) dazu, dass fast alle Schüler weiterbildender Schulen eine KZ-Gedenkstätte besuchen, ohne dass dies unzulässig die pädagogische Freiheit der Lehrer unzumutbar einschränkt.“
– Diese Darlegung ist widersprüchlich. Vor allem unterschiebt sie mir eine Absicht, die ich ganz entschieden zurückweise: Es geht mir mitnichten um „die pädagogische Freiheit der Lehrer“! Ich bitte Sie auch, Derartiges zu unterlassen.
(1) Hier ist von „Empfehlung“ die Rede, nicht von Zwang. Ein wesentlicher Unterschied! Also ist das Verfahren in Bayern kein Beleg.
(2) Ob dieses Verfahren erfolgreich ist (man kann es nur hoffen), ist anhand der Quantität nicht zu erweisen. Kein Mensch kann in Schülerköpfe hineinschauen. Das müsste nach einem sehr komplizierten Meinungserforschungsverfahren erst ermittelt werden.
(3) Das DDR-Prinzip des „verordneten Antifaschismus“ ist, wie wir gerade heute, besonders in Sachsen, erleben, ein abschreckendes Beispiel. Es kann kein Zweifel bestehen, dass dies, insbesondere in der mittleren Generation, seinen Anteil an „Pegida“ u.a. hat.
(4) Meine Argumentation ist alles andere als „sehr formalistisch“, sondern ganz entschieden inhaltlich.
Ob ein Lernziel (insbesondere in Bezug auf Moral und Verhalten) erreicht wird, ist ein inhaltliches Problem und von der Art der Vermittlung nicht zu trennen.
Ich habe oft genug erlebt, dass die gleichen Texte, je nach Art des Zugangs, als „öde“ oder als „sehr spannend“ erlebt wurden. Es gehörte sogar zu meinem üblichen Verfahren, Meinungsäußerungen (unkommentiert) nach erster Lektüre und nach Abschluss einer Unterrichtsreihe einzuholen (manchmal auch gezielt auszuwerten). Ich habe viele Beispiele, auch explizit, dass ein „langweiliger“ Text plötzlich „spannend“ wurde.
Das zu erreichen, ist allein dem vermittelnden Lehrer (bzw. der Lehrerin) möglich. Ein Lehrplan kann bestenfalls gewünschte Ziele vorgeben, was so auch der Fall ist.
(5) Richtig ist, dass die Schülerpopulation sich in den letzten Jahren gewandelt hat und dass insbesondere unter Migrantenkindern Probleme aufgrund von Voreinstellungen, die vom Elternhaus übernommen werden, Probleme bestehen können.
Aber gerade das belegt die Richtigkeit meiner Argumentation. Allein Lehrern und Lehrerinnen, welche diese Voraussetzungen kennen, können darauf in angemessener Weise reagieren.
(6) Der Hinweis, dass es für den Zentralrat der Juden „im eigenen Interesse“ ist, den Verdacht unangemessenen Eingriffs in Lehrplankompetenz zu vermeiden, ist sehr ernst zu nehmen und alles andere als zynisch oder gar „antisemitisch“. Es ist mir freilich bewusst, dass es Kreise gibt, die mit solchen Unterstellungen sehr fix bei der Hand sind.
Gerade diese sollten sich bewusst werden, dass gegenseitige Toleranz, insbesondere in religiöser Hinsicht, in sehr hohem Maße von erfolgreichen Bemühungen von Lehrkräften im oben genannten Sinn abhängen.
Ein Lehrer/ eine Lehrerin hat prinzipiell gegenüber jeglicher religiöser oder auch politischer Voreinstellung angemessene Distanz zu wahren. Allein der Verdacht, sich von einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Gruppe in seinem pädagogischen Verhalten bestimmen zu lassen, hätte nicht nur für seine/ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch für das Zusammenleben im Sinne der Toleranz verheerende Folgen. Ich brauche das wohl nicht näher auszuführen.
@ Werner Engelmann
Danke für die „freundliche“ Belehrung, ich hätte „die Problematik nicht verstanden …, die in Bedenken gegen obligatorischen Besuch von Gedenkstätten bestehen“. Meinerseits besteht der Eindruck, dass Sie nicht verstehen, worum es mir (und meiner Meinung nach auch dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster) geht: Die bisher unzureichende (siehe die von mir am 25. November 2017 um 15:40 verlinkte Studie der Körber-Stiftung) nachhaltige Wirkung des Schulunterrichts zur NS-Zeit durch den Besuch der authentischen Orte der KZ-Gedenkstätten zu verbessern. Dazu sollte, so der Vorschlag, ein solcher Besuch in den Lehrplänen des Geschichtsunterrichts „verpflichtend“ verankert werden.
Als Nicht-Pädagoge nehme ich Ihre Erklärung zur Kenntnis, dass in den Lehrplänen die Lernziele, nicht aber die Methoden der Vermittlung verbindlich festgelegt werden. Dafür seine „allein die entsprechenden Lehrkräfte zuständig und können es sinnvollerweise auch nur sein“, schreiben Sie. Es erschließt sich mir nicht, warum Sie es als eine Unterstellung empfinden, wenn ich dies als die „pädagogische Freiheit der Lehrer“ bezeichne, die durch Methodenempfehlungen im Lehrplan (hier: Besuch der KZ-Gedenkstätten) nicht unzumutbar eingeschränkt wird.
Zur Sache: Die Besuche von Schülern in KZ-Gedenkstätten als Teil des Geschichtsunterrichts werden bereits jetzt von der Kultusministerkonferenz empfehlen. Dazu heißt es im Bericht des Sekretariats der Kultusministerkonferenz „Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust“ vom November 2005 (http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Bildung/AllgBildung/Zusammenfassung-Holocaust-November-05_01.pdf): „In den Lehrplänen wird deutlich, dass auf außerunterrichtliche Aktivitäten wie beispielsweise den Besuch von authentischen Orten, insbesondere Gedenkstätten, und den Kontakt mit Zeitzeugen großer Wert gelegt wird.“ In Bayern heißt es im Lehrplan für den Geschichtsunterricht der Jahrgangsstufe 9 an Gymnasien: „in diesem Zusammenhang wird empfohlen: nach Möglichkeit Studienfahrt zu einer KZ-Gedenkstätte, einem regionalen Konzentrations- oder Außenlager“.
Diese ausdrückliche Empfehlung führt in der Praxis dazu, dass nahezu alle Gymnasien in Bayern Besuche in den KZ-Gedenkstäten durchführen. Auf diese Regelung im Lehrplan hat sich Josef Schuster schon mehrfach ausdrücklich bezogen und eine Ausdehnung auf alle Schulformen und alle Bundesländer gefordert.
Mein Eindruck ist, dass Sie sich nicht nur daran stören, dass Schuster der Kultusministerkonferenz vorgeschlagen hat, den Bundesländern die Aufnahme eines „verbindlichen“ Besuchs der KZ-Gedenkstätten in die Lehrpläne zu empfehlen, sondern dass Sie generell an dem Sinn solcher Besuche zweifeln. Falls dies zutrifft, wäre ich für eine inhaltliche Begründung dankbar, die über eine längst überholte Erfahrung aus dem Anfang der 90er Jahre hinausgeht. Eine empirische Untersuchung, welche Lernerfolge der Besuch der KZ-Gedenkstätten bringt, ist mir zwar nicht bekannt, ich kenne aber sehr positive Erfahrungsberichte von Lehrern und Schülern, die die KZ-Gedenkstätte in Dachau besucht haben. Dazu ist allerdings auch eine gute Vor- und Nachbereitung nötig, die auch die Abwehrreaktion junger Menschen gegen „Verordnetes“ berücksichtigt (ob der Besuch vom Lehrplan oder von dem Lehrer „verordnet“ wird, spielt dabei kaum eine Rolle). Das ist natürlich nicht ohne engagierte Lehrerinnen und Lehrer – und ohne entsprechende Weiterbildungsangebote – zu erreichen. Wer wollte dies bestreiten?
Als sehr unsachlich betrachte ich, dass Sie mir als Befürworter der (wie auch immer „verpflichtenden“) Besuche von KZ-Gedenkstätten den „verordneten Antifaschismus“ der DDR als ein „abschreckendes Beispiel“ vorhalten. Wollen Sie die inhaltliche und methodische Gestaltung der Gedenkstätten und des (verbindlichen) Schulunterrichts zur NS-Vergangenheit im heutigen Deutschland auf die gleiche Stufe mit der ideologischen Instrumentalisierung des Themas „Faschismus“ in der DDR stellen?
In einem Punkt bleiben Ihre Ausführungen für mich sehr irritierend. Sie schreiben: „Der Hinweis, dass es für den Zentralrat der Juden ‚im eigenen Interesse‘ ist, den Verdacht unangemessenen Eingriffs in Lehrplankompetenz zu vermeiden, ist sehr ernst zu nehmen und alles andere als zynisch oder gar ‚antisemitisch‘. Es ist mir freilich bewusst, dass es Kreise gibt, die mit solchen Unterstellungen sehr fix bei der Hand sind.“ Wenn der Zentralrat Vorschläge zu Lehrplänen der Kultusministerkonferenz als dem zuständigen Gremium macht, wie soll sich daraus der Verdacht eines „unangemessenen Eingriffs in die Lehrplankompetenz“ ergeben? Was wollen Sie, vor allem mit dem Verweis auf angebliche „Kreise“, andeuten? Wem unterstellen Sie, die Kritik an dem Vorschlag des Zentralrats „als zynisch oder gar ‚antisemitisch‘“ zu bezeichnen? Sie schreiben weiter: „Ein Lehrer/ eine Lehrerin hat prinzipiell gegenüber jeglicher religiöser oder auch politischer Voreinstellung angemessene Distanz zu wahren. Allein der Verdacht, sich von einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Gruppe in seinem pädagogischen Verhalten bestimmen zu lassen, hätte nicht nur für seine/ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch für das Zusammenleben im Sinne der Toleranz verheerende Folgen.“ Auf wen bezieht sich diese dramatische „Warnung“? Meinen Sie wirklich, der Zentralrat wolle Lehrerinnen und Lehrer „in ihrem pädagogischen Verhalten bestimmen“, nur weil die Vertretung der jüdischen Gemeinden in Deutschland sich in einer für die Jüdinnen und Juden wichtigen gesellschaftlichen Frage zu Wort meldet?
Wir haben seinerzeit mit meiner Klasse schon vor rd. 50 Jahren Dachau besucht und mein Sohn hat mit seiner Klasse Ausschwitz besucht – dass sich hieraus bei den Schülern schwere Traumatisierung für das spätere Leben ergeben hätte, kann ich nicht bestätigen.
Es ist zudem auch unrichtig, dass es in Lehrplänen in anderen Bereichen keine verpflichtenden Veranstaltungen zur Vermittlung von Lerninhalten gäbe, man denke an Wandertage, verpflichtende Berufskennlern-Praktika, Klassenausflüge u.a.m.
Ich finde es ebenfalls irritierend, mit welchen Argumenten (und in welcher Schärfe teilweise) dem Zentralrat der Juden das Recht abgesprochen wird, hier Vorschläge zu einer verpflichtenden Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu machen.
„Der Hinweis, dass es für den Zentralrat der Juden „im eigenen Interesse“ ist, den Verdacht unangemessenen Eingriffs in Lehrplankompetenz zu vermeiden, ist sehr ernst zu nehmen und alles andere als zynisch oder gar „antisemitisch.
Es ist mir freilich bewusst, dass es Kreise gibt, die mit solchen Unterstellungen sehr fix bei der Hand sind.“
klingt für mich schon fast wie eine Drohung – mische Dich in Deinem eigenen Interesse nicht in unsere Kompetenzen ein, wie wir mit der Vermittlung des Holocausts umgehen, ist unsere Sache, das geht den Zentralrat bzw. die Juden nichts an.
Da stellt sich, mir jedenfalls, die Frage, welche negativen Folgen für den Zentralrat der Juden und von ihm vertretene jüdische Mitbürger da angeblich drohen sollen, wenn er es wagt, Vorschläge zu verpflichtenden Besuchen von Konzentrationslagern in den Lehrplan aufzunehmen. Und was das mit „Distanz zu religiöser Voreinstellung“ zu tun haben soll. Hier geht es nämlich nicht um religiöse Fragen, der Besuch eines Konzentrationslagers hat nichts mit religiösen Fragen zu tun.
Selbstverständlich dürfen die Juden und ihre Verbände da Vorschläge machen und sich einmischen – sie waren schließlich (neben einigen anderen Gruppen) die Opfer der Massenvernichtung. Ich finde es mehr als fragwürdig, wenn den Opfern und deren Nachkommen von den Nachkommen der Täter das Recht abgesprochen wird, Vorschläge zur Vermittlung dieses Kapitels der deutschen Geschichte zu machen. Ich finde das nicht nur höchst irritierend, sondern geradezu unerhört. Der Zentralrat hat ja keinen verpflichtenden jüdischen Religionsunterricht oder die Zwangskippa für alle Schüler an deutschen Schulen vorgeschlagen, sondern einen Vorschlag gemacht, die Geschichte des Holocaust begreifbarer zu machen, sichtbar zu machen, wohin die Diskriminierung und Verfolgung einer Minderheit im Extremfall führen kann – und selbstverständlich ist es das gute Recht der jüdischen Gemeinde, hier Vorschläge zu machen, die ich im Übrigen für sehr sinnvoll halte.
Dann wird es Sie freuen zu erfahren, liebe Frau Ster, dass niemand dem Zentralrat das Recht abgesprochen hat, Vorschläge zu machen. Im Gegenteil, hier wird über einen Vorschlag des Zentralrats kontrovers diskutiert. Das wäre wohl nicht möglich, wenn er diesen Vorschlag nicht vorher gemacht hätte, gell, liebe Frau Ster?
@ all
Ich möchte mich zu nachtschlafender Zeit kurz einschalten, um alle Beteiligten zur Mäßigung aufzurufen. Das FR-Blog will ein Ort des Austausches sein, nicht der Konfrontation. Natürlich darf auch mit dem Florett für Positionen gefochten werden, aber ich bitte dennoch, das Augenmaß nicht zu verlieren. Den Kommentar, den Agnes Ster als Antwort auf Stefan Briems Kommentar geschrieben hat, konnte ich nicht veröffentlichen. Die Frage geht auch an Herrn Briem: Müssen solche Provokationen sein? Dafür ist der Inhalt dieser Diskussion doch wohl zu gewichtig.
@ Stefan Briem
Sie hatten zwar Agnes Ster angesprochen, aber da Bronski ihre (wahrscheinlich zu heftige) Replik nicht freigeschaltet hat, kommt die Antwort von mir. Auch mich irritiert der „Hinweis“ von Werner Engelmann, es sei „für den Zentralrat der Juden ‚im eigenen Interesse‘, den Verdacht unangemessenen Eingriffs in Lehrplankompetenz zu vermeiden“. Damit wird nicht der Inhalt des Vorschlags kontrovers diskutiert, sondern durchaus in Frage gestellt, ob der Zentralrat – ohne sich zu schaden – einen solchen Vorschlag zur Diskussion stellen soll. Zumindest verstehe auch ich den „Hinweis“ so. Falls es nicht zutrifft, kann uns Werner Engelmann aufklären, was er meint.
Für wichtiger halte ich allerdings die inhaltliche Diskussion. Mein Eindruck ist nämlich, dass die für mich unerwarteten heftigen Reaktionen nicht nur dadurch hervorgerufen wurden, dass ein „verpflichtender“ Besuch von KZ-Gedenkstätten vorgeschlagen wurde, sondern dass mancher hier die Besuche von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten insgesamt mit Skepsis betrachtet. Eine offenere und inhaltlich begründete Argumentation, die die aktuellen pädagogischen Konzepte der Gedenkstätten berücksichtigt, halte ich daher für wünschenswert.
@JaM
Mir kommt es eher so vor, als ob sie davon ausgegangen sind, dass es zu dem Vorschlag von Herrn Schuster nur eine Meinung geben kann und ihre Irritationen daher rühren, dass dem nicht so ist.
Bin selbst irritiert, dass die Frage des Nutzens wohl keine Rolle spielt. Wie lange wird an unseren Schulen zu diesem Thema gelehrt!? Und hat es das verhindert was heute wieder sein Haupt erhebt? Nein! Wenn selbst Lehrer wie Herr Hoecke kein Problem damit haben?
Ich verstehe das Handeln zwingend erforderlich ist doch bitte nicht nur Handeln um des Handelns Willen.
Was ist denn die Wurzel für Antisemitismus und Rassismus? Beides schon sehr sehr lange präsent auf dieser Welt. Hat sich wohl nicht viel daran geändert.
Mein Gefühl sagt mir eher, dass das Thema Humanismus mehr Raum sowohl in Schulen, Elternhaus und in der Gesellschaft braucht.
Egoismus, Ellenbogengesellschaft und ein Gott der Geld heißt sind harte Gegner um jungen Menschen die wirklich wichtigen, wertvollen und auch dem Menschen eigenen Gefühle und Gedanken nahezubringen.
Denn lehren kann man vieles, wenn die Erfahrung in der Welt, sprich in einer Gesellschaft eine andere ist, frage ich mich, wie lange das gelernte Bestand hat.
Kurz gesagt, ich halte das Wissen über die Ursachen für den Pfad zum Handeln als unabdingbar.
@ JaM
Diese inhaltliche Auseinandersetzung findet hier doch nun seit drei Wochen statt. Das Ergebnis war, soweit ich das überblicke, dass die Mehrheit der im FR-Artikel zitierten Fachleute und der hier Diskutierenden auf jeden Fall gegen einen verpflichtenden Besuch von Vernichtungslagern war. Darüber, dass solche Besuche, wenn von Schülern und Lehrkraft gewünscht,sinnvoll sein können, waren sich die meisten ebenfalls einig. Das dürfte doch reichen.
Ich persönlich bin froh, dass niemand von mir als Lehrerin eine derart hautnahe Konfrontation mit dem, was Bronski ja nicht umsonst das „Grauen“ nennt, gefordert hat. Einsicht und Empathie kann man auch mit anderen pädagogischen Mitteln wecken, da muss man nicht die „Holzhammermethode“ anwenden. Ich brauche ja auch keinen Besuch einer Todeszelle, um Jugendlichen die Unmenschlichkeit der Todesstrafe nahezubringen.
@ JaM, Agnes Ster
– „Mein Eindruck ist, (…) dass Sie generell an dem Sinn solcher Besuche zweifeln.“
– „…die Kritik an dem Vorschlag des Zentralrats „als zynisch oder gar ‚antisemitisch‘“ zu bezeichnen“
-„mit welchen Argumenten (und in welcher Schärfe teilweise) dem Zentralrat der Juden das Recht abgesprochen wird, hier Vorschläge zu einer verpflichtenden Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu machen“
Ihre vorgenannten Unterstellungen beleidigender Art gegen meine Person verdienen keine Antwort. Wenn ich dennoch wertvolle Urlaubszeit dafür opfere, dann ausschließlich deshalb, weil der Respekt vor den Menschen, derer es zu gedenken gilt, jegliche Besserwisserei, mehr noch jegliche Opferattitüde oder gar Instrumentalisierung verbietet.
Leider muss ich aber feststellen, dass auch meine einleitend expliztit formulierte Erwartung, „dass wir das gleiche Ziel verfolgen und dies (zumindest hier) keiner Erörterung bedarf“, Sie nicht von solchen Unterstellungen abhält. Und Sie es sich nicht einmal in Ansätzen für nötig befinden, auf die von mir genannten entscheidenden Probleme der methodischen Vermittlung (um die es ausschließlich geht) einzugehen. Geschweige denn zu erweisen, wieso denn die beteuerten überzeugenden Konzepte zusätzlich eines von außen vorgegebenen Zwangs bedürften.
Davon mal abgesehen, dass die Lektüre des von Bronski verlinkten Artikels hätte feststellen lassen, dass ich mich mit den genannten Bedenken in bester Gesellschaft befinde – was freilich unmöglich gemacht hätte, mich zum Buhmann aufzubauen.
Frau Hart scheint mit dem Ihr vermittelten Eindruck, dass es dazu „nur eine Meinung geben kann“, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben.
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis,
– dass, weit über das von Herrn Schuster vage formulierte Ziel hinaus, „Geschichte begreifbarer machen“, die Verantwortung , die insbesondere aus diesem Teil der Geschichte resultiert, an die 30 Jahre meines pädagogischen Wirkens in 4 verschiedenen Systemen (Berliner, Luxemburger, Europäische und französische Schule) mit unterschiedlichster Schülerpopulation geprägt hat
– dass dies von mir in zahllosen Unterreichtsreihen, aktiver Schülerbeteiligung mit darauf erfolgter beachtlicher Anerkennung unter Beweis gestellt wurde
– dass dies mehrfach (sofern überhaupt möglich) mit sorgfältig vor- und nachbereiteten, z.T. von mir selbst geleiteten, KZ-Besuchen verbunden war
– dass – in Widerspruch zu Ihren abfälligen Bemerkungen über angeblich „längst überholte Erfahrung“ – einschlägige Erfahrungen bez. heute aktueller Probleme des Umgangs mit Migrantenkindern in meinem ersten Tätigkeitsfeld (Berlin-Kreuzberg) bereits Ende der 70er Jahre vorlagen und diese selbstverständlich auch in meine Überlegungen einbezogen wurden.
Auf Belehrungen bez. des Werts der Besuche von Gedenkstätten kann ich dementsprechend dankend verzichten. Ich werde auch ganz sicher nicht von eigenen Überzeugungen und Werthaltungen Abstand nehmen, um besser in vorbereite Schubladen zu passen.
Betr. die Kritik betr. den unausgegorenen Vorstoß von Herrn Schnuster (über den von Bronski verlinkten Artikel hinaus):
– Hier wird eben nicht ein „Vorschlag“ unterbreitet, sondern, wie Sie selbst zugestehen, die „Ausdehnung „ des bayrischen Modells „auf alle Schulformen und alle Bundesländer gefordert“. Herr Schuster (bzw. der Zentralrat der Juden) situiert sich dabei selbst auf der Ebene der zu Erlassen gegenüber Lehrkräften berechtigten Kultusbürokatie.
– Die Sicht „von oben“ auf vermittelnde Lehrkräfte, auf die es entscheidend ankommt, die durch nichts begründete Forderung, sie einem Zwang zu unterwerfen, lassen Geringschätzung, wenn nicht gar generelles Misstrauen erkennen, wo Kooperation angesagt wäre. Nicht zu sprechen über
triviale Begündungen allgemeinster Art („die Geschichte begreifbarer“ machen), über die Pädagogen nur lachen können.
– Die eigentliche Probleme der Art, wie Motivation, Betroffenheit, Empathie zu erwecken ist (was Zwangscharakter ausschließt), kommen nicht einmal in den Blick. Ebensowenig wie Interferenzen mit Vormeinungen und Vorprägungen gerade bei „Migrantenkindern“, die gut gemeinte Ziele gefährden und zu gerade gegenteiligen Wirkung führen können.
– Die Reduktion auf den Zusammenhang mit „Antisemitismus“ (vgl. Artikel) reduziert die Problematik in unangemessener Weise. Sie geht an dem wesentlich breiteren Problem einer moralischen Enthemmung und Bereitschaft zu Vernichtung vorbei, die nicht nicht notwendigerweise Antisemitismus zur Voraussetzung haben. Wie bereits Hannah Arendt in der These von der „Banalität des Bösen“ (Beispiel Eichmann) aufgezeigt hat. Ein anderes Beispiel ist Auschwitz-Kommandant Rudolf Höss (vgl mein Beitrag 17. November 2017 um 23:58 ).
– Wer Glaubwürdigkeit beansprucht, als ernst zu nehmender Kommunikationspartner angesehen werden will, hat den Respekt, den er von anderen erwartet, bekanntlich auch selbst zu erweisen. (So viel von dem von mir genannten „Eigeninteresse“)
Betr. „Antisemitismus“-Vorwürfe und Instrumentalisierungsversuche:
Es gibt vielfache Möglichkeiten, sich dazu kundig zu machen (so man denn will). Z.B. auch in Kommentaren zu FR-Artikeln zu entsprechenden Themen. Etwa dem „Zensur“vorwurf an ARTE und WDR bez. der Produktion „Antisemitismus in Europa“, sowie an zahlreiche Organisation mit humanitärer Zielsetzung. Aufschlussreich, dass kaum ein AfD-Kritiker solcher Verdächtigung entrinnt und die selbst ernannten Ankläger sich in der Regel als Trump-Fans entlarven. In ähnlicher Weise hat es neulich mit dem Vorwurf unverantwortlichen „Apeasements“ selbst eine Anetta Kahane erwischt.
Das freilich ist nicht Thema dieses Threats.
Ich lese hier immer wieder mal rein und bin zunehmend fassungslos angesichts der Heftigkeit, mit der miteinander umgegangen wird.
Die ursprüngliche Frage steht immer noch unbeantwortet im Raum: Wie kriegen wir es hin, dass Jugendliche genügend über den Holocaust erfahren, um eigene potentiell antisemitische und rassistische Verhaltensweisen oder Meinungen erkennen, kritisch hinterfragen und – hoffentlich – revidieren zu können?
Wenn das ohne Besuch einer Gedenkstätte geschehen soll, wüsste ich gerne, wie.
Ich habe kein Interesse an Wortschlachten, bei denen es doch nur darum geht, die Argumente der Mitdiskutierenden auseinanderzupflücken. Das erscheint mir narzistisch und bei diesem Thema einigermaßen makaber.
Ich erlebe bei meiner Arbeit mit Grundschulkindern, dass auch hier schon rassistische, antisemitische und homophobe Begriffe fallen.
Sicher können Sie sich alle vorstellen, welche Gratwanderung es bedeutet, adäquat damit umzugehen.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir Einigkeit und Eindeutigkeit im Umgang mit dem Thema Holocaust in den weiterführenden Schulen, und deshalb bin ich froh über Herrn Schusters Vorstoß.
Um bei Jugendlichen Empathie zu wecken, über die sie zu Einsicht gelangen, ist es sinnvoll – und darüber sind sich Pädagogen weitgehend einig – sie mit Einzelschicksalen von Verfolgten bzw. Ermordeten bekannt zu machen. Das halte ich für hilfreicher, als ihnen an den Schauplätzen des Grauens zu zeigen, wo sich die Selektionsrampe, die Barracken und die Gaskammern befanden, was Entsetzen, Ratlosigkeit, aber auch Abwehr hervorrufen kann.
Zeitzeugen, die in die Schulklassen eingeladen werden können, um über ihre individuellen Erfahrungen zu berichten, gibt es leider immer weniger, aber die Fülle an Literatur zu diesem Thema wächst ja immer noch. Ich denke da etwa, um nur drei Beispiele zu nennen, an Fania Fénelons „Mädchenorchester von Auschwitz“, Schoschana Rabinovicis „Dank meiner Mutter“ oder Ruth Klügers „Weiter leben“. Die Auseinandersetzung mit diesen konkreten Lebensschicksalen von Personen, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler identifizieren können, hilft ihnen, auf emotionaler und kognitiver Ebene die Bedeutung von Menschenrechten zu begreifen und sich gegen Unrecht zu positionieren.
@ Werner Engelmann
Habe nochmals meine Beiträge gelesen und kann immer noch nicht Ihre Empörung nachvollziehen. Ich habe Sie mit keinem Wort persönlich angegriffen, sondern mich mit Ihren Ausführungen kritisch auseinandergesetzt. Statt auf meine Einwände einzugehen und, wenn nötig, das Gerade zu rücken, was ich falsch verstanden habe, überhäufen Sie mich mit Vorwürfen „beleidigender Unterstellungen“. Auf dieser Ebene mag ich die Diskussion nicht fortsetzen.
Ich habe 1970 in der 10. Klasse eine Klassenfahrt ins Elsass mitgemacht. Wir haben dort auch das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof besichtigt. Außer an einen Stacheldrahtzaun kann ich mich nur an etwas erinnern, was es im Flachland nicht gibt. Wir sind mit dem Bus durch Wolken gefahren.
Ich habe jetzt einen Schulfreund befragt. Er kann sich nicht mehr an den Besuch erinnern.
@ Henning Flessner
Ich vermute, dass Schulkinder, die heute die KZ Gedenkstätte Natzweiler-Struthof besuchen, andere Erinnerungen mitnehmen werden, als Sie und Ihre Schulfreunde im Jahr 1970. Die Gedenkstätte, ihr Museum und das pädagogische Konzept haben sich weiter entwickelt (siehe http://www.struthof.fr). Ich glaube nicht, dass Sie bei der Diskussion über die heutige Energiewirtschaft Verweise auf den Stand der Technik vor 47 Jahren gelten lassen würden.