In welche Richtung bewegt sie sich?

Gastbeitrag von Werner Engelmann aus Luxemburg

 

Der selige eilige Heilige Vater

 

Die Karikatur in der Frankfurter Rundschau spricht mich an: „Johannes Paul II. Seligsprechung.“ – „Laaangsam, lieber Mitbruder! Zölibat, gemeinsames Abendmahl, Sexualmoral… Unsere Mutter Kirche denkt in Jahrhunderten!“ – „Na ja… Wenn sie will… Sie kann auch Turbo!!“

Ich schmunzle, reibe mir erstaunt die Augen: Mehr als 4 Jahrhunderte hatte es gedauert, bis die Erkenntnis sogar den Vatikan erreichte, dass außerhalb der Erde, außerhalb der Mutter Kirche doch noch andere Gravitations­zentren existieren könnten. Was ein Galilei in 400 Jahren nicht schaffte, in dieser Kirche etwas zu bewegen, das schafft ein Johannes Paul locker in drei Monaten – Kirchenrecht hin, Kirchenrecht her! – Fragt sich bloß, in welche Richtung sie sich bewegt.

Ich versuche, mich zu erinnern. – Frauen fürs Priesteramt? – „Nichts da!“, hatte der eilige Vater beschieden, „und damit basta – auf ewige Zeiten!“ Hatte doch Christus ausschließlich Männer in den Kreis der Erwählten berufen. – „Doch ein Pole war auch nicht dabei“, hatte Hans Küng, der Religionsforscher, bitter erwidert.

Ich überlege weiter: Sicher, da war sein Engagement für den Frieden. Doch das haben auch andere getan – ohne der Weihe der Seligen teilhaftig zu werden. Da war das Eingeständnis der Mitschuld der Kirche an Glaubenskriegen, Judenverfolgung, Inquisition – auch wenn er Hunderttausende im Namen des Glaubens und des Goldes hingemetzelter Indios auch diesmal vergessen hatte – aber immerhin. Doch die protestantische Kirche war auch in dieser Frage dem eiligen Vater Jahrzehnte voraus.

Da war aber auch – ich schlucke – diese unerbittliche Härte gegen einen Leonardo Boff, gegen eine Kirche der Armen! Da war der eiserne Keuschheitsgürtel gegen die eigene Gläubigen­schar – Hunderttausende Aidstote  hin oder her! Da war der Feldzug gegen das Sexuelle, die  „Sünde“, das „Böse“ im Menschen, insbesondere die Homosexuellen.

Und trotz allem haben ihn die Menschen geliebt! „Subito santo!“ hatte es aus Tausenden von Kehlen am Petersplatz geklungen. Die Herzen waren ihm entgegengeflogen, ihm, dem uner­schütterlichen Fels des Gestern in der Brandung des Heute – trotz alledem.

Ich atme tief, versuche zu verstehen. – Trotz alledem? – Und  wenn es gar nichts zu verstehen gäbe? „Miracolo papale, subito!“ hallt es in mir wider. Wenn ihn die Menschen liebten – nicht trotz, sondern wegen seiner Härte, seiner Unerbitt­lichkeit gegen Menschliches, Allzumenschliches, gegen Aufgeklärtheit, eigenständiges Denken – schlicht: gegen die Moderne? Ein Wunder muss­te also her, auf Teufel komm raus! Bevor die Menschen wieder zu Verstande kämen.

Ich fühle, wie es bei dem Gedanken kalt über meinen Rücken läuft. Wenn das richtig wäre, dann ginge es hier nicht um bloße Schwärmerei, um Wundersucht. Dann stünde dahinter ein Aufstand des Irrationalen gegen das Rationale, gegen die Errungenschaften der Moderne schlechthin – Menschenrechte einge­schlos­sen. Dann erschiene selbst der erschreckende islamistische Funda­men­talismus in anderem Licht.

Und wenn es nichts zu verstehen gibt: Was geht in diesen Menschen vor? Was treibt sie an, stachelt sie auf gegen diese Moderne? Woraus speist sich solche „Frömmigkeit“?

Mir kommt ein Gedanke: Die schwarze Madonna von Tschenstochau, das größte Heiligtum Polens, steht vor meinen Augen. Dann die wohl über 10 m hohe Statue des polnischen Papstes aus Salz in den Salzbergwerken bei Krakau.

Mir fällt ein, von Johannes Paul II. als einem glühenden Marienverehrer gelesen zu haben, von der Marienfrömmigkeit polnischer Katholiken. Ob mir das weiterhilft?

Wikipedia hilft weiter: Von einem Überfall auf die Ikone der schwarzen Madonna während der Hussitenbewegung 1430 ist da die Rede, von einem Tatareneinfall in Polen 1382, bei dem sie beschädigt wurde, von Bestrafung des Soldaten durch Blitzschlag und von dem „Wunder“, dass die Beschädigung sich nicht beseitigen ließ – für viele ein wundersames Symbol für polnische Wun­den, für den Beistand Mariens gegen „Unglauben“ und Fremdherrschaft. – Wundersamer Wunder­glaube! Beunruhigend aber die Verquickung von nationalem Mythos und „Volksfrömmigkeit“.

Ich recherchiere weiter: Ich erfahre, dass in Polen 90 Prozent der Bevölkerung „praktizierende Katholiken“ sind und 70 Prozent für die Todesstrafe eintreten.[1] Ich erfahre, dass der 3. Mai, der polnische Nationalfeiertag, als „Tag der jungfräulichen Königin Polens“ gefeiert wird, dass die klerikal-nationalistische Regierung der Kaczynski-Zwillinge sich im „Traum vom unbefleckten Polen“ verliert, dass der katholische Sender „Radio Mariya“, von der „Erlösungs“-Bewegung gegründet und, von Johannes Paul II. begrüßt, nahezu täglich gegen Fremde, „freizügige Sitten“, Homosexualität und „internationales Judentum“ hetzt.[2] Und ich erfahre, dass für den Erziehungsminister der Kaczynski-Regierung Homosexuelle „kranke Menschen“ und „in der ganzen EU auszusondern“ seien[3], dass dies „in polnischen Schulen kein Thema sein darf“.[4]

Mir schaudert immer mehr. Die „Gnadenmutter“ am Wallfahrtsort Mariazell in Österreich fällt mir ein, über der „in Silber der Habsburger Doppeladler“ wacht[5]. Dann die unverblümte Symbiose von Katholizismus und Faschismus in Franco-Spanien, wo Beinamen der „unbefleckten Jungfrau“ wie Piedad (Erbarmen), Dolores (Schmerzen), Conception (Empfängnis) Hochkonjunktur hatten.[6]

Und dann wieder das Bild von Johannes Paul II, dem eiligen Vater: Die spanische Aktion „Opus Dei“, für Hans Küng „klerikal-faschistischer Herkunft“[7], wurde von ihm nach Kräften gefördert. Und von seinem Nachfolger Benedikt XVI. erfuhren 498 während des Spanischen Bürgerkriegs ermor­dete Priester die Gnade einer Massen-Seligsprechung – darunter kein einziges Franco-Opfer.[8]

Er eiferte seinem Vorbild Johannes Paul II. nach, der es – laut Wikipedia – mit 1338 Selig- und 482 Heiligsprechungen auf doppelt so viele Heilige und Selige brachte wie alle seine Vorgänger in 400 Jahren zusammengenommen – für Hans Küng Ausdruck „einer restaurativen, am Mittelalter orien­tierten Kirchenpolitik“[9]. Und sein Nachfolger revanchiert sich am eiligen Vater für diese Inflation an Heiligen mit der eiligsten Seligsprechung der katholischen Geschichte. Im Tempo der Moderne zurück ins Mittelalter?

Und was hat mit all dem Maria zu tun, die „unbefleckte Jungfrau“? Ist denn eine jede Frau, die nicht „Jung­frau“ ist, „befleckt“ – alleine durch ihr Frausein? Schämt euch, ihr Frauen! Männer „beflecken“ sich nicht, bei dem, was sie tun!

Tief verinnerlichtes Schuldgefühl, aus dem man sich nur zu befreien glaubt, wenn man sich der Fürsprache der „Unbefleckten“ anvertraut. Wie einfach, ginge es allein nach solch skurrilem Glauben, Frauen im Schoß der allein seligmachenden Kirche gefangen zu halten, Männerherrschaft zu verewigen! – Religion als Bollwerk gegen die Geschichte.

Und plötzlich sehe ich sie vor mir, die tief verschleierten Frauen im schwarzen Gewand. Ihre Augen schielen aus dem engen Schlitz, als wäre die ganze Welt eine Peep-Show. Mir fallen die „70 Jung­frauen“ ein, von denen islamistische Selbstmord­attentäter als Lohn für ihre Horrortaten im Jenseits sich erwartet glauben. Märtyrer als ersehnter Beruf. Sexualverdrängung, ins Jenseits projiziert, kehrt als Rechtfertigung für Mord und Terror zur Erde zurück.

In „Unbeflecktheits“-Fantasien verschmelzen Wahn und Wirklichkeit. Sie rufen den Scharfrichter herbei, der die „reine“ und „gerechte“ Sache gegen eine „verderbte“ Welt, gegen „Sodom und Gomorrha“ verteidigt. Und der „Judas“, der „Ungläubige“, der Andersgläubige, der Zweifler, der Verräter – er wird seine gerechte Strafe erfahren, da, wo auf ewig „Heulen und Zähne­knirschen“ herrschen wird.

O du schöne neue Welt des reinen, echten, einzig wahren Glaubens!


[1] Les héritiers de Jan Pawel II, in: La vie, hebdomadaire chrétien, no. 3168, 18. 5. 2006, S.62-65

[2] Polen: Die Radikalen an der Macht, in: Transit, Europäische Revue 31/2006, S.114-131, gekürzt in: Frankf. Rundschau,     24.07.2006, S.7

[3] Hetze gegen Homosexuelle, Badische Zeitung, 3.03.2007, S.23

[4] Frankf. Rundschau, 21.03.2007

[5] Im mütterlichen Herzen, Frankf. Rundschau, 8.09.2007, S.8f.

[6] Wer heißt schon gerne „Erbarmen“, Frankf. Rundschau, 27. 07.2006, S.14

[7] Credo, Das Apostolische Glaubensbekenntnis – Zeitgenossen erklärt, München 1992, S.190

[8] Nur die für Gott und Vaterland, Frankf. Rundschau, 26.10.2007, S.10

[9] A.a.O., S.190

Verwandte Themen

8 Kommentare zu “In welche Richtung bewegt sie sich?

  1. Zu Ihrem Leserbrief: Die Benennung „unbefleckte“ Maria bezieht sich nicht auf die Jungfrauschaft von Maria, sondern auf die Zeugung Marias selbst. Maria wurde als einziger Mensch ohne Erbsünde gezeugt. Die Erbsünde wiederum bezieht sich auf die Abwendung des Menschen (Eva und Adam) von Gott wie im Alten Testamtent eindrücklich beschrieben. Dies der Korrektheit halber.
    Natürlich geht es bei der Marienverehrung vor allem um ein völlig schräges Frauenbild und eine mehr als verkorkste Sexualität. Dennoch finde ich sollte richtig recherchiert und berichtet werden.
    Mit freundlichen Grüßen
    Birgit Nußberger

  2. Die Menschen sind die Verirrten,
    die Götter sind die Verwirrten,
    die anderen die, die sie bewirten.

  3. #1 Birgit Nußberger

    Verehrte Frau Nußberger,
    Sie können ruhig davon ausgehen, dass ich richtig recherchiert habe, zumal es sich um Recherchen für einen Roman handelt. Allerdigs frage ich mich, worauf Sie Ihre Bemerkung beziehen. Wenn Sie richtig gelesen haben, haben Sie sicher bemerkt, dass ich die theologische Ebene bewusst vermeide, auf der man kaum zu den entscheidenden Punkten des zugrundeliegenden Menschenbilds vorstoßen wird, zumal (wie am Ende angedeutet) dieses kein „Privileg“ der katholischen Kirche allein ist und anderswo weit gravierendere Konsequenzen zeitigt.
    Und sicher haben Sie dann auch bemerkt, dass der satirisch gehaltene Essay, wie jede echte Satire, Assoziationen und Fakten unvermittelt nebeneinander stellt, um zum Nachdenken anzuregen. Erklärungsversuche (wie Sie es fordern) stören nicht nur, sondern zerstören die satirische Form.
    Worauf es ankommt, das sind die (vorwiegend psychologischen) Wirkungen und Folgen eines begrifflichen Umgangs mit einer Sphäre, die untrennbar mit dem Menschen verbunden ist. Dabei ist die von Ihnen vorgenommene (sicher richtige) Unterscheidung irrelevant.
    Entscheidend ist dafür allein,
    dass 1)der Begriff „unbefleckt“ mit einem ungeschlechtlichen Zeugungsakt verknüpft ist (eine Vorstellung, die zur Abgrenzung des Göttlichen vom Menschlichen bereits bei den Ägyptern existierte)
    und 2) die Abgrenzung vom „befleckten“ (oder „befleckenden“) Zeugungsakt (und damit dessen moralische Abwertung) sich allein auf die weibliche Sexualität bezieht.
    Dass es sich hierbei um „ein völlig schräges Frauenbild und eine mehr als verkorkste Sexualität“ handelt, da kann ich Ihnen freilich uneingeschränkt zustimmen.
    Allerdings sehe ich, angesichts der oben angedeuteten Herausforderungen, darin keine Angelegenheit, die allein in einem theologischen Proseminar abzuhandeln wäre.
    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Engelmann

  4. #3 Werner Engelmann
    Die Lektüre meines Beitrags # 3 bringt mich zur Auffassung, dass auf der argumentativen Ebene die Verkürzungen wohl einer Erläuterung bedürfen, wenn deutlich werden soll, warum ein, oberflächlich gesehen, dogmatischer Disput und ein scheinbar innerkatholischer Vorgang wie eine Seligsprechung in Wirklichkeit politische Relevanz besitzen. Ich greife dazu im Folgenden auf den sehr ausführlichen Disput des Theologen und Psychoanalytikers Eugen Drewermann mit dem Paderborner Erzbischof Degenhardt aus den 90er Jahren zurück:
    Eugen Drewermann: Worum es eigentlich geht – Protokoll einer Verurteilung, Kösel-Verl. München, 1992

    Natürlich bezieht sich die begriffliche Verwendung in meinem Essay, etwa von „unbefleckter Empfängnis“, nicht auf theologische Definitionen, sondern auf ein landläufiges Verständnis, wonach das Menschen- und Frauenbild nicht durch einzelne Begriffe, sondern durch eine Gesamtheit von Faktoren bestimmt wird. Maßgebend dafür aber sind sicher nicht mehr oder weniger scholastische Spitzfindigkeiten im theologischen Disput bzw. der Dogmenverkündung „ex cathedra“, sondern neben archaischen Bildern z.B. eine in der praktischen Verkündung verwendete Bildsprache.
    So etwa erklärte Erzbischof Dr. J.J. Degenhardt zur „Jungfräulichkeit Mariens“ und zur Notwendigkeit des Wunderglaubens aus Sicht der katholischen Kirche:
    „…, dass die Wirkungsweisen des Heiligen Geistes bei der Menschwerdung ein Geheimnis blieben und uns keine Kenntnis darüber gegeben sei, ob es sich um Vorgänge innerhalb der natürlichen Gesetze oder ob es sich um über sie hinausgehende handele. Anlässlich der Kommentierung des Protokolls stellte der Erzbischof ausdrücklich fest, dass Maria keinen geschlechtlichen Verkehr mit einem Mann gehabt haben kann, also auch keine anderen Kinder.“
    (Ergebnis des Gesprächs vom 6. Juli 1990 zwischen Erzbischof Degenhardt und Dr. Drewermann, zitiert nach Drewermann, a.a.O., S. 370)
    Was, wie Frau Nußberger richtig anmerkt, in der offiziellen Dogmatik getrennt wird, so „Unbeflecktheit“ und „Jungfrauengeburt“ bzw. sexuelle Enthaltsamkeit , wird auf der Kanzel – wohl bewusst – wieder vermischt und mit Wunderglauben vermengt.
    Dazu und zu katholischem Fundamentalismus Eugen Drewermann:
    „Viele Wunderberichte im Neuen Testament lassen von vornherein daran zweifeln, dass sie im historischen Sinn authentisch sind. Die Zweifel beruhen darauf, dass die Berichte zumeist ein formalisiertes, auch in anderen Religionen übliches Schema verwenden, das zunächst die Hilflosigkeit der Menschen dramatisiert, um dann desto großartiger die Wundertaten des Gottesmannes erscheinen zu lassen. (…) Die Vergleiche mit anderen Religionen zeigen, dass bestimmte Sehnsüchte, Verhaltensformen, Riten sich gleichen. Daraus schließe ich, dass es offensichtlich eine gemeinsame, allen Menschen verständliche Sprache im Unbewussten gibt. Ich nenne es Sprache der Bilder.“
    „Ich wehre mich nur dagegen, dass Fundamentalisten im Bischofsamt wie Erzbischof Degenhardt nicht Toleranz üben, sondern zum Aberglauben verpflichten wollen. (…) Die Auffassung, Gott könne die Naturgesetze für die Zeit und die Person Jesu außer Kraft gesetzt und Wunder bewirkt haben, halte ich für falsch und gefährlich. Sie hilft nicht, sondern führt zum Atheismus. Denn was wäre das für ein Gott, der zwar in seinem Sohn Jesus seine Allmacht demonstriert, ansonsten aber angesichts eines Meeres von Menschenleid untätig bleibt? Das wäre ein Gott ohne Menschlichkeit.“
    (Interview mit Dr. Eugen Drewermann in ‚Der Spiegel‘ vom 23.12.1991, a.a.O., S. 442 und 439/ 445)

    Der „Skandal“ eines Hans Küng oder eines Eugen Drewermann besteht einerseits darin, dass aus den eigenen Reihen der absolute Wahrheitsanspruch (Unfehlbarkeitsdogma) bezweifelt wird und selbst auf Gehorsam eingeschworene Theologen bzw. Ordensleute sich nicht mehr so ohne weiteres disziplinieren lassen:
    Zur Frage des Gehorsams, Zölibat und Sexualität:
    „Wie sind heute im Jahre 1990 selbst mit dem Gehorsam der Jesuiten nicht katholisch mehr genug. Der Papst ist gerade dabei, schaue ich richtig, den Gehorsam der bis dahin Gehorsamsten, der am meisten Soldatischen, wegzudrängen und zu ersetzen durch die straffe Disziplin und Finanzmacht des Opus Dei. Was Sie beobachten, ist im Grunde die Indienstnahme des Frankofaschismus der 30er Jahre im Jahre 1990. (…) 1942 schrieben die katholischen Bischöfe des Großdeutschen Reiches an die Soldaten aller Fronten, dass ein Eid geleistet auf Adolf Hitler, geleistet ist auch auf Gott und dass Fahnenflucht ein Verbrechen vor Gott, den Menschen und der Kirche ist. Wenn dieselbe Kirche die harmlose Onanie oder die Homosexualität für die Höllenstrafe freimacht, aber das Morden auf Befehl für Pflicht erklärt, hat sie keine Chance, ich hoffe es, der Generation von morgen sich begreifbar zu machen.“
    (S.248/ 251) (Anmerkung: Der hier erkennbare Respekt vor dem Staatsmann Hitler ist nach Auffassung von Historikern wohl der Grund, warum „Mein Kampf“, anders als etwa Lessing oder Darwin, nie auf dem katholischen Index gelandet ist.)

    Indem hier die politische Dimension offensichtlich wird, stellt sich andererseits auch die Frage, ob der nachkonziliare Rückzug aus dem Tagespolitischen nur ein scheinbarer ist und ob bzw. wie seit Johannes Paul II. die Rückkehr ins Politische durch die Hintertür wieder betrieben wird, in der Form, dass, zunächst im religiösen Kleid, die Gedanken der Herrschenden zu herrschenden Gedanken werden:

    Drewermann zum System der Angst und der Anti-Aufklärung in der katholischen Kirche:
    „Psychologisch gesehen verinnerlicht sich ein System von Außenlenkungen, das unter dem Namen Gottes erstickt, was eigentlich befreien und erlösen sollte. (…) Im Unterschied zum Protestantismus entsteht eine Art Kollektivpsyche, in der die einzelnen sogar von Angst weitgehend entlastet sind. Das System erhält sich als gefrorene Angst. (…) Es entsteht das, was Freud als die Psychologie des Zwangsneurotischen beschreibt: die Überwertigkeit der Details, der Fanatismus der Begriffe, die Starrheit gegenüber jeder Veränderung, das zwanghafte Weltbild.“ (Aus: Interview mit Eugen Drewermann in „Psychologie heute“, Juni 1990, a.a.O. S. 227-229)
    Und zum Zwangscharakter des Zölibats und des Marienbilds:
    „Psychogenetisch kommt die Opfer- und Helferideologie aus der depressiven Unterwerfung des Kindes, aus der Selbstabtötung seiner Lebendigkeit. (…) Indem man sich selbst als Junge dafür hasst, auch ein Mann zu sein – und umgekehrt beim weiblichen Geschlecht – dann erst wird die kirchliche Lehre zur erlösenden Anweisung: dass es erstrebenswert ist, im Bild der Mutter Gottes sündenrein und überweltlich heilig zu sein.“ (S. 232)
    „Die Kirche und die Angst vor Frauen“:
    „Die Kirche tritt vielmehr durch ihren Negativkatalog der Verbote hervor: die Verdammung des Schwangerschaftsabbruchs, der Verhütung, der Homosexualität von Männern und Frauen. Das hat einen tieferen Grund. Die katholische Kirche hat den Bereich des Unbewussten nie akzeptieren wollen. Das ermöglicht ihr, in simplen Antworten Auskünfte zu geben. Sie nimmt die Gebrochenheit der Menschen nicht wirklich ernst.“ (S. 234)

    Hier wird deutlich, dass es nicht der Theologe, sondern der Psychoanalytiker Drewermann ist, der die Hintergründe katholischer Dogmatik aufdeckt und sie als Instrument zwanghafter Bindung an die Kirche und damit der Machterhaltung bzw. –wiedergewinnung entlarvt.
    Vor diesem Hintergrund gewinnen die Inflation von Heilig- und Seligsprechungen unter Johannes Paul II. und der „interreligiöse Dialog“ eine neue Bedeutung:
    Nach den theologischen Angriffen der 80er und 90er Jahre (und den neuerlichen Erschütterungen durch den Missbrauchsskandal) handelt es sich wohl eher um den Versuch von Rückgewinnung der Macht durch ein ideologisches (pseudo-religiöses) Roll-Back durch dogmatische Festigung der „Kollektivpsyche“. Dies aber ist nicht auf bloß theologischer Ebene möglich, es erfordert vielmehr, in dialektischer Wechselwirkung, ein Aufgreifen bereits „im Volk“ vorhandener Bilder, Fixierungen und (pseudoreligiöser) Zwangsvorstellungen, die sich etwa im Bild der „unbefleckten Jungfrau“ verdinglichen. Daher wohl auch die verdächtige Eile Benedikts bei der Befolgung des Rufes „subito santo“ von „unten“: Der Machtlose, Fremdbestimmte giert nach noch mehr Macht und Fremdbestimmung. Denn er identifiziert sich mit der Macht, an der er – wenn auch leidend – partizipiert. Dies hat schon Heinrich Mann im Roman „Der Untertan“ meisterhaft aufgezeigt.
    Und es ergibt sich eine weitere Frage in Bezug auf die aktuelle Islamismus-Diskussion:
    Ob wohl ein solcher fundamentalistischer Katholizismus, der via religiöser Bildersprache mit dem islamistischen Fundamentalismus u.a. ein „schräges“ Frauenbild teilt, prädestiniert ist, Wege aus dem islamistischen Sog zu weisen?

  5. @ Werner Engelmann

    Sie konstruieren also eine Parallele zwischen dem Frauenbild des Katholizismus und dem des Islam. Ich bleibe bewusst ein wenig plakativ. Über das Frauenbild des Islam müsste man sich mal unterhalten in Bezug auf seine Entwicklung, da ja anscheinend immer mehr auch junge Muslima Kopftuch tragen und damit zumindest eine gewisse religiöse Solidarität bekunden. Ob das eine rückwärts gewandte Entwicklung ist, weiß ich nicht. Ich sehe darin eher eine Art Trotzreaktion auf die deutsche Debatte über das Kopftuch bei Lehrerinnen usw.

    Andererseits gibt es aber auch viele Muslimas, die sich von ihrer religiösen Herkunft emanzipieren und die entsprechenden Vorschriften abstreifen. Diese Bewegung wäre möglicherweise vergleichbar mit der der Frauen in Deutschland in den 50er und 60er Jahren (wo ja auch mal gern Kopftuch getragen wurde) und der zumindest parziellen Durchsetzung von Gleichberechtigung.

    Was Sie andeuten wollen, ist eine rückwärts gewandte Entwicklung der katholischen Kirche, die auf die nähere Zukunft zielt. Und ich denke, es ist ja in der Tat so, dass das Frauenbild vor allem des Katholizismus darauf angelegt ist, die Frau zu unterdrücken. Die katholische Kirche hat dieses Frauenbild nie explizit aufgegeben bzw. modernisiert, so sehr sie in der aufgeklärten Öffentlichkeit dadurch auch unter Druck geriet. Viele Austritte waren die Folge. Oder man hat sich einfach nicht darum geschert, was die Kirche vorschrieb.

    Meinen Sie denn auch, Herr Engelmann, dass die aufgeklärten katholischen Frauen diese Entwicklung, die die Greise im Vatikan vorzeichnen, mitmachen werden?

  6. @ Sigmund, # 5
    Es sind mehrere sehr komplexe Fragen, die Sie hier ansprechen und die eigentlich alle ein weites Ausholen erfordern. Ich will versuchen, in der gegebenen kurzen Zeit darauf Antworten zu geben, bevor ich zwecks Skiurlaub für über eine Woche abtauche. (Man möge mir meine folgende Blog-Abstinenz verzeihen.)

    I. Zu meiner Intention:
    Beobachtungen, u.a. aus einer ganzen Reihe von Blog-Beiträgen, zu Themen über Islam und Islamismus beunruhigen mich in der Tat. Die Diskussion erscheint mir völlig festgefahren, solange man sich immer weiter auf der religiösen Schiene („Religionsfreiheit“) bewegt und/oder einen unreflektierten Begriff von „Toleranz“ vor sich herträgt, eigene Wünsche zum Vater des Gedankens macht, ohne über die politischen wie psychologischen Bedingungen nachzudenken, welche Fundamentalismus hervorbringen, sowie über die Folgen, die er zeitigt. Dass – vor allem in Deutschland – in zunehmendem Maß der Spieß umgedreht wurde und statt des Fundamentalismus eine – oft unterstellte – „Islamfeindlichkeit“ als vermeintliche Ursache ins Fadenkreuz geriet, erscheint als logische Folge. Dabei spielt hier m.E. auch eine unverarbeitete eigene Vergangenheit (natürlich uneingestanden) eine nicht unbedeutende Rolle, wie ich bereits im Thread „Unser aller Freiheit steht zur Disposition“ (#24, 31) geäußert habe.
    Es liegt ebenso auf der Hand, dass dies vor allem Islamisten nützt. Bei Aufreißen falscher Fronten, zunehmender Pauschalisierung und Emotionalisierung lässt sich prima agitieren, Hass gegen „Ungläubige“, den „unmoralischen“ Westen mit den störenden Menschenrechten schüren. Aus Täter werden Opfer, Selbstmordattentäter werden zu „Märtyrern“ – prima Voraussetzungen, diese nicht erst importieren zu müssen, sondern sie aus dem „dekadenten Westen“ selbst zu rekrutieren.
    M.E. war die außerordentlich langfristig angelegte islamistische Strategie bereits im „Kopftuch-Prozess“ der Frau Ludin erkennbar, bei dem – mit dem langen Atem radikaler politischer Gruppierungen und vermutlich erheblichen saudi-arabischen Finanzspritzen die „religiöse Meinungsfreiheit“ in deutschen Schulstuben durch die Instanzen gejagt wurde. Dass, auf entsprechend höherer Ebene, nun auch die Verteidigung der „Burka-Freiheit“ (also der Patriarchen-Freiheit, sich Frauen als Sklaven zu halten) auf der Tagesordnung steht, lässt sich an der französischen Debatte unschwer erkennen.

    II. Auswege aus meiner Sicht:
    Aufzuhalten ist dieser fundamentalistische Sog m.E. nur von innen her, durch Muslime selbst. Das setzt die Einsicht voraus, dass es nicht mit billigen Abgrenzungen, Erklärungen („Islam = Friede“) und Opferstrategien getan ist, also der Anerkenntnis, dass Islamismus – natürlich in missbräuchlicher Weise – eben doch vom Fleisch des Islam zehrt, dass es auch Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubensgrundlagen und deren Widersprüchen bedarf.
    (Auch in Deutschland wurde international Glaubwürdigkeit erst errungen, als Nazi-Verbrechen als zum eigenen Erbe zugehörig anerkannt wurden – unabhängig von der Frage persönlicher Schuld.)
    Auf einen solchen Prüfstand gehören m.E.:
    1. dogmatischen Positionen: vermeintliche „ewige Wahrheiten“, die jeglicher Geschichtlichkeit entzogen sind
    2. Frauenbild: Missbrauch von Religion zu politischen Zwecken, insbesondere zur Machterhaltung in einem patriarchalischen System
    3. Feindbilder („Ungläubige“, „dekadenter Westen“)
    4. politische und psychologische Ursachen für den Widerstand gegen die „Moderne“ (einschließlich der Menschenrechte) – etwa Minderwertigkeitskomplexe, Hineinsteigerung in eine Opferrolle
    5. Ursachen für Intoleranz, Missachtung des Lebens und Märtyrer-Ideologie

    III. Bezüge zum Katholizismus, Interdependenz
    Stellt man Bezüge zwischen Islam und Katholizismus her, so ist natürlich zwischen Amtskirche (bzw. muslimischen Vereinigungen) und Gläubigen zu unterscheiden und bei letzteren die ganze Breite des Spektrums zu berücksichtigen. Gott sei Dank gibt es bei beiden Religionen viele, vor allem Frauen, die sich in ihrem konkreten Handeln nicht von Dogmatik bestimmen lassen (dazu unten) – und die es gerade zu unterstützen gilt. Die Rede ist in diesem Zusammenhang natürlich von der Amtskirche. Für die treffen m.E. in der Tendenz von den oben genannten Punkten 1 und 2 überwiegend, Punkt 4 und 5 zumindest teilweise zu, wenn auch von der mörderischen Konsequenz des Islamismus (sieht man von Mordanschlägen amerikanischer „Lebensschützer“ gegen Ärzte ab) nicht die Rede sein kann.
    Entscheidend für die Islamdebatte ist aber, dass ein Hinterfragen grundlegender Positionen, insbesondere in Bezug auf Frauenbild und Menschenrechte, nur erwartet werden kann, wenn auf westlicher Seite, hier also in Bezug auf Katholizismus, dieselben Maßstäbe angelegt werden.

    IV.
    Aus aktuellem Anlass und aus Zeitgründen möchte ich hier nur auf die Punkte 4 und 2 (Anti-Moderner und Frauenbild) näher eingehen:
    Schon die Bilder vom Petersplatz am Tag des Ablebens Johannes Pauls II. sprechen Bände: Spruchbänder „subito santo“ zwischen Solidarnosz-Plakaten und in einem Meer polnischer Fahnen.
    Und die französische Zeitschrift „La Vie“, welche reformorientierte Katholiken vertritt, entlarvt in ihrer jüngsten Ausgabe (Nr.3412, 20.-26.Jan., S. 22-27) die Vorgänge hinter den Kulissen bei dem in der katholischen Geschichte einmaligen Vorgang, dass ein Papst in Höchstgeschwindigkeit seinen eigenen Vorgänger selig spricht. Treibende Kraft war der polnische Pater Slawomir Oder, Antragsteller, Organisator und Richter in einer Person. Dem polnischen Bischof Stanislaw Dziwisz war selbst das nicht genug: Er forderte, unter Bruch mit allen Kirchenregeln, die sofortige Heiligsprechung. Die Einschätzung „Rückkehr ins Mittelalter“ ist insofern verharmlosend, als es Vergleichbares selbst damals nicht gegeben hat. Nach Einschätzung von „La Vie“ steht dahinter einerseits eine Selbstglorifizierung des Papsttums, um sich unantastbar zu machen, andererseits der Versuch, Kritik aus den eigenen Reihen, insbesondere am Missbrauchsskandal und der zweifelhaften Rolle Johannes Pauls II. (betr. Die Missbräuche seines Freunds, Mgr. Marcial Maciel) zu ersticken.

    Offensichtlich ist die Verknüpfung mit dem polnischen Katholizismus nicht nur in diesem Fall bedeutsam oder gar ausschlaggebend. Dessen prägender Charakter, Anti-Moderne, Homophobie und Marienkult, ergibt einen weiteren Anknüpfungspunkt zum Islam. Einige Punkte sind in meinem Essay benannt. Hier nur ergänzend Folgendes:
    Die Verknüpfung von Katholizismus und nationaler Identität, erkennbar besonders am Marienkult, erklärt sich aus der polnischen Geschichte: Verlust der nationalen Identität und Ohnmachtsgefühle, die in moralischen Überlegenheitsdünkel umschlagen. Gleiches ist in islamischen Ländern im Verhältnis zum Westen zu beobachten. Aber auch die deutsche Aufklärung kompensierte politische Ohnmacht mit dem Gefühl moralischer Überlegenheit gegenüber höfischen Kreisen (Tugendbegriff).
    Dass dies zu Intoleranz gegenüber anderen Lebensformen, besonders Homosexualität, führt, ist verständlich. Es führt aber auch – ähnlich wie in islamischen Ländern – zur Instrumentalisierung von Religion und Geschichte zu politischen Zwecken. Dies bekam die EU bei den Erpressungsmanövern eines Kaczynski zu spüren, nach dem bei der Sitzverteilung im Straßburger Parlament auf polnischer Seite (und nur auf dieser) auch die Weltkriegstoten zu berücksichtigen wären. Entsetzt war ich aber z.B. auch in Auschwitz, wo jüdische Nazi-Opfer ungeniert zu „polnischen Opfern“ umdefiniert werden.

    V. Marien- und Frauenbild
    Die politische Instrumentalisierung des Marienkults wurde z.B. bei Solidarnosz-Führer Lech Walensa deutlich (Marienbild am Revers). Wichtiger erscheint aber die Auswirkung auf das Frauenbild: die Aufspaltung in die „jungfräuliche“ Heilige und die verderbte „Hure“, für die es auf männlicher Seite keine Entsprechung gibt. Das Konstrukt „jungfräulicher Reinheit“ macht jede Frau, die sich diesem „moralischen“ Diktat nicht unterwerfen will, per se zum Sexualobjekt. Auch wenn die perverse Verknüpfung mit männlicher und familiärer „Ehre“ wie in islamischen Ländern bei uns inzwischen entfallen ist: Zur Aufklärungszeit war auch hier die „tugendhafte Jungfrau“ die symbolhafte Verkörperung der „Ehre“ des bürgerlichen Stands (vgl. Lessing: Emilia Galotti, Schiller: Kabale und Liebe).
    Die populistische Wendung des Vatikans in Richtung auf einen reaktionären „Volksglauben“ mit archaischen Bildern bedeutet demnach eine Annäherung an islamische Verhältnisse sowohl bezüglich einer Politisierung als auch einer Reaktivierung frauenfeindlicher Tendenzen.

    V. Frauenbild der 50er Jahre
    Dem Vergleich mit deutschen Verhältnissen der 50er Jahre in der Frage des Kopftuchs würde ich mich nicht anschließen. Für meinen Roman habe ich relativ umfangreich besonders hinsichtlich von Mode über die 50er Jahre recherchiert, aber keinen Ansatzpunkt für religiöse Gründe gefunden. Maßgebend waren wohl eher – wie ich mich an meine Kindheit erinnere – praktische Bedürfnisse, etwa der Feldarbeit. Auch gewisse Schamgefühle mögen eine Rolle gespielt haben (zusammenhängend mit dem oben ausgeführten Marienbild). Aber mit Sicherheit kann man nicht – wie bei Islamistinnen – von einer demonstrativen Religiosität sprechen.
    Generell, meine ich, bedarf das Bild der 50er Jahre, stark geprägt von feministischen Negativklischees zur Abgrenzung und eigenen Selbststilisierung, einer grundlegenden Revision. Vor allem die Nachkriegsjahre waren – aus der Not geboren – hinsichtlich des Rollenbilds von Mann und Frau geprägt von erstaunlichem Pragmatismus. So habe ich, selbst Jüngster einer kinderreichen vaterlosen Flüchtlingsfamilie, regelmäßig die Blusen meiner Schwestern (erkennbar am runden Kragen) „abgetragen“, ohne mich zu erinnern, deshalb jemals gehänselt worden zu sein. Aber auch meine These, dass die weibliche Emanzipation – nicht im Kopf, aber in der Tat – bereits mit den „Trümmerfrauen“ begonnen hat, finde ich durch jüngste Veröffentlichungen bestätigt.

    VI. Mögliche Widerstände von innen (Frauen)
    Wie sich aus dem Maulkorb für aufmüpfige Theologen und den repressiven Maßnahmen gegen eine „Kirche von unten“ schließen lässt, fürchtet der Vatikan Kritik von innen mehr als die von außen.
    Aufgeschlossene Katholiken, besonders Frauen, sind zudem geübt im Umgang mit schizophrenen Verhältnissen. Obwohl die Missionare und Ordensfrauen mit Kondomen in den Taschen fast sprichwörtlich sind, ist bisher kein Verfahren gegen sie an die Öffentlichkeit gedrungen. Doppelmoral (bisweilen auch Pragmatismus) gehört offenbar – stärker als beim Islam – zum Grundprinzip des Katholizismus. Freilich macht dies auch die Schwäche eines Widerstands innerhalb der Kirche aus: Es bleibt völlig dem Gutdünken der Hierarchie überlassen, ob solche „Verstöße“ gegen die kirchliche Dogmatik (nach außen heißt dies „Sünde“) geduldet, verziehen oder mit Sanktionen belegt werden (vgl. Missbrauchsskandal und Schwangerschaftsberatung).
    Sicher gibt es auch in islamischen Ländern, so im Iran, Unterwanderungsversuche der Repression gegen Frauen, etwa in Form der Behandlung des Kopftuchs als Modeaccessoire. (Dies vom politischen Kontext zu isolieren und schlicht auf die Motive für Kopftuchträgerinnen hierzulande zu übertragen, erschiene mir aber blauäugig und leichtfertig.)
    Insgesamt, um auf die letzte Frage einzugehen, erscheint mir die Emanzipation von einer verqueren und überkommenen Sexual“moral“ in unseren Breiten zu weit fortgeschritten, als dass die Amtskirche es mit bloßen Verboten „in den Griff“ bekommen könnte – was aber eine Refundamentalisierung, wie oben angesprochen, keineswegs ausschließt. Aber man kann sich ja – und dies ist hier zu hoffen – auch täuschen.
    Tunesien möge uns, auch in Bezug auf die islamischen Länder, eines Besseren belehren!

    Freundliche Grüße
    Werner Engelmann

  7. @ #6 Werner Engelmann

    I. Wenn ich bei der Diskussion über Islam und Islamismus auf Religionsfreiheit und Toleranz beharre, spiele ich damit keineswegs den islamistischen Fundamentalisten in die Hände, sondern verteidige die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Wenn ich eine differenzierte Sicht auf den Islam und die Muslime einfordere, negiere ich damit auch nicht die Notwendigkeit, sich mit dem Islamismus und seinen Ursachen auseinanderzusetzen – wenn nötig mit den Mitteln der Polizei und Justiz, über die ein Rechtsstaat verfügt.

    Die undifferenzierte „Islamkritik“ (damit meine ich nicht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam, die ebenfalls durch die Religions- und Meinungsfreiheit geschützt ist) trifft nicht die Fundamentalisten, die ohnehin davon überzeugt sind, dass „der Westen“ „dem Islam“ Feind ist. Sie grenzt vielmehr alle Muslime (selbst die moderaten oder säkularen) aus, wie viele Stimmen aus dem „muslimischen Lager“ belegen. Die Gefahr, „Islamkritikern“ Munition zu liefern, erschwert innermuslimische kritische Auseinandersetzungen. Undifferenzierte „Islamkritik“ verstärkt die Abgrenzung und hilft damit den Fundamentalisten.

    Ein Beispiel dafür sind die „Kopftuchverbote“. Mag hinter den Prozessen, die Frau Ludin geführt hat, eine langfristige islamistische Strategie und saudisches Geld stecken. Aber erst das „Kopftuchverbot“ hat dieses Agieren ermöglicht! Dabei wäre es viel einfacher gewesen, Frau Ludin in den Schuldienst aufzunehmen und darauf zu achten, dass sie ihre Schüler nicht religiös beeinflusst oder gar indoktriniert. Bei entsprechenden Verstößen würde das Dienstrecht ausreichen, sie aus dem Schuldienst zu entfernen, wie es meines Wissens z.B. in NRW praktiziert wird. Daran würde auch die große Mehrheit der Muslime keinen Anstoß nehmen. Im Kopftuchverbot sehen aber viele Muslime einen Angriff auf ihre Tradition, auch wenn sie diese nicht praktizieren.

    II. Die von Ihnen angemahnte interne Auseinandersetzung ist im Islam längst im Gange. Die „Islamische Charta“ des Zentralrats der Muslime in Deutschland ist einer der Schritte auf diesem Weg. Die Erkenntnis, „dass Islamismus – natürlich in missbräuchlicher Weise – eben doch vom Fleisch des Islam zehrt, dass es auch Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubensgrundlagen und deren Widersprüchen bedarf“, reicht weit bis in die konservativen islamischen Kreise. Davon kann sich jeder überzeugen, der sich am interreligiösen Dialog beteiligt.

    Dass viele Muslime, von denen die Mehrzahl nicht einmal einer muslimischen Gemeinde angehört, zu einer solchen differenzierten Auseinandersetzung nicht fähig sind, liegt an deren mangelnden religiösen Bildung, was engagierte Muslime ebenfalls beklagen. (Wobei auch die religiöse Bildung vieler nominellen Christen und Mitglieder jüdischer Gemeinden ebenso minimal ist.)

    III. Was „Bezüge zwischen Islam und Katholizismus“ betrifft, fängt die Schwierigkeit bereits damit an, dass diese Religionen gänzlich unterschiedliche Strukturen haben. Eine Entsprechung zur Amtskirche gibt es im Islam (wie auch im Judentum) nicht. Eine muslimische Gemeinde ist (wie eine jüdische Gemeinde) ein freiwilliger Zusammenschluss von Gläubigen, der ihnen die Ausübung ihrer Religion ermöglicht. Eine „Glaubensinstanz“ ist die Gemeinde nicht.

    Die zweite Schwierigkeit ist der „christliche Zentrismus“ der Debatte, weil auch die längst von ihrer christlichen Religion oder von der „Amtskirche“ „Emanzipierte“ mehrheitlich nicht wahrnehmen, dass sie religiöse Begriffe im christlichen Sinn verwenden, den Muslime und Juden nicht teilen. So ist zum Beispiel für einen Moslem oder Juden jede Zeugung eines Kindes eine „unbefleckte Empfängnis“, weil beide Religionen weder den Begriff der „Erbsünde“ kennen („Die Seele, die du mir gegeben hast, ist rein“, heißt es im jüdischen Morgengebet), noch Sexualität als etwas negatives ansehen, das den Menschen – Mann oder Frau – „befleckt“ (auch wenn die „erlaubte“ Sexualität traditionell der heterosexuellen Ehe vorbehalten wird).

    Ich wünsche Ihnen einen schönen Skiurlaub.

  8. Werner Engelmann, auch hier kann ich Sie nur bewundern für Ihre klare Darstellung der Zusammenhänge.
    Ich bin immer wieder froh darüber, in einer Zeit zu leben, in der solche Worte auch offen ausgesprochen werden dürfen.
    (Kein Galgen und kein Scheiterhaufen droht…obwohl gar mancher das gerne wieder hätte…)

    maderholz

Kommentarfunktion geschlossen