Es ist ein seltsames Zusammentreffen. Eben reden noch alle über das Outing von Ex-Nationalfußballer Thomas Hitzlsberger, und jetzt reden alle über die Online-Petition des baden-württembergischen Realschullehrers Gabriel Stängle, der „eine pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung an den allgemeinbildenden Schulen“ kommen sieht, wenn das Landes-Bildungsministerium seine Pläne durchsetzen sollte, das Thema „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im Lehrplan zu verankern. Ich verlinke hier auf die Petition, weil sie in meinen Augen exemplarisch für eine unreflektierte Homophobie steht, von der ich glaube, dass sie in der deutschen Bevölkerung viel weiter verbreitet ist, als das Echo auf Hitzlsbergers Outing vermuten lässt.
Der Text der Petition ist voller Stereotypen und streckenweise sogar unfreiwillig komisch, wenn da beispielsweise eine Orientierung der Lehrpläne an wissenschaftlicher Pädagogik statt an „ideologischen Theoriekonstrukten“ gefordert wird. Gerade die Erziehung zur Toleranz ist ein Hauptanliegen der Pädagogik, und gerade die Orientierung der Sexualpädagogik am Leitbild von Ehe und Familie ist ein „ideologisches Theoriekonstrukt“, dem aber offenbar ein gewisser Teil der deutschen Heterosexuellen nachweint. Man könnte über diese Verwechslung lachen, wenn sie denn nicht so entlarvend wäre.
Ich habe bis heute nicht verstanden, warum manche Heteros – und gar nicht so wenige, wenn ich mir die Zahl derer anschaue, die die Petition unterstützen – ihren eigenen Lebensentwurf als abgewertet empfinden, wenn ein anderer Lebensentwurf mit ihm gleichgestellt wird. Der besondere Schutz von Ehe und Familie, auf den auch jetzt wieder abgehoben wird, leidet nicht, wenn daneben andere Menschen, für die Ehe und Familie ohnehin nicht in Reichweite sind, ähnliche Rechte erhalten. Was soll das Gerede von der Umerziehung? Darin flackert wohl ein wenig die alte Angst der Heteros vor dem Umgepoltwerden auf – eine neurotische Angst, recht besehen, denn wenn sich ein Hetero seiner eigenen Sexualität so sicher ist, wie er behauptet, warum fürchtet er dann eine mögliche Umpolung? Sie sollte ausgeschlossen sein, und damit Schluss der Debatte. Umerziehung? Es geht vielmehr um Horizonterweiterung. Aber damit hat man es im hinteren Schwarzwald offenbar nicht so.
Und wieder konzentriert sich die Debatte natürlich auf den Umgang mit Homosexuellen. Der neue Bildungsplan hat jedoch viel mehr vor: LSBTTIQ lautet das Ziel der „Umerziehung“ zu mehr Toleranz schon an den Schulen. Das Kürzel steht für „lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und queer“ und umfasst damit ein Spektrum sexueller Orientierungen, das über Homosexualität weit hinausgeht – so weit, dass viele Deutsche von so manchem von dem, was da anklingt, noch nie gehört haben werden. Menschliche Sexualität ist vielfältig und bunt. Die LSBTTIQ-Gruppen fordern keine sexuelle Umerziehung anderer Menschen. Sie fordern nur Toleranz für sich.
Das Ganze hat natürlich neben dem angstvollen bis hasserfüllten Zurückzucken der Petitionäre vor LSBTTIQ auch noch eine religiös-weltanschauliche Dimension, und die beruht unter anderem auf dem Weltbild der Evangelikalen, einer Spielart von protestantischem Fundamentalismus, der auch der Lehrer Stängle zugeneigt zu sein scheint. Der Spiegel schreibt, Stängle engagiere sich in einem „fundamentalchristlichen Verein aus der Nähe von Stuttgart“. Gemeint ist die Sekte Prisma-Gemeinschaft.
Den Evangelikalen wird, um sie von den Fundamentalisten abzugrenzen, gern zu gute gehalten, dass sie Argumenten und Diskussionen gegenüber aufgeschlossen und lernbereit seien, doch wie die Petition zu zeigen scheint, ist das wohl nur Wortklauberei. Übrigens musste Petitionär Stängle eine Vor-Version seiner Petition, die eindeutig diskriminierend war, wieder vom Netz nehmen. Sie ist aber noch öffentlich und offenbart den Geist, den die Petition atmet. Das riecht nach kreuz.net und nach den Hass-Bloggern von „politically incorrect“.
Vorsitzender der Evangelischen Allianz, des Dachverbandes der Evangelikalen in Deutschland, ist Hartmut Steeb, der die Petition im „Heute Journal“ verteidigte. Damit war er der lauteste der Kirchensprecher. Liebe Kirchenleute, seht euch genau an, wen ihr da für euch sprechen lasst! Ich würde gern von den progressiven Kräften unter euch – etwa denen, die in der EKD erst kürzlich den Familienbegriff deutlich weiter gefasst haben – ein Wort der klaren Abgrenzung von diesen religiösen Eiferern hören!
Ein Kernanliegen der Evangelikalen ist die Mission. Sie tragen ihren Glauben nach außen. Da gehört er aber nicht hin. Glauben ist Privatsache. Diese Leute können gern glauben, was sie wollen. Ich werde sie nicht daran zu hindern versuchen. Wenn sie beispielsweise daran glauben, dass die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde, so wie es in der Bibel steht – bitte schön. Sie sollen aber nicht versuchen, diesen Unsinn im Lehrplan zu verankern oder Mitmenschen mit diesen privaten Anschauungen zu indoktrinieren. Religiöser Fundamentalismus, egal aus welcher Religion er einem entgegenspringt, ist anti-aufklärerisch, rückwärtsgewandt und schlicht widerlich und verlangt klare Widerworte der progressiven Kräfte. So wie beispielsweise vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der auf Konfrontationskurs zu den Kirchen geht und sich für den Entwurf des neuen Bildungsplanes aussprach.
Oder auch wie Thomas Hitzlsberger, der in einer Videobotschaft sagte, für ihn sei der Zeitpunkt seines Outings nicht wichtig. „Wichtig ist es nur für die Leute, die homophob sind, andere ausgrenzen aufgrund ihrer Sexualität – und die sollen wissen: Sie haben jetzt einen Gegner mehr.“
Starke Worte, Herr Hitzlsberger! Da bin ich ja mal gespannt. Fangen Sie doch gleich mal mit dem Herrn Stängle an.
Unter den Leserbriefautoren, die sich zu diesem Thema gemeldet haben, sind zwei Geistliche im Ruhestand, der eine ein Pfarrer, der andere ein Pastor. Beginnen wir mit Friedrich Gehring, Pfarrer i.R., aus Backnang:
„Wenn der Generalsekretär der Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, sich auf Grundgesetz und Landesverfassung beruft, um für „Ehe und Familie absolute Priorität“ zu fordern, dann wird die fundamentalistische Auslegung von der Bibel auf Verfassungstexte ausgedehnt, um diese als Steinbruch für die eigene Ideologie zu benutzen, indem ausgewählt wird, was passt, und ausgeblendet bleibt, was dem eigenen Interesse widerspricht. Artikel 6 unseres Grundgesetzes fordert nicht nur den besonderen Schutz von Ehe und Familie, sondern auch die Gleichstellung von nichtehelichen und ehelichen Kindern, also auch deren Schutz in nicht heterosexuellen Verhältnissen. Der Grundgesetzartikel 5 sagt Meinungsfreiheit zu, was auch für die freie Meinung zur Homosexualität gilt. Das wird in den neuen Bildungsplänen ernst genommen, anders als im Russland Putins. Sehnt sich Herr Steeb dorthin?
Von einer Evangelischen Allianz ist vor allem zu erwarten, dass sie sich in ihren Wertentscheidungen an Jesus orientiert. Jesus erklärt in Mt 19,12 unmissverständlich, dass gerade der Einsatz für das Reich Gottes zu einer Entscheidung für die Ehelosigkeit führen kann. Deshalb kann eine an Jesus ausgerichtete Evangelische Allianz schlechterdings nicht für die „absolute Priorität“ von Ehe und Familie eintreten. Man muss ja nicht in das andere Extrem des Paulus verfallen, der seine Ehelosigkeit allen anderen empfiehlt und die Ehe als Notlösung für die darstellt, die es ohne Sex nicht aushalten (1. Kor. 7,7-9). Aber man sollte zur Kenntnis nehmen, dass er in seiner alternativen Lebensform zum bedeutendsten Apostel wurde. Der Evangelischen Allianz wäre jedenfalls in dieser Sache eine Umkehr zu Jesus dringend zu empfehlen.“
Hartwig Hohnsbein, Pastor i.R., aus Göttingen meint:
„In dem Artikel „Kirchen kritisieren Lehrplan‘ [online nicht verfügbar, siehe Steeb-Link in der Einleitung, Anm. Bronski] wird in der Zweitüberschrift richtig zusammengefaßt, worum es ihnen in Wirklichkeit geht: ‚Gegen Homosexualität‘. Aus der Ablehnungsfront des vorgesehenen Bildungsplanes 2015 der grün/roten Landesregierung wird dazu als Vertreter des ’pietistischen Flügels’ Hartmut Steeb zitiert, der sich ganz ähnlich auch im ‚heute-journal‘, also bundesweit, äußern durfte. Er wird als Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz vorgestellt, die 1,3 Millionen Mitglieder hat und zur Weltweiten Evangelischen Allianz mit 600 Millionen Mitgliedern gehört. Alle Allianzanhänger eint die ‚Gemeinsame Basis des Glaubens‘, in der es u.a. heißt:
‚Wir bekennen uns zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässingkeit (in der Fassung bei WIKIPEDIA: ‚Irrtumslosigkeit‘) und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung‘.
Nach irdischer Logik bedeutet das: Jedes Bibelwort ist von ihnen, weil angeblich völlig ’zuverlässig/irrtumslos‘, als unbestreitbare Autorität zu nehmen.
Hier ein paar Beispiele dafür, was die „göttliche Autorität’durch die Bibel zur angesprochenen Thematik so alles vorschreibt:
Für die Erziehung gilt nach Sprüche 13 Vers 14: „Wer seine Rute schont, hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten‘. Wenn dennoch diese Bildungsmethode nicht klappt, der „Sohn’also „ungeraten’bleibt, dann wird für diesen Fall göttlicherseits verfügt: „Alle Leute seiner Stadt sollen ihn steinigen‘(5. Mosebuch 21, Vers 18-21).
Zur Homosexualität, für die Bibeltreuen immer ein außerordentlich wichtiges Thema zur ‚Lebensführung‘, legt der Bibelgott in den ‚Gesetzen zur Heiligung des täglichen Lebens’ fest: ‚Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben‘. (3.Mosebuch 20, Vers 13).
Diese und unzählig andere angeblich irrtumslose Bibelworte, die in der Geschichte so viel Unheil angerichtet haben (nicht zu vergessen die zahlreichen antisemitischen Aussagen wie diese, die das Johannesevangelium, 8.Kapitel, Vers 44 Jesus gegen die Juden in den Mund legt: ‚Ihr habt den Teufel zum Vater‘) gehören aus einer Gesellschaft, die sich den Menschenrechten verpflichtet weiß, verbannt! Herr Steeb sollte also das,wozu jenes Bibelwort 3. Mose 20.Vers 13 auffordert, verwerfen (oder hat es das schon öffentlich getan?);- erst dann könnte er sich m.E. glaubwürdig zu einem Thema wie Homosexualität im Bildungsangebot äußern!“
Elke Metke-Dippel aus Wetzlar:
„Man horche auf und lese genau hin: Da sagen die „großen Kirchen“, Kinder und Jugendliche dürfen bei ihrer „Suche nach der sexuellen Identität nicht beeinflusst werden“ – und posaunen im gleichen Atemzug, dass der Bildungsplan sich am christlichen Menschenbild orientieren müsse! Ja, was ist das denn für eine doppelmoralische Blindheit? Seit wann ist das so genannte „christliche Menschbild“ keine Beeinflussung? Was geht es die entwickelten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts eigentlich an, was unwissende, dem Männerwahn frönende alte Paschas vor mehr als 2500 Jahren aufgeschrieben haben und als „gottgewollte“ Verhaltensweisen dem Volk aufzwingen wollten?
Diese 1,3 Mio. Allianzmitglieder vertreten einen Fundamentalismus, der die Menschen als grundsätzlich „gottlos“, „verdorben“ und „schuldig“ im Sinne der göttlichen Anklage sieht, wertlos und zu Recht zum ewigen Tod in der Hölle verdammt. Und diesem menschenfeindlichen Bild soll der Bildungslehrplan folgen? Hallo! Aufwachen!“
Werner Haas, Dir. i.R., aus Karben:
„Der Artikel vom 10.1. zeigt überdeutlich, wie eine bestimmte pseudointellektuelle Kaste in den Medien glaubt, sich zum Tugendwächter der Nation aufspielen zu müssen. All denjenigen in unserer Bevölkerung, die nicht den von ihnen hochgelobten LSBTTIQ-Lebensstil in den neuen Richtlinien des Bildungsplans 2015 aus Baden-Württemberg verständnisvoll akzeptieren wollen, wird in unglaublich arroganter Weise eine virulente Homophobie unterstellt. Die hier von der Autorin dargestellte Online-Petition des Realschullehrers Gabriel Stängle stellt sie in diffamierender Weise als Ausdruck eines „offenbar christlich-fundamentalistischen Hintergrunds“ dar und drängt sie mit der Beschreibung „Bibeltreue Christen“ bewusst in eine Ecke, die vorgeblich nie eine „Toleranz der Aufklärung“ zum Maßstab ihres Handelns macht. Jeder, der sich nicht den Auffassungen des baden-württembergischen Kultusministers zur „Wertevermittlung“ anschließt, versuche nach dessen eigener Einschätzung, „die eigene Intoleranz gegenüber Nicht-Heterosexuellen in die Gesellschaft zu tragen“. Diese Aussage des Landesministers der SPD ist nicht nur eine maßlose Frechheit und Überheblichkeit gegenüber Andersdenkenden, sondern erinnert auch fatal an die Tugendwächter Marat, Danton oder Robespierre während der französischen Revolution mit ihren absoluten Wahrheitsansprüchen.“
Dr. Christoph Hilsberg aus Berlin:
„Der Sturm ist so groß, weil die Kenntnisse so schlecht sind. Was kaum jemand weiß: Die Amerikaner Masters und McKinsey haben schon in den 50er Jahren Umfragen unter zehntausenden Menschen durchgeführt. Beide kamen zum gleichen Ergebnis: 30 Prozent sind ausschließlich heterosexuell, 10 Prozent ausschließlich homosexuell und 60 Prozent irgendwo dazwischen bisexuell geprägt. Schlimm sind besonders die mangelhaften Kenntnisse unserer Jugendlichen, daher das Mobbing. Viele Jungen meinen, homosexuell zu sein, nur weil sie sich in der Pubertät ganz normal und neugierig mit Freunden am besten Spielzeug des Mannes betätigt haben. Katholische Moral hat schon viele zum Suizid getrieben. Alltag eines Jugendarztes. Zu empfehlen ein Büchlein: „Aufgeklärt – aber ahnungslos? Teste Dein Wissen.“ Für Rückfragen Jugendlicher bereit.“
Kirche und Sexualität: Berichterstattung und Leserbriefe in der FR
Eine Diskussion wie um des Kaisers Bart. Unter Berufung auf einen Mann, dessen Existenz zumindest fragwürdig ist (Jesus). Wenn es ihn überhaupt gegeben hat, war er wahrscheinlich ein Wanderprediger wie so viele in seiner Zeit. Und entweder Junggeselle, verheiratet, promisk, hetero- oder homosexuell: wie man das so ist als Mensch.
Beweisführung auf der Grundlage von Erzählungen, die fast zweitausend Jahre alt sind, verändert, aufgeschrieben, wieder verändert und schließlich kanonisiert wurden von ‚interessierter‘ Seite (Neues Testament). Auch ihre Geschichtlichkeit und Authentizität: höchst fragwürdig.
Über dem Mann aber und seine heiligen Bücher sodann ein theologisch-philosophischer Überbau wie aus dem Irrenhaus: Jungfrauengeburt, Wiederauferstehung, Himmelfahrt, Dreieinigkeit…
Und das alles soll uns Richtschnur sittlichen Denkens und Handelns sein – und der Urgrund allen Seins?
Eigentlich war erwartbar, dass eine Gegenbewegung zur gesellschaftlichen Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Präferenzen sich aufmacht. Nicht jeder schafft es, der in der Bundesrepublik und einer Kirchengemeinde sozialisiert wurde, sich den neuen gesellschaftlichen Sichtweisen anzupassen, wenn nicht mal mehr die Christlich Demokratische Partei als Garantin für ein geschlossenes Weltbild in Frage kommt. Da bricht Sicherheit weg, wenn Politiker oder Sportler, die die Verehrer des vermeintlich einzig richtigen Lebensentwurfs bisher gemocht haben, der Persönlichkeit nicht entsprechen, die in ihren Phantasien entstanden ist. Die Homophoben, wie sie gerne abschätzig genannt werden, sind einfach verunsichert. Versucht mal, sich deren Gefühle zu nähern.
Ich bin immer dafür, sich in den „anderen“ hinein zu versetzen, damit ich „seine“ Beweggründe besser verstehen kann. Aber in diesem Fall ist es m.E. unnötig. Die Welt kennt die Beweggründe der religiös „Homophoben“ oder „Sünde-Verachter“ oder wie auch immer: Sie speisen sich aus einer uralten Schrift mit uralter, mehr als zweifelhafter Moral. Sie können nicht erwarten, dass der aufgeklärte Vernunftmensch immer wieder auf diese unvernünftigen Gründe Rücksicht nimmt.
Dabei ist „unvernünftig“ noch harmlos ausgedrückt.
Im Übrigen möchte ich einmal erleben, dass diese „Sünde-Verachter“ sich in die Gefühlswelt eines anders gearteten Menschen hinein versetzen. Das haben sie gar nicht nötig. Denn urteilen über sie und sind davon überzeugt, dazu im Namen Gottes aufgerufen zu sein. Sie sind nicht verunsichert – sie sind sich sogar verdammt sicher, im Recht zu sein.
Ich habe mir die Petition durchgelesen – haben das die vielen Zuwortmelder auch? – und ich kann sie unterschreiben! Toll, dass jemand öffentlich den Mut hat, einen meiner Meinung nach über das Ziel hinausschießenden Lehrplan zu kritisieren.
Aber sofort wird die Keule „homophob“ herausgeholt.
Das Ganze ist bloss ein Geplänkel und Nebenschauplatz.
In Wirklichkeit geht es darum, die Sexualität als Ganzes unter Kontrolle zu bringen.
Heute sind es die Homosexuellen, morgen die Transsexuellen, übermorgen die Heterosexuellen.
Es geht nicht um „Moral“, es geht um Macht.
Man sollte den Intoleranten die Sexualität verbieten, da würde das Ganze schon von selbst moralischer.
Soll doch jeder tun und lassen was er/sie will aber nicht jeden damit belästigen (egal ob, hetero, schwul, lesbisch oder …). Gerade kleine Kinder haben bestimmt sehr wenig Verlangen danach, sich damit auseinander setzten zu müssen. Oder ging es Ihnen früher anders?
„Soll doch jeder tun und lassen was er/sie will aber nicht jeden damit belästigen“
Hört sich so einfach an.
Tatsächlich entstehen dadurch rechtsfreie (fundamentalistische) private Räume und ein rechtsfreier öffentlicher Raum, der nurmehr der herrschenden Meinung unterliegt. Dies ist weder im Sinne der Minderheiten, noch im Sinne der Mehrheiten.
So werden Willkür, Denunziation und verborgenes Leben erzeugt und die Freiheit auf dem Altar subjektiver Moral geopfert.
Es gibt die Tendenz, alles, was man nicht sehen will, in das Private zu verdammen. Man könnte statt dessen auch selbst zuhause bleiben… es gibt kein Recht auf eine Welt, wie sie einem gefällt.
@ Katja Wolf #6
Ja. Mir ging es damals anders: Ich war neugierig. Und ich hatte Glück. Ich konnte nämlich bereits lesen, als ich in die Schule kam, und ich hatte eine in diesen Themen weitgehend stumme Mutter. Es muss noch in der 1. Klasse gewesen sein, als ich das einbändige „Konversationslexikon“ als Auskunftei für alle Fragen entdeckte, auf die es offiziell keine Antwort gab. Die Texte in so einem Lexikon sind kurz genug, dass sich die Autoren der Wertung enthalten müssen.
Und wenn ich mir ansehe, wie meine Kinder als Zwerge waren und weiter groß werden, dann sind die ähnlich neugierig, nur dass ich ihnen wenig, zu wenig? Anlass gegeben habe, ein Lexikon aufzuschlagen – sie beginnen endlich, sich für Wikipedia zu erwärmen (von soetwas habe ich als Kind nicht mal geträumt).
Es geht auch nicht um ein „Auseinandersetzen“, es geht darum, die Fragen, wenn sie auftauchen, offen zu beantworten, und dann ist es auch gut. Es geht darum, die Kinder in ihrer Entwicklung mit dem Spektrum des Menschlichen vertraut zu machen, ohne die Tabuzonen aufzubauen, die die Angst machen, die man in dieser Petition erkennen kann.
Und dadurch wird es keinen einzigen Schwulen mehr oder weniger geben, um die mal aus den LSBTTIQ herauszunehmen, nur werden die, die diese Orientierung in sich entdecken, davon nicht mehr verstört, und die, die neben ihnen aufwachsen, werden sehen, dass das normale Menschen sind wie Sie und ich. Warum soll das zuviel sein?
Dass die katholische Kirche nicht entzückt ist, ist aus zwei Gründen klar:
1.) Steht dazu irgendein Unsinn in der Bibel, der komischerweise ernster genommen wird, als z.B. die Steinigungsaufforderungen, die dicht dabei stehen, Hartwig Hohnsbein hat auf diesen Widerspruch in der Aufnahme der Bibel bereits aufmerksam gemacht,
2.) waren die Menschen, die entdeckten, dass ihre Sexualität anders als erlaubt war, immer eine sichere Quelle für den Priesterstand, weil sie da in der Illusion hingingen, in diesem Stande sei ein Leben ohne diese Sexualität möglich, die ihnen so unheimlich erschien. Die Katholische Kirche wird nicht grundlos regelmäßig als die größte Schwulenorganisation der Erde bezeichnet.
Insofern ist die Aufregung über diese in der Praxis eigentlich harmlose Verankerung des Erziehungszieles, die Menschen so anzunehmen wie sie sind, im Lehrplan eines Landes im deutschen Bilble-Belt menschlich schon verständlich. Das rührt an ein Tabu, und dann gleich mit Sauereien wie LSBTTIQ. Es ist trotzdem Unsinn und wenn ich den berufeneren Herren Gehring und Hohnsbein glauben darf, auch nicht besonders christlich, wenn man mal in der Aufklärung angekommen ist. Aber ich als Heide bin schon froh, im Norden zu wohnen.
@Frank Wohlgemuth:
Gegen ein offenes Beantworten von Frage, wenn sie auftauchen, ist auch gar nichts einzuwenden.
Da wird von einem über das Ziel hinausschießenden Lehrplan geredet, von Indoktrination der Schüler und von Erziehung zur Homosexualität, das Gespenst vom Untergang des christlichen Abendlandes geistert durch den Raum. Nur daß diesmal nicht hartgesottene Erzkatholiken dahinter stehen, sondern schwäbische Evangelikale, spöttisch gerne mal als Pietkong bezeichnet. Die beiden Gruppen sind sich zwar untereinander nicht grün, aber in solchen Dingen reichen sie sich gerne die Hand. Wie die Weltfrauenkonferenz in Peking vor vielen Jahren gezeigt hat, sind dann plötzlich auch die trennenden Mauern zu radikalen Muslimen wie weggeblasen, es ist ein gemeinsamer Feind da. Der heißt auch nicht irgendwelche besonderen Sexualitäten oder Sexualität allgemein, denn das sind nur Einzelaspekte. Es geht ganz pauschal gegen Aufklärung (nicht nur die sexuelle), Weltoffenheit, Pluralismus, allgemeine Freiheit, Lust und Leben – das ist auch der breite Hintergrund dieser Petition: Die Lebens- und Lustfeindlichkeit, die Unfreiheit und die Zwänge, letztlich die Todessehnsucht der drei abrahamitischen Religionen. Wer die Petition unterschreibt, sollte darum wissen.
Richtig lustig las sich im Rahmen der Debatte um die Petition und gesellschaftlicher Offenheit gegenüber Homosexualität Jan Fleischhauers Kolumne im Spiegel Online. Er vertrat darin auch die Ansicht, das „… Arbeitspapier aus dem Bildungsministerium, das für Aufregung sorgt, liest sich wie eine Hausarbeit aus dem Gender-Seminar. Es ist allerdings eine Sache, ob man sich im soziologischen Curriculum mit den ‚Lebenssituationen von LSBTI-Menschen‘ auseinandersetzt, (…) oder ob man damit in der Schule aufläuft.“ Letzendlich meint das nichts anderes, als daß der Lehrplan über das Ziel hinausschieße und völlig überzogen sei.
Was aber im Papier abgehoben akademisch klingt, kommt so noch lange nicht in der Schule an. Der Lehrplan ist nicht für die Schüler gemacht, sondern für die Lehrer. Die sind aufgefordert, die geforderten Unterrichtsinhalte altersgerecht rüberzubringen. Das verkennen die Kritiker, die sich nur auf die blanke Theorie beziehen und deren Umsetzung in der Realität vergessen. Christian Stärk als Landesschülersprecher von Ba-Wü hat das im Spiegel-Interview deutlich gesagt: „… die Bildungspläne darf man nicht überschätzen. Es ist wirklich nicht so, dass die sexuelle Vielfalt irgendwo in den Vordergrund gestellt wird. Was derzeit passiert, ist Panikmache. Man kann doch von Glück sprechen, wenn das Thema der sexuellen Vielfalt überhaupt den Weg zu Lehrern und Schülern findet.“ Es bleibt also einmal mehr bekannte Fazit, es werde nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. An der Stelle frage ich Julika (#4) zurück, ob sie dieses Prinzip verstanden hat, bevor sie die Petition unterschrieb, oder ob sie sich doch nur einfach hat mitreißen lassen.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/homosexualitaet-im-unterricht-jan-fleischhauer-zur-debatte-a-943799.html
http://www.spiegel.de/schulspiegel/christian-staerk-landesschuelerbeirat-ueber-den-bildungsplan-in-bawue-a-942891.html
Trotzdem halte ich die Debatte als von einer extrem (!) kleinen Minderheit, einer gesellschaftlichen Randgruppe künstlich aufgeheizt, um Aufmerksamkeit zu bekommen und sich in den Mittelpunkt zu drängen. Rein banale Zahlenspielereien zeigen das deutlich. Die Petition hat knapp 142.000 Unterzeichner, davon stammen 64.000 aus Ba-Wü. Dort leben 10,6 Mio. Menschen, in der BRD sind es knapp 80,6 Mio. Einwohner. Danach haben von den Baden-Württembergern gerade mal gut 0,6 Prozent unterzeichnet, in Deutschland sind es gesamt sind es knapp 0,18 Prozent. Nicht sehr beeindruckende Zahlen für eine Gruppe, die dermaßen lautstark schreit, als wolle man ihnen bei lebendigem Leib das Fell abziehen. In diversen Foren sind es erstaunlicherweise immer wieder die gleichen Diskutierer, die mit den immer gleichen ausgeleierten Klischees Stimmung machen und eine große Volksmenge vortäuschen wollen. Fast möchte man es glauben, wenn sich ein Grüppchen dieser Leute versammelt und lautstark schreit, die ganze Welt sei voll von ihnen – was aber tatsächlich nicht der Fall ist. Das sind dann übrigens dieselben Leute, die homosexuellen Menschen genau das Verhalten vorwerfen und den Status zuordnen, den ich diesen Leuten eingangs des Absatzes nachsage: Randständige Schreihälse mit Publicitysucht. Wenn man ihnen diesen Spiegel vorhält und ihre Wortwahl einfach umkehrt, ist die Diskussion üblicherweise sehr schnell beendet und es kehrt Ruhe ein.
@BvG: Zweifelsohne geht es um Sexualkontrolle allgemein zwecks Herrschaftsausübung, das ging es schon immer. Doch Ihr Beitrag kippt hintenüber, wenn Sie ein Sexualitätsverbot für „Intolerante“ fordern und das mit der Hoffnung auf ein moralischeres Ganzes verbinden. Allein dieser Gedanke an ein Verbot ist schon wieder ein Liebäugeln mit genau diesem Machtmittel der Sexualkontrolle, was wollen Sie also. Und dann so zwei unerklärte Schlagworte wie „das Ganze“ und „Moral“. Was verstehen Sie darunter, was ich sicherlich nicht so sehe?
@ Katja Wolf: Es fällt auf, daß Sie als ersten Gedanken die Belästigung anderer ins Spiel bringen, wenn es um Sexualitäten geht. Dabei geht doch in erster Linie um eine aufgeklärte, freiheitliche Gesellschaft, in der alle das gleiche Recht und die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Lebensentwürfe einzubringen.
Kleine Kinder wollen übrigens schon wissen, was es mit Sexualität auf sich hat, wenn sie damit – heutzutage eigentlich überall – konfrontiert werden. Sie stellen also Fragen, meist direkt und unkompliziert, so die Erfahrung. Entsprechend sollten die Antworten sein, offen, direkt und unkompliziert; das reicht ihnen üblicherweise.
@ Frank Wohlgemuth: Das kommt mir bekannt vor. Die Alten waren verklemmt und schwiegen schamhaft, dabei waren sie aus dem Rückblick untereinander selbst mit jeder Menge sexuellen Problemen belastet; als Kriegskinder waren sie sowieso seelisch gründlich traumatisiert und verkorkst. Zum Glück standen bei uns die Bücher offen und keines war in einem „Giftschrank“ verschlossen. Also konnte ich mich beim „Doktorbuch“ und dem Lexikon bedienen und selbst informieren. Zwar blieben da noch viele Fragen offen, aber die Antworten fand ich mit der Zeit auch noch. Tatsächlich bin ich aus heutiger Sicht nicht böse darum, daß ich mich eigenständig über Sexualität informiert habe und auch meist das Glück hatte, die richtigen Informationen ohne Wertungen in irgendwelche Richtungen zu ergattern. Trotzdem hat es lange gedauert, bis ich einige Hemmungen und Verklemmungen abgelegt habe, die ich trotz aller Offenheit als soziales Erbe herumgeschleppte. Gerade das sind die Effekte, die es gilt zu vermeiden, und die die Petion aber erreichen will: Verklemmte, verkrampfte und eingeschüchterte Menschen. Wer bist Du, offen und frei zu sein, wenn ich es nicht bin und das auch nicht gut heiße?
@EvaK
Zur Vergleichbarkeit meiner Verhältnisse: Mein Vater war zwar tatsächlich Kriegskind, aber WK I. Es gab zwar keinen „Giftschrank“, aber Bücher mit auch nur Nennung von Sexualität (z.B. Hemmingway) wurden versteckt, wenn sie – man war Bertelsmannmitglied – wegen des berühmten Autorennamens bzw. als Hauptvorschlagsband „irrtümlich“ gekauft worden waren. Dass ich die fehlende sexuelle Aufklärung durch meine Eltern rückblickend als positiv empfinde kann ich bestätigen, es hat mir wahrscheinlich einen Haufen „Voreinstellungen“ erspart, gegen die ich entsprechend auch nicht angehen musste. Insofern taugt diese ganze Geschichte hier sowieso hauptsächlich zur Bewertung der Gegner dieses Bildungsplanes – ihre An- und Absichten werden schon durch die Omnipräsens des Internets in den Kinderzimmern bekämpft. (Ich bedauere zwar eine gewisse PC-Lastigkeit von Wikipedia, aber insgesamt steht damit heute Information in einer Ausführlichkeit und Qualität in praktisch jedem Haushalt zur Verfügung, wie es sie früher nur dort gegeben hat, wo man als Kind so nebenbei auch auf den 24-bändigen Brockhaus zurückgreifen konnte – das dürften nicht sehr viele Haushalte gewesen sein.)
Damit Julika (#4) unmd Katja (#6, #9) wissen, wogegen sie unterschrieben oder argumentiert haben, ich gehe einfach davon aus, dass sie diesen Entwurf nicht gelesen haben, hier keine weitere Interpretation, sondern der Entwurf selbst. Ich empfehle einfach mal, ihn zu laden und nach der Silbe sex zu suchen, um die entsprechenden Passagen zu finden. Dann mögen sie selbst entscheiden, wie sinnvoll die Petition dagegen ist.
http://www.kultusportal-bw.de/site/pbs-bw/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/kultusportal-bw/Bildungsplanreform/Arbeitspapier_Leitprinzipien.pdf
@EvaK
Na ja, so schwer war der Gedankengang nicht zu verstehen.
Kategorischer Imperativ, wie so oft und immer wieder.
Das „Ganze“ wird „moralischer“,wenn der Einzelne so handelt, daß die Maxime…usw
zu Bronski
„Darin flackert wohl ein wenig die alte Angst der Heteros vor dem Umgepoltwerden auf – eine neurotische Angst, recht besehen, denn wenn sich ein Hetero seiner eigenen Sexualität so sicher ist, wie er behauptet, warum fürchtet er dann eine mögliche Umpolung? “
Hier wird wohl die Attraktivität männlicher Homosexualität ein wenig überschätzt. Ich war als junger Mann wiederholt unerwünschten „Umpolungsversuchen“ in Form von Annäherungen ausgesetzt. Daher weiß ich, dass ich meiner eigenen Sexualität sehr sicher bin.
Allerdings habe ich den Respekt, derjenigen, die sich mir auch handgreiflich genähert haben, für meine sexuelle Identität völlig vermisst. Meine Empfindungen waren hierbei alles andere als erfreulich.
Was jedoch die sich mir unerwünscht Annähernden nicht davon abgehalten hat, mich zu belästigen. Auf weitere Einzelheiten möchte ich bewusst nicht eingehen.
Ich kann daher sehr gut nachvollziehen, wie sich eine Frau fühlt, die von einem Mann, den sie ablehnt, bedrängt wird.
Ich halte es daher, wie es angeblich der alte Adenauer bezüglich des Außenministers H.von Brentano gesagt haben soll: „Dat is mir doch ejal, solang er mich nit anfasst.“