Pflege: Assistenzkräfte für den Hintern

Der Pflegenotstand hat das Land weiterhin fest im Griff. Trotz des „Pflege-Sofortprogramms“ aus dem Jahr 2019. Die Gründe: wenig Geld, viel Stress und kein Nachwuchs. Es war im Grunde absehbar, dass diesem Missstand schnell abzuhelfen sein würde, denn er ist das Ergebnis jahrelanger Politik. Dennoch: Es muss etwas geschehen. Das Preblem wird nicht kleiner. FR-Autor Tim Szent-Ivanyi schreib nun in seinem Leitartikel „Das Pflege-Dilmma„, Gutachten über die Personalausstattung in Pflegeheimen hätten ergeben, dass sich die Engpässe weitgehend durch die Einstellung von geringer qualifizierten Assistenzkräften beheben lassen. Sie könnten die voll ausgebildeten Fachkräfte von Routinearbeiten entlasten. Kann das die Lösung sein?

fr-debatteDie Bedingungen haben sich nicht verbessert

Die Situation in der Pflege hat sich trotz ,Pflege-Sofortprogramm‘ nicht wesentlich verbessert, weshalb Herr Szent-Ivanji zu Recht von einem Pflege-Dilemma spricht. Nach wie vor fehlen hauptsächlich in der Altenpflege tausende Fachkräfte, die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen sind noch immer miserabel. Seinem Vorschlag, mehr Assistenzkräfte einzustellen, stehe ich allerdings kritisch gegenüber. In der Kurzzeitpflege von Angehörigen musste ich die Erfahrung machen, dass sich die Fachkräfte im Büro hinter dem Computer verschanzten, während sich schlecht über die Pflegesituation informierte Assistenzkräfte mit den von Szent-Ivanji so genannten Routinetätigkeiten im Akkord auf für die Betroffenen unwürdige Weise abmühten. Wenn sich Fachkräfte nur noch um Planung, Anleitung und Beaufsichtigung kümmern, führt dies nicht zu der gewünschten Rollendifferenzierung, sondern zu einer Aufspaltung in „Nicht die Finger schmutzig machen“ und „Hintern abwischen“, wie es die Pflegekräfte abfällig nennen. Ausserdem ist zu fragen, welchen Stellenwert in diesem Konzeptansatz, die Kriterien Beziehungsaufnahme und Beziehungsgestaltung einnehmen. Oder hat der Notstand Gespräche, Sich-Zeit-Nehmen, Beziehung pflegen längst unter der Hand wegrationalisiert? Ausserdem würden unternehmerische Schlaumeier und Sparfüchse sofort auf die kostspieligeren Fachkräfte verzichten, wenn sie die Lücken mit Assistenzkräften und nicht oder schlecht Ausgebildeten füllen dürften. Die Corona-Krise hat doch einmal mehr gezeigt, dass die Politik im Verein mit den Kassen keine wirklichen Reformen will, allenfalls etwas Symbolik.

Robert Maxeiner, Frankfurt

fr-debatteJede und jeder braucht irgendwann Pflege

Mit großer Verärgerung habe ich den Leitartikel von Tim Szene-Ivanyi und seinen Vorschlag zur Neuordnung der Arbeit in Pflegeheimen und ein Aufweichen der starren Fachkraftquote zur Kenntnis genommen. Ich bin so empört, dass ich mich erstmalig veranlasst sehe, mich öffentlich an diesem Ort zu äußern und der Meinung von Herrn Szene-Ivayi deutlich zu wiedersprechen und einer allgegenwärtigen Meinung etwas entgegenzusetzen.
Es wird immer wieder so getan, als sei die Pflege von Menschen etwas für Jedermann/-frau – mitnichten! Es handelt sich um eine hochqualifizierte und höchst anspruchsvolle Tätigkeit und Ausbildung, die gerade eine tiefgreifende Reform erfahren hat und unter anderem dazu führen soll, dass insbesondere mit dieser Neuausrichtung dem Fachkräftemangel politisch begegnet wird. Ich bin der Meinung, dass die Fachkraftquote geradezu dringend erhöht gehört, um Pflegefachkräfte vermehrt für die Langzeitversorgung oder ambulante Pflegedienste zu gewinnen. Man überlege nur, wie schwierig sich die Begegnung und Versorgung von Menschen, die von Demenz betroffen sind, gestaltet. Hier braucht es eine sehr gute Ausbildung und Fachpersonal, das für eine würdevolle, individuelle und fachlich angemessene Versorgung sorgt. Das kann nicht Jedermann und Jederfrau! Hierfür braucht es theoretische Bildung und Pflegekonzepte.
Ich erlebe aktuell das Dilemma, dass Auszubildende, die von mir qualifiziert werden, in der Pflegepraxis ihr theoretisches Wissen nur sehr begrenzt anwenden können und tief frustriert sind, weil sie sehen, wie mangelhaft vielfach die Versorgung ist. Das ist zutiefst traurig! Was tun wir Pflegebedürftigen an? Was Pflegenden, die unter diesen Rahmenbedingungen nach der Prämisse „satt, sauber, sediert“ handeln sollen? Und diese Auszubildenden fragen sich meines Erachtens zu Recht, ob sie der Ausbildung nicht doch lieber wieder den Rücken kehren, weil der Zustand schwer erträglich ist.
Mein Vorschlag für eine tiefgreifende Änderung in der Pflege ist ganz klar: Erhöhung der Quote von Fachkräften oder wenigstens die Absicht und ein in Aussicht stellen dessen. Daneben eine deutlich bessere Bezahlung der Fachkräfte und damit die Anerkennung ihrer Qualifikation. Um hierfür Gelder zu mobilisieren sollte sich dem Skandal der Renditemaximierung bei Privatinvestitionen in Pflegeheimen deutlich mehr öffentlich zugewandt werden (siehe https://www.boerse-online.de/nachrichten/geld-und-vorsorge/seniorenimmobilien-renditebringer-pflegeheim-1028004209) und ehrliche Worte an die Bürger*innen gerichtet werden, dass gute Pflege ihren Preis hat und jede/r irgendwann Pflege braucht.

Silvia Schade, Bremen

fr-debatteWarum sind diese Heime so teuer?

Vielen Dank für den Artikel über das Fehlen der Fachkräfte in Altenheimen. Es besteht kein Zweifel, dass diese Angestellten mehr verdienen müssen und sollen. Jedoch muss das auch bezahlt werden. Schon jetzt kostet ein Pflegeplatz mit hoher Pflegestufe in Frankfurt 5300 Euro im Monat. Wer kann das bezahlen? Das geht nur, wenn die Allgemeinheit – sprich: Steuer- und/oder Beitragszahler – mitzahlt. Und das heißt höhere Steuern oder Beiträge. Das muss auch erwähnt werden bei der Forderung nach besserer Bezahlung. Daher sollte es einen ausgewogenen Ansatz zwischen der berechtigten besseren Bezahlung der Pflegekräfte sowie den Kosten für eine Unterbringung der pflegebedürftigen Menschen geben.
Sie schrieben auch zu Recht, dass man die Routinearbeiten ggf. von geringer qualifizierten Mitarbeitern, die weniger verdienen, erledigen kann. Auch ist zu fragen, ob denn wirklich jeder Handschlag immer dokumentiert werden muss, d.h. viel Bürotätigkeiten, die nur einer Statistik und der Absicherung dienen, dass man die Pflegearbeit genau und korrekt erledigt hat.
Abschließend frage ich mich immer, warum diese Heime so teuer sind. Liegt es wirklich an den Pflegekräften, dass so hohe Kosten entstehen? Ich vergleiche das gerne mit Hotels, die für einen Monat ca. 2000 Euro kosten incl. Halb- oder Vollpension. Zudem bringt man in das Heim noch seine eigenen Möbel mit. Oder sind nicht vielleicht doch hohe Kosten in der Verwaltung und Gewinnerwartungen der Grund für die hohen Pflegesätze in den Heimen?

Ralph R. Klockmann, Frankfurt

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