Mindestlohn: Armut und Niedriglöhne werden zementiert

Mindestlohn„Zeitlich gestreckt“ und „maßvoll“ – mit diesen Vokabeln kommuniziert die Politik die anstehende Erhöhung des Mindestlohns. Der liegt zurzeit bei 9,35 Euro pro Stunde und soll bis 1. Juli 2022 in vier Schritten auf 10,45 Euro angehoben werden. Ist jetzt der „größte Niedriglohnsektor“ eines europäischen Landes in Gefahr, dessen Schaffung Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) sich einst rühmte? Mitnichten. Es wird weiter einen großen Niedriglohnsektor geben, denn die rund 160 Euro, die Mindestlohnempfänger in zwei Jahren dann in etwa zusätzlich bekommen (brutto), dürften locker von der allgemeinen Preissteigerung aufgefressen werden. Davon kann sich niemand was zurücklegen oder gar fürs Alter vorsorgen, für die Rente. Einmal Geringverdiener, immer Geringverdiener. Aber das sei so gewollt, meint FR-Autorin Katja Thorwarth: Die Niedriglohnfalle sei ein zentraler Bestandteil dieses Systems.

Der Mindestlohn war gut gemeint, und die SPD darf sich durchaus rühmen, ihn in einer großen Koalition gegen den Widerstand von CDU/CSU durchgesetzt zu haben. Doch es zeigt sich immer mehr, dass Sozialverbände oder auch linke PolitikerInnen Recht behalten, die schon bei der Einführung sagten, dass dies nicht reiche. Die Linke forderte damals zwölf Euro. Gut gemeint ist eben nicht zwangsläufig auch gut gemacht. Was helfen solche Minimal-Maßnahmen, wenn der Fehler im System liegt?

fr-debatteWeit unter den tariflichen Lohnsteigerungen

Die Wahrheit ist, dass mit 15 Cent brutto mehr pro Stunde ab kommenden Jahr die Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich des Gaststättengewerbes und Dienstleistungsbereichs für die Auswirkungen der Corona-Pandemie doppelt bezahlen müssen. Einerseits weil sie die ersten waren und sind, die eine Kündigung erhalten haben oder mit einem sehr geringen Kurzarbeitergeld auskommen müssen. Und jetzt müssen sie sich ab 1.1. 2021 mit einem schlechten Trinkgeld zufrieden geben. 10,45 Euro ab Sommer 2022 hört sich gut an, liegt aber weit hinter den tariflichen Lohnsteigerungen. Die Mindestlohn-Kommission hätte in der Krise ein Zeichen für einen gerechten Mindestlohn setzen können, der über 13 Euro liegt. So hat sie Armut und Niedriglöhne weiter zementiert.

Matthias Rabbe, Köln

fr-debatteEine ausreichende Rente ist damit nicht zu erwarten

Die von der Mindestlohn-Kommision vorgeschlagene Erhöhung des Mindestlohn (mit schrittweisen Steigerungen im niedrigen Centbereich), ist einfach nur lächerlich und beschämend. Man muss bedenken, dass ein betroffener Arbeitnehmer mit diesem Stundenlohn ein monatliches Entgelt von Brutto 1703,35 Euro (bei einer 35-Stunden-Woche) bzw., 1807,85 Euro (bei einer 40-Stunden-Woche) erhalten würde. Wohlgemerkt erst ab dem 1.7.2022!
Davon kann man kaum heute und erst recht nicht im Jahr 2022 – ohne staatliche Unterstützung, leben – bzw. eine Familie ernähren! Eine ausreichende Rente ist damit auch nicht zu erwarten!! Der Mindestlohn muss mindestens auf zwölf Euro steigen – und das ab sofort und nicht erst im Jahr 2022!

Horst N. Klomann, Frankfurt

fr-debatteEs geht nur mit einer Lohnuntergrenze

Die Bertelsmann-Studie legt offen, dass 7,7 Millionen ArbeitnehmerInnen in der Sackgasse Niedriglohn, sprich prekäre und schlecht bezahlte Arbeit, gefangen sind. Eine zweite Armutsfalle für sieben Millionen Beschäftigte im Transport- und Gesundheitswesen sowie in der Nahrungsmittelindustrie ist der zu niedrige Mindestlohn, der zum 1. Januar 2021 um lediglich 15 Cent auf 9,50 Euro und langfristig auf 10,45 Euro brutto (Sommer 2022) steigen soll.
Wer Armut bekämpfen will, muss eine existenzsichernde Lohnuntergrenze umsetzen, wie sie Sozialverbände wie die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung seit Jahren fordern: 13 Euro und mehr. Denn Armut trotz (Vollzeit-) Arbeit in den „systemrelevanten Branchen“ heute bedeutet auch Altersarmut für Millionen Renter von morgen.

Gudrune Fries, Köln

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Ein Kommentar zu “Mindestlohn: Armut und Niedriglöhne werden zementiert

  1. 1,53 Euro für Bildung monatlich ist in der Grundsicherung ab 2021 berücksichtigt. Eine Tageszeitung kostet schon mehr – nur eine Ausgabe. In der Grundsicherung ist also noch nicht einmal die Möglichkeit berücksichtigt, sich zu informieren. Das ist nun die Sicht von ganz unten,es sind aber um die sechs Millionen die das betrifft, die durch die große Koalition übergangen werden.
    Mit dem Mindestlohn ist es doch dieselbe Geschichte, der große Sprung ist es nicht.

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